Lassen wir unseren Blick durchs Lokal schweifen und schauen einmal, wer sich da so alles eingefunden hat. Na klar, die am Stammtisch kennen wir alle. Loddar Saltatorius, der Heuschreck vom Niederrhein, unser Fanidol sitzt einträchtig neben seinem alten Kumpel Willi ‚Erpel’ Leppins, der es mit geringst möglichem Aufwand (1 Länderspiel) zum holländischen Nationalspieler brachte. Auch Oddo „Herakles“ Heragel – wenn ein Fußballgott menschliche Gestalt annimmt, dann ist es seine – hat sich seit einigen Episoden unserer Stammtischrunde angeschlossen.

Daneben … nanu!? … wo ist denn „Nicki“ Hirte, der Geschäftsführer des Vereins? Ah, dahinten! Er hatte heute am Tresen Platz genommen. Tja, dumm gelaufen die Sache. Nach dem erneuten Abstieg der Rot-Weißen hatte er den Rotstift in den Vereinsbilanzen ansetzen müssen. Neben vielen sinnvollen Sparmaßnahmen reduzierte er auch das Mobiliar der Stadiongaststätte auf ein Mindestmaß. Dabei strich er versehentlich seinen eigenen Stuhl am Stammtisch aus dem Verzeichnis. Nun war er eben nur noch Geschäftsführer auf Abruf.

Neben ihm starrte Ralf Hummelmann deprimiert in sein Bierglas. Weil er Rückgrat bewiesen hatte, musste er am Tresen Platz nehmen. Vor einem Jahr hatte er nämlich den Neubau des Stadions versprochen und dies mit der Drohung bekräftigt, als Präsident zurückzutreten, sollte das nicht gelingen. Anders als bei Politikern üblich, erinnerte er sich noch an frühere Worte und stand dazu. Aber vielleicht war ja nicht sein Rückgrat verantwortlich für seinen Thekenplatz, sondern der durch Luftzug verursachte steife Nacken, als er sich damals zu weit aus dem Fenster lehnte.

Im Grunde versammelte sich also am Tresen so etwas wie eine Ehemaligenrunde. Schauen wir mal, wer sich außerdem in die Riege einreihen möchte! Das ist doch …. richtig! … Manni Höllenarm. Aber den stellen wir nicht extra vor.

„Schnauze, Manni! Du has’ hier nix zu sagen.“

„Aber ich hab’ doch garnix gesacht!“

„Trotzdem! Du wolltest. Gib et zu!“

Zurück zum Stammstich! Wer füllte denn die leeren Plätze aus, nachdem Hummelmann und Hirte sich zurückzogen hatten? Der eine von beiden ist Tommi Struuumpf. Sich selbst hatte er den Spitznamen „Volle Pulle“ gegeben. Der Name ist Programm, denn mit ebensolchem Engagement ging er seine neue Aufgabe als sportlicher Leiter des Vereins an. In Wahrheit war aber „Volle Pulle“ eine trotzige Reaktion auf eine verbale Attacke seines früheren Trainers. „Flasche leer!“ hatte Anton Trapper ihn genannt, oder – wie er unter der im südlichen Alpenraum üblichen Umstellung der Reihenfolge von Vor- und Nachnamen besser bekannt ist – der Trapper Toni.

Auch den Fünften in der Stammtischrunde stellen wir nicht extra vor. Wir kennen ihn aus einer früheren Episode. Stumpen-Rudi hatte Platz genommen, eingehüllt in eine dichte Qualmwolke seiner Zigarre.

„Also, ich weiß nicht, Rudi, was ich davon halten soll“, eröffnete Loddar das Gespräch. Zusammen mit Erpel und Oddo blätterten sie durch einen Berg dicker Aktenordner. „Mir ist nicht wohl bei diesen Plänen.“

„Genau!“ pflichtete Tommi Struuumpf ihm bei. „Wir hatten erwartet, von dir endlich ein neues Konzept für unsere Vereinsstrukturen zu bekommen. Stattdessen höre ich das Zirpen einer Heuschrecke. Du willst wohl unseren Verein aufkaufen, in Einzelteile zerlegen und mit Gewinn wieder verkaufen, was?“

„Bist du etwa der Grund, dass die außerordentliche Mitgliederversammlung gecancelt wurde, Rudi?“ erkundigte sich Oddo Heragel. „Wir dachten, die Mitglieder müssten jetzt bald über neue Strukturen abstimmen und einen neuen Präsidenten wählen. Stattdessen halten wir hier solchen Mist in den Händen.“

„Nun, sach’ ma’ watt, Rudi! Und komm uns bloß nicht wieder mit dem Versuch, dein blödes VELTINS bei uns verkaufen zu wollen, wie in Episode IV!“ schob Willi hinterher.

Rudi wurde ganz unbehaglich zumute. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Mit einer solch negativ geladenen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Dabei hatte er es doch ehrlich gemeint – na ja, fast ehrlich – und keine russische Machtübernahme im Stile Abramowitschs beim FC Chelsea oder von Gazprom beim FC Schalksky im Sinn. Lediglich ein bisschen Reibach wollte er machen. Darum entschloss er sich, für seinen Vorschlag zu kämpfen.

„Langsam, Freunde! Bevor ihr mich nach Gelsenkirchen zurückjagt, führt euch bitte eure Situation vor Augen! Bei euch brennt der Baum. Und mein Vorschlag ist die einzige Möglichkeit, euren Verein zu retten.

„Und du meinst, wir brauchen dich dazu?“ Willis Frage war eher rhetorischer Natur und er erwartete nicht wirklich eine Antwort.

„Genau! Über zweierlei sollte ihr euch im Klaren sein. Es kommen zwei umwälzende Neuerungen auf den Profifußball in Deutschland zu. Wenn ihr dabei mitmischen wollt, müsst ihr euch auf mein Wagnis einlassen.“

„Und die wären?“

„Nun, als erstes sind da die Pläne der DFL zur völligen Neuordnung der Ligalandschaft.“

„Davon habe ich noch nie gehört.“ Tommi Struuumpf war skeptisch. „Gerade wurden doch erst die dritte Liga und die dreigleisige Regionalliga eingeführt.“

„Das ist nur eine Übergangslösung, die übrigens nicht so reibungslos klappte, wie geplant. Leider – leider aus der Sicht der DFL – schafften nur drei Zweitvertretungen die Qualifikation für die dritte Liga. Geplant waren vier. Und auch das war nur ein ablenkendes Zugeständnis an aufkommenden Unmut im Amateurbereich. Es ist beabsichtigt, in möglichst kurzer Zeit weitere Zweitvertretungen durch Aufstieg in diese Liga zu hieven. In sechs Jahren bereits kann die dritte Liga ausschließlich aus Reserveteams bestehen. Parallel sollen weitere Nachwuchsmannschaften in die Regionalligen aufsteigen. Mit dem Scheinargument der Leistungsverdichtung werden diese drei Staffeln dann zu einer vierten Liga vereinigt, in der wiederum ausschließlich U 23-Teams spielen.“

„Au, Mann!“ den Stammtischhelden stand vor Schrecken der Mund offen.

Loddar Saltatorius fing sich als Erster. Und er kapierte als Schnellster: „Die wollen einen Puffer bauen. Einen undurchdringlichen Puffer zwischen dem Profi- und dem Amateurbereich!“

„Respekt!“ staunte Rudi über soviel Auffassungsgabe. „Und darum muss es euer Ziel sein, so schnell wie möglich wieder mindestens in die zweite Bundesliga aufzusteigen, bevor sich für immer die Tore schließen.“

Natürlich hatte man am Tresen das Stammtischgespräch mitverfolgt.

„Da dampft ja ganz schön die Kacke da drüben. Aber das kommt davon. Ist so üblich in Phasen präsidialer Vakanzen …“

„Schnauze, Manni! Du has’ hier nix zu sagen!“ Hummelmann wollte sich nicht auch noch Salz in die offene Wunde streuen lassen.

„Wo ich aber doch Recht habe, habe ich Recht. Bei jedem vernünftigen anderen sinkenden Schiff verlassen zuerst die Ratten den Kahn. Der Kapitän geht zuletzt …“

„Halt endlich den Rand, Manni!“

„… aber bei RWE ist der Käpt’n schon weg. Und jetzt kommen die Ratten aus den Löchern.“

„Manniiiii! Jetzt reichts!“

In der Zwischenzeit ging die hitzige Diskussion am Stammtisch weiter. Erpel Leppins hatte Stumpen-Rudi gerade aufgefordert, auch die zweite kommende Veränderung im Profifußball zu beschreiben.

„Solche Dinge sind nur noch mit Fernsehgeldern zu finanzieren“, führte Rudi deshalb aus. „Da stehen wir von Stadion TV parat. Bei Stadion TV handelt es sich um die Fusion von Arena und Premiere und einigen kleineren Anbietern.“

„Sehe ich das richtig, dass ihr bei uns investieren wollt?“ erkundigte sich Tommi Struuumpf misstrauisch. „Wo ist denn da der Haken? Das macht ihr doch nicht aus Mitleid.“

„Kein besonderer Haken. Ihr habt lediglich dafür zu sorgen, dass keinerlei Informationen mehr vom Spielfeld zu den Konsumenten gelangen, die nicht durch Stadion TV übermittelt wurden.“

„Das hatten wir schon mal in unserer letzten Zweitligaspielzeit. Auf Druck von Arena hatte uns die DFL Schwierigkeiten gemacht, weil ein gewisses Fanmagazin einen privaten Liveticker anbieten wollte. Wir hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, das zu ermöglichen“, erinnerte sich Loddar.

„In Zukunft gibt es das nicht mehr. Da ist Informationsübermittlung nur noch durch Stadion TV möglich.“

„Das sehen wir ja auch ein“, stimmte Oddo zu. „Wenn wir Fernsehgelder kriegen, ist es selbstverständlich, dass der Investor auch die alleinige Übermittlung von Wort, Bild und Ton an Leute außerhalb des Stadions übernimmt. Also gibt es in Zukunft Radio- und Fernsehübertragungen, Liveticker und Sportzeitungen nur noch von euch. OK! Es wird aber immer Fans geben, die ihre Kumpel per Handy über den Zwischenstand informieren. Das könnt ihr ja gar nicht verhindern …“

„Falsch, Oddo. Freunde, ich glaube ihr missversteht mich. Die SMS Übermittlung per Handy kriegen wir problemlos in den Griff. Fährst du ins Ausland, springt dein Handy auch einen Meter hinter der Grenze automatisch auf den neuen Tarif um. Mit der entsprechenden Vorrichtung zahlt jeder Mobilfunknutzer eine extra Gebühr an uns, sobald er innerhalb des Stadions den Apparat nur anschaltet. Nein, es geht uns noch um etwas ganz anderes.“

„Komm schon! Lass die Katze aus dem Sack!“

„Auch die Übermittlung der Informationen vom Spielfeld zum Zuschauer auf den Rängen gibt es künftig nur noch durch uns.“

„?????“ – Ratlosigkeit auf den Gesichtern. „Wie wollt ihr das bewerkstelligen?“

„Ganz einfach. Wie beim Public Viewing bauen wir an die Stelle der Zäune zum Spielfeld riesige Leinwände. Die Zuschauer auf den Tribünen sehen dann unsere Übertragung.“

„Ja, aber die Stimmung auf den Rängen? Davon leben doch die Spieler.“ Das Thema fiel in Loddars Ressort.

„Auch das ist durchdacht. Die Leinwände sind beidseitig. Wir filmen die Zuschauer und übertragen das auf die andere zum Spielfeld gewandte Seite.“

„Pervers!“ da war sich die Stammtischrunde einig.

„Aber, aber! Bedenkt die Vorteile! Ihr spart das Geld für die Spielfeldumzäunung. Ihr könnt das Ordnerpersonal reduzieren, weil niemand mehr auf den Platz stürmen wird. Ihr spart die Rasenheizung, denn ihr könnt alle Spiele in Sommer aufzeichnen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt auf die Ränge übertragen. Die Spieler haben drei Monate Schicht. Den Rest des Jahres verbringen sie im Urlaub. Theoretisch sparen die Fans die Auswärtsfahrten. Sie verfolgen die Übertragung einfach im eigenen Stadion. Ihr könnt Polizeiaufgebote und Ordnerpersonal somit noch weiter reduzieren.“

„Man kann also den ganzen Saisonverlauf schon vor der Spielzeit virtuell festlegen?“ Wieder war es Loddar, der die mafiösen Hintergrundstrukturen als erster durchschaute.

„Richtig! Stadion TV sorgt dafür, dass die Grenzen zwischen Stadionbesuch, Public Viewing, Fernsehübertragung und Playstation verschwinden.“

„Ich hab’s geahnt und vorgesorgt.“ Willi Leppins saß zufrieden grinsend auf seinem Stuhl. „Als die alten Holzbänke auf der Haupttribüne abgerissen wurden, habe ich das Holz aufgekauft und mir zuhause eine Minitribüne mit 30 bis 40 Plätzen für mich und meine Freunde gebaut. Eine Riesenleinwand davor – fertig ist das eigene Stadion.“

„Aber du hast keinen Rasen“, wandte Oddo ein, der gerne etwas näher am Platz sitzen wollte.

„Doch. Habe ich. Vom neuen Trainigsgelände.“

„Waaaas?“ Tommi Struuumpf war entsetzt. „Sag bloß, du warst es, der die rechteckigen Rasenstücke raus geschnitten und geklaut hat!“

„Wieso geklaut? Der Platz gehört doch mir. Oder heißt der etwa nicht ‚Erpel-Leppins-Platz’?“

„Tja, ist die Katze aus dem Haus, tanzt die kleine freche Maus.“ Manni Höllenarm amüsierte sich an der Theke köstlich über die chaotischen Zustände der führungslosen Zeit am Stammtisch. Vielleicht machte er sich ja Hoffnung, dort selbst wieder Platz nehmen zu dürfen.

„Klappe, Manni! Aber, er hat Recht, Ralf, vielleicht sollten wir uns wirklich langsam Gedanken machen, wer an deiner Stelle Vereinspräsident wird.“ warf Nicki Hirte ein.

„Wenn ich einen Vorschlag machen dürf….“

„Klappe, Manni!“

„Ich hab’ auch keinen Plan“, grübelte Hummelmann. „Vielleicht macht es ja der Alex Michelsen.

„Du meinst den Borbecker Kaffeebaron? Den vom Fachgeschäft COFFEE & TUPPERWARE MICHELSEN?“

„Ja, genau. Der hat doch in der letzten Spielzeit so erfolgreich die Durchsage der Mannschaftsaufstellung präsentiert. Dann kriegt der das bisschen zusätzlichen Präsidentenjob auch gebacken.“

„Vielleicht hat er ja nicht nur die Aufstellung präsentiert, sondern auch die Mannschaft heimlich aufgestellt. Was den erneuten Abstieg erklären würde“, murmelte Nicki in sein Bierglas.

In diesem Augenblick warf Struuumpf einen Blick auf seine Armbanduhr und nickte Loddar zu. Die beiden erhoben sich. ,Kommst du mit, Nicki?’ fragte Loddar, als sie am Tresen vorbei gingen. Nicki stand schweigend auf und folgte den beiden zum Ausgang.

„Wo geht ihr denn hin?“ rief Hummelmann ihnen nach.

„Wir haben noch eine Sondersitzung.“ Hirte drehte sich kurz um. „Wir müssen den Verwendungszweck einer überraschend eingegangenen Spende festlegen. Mal sehen, vielleicht hilft uns ja gerade die, das Horrorszenario am Stammtisch da drüben abzuwenden.“


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