„Hallo! Wartet doch mal! Ich kann nicht mehr!“ Ralf Hummelmann schleppte sich, inzwischen völlig erschöpft, den spanischen Sandstrand entlang. Ein mühsames Unterfangen, gab doch der sandige Untergrund bei jedem Schritt nach. Stundenlang ging das schon so. An ein kräftiges Ausschreiten war nicht mehr zu denken. Seine drei Freunde Nicki, Loddar und Willi hatten bereits 100 Meter Vorsprung gewonnen, blieben aber nach seinem Ruf stehen und warteten auf ihren Präsidenten.
„Wie weit ist das denn noch? Weiß einer von euch, wo wir sind und wohin wir müssen?“ fragte er, als er zu seinen Freunden aufgeschlossen hatte.
„Nö! Irgendwo muss das Hotel aber sein. Seltsam, von unseren Jungs ist nichts zu sehen. Den Berichten zufolge müssten die sich eigentlich vor Trainingseifer überschlagen. Ich dachte, die tummeln sich hier irgendwo, und wir werden die schon finden.“ Nicki Hirte wusste nicht recht weiter. Als Geschäftsführer fiel die Reiseorganisation der Stammtischrunde ins Trainingslager der Mannschaft in sein Ressort. Offensichtlich hatte er jetzt die Orientierung ein wenig verloren. Kilometerlang waren sie am Strand entlang gelaufen, vorbei an vielen Hotelanlagen und Sportplätzen. Von einem fleißig trainierenden Regionalligakader gab’s aber keine Spur.
„Kumma! Dat sieht aus wie dä Ballermann auf Malle!“ rief Loddar plötzlich aus. Und richtig, je näher sie dem Lokal kamen umso offensichtlicher war die Ähnlichkeit.
„Vielleicht haben die Ballermann-Organisatoren expandiert und einen Markennamen aus dem Ballermann gemacht“, vermutete Willi. „Ihr wisst doch, so’n Franchise-Unternehmen wie McDonalds oder Burger-King. Überall sieht es gleich aus und schmeckt auch überall gleich. Kommt, wir kucken uns den Laden mal an! En Päusken kann uns sowieso nicht schaden.“
„Mann, hab ich einen Durst!“ merkte Hummelmann an. „Nicki, bestell mal was! Du kannst doch Spanisch.“
„Frollein! Hallo!“ machte Nikolaus Hirte die Bedienung auf die vierköpfige Gesellschaft aufmerksam.
¡Das heißt ’Señorita’! wurde er sogleich von der schnippischen Bedienung korrigiert.
¡Oh, natürlich! Entschuldigung!
„Frag mal, ob wir was zu Trinken bekommen können!“
¡Señorita, wir haben einen mächtigen Durst! ¿Gibt es bei ihnen etwas zu trinken?
¿Ja, was meinen Sie denn, was das hier ist? legte die Bedienung sogleich mit einem wütenden Wortschwall los. ¿Wonach sieht das aus? ¿Etwa nach einer Leihbücherei? ¿Oder nach einem Zoofachgeschäft? ¡Hier gibt es nur was zu Trinken; nichts anderes! ¡Hierher kommen nur durstige Leute; niemand sonst! ¿Was darf ich ihnen bringen?
„Was hat sie gesagt?“ wollte Loddar wissen.
„Ja!“
„Wie? Bloß ‚Ja’? Sonst nix? Und dafür so’n langer Satz?“
Nicki wollte nicht zugeben, dass sein Spanisch doch nicht so perfekt war und er nur die Hälfte verstanden hatte. Er gab dem Frollein … Sorry … der Señorita resigniert ein Zeichen, sie solle einfach etwas bringen. Sie kam auch wenige Augenblicke später mit einem hier scheint’s üblichen riesigen Eimer und vier langen Strohalmen angeschoben. Nach den ersten tiefen erfrischenden Zügen besannen sich die Freunde, weshalb sie eigentlich hier waren. Sie wollten die Mannschaft beim Training beobachten und vor allem einmal sehen, wie sich die in der Winterpause neu verpflichteten Spieler integrieren würden.
„Ich möchte die Neuen ja schon mal spielen sehen“, merkte Erpel Leppins an. „Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, was das für Granaten sind. Obwohl … im RWE-Forum wird schon wieder gelästert. Der Stefulj soll ja als Langzeitverletzter engagiert worden sein, der sich bei uns erst mal wieder erholen müsse. Wir würden ständig Spieler verpflichten, bei denen die abgebende Vereine froh sind, sie von der Gehaltsliste streichen zu können.“
„Stimmt ja auch!“ gab Hirte zu.
„Ich dachte, der soll die Abwehr verstärken“, wunderte sich Willi.
„Naja, nicht ganz“, korrigierte Ralf Hummelmann. „Eigentlich haben wir den nur wegen Alex Löbe geholt. Vorbildlich, wie der sich trotz seiner schweren Verletzung engagiert. Kommt sogar mit ins Trainingslager gereist, um die Jungs moralisch zu unterstützen. Dabei hat er selbst einen Durchhänger. Die Verletzung hat ihm schon einen Knacks versetzt. Da haben wir den Stefulj geholt, der zum Alex auf’s Zimmer soll. Da können sie sich beide kurieren und solange Schach spielen. Vielleicht richtet das den Alex wieder auf.“
„Ach!“ Solch einen Weitblick hätte Erpel dem Präsidium und der Geschäftsführung gar nicht zugetraut. „Dann ist wohl der Arie van Lent auch nicht zum Toreschießen von Frankfurt losgeeist worden?“
„Du sagst es.“ grinste Hummelmann. „Den haben wir geholt, um die Fans aufzumuntern.“
„Wie bitte?“ Loddar war empört. „Davon hat mir niemand was gesagt.“
„Aber schau mal, Loddar, es klappt doch prächtig.“ mischte Nicki sich ein. „Erinnerst du dich an unserer erste Episode? An die damalige Stimmung unter den Fans? An unseren Appell, alles zu geben, damit unser Aufstiegsprojekt gelingt? Damals waren wir an einem Tiefpunkt angelangt. Und jetzt, wenige Monate später, ist alles anders. Nicht nur die miese Stimmung ist verschwunden. Es herrscht geradezu Euphorie. Du wirst sehen, die Fans rennen uns im ersten Spiel gegen Düsseldorf die Bude ein. Und das bloß, weil sie soviel Hoffnung in den Arie setzen.“
In diesem Augenblick klingelte es. Alle vier suchten aufgeregt in den Hemd- und Hosentaschen nach ihrem Handy. Wo war das Ding bloß? Und wessen Handy klingelte eigentlich? Nickis war es.
„Hirte!“ meldete er sich. „Ja, der bin ich. ..... Ob ich etwas dagegen habe? Aber ganz und gar nicht! Das kann nur gut sein. Für alle – für den Verein, für Ihre Einrichtung und für die Fans. Also, meine Zustimmung haben Sie. Auf Wiederhören!“
„Wer war das denn?“ wollte Ralf wissen.
„Das ratet ihr nie! ..... Das war der Direktor der Folkwang Hochschule in Werden. Er informierte mich, dass sich inzwischen 7 Fanclubs geschlossen bei ihm verbindlich für den Kurs „Wie singe ich eine Arie?“ angemeldet haben. Weitere 13 haben ernsthaftes Interesse bekundet. Ob wir seitens des Vereins etwas dagegen haben, wollte er wissen. Auf die Choreografie im nächsten Spiel bin ich gespannt.“
„Das ist ja der Hammer!“ Leppins schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. Die Freunde schauten ihn an und merkten, dass er die Sache mit dem Gesangsunterricht gar nicht mitbekommen hatte. Er las in der Zeitung und musste einen Brüller entdeckt haben.
„Wo hast du denn die REVIERSPOTT her?“ staunte Nicki nicht schlecht.
„Die gab’s da hinten am Kiosk. Ganz aktuell. Ist von heute! Hört mal was der Granulat vom Trainingslager berichtet. Der hat den Ali Bilgin interviewt.“
Nachgefragt
Ali Bilgin, sie sind jetzt ins Lauftraining eingestiegen, die Hälfte des Trainigslagers haben Sie im Kraftraum verbracht, können wir Sie Atze Bilgin nennen?
Naja, passend zum aktuellen Aufenthaltsort ist doch Ali Kante besser.
Sie teilen das Zimmer mit Alex Löbe, das scheint zu passen, oder?
Auf jeden Fall. Wir haben uns in Oliva richtig lieb gewonnen, vorher kannten wir uns auch nicht. Alex ist ein riesiger Typ, der schon einiges mitgemacht hat, davon kann ich doch nur profitieren.
„’Ali Kante!’ Das ist der Brüller! Und ‚Wir haben uns richtig lieb gewonnen’. Ich kann nicht mehr.“ Willi kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen.
Loddar musste auch grinsen. „Meint ihr, das Interview hat tatsächlich stattgefunden? Ich wundere mich. Kann sich REVIERSPOTT das leisten, einen Berichterstatter 14 Tage lang mit ins Trainingslager zu schicken, der nichts anderes tun soll, als über RWE zu berichten? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Nicki Hirte konnte sich das ebenfalls nicht vorstellen. „Vielleicht hat der Olaf Granulat das Interview ja telefonisch geführt. Oder gar nicht. Er hat es nur erfunden. Vielleicht hatte er mal einen lichten Moment, in dem ihm der Kalauer mit ‚Ali Kante’ gekommen ist. Den musste er dann passend im Blatt unterbringen.“
„Ich mache mir ganz andere Gedanken“, warf der Präsident ein. „Ich dachte, der Stefulj ist beim Löbe auf dem Zimmer. Wie kommt jetzt der Ali da rein? Läuft da was? ‚Wir haben uns richtig lieb gewonnen’, soll er gesagt haben?“
„Quatsch!“ Nicki Hirte beruhigte seinen Präsidenten. „Mach’ dir keinen Kopp. Ich halte das für ’ne Ente.“
„Für eine was?“ Erpel hob die Augenbrauen.
„Für ein getürktes Interview. Ich wette, der wollte nur seine Thesen in dem steilen Artikel untermauern, den er neulich in die Welt gesetzt hat. ‚Fussball und Homosexualität’ hieß das Werk. Da waren schon ein paar gewagte Behauptungen drin. Und jetzt will er mit solchen Berichten belegen, das da was dran ist. Der hat doch keine Ahnung.“
„Kürzlich erschien sein zweites Machwerk. ‚Fußball und Glauben’.“
„Wieder etwas, wovon er nichts versteht.“ bestätigte Nicki. Vielleicht wird das ja eine Trilogie.“
„Und wie soll der dritte Teil heißen?“ wollte Willi wissen.
„Fußball und Journalismus“, vermutete Loddar grinsend.
¡Señorita! ¿Können Sie uns bitte sagen, wo hier eine Fußballmannschaft untergebracht ist? ¡In Oliva Nova sollen die trainieren!
¿Oliva? ¡Das ist drüben auf dem Festland!
¡Auf dem Fest …! Nicki stand der Mund offen.
¡Ja, Sie sind hier auf Mallorca! ¿Was dachten Sie denn?
„Nicki, was ist denn?“ wollte der Heuschreck vom Niederrhein wissen, dem aufgefallen war, dass Hirte ganz blass wurde.
„Ich glaube, wir sind in den falschen Flieger eingestiegen“, flüsterte der Geschäftsführer leise, immer noch starr vor Schreck. Langsam dämmerte es ihm. Sie waren spät dran auf dem Flughafen. Zwei sich sehr ähnlich sehende Maschinen standen nebeneinander. In der Hektik hatte Hirte wohl nicht richtig hingeschaut. Schnell die Gangway hoch, Platz genommen und Reinhard May gepfiffen: ‚Über den Wolken …’. Da muss es passiert sein.
„Mist! Der Heinz Koch hat doch die Mannschaft heute zum Essen eingeladen. Da wollte ich unbedingt dabei sein.“ Ralf Hummelmann war richtig enttäuscht. „Der hat doch in der Nähe ein Haus mit einem riesigen Grundstück. Das soll so groß sein … wenn man mit dem Auto außen herumfährt braucht man einen ganzen Tag.“
„So’n Auto hatte ich auch mal“, sagte Willi.
„Und was machen wir jetzt?“ Nikolaus Hirte war völlig fertig. Das ging auf seine Kappe.
„Warum nicht ausspannen und ein paar Tage Urlaub machen?“ schlug Loddar Saltatorius vor. „Wir hauen uns an den Strand und spielen Gehirnjogging.“
„Wie geht das denn?“ fragte Willi.
„Wir nennen nacheinander jeder ein Wort, in dem unser neuer Stürmerstar, der Arie, vorkommt. Ich fang’ mal an: KanARIEnvogel!“
„Karies!“ setzte Hummelmann die Runde fort.
„Mariene“
„Ätsch! Willi hat ’en Tippfehler gesprochen!“ Loddar wurde schnell albern.
„Marienverehrung!“
„Parieren!“
…