Aus dem Treppenhaus vor der Tür der Stadiongaststätte tönte unbeschreiblicher Lärm, Poltern und eine laut schimpfende Stimme: „Nu’ mach schon, du faules Biest. Tu’ mal was dafür, dass ich dich durchfüttere!“ Die wenigen Gäste in der Gaststätte hielten inne und lauschten. Auch Loddar Saltatorius, Ralf Hummelmann und Nikolaus Hirte, die gerade angestoßen hatten, ließen ihre Gläser wieder sinken und horchten, was da los war. Plötzlich ging die Tür auf und Erpel Leppins kam herein mit … nein, zunächst sah man nur ihn allein. Er bewegte sich langsam rückwärts, stemmte die Füße auf den Boden, stand da um 45° nach hinten geneigt und zog an einem Seil. Oder war es eine Leine? Man sah es nicht genau. Ganz langsam kam er Schritt für Schritt weiter in die Gaststätte hinein. Am anderen Ende der Leine befand sich ein riesengroßer und bis zur unbeweglichen Fettleibigkeit voll gefressener Hund. Im Nu standen drei Stammtischgenossen neben ihrem Freund.

„Das ist Ottfried!“, stellte Willi sein Mitbringsel vor.

„Ottfried?“

„Ja, Ottfried. Ich hab gehört, dass man ihn auch ‚die Töle von Bölz’ nennt.“

„Bölz? Warst du da nicht gerade in Urlaub, Willi?“, erkundigte sich Loddar.

„Ja, Bad Bölz im bayrischen Voralpenland. Nette Gegend. Den da hab ich geschenkt bekommen. Ist ein ehemaliger Polizeihund, der für den Dienst nicht mehr geeignet ist. Ich habe im Urlaub seinen Besitzer kennen gelernt. Berghammer hieß der. Nach ein paar Weizenbier ging es darum, was aus dem Hund wird. Schließlich hat er mir den angedreht.“

„Was ist denn das für eine Rasse? Das ist je ein richtig großer Spielkamerad! Ottfried, guck guck“, sagte Nicki.

„Eigentlich ist es ein Bernhardiner, der aus Bern kommt und Bernsteinhalsbänder mag.“

„Wieso 'eigentlich'? Sieht seltsam aus, das Vieh, mit seinem lockigen Fell. Irgendwie schwul. Und wir wissen doch seit einigen Wochen, dass schwul sein im Fußball immer noch ein Tabuthema ist. Granulat sein dank!“ scherzte Loddar.

„Na ja, er ist nicht ganz reinrassig, der Hund. Die Mutter war Bernhardinerin, von ihr hat er auch die massige Statur und die Zitzen vererbt bekommen. Doch ein Urlauber aus Köln hatte seinen Pudel dabei. Mit dem ist das Muttertier zusammen gekommen! Sie waren ein ganz schickes Pärchen, bis sie sich auf ihn drauf gesetzt hat und Ottfried dadurch Halbwaise wurde. Jetzt ist er halt ein Bernhardiner mit Locken. Sozusagen ein Bernhardudel.“

„Was willst du mit dem denn hier bei uns? Bring ihn doch auf deinem Bauernhof unter. Da hast du genug Platz. Außerdem könnte er doch deinem neuen chinesischen Küchenchef ein wenig in der Küche helfen, wenn du verstehst. Hier nervt das Viech nur. Guck mal da, jetzt hat er hier auf den Boden gekackt! “ Ralf Hummelmann sah an seinem geistigen Horizont schon die dunklen Unwetterwolken eines Problems aufziehen. Und richtig, Erpel bestätigte seine Befürchtung, dass die Unterbringung des vierfüßigen Fleischberges auf dem Bottroper Bauernhof nicht so einfach sein würde.

„Geht nicht! Das Pony weigert sich, mit ihm unter einem Dach zu wohnen, nachdem er in die Tränke gepullert hat. Wir müssen uns was anderes einfallen lassen. Ich hab mir überlegt, ob wir nicht hier im Stadionbereich eine Verwendung für ihn finden können.“

„Ich wüsste nicht welche, aber ich werde mich mal bei Iss-Aal erkundigen, da arbeiten doch nur so Brocken!“, blickte Hummelmann ziemlich ratlos drein.

„Quatsch, Chef! Da wäre er verschwendet“ Loddar war plötzlich voll da. „Unser Platzwart, was jetzt Greenkeeper heißt, kann den sicher gut gebrauchen. Vielleicht setzt der den als Wachhund ein. Mancher Schrotthändler rund ums Stadion macht das auch. Nachts lassen die einen Hund auf dem Gelände laufen, damit niemand bei ihnen inner Firma einsteigt. In letzter Zeit werden uns doch ständig die Torpfosten blauweiß gestrichen. Da kommen sicher ein paar Jungs aus Gaysentown rüber und klettern hier übern Zaun. Was meint ihr? Wenn wir den Hund laufen lassen, vielleicht hört das dann auf. Der hat ja in seiner Polizeilaufbahn sicher genug Erfahrung mit übelstem Gesindel sammeln können.“

„Der doch nicht!“ Ralf beömmelte sich. „Kuck ma’ wie fett der is’! Bis der auf Touren kommt, hat ’ne Schnecke ’en Formel-1-Rennen oder Ulf Raschke ne Goldmedaille über 110-Meter Hürden gewonnen.“ Nicki Hirte jedoch blickte verschmust zu dem Tier.

„OK, das seh’ ich ein, Ulf würde sich eh andauernd langlegen! “, gestand Loddar. „Aber es gibt ja noch andere Aufgaben. Wenn auf dem Spielfeld die Linien erneuert werden müssen, kann man den Hund doch vor den Kreidewagen spannen. Der zieht und der Platzwart braucht bloß noch aufzupassen, dass die Striche gerade werden. In letzter Zeit hat der das nicht mehr so toll hingekriegt. Habt ihr das nicht auch gemerkt? Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Und wenn er soviel Kraft aufwenden muss, den Karren zu bewegen, dann kann er nicht gleichzeitig aufpassen, dass die Linien gerade werden.“

„Stimmt!“ fiel es dem Präsidenten auf. „Ich hab’ mich gewundert, dass schon lange keine Wembley-Tore’ mehr für uns gefallen sind. Wenn die Torlinie sich nach hinten wölbt, ist das kein Wunder. Der Ball knallt an die Latte, zischt senkrecht nach unten und jeder Dienst* habende Schiedsrichter sieht sofort, dass er nicht im Tor war. So was be-merk** ich in letzter Zeit immer und immer wieder!“

„Außerdem könnte er unserem Wirt an Spieltagen ein wenig unter die Arme greifen“, ergänzte Loddar, der mit der Bierversorgung der Tribünenbesucher durch das Personal der Stadiongaststätte seit einiger Zeit unzufrieden war. „Der hat doch Alpenluft gerochen. Dem hängen wir ein kleines Fass unter das Kinn – wie bei einem Lawinensuchhund – und dann läuft der die Treppen rauf und runter. Die Leute kriegen mit der Eintrittskarte einen Becher in die Hand und können selbst nachfüllen. Allerdings müssten wir uns dann mal überlegen, wie die Bezahlung gehandhabt wird, denn ich weiß nicht, wo wir dem noch eine Kasse installieren könnten. Oh, doch, der hat doch einen ziemlich stämmigen Rücken. Wartet mal, ich hole mal eben die Kasse für die Karten runter!“

„Man bleib hier, Loddar, das ist doch totaler Mumpitz! Vor dem Spiel könnte er den Verein in seinen Bemühungen um ein familienfreundliches Stadion viel besser unterstützen, guck dir den Wauzibauzi doch mal an. Ist der nicht süüüüüß? Jaa! Ja, wo isser denn? Ja wo ist denn der kleine Wauzi! Jaaaa! Ja komm ma her, Du kleiner Wuddelknuddel! Du kriss hier nen 5 Jahresvertrag, Du Schnuffel Du“.

Die anderen blickten verstört. „Worauf willste hinaus, er wird auf keinen Fall unter deiner Riege arbeiten, ist schließlich kein Hirtenhund!“ bemerkte Hummelmann.

„Aber, Rolf, guck dir den Bauziwauzi doch mal an!“ Hirte strich dem Tier liebevoll durch das Fell. „Statt Ponyreiten bieten wir für die Kids Ottfried-Reiten an. Was meinst ihr, wie viel mehr Familien sich zu einem Stadionbesuch entschließen?“ Jetzt hatte schon wieder glänzende Euro-Zeichen auf den Pupillen.

Hinter der Theke gab es plötzlich einen lauten Schrei. Es rappelte, dann schepperte es. Dem Wirt war beim Abtrocknen ein Glas aus der Hand gerutscht. Beim Versuch, das Prunkstück zu retten und Scherben zu verhindern, stieß er an einen Stapel benutzten Geschirrs, der prompt in die Spüle semmelte. Irgendwie musste er dabei mit dem Arm ein blauweißes Geschirrtrockentuch vom Tresen gewischt haben, das jetzt langsam wie ein Fallschirm aufgespannt zu Boden segelte. In diesem Moment kam Leben in den Hund. In Bruchteilen von Sekunden raste der mit einer affenartigen Geschwindigkeit zur Theke schnappte sich das Tuch und schüttelte es wild knurrend, als hätte er einen Rivalen im Kampf um die Gunst einer Hundedame im Nacken gepackt, um ihm ein für alle mal seine eigene Alphastellung im Rudel in das Fell zu perforieren.

„Kuck an! Der geht ab, wie Schmidts Katze dabei ist es Erpels Hund!“ Rolf staunte nicht schlecht. Offensichtlich hatte er das Tier unterschätzt.

Willi triumphierte. „Seht ihr? Der reagiert auf blauweiß. Der ist ideal, nachts unser Stadion zu bewachen. Das ist ein Stier, der einen Matadoren durchbohrt!“

„Wer weiß!“ der Oberguru war immer noch nicht ganz überzeugt. „Und wenn die Schalker nun ohne blauweißes Outfit über den Zaun steigen? Dann macht der Hund nämlich mal gar nix. Der gibt erst Gas, wenn die Pfosten blauweiß sind. Blöd, wie der ist, trau ich dem zu, dass der in vollem Galopp gegen den Torpfosten rappelt, sich dabei ne Schädelfraktur zuzieht und dann tollwütig das Stadion auseinander nimmt. Aber hör mal, Domian, wie kommt das, dass du blauweiße Geschirrtücher benutzt?“ wandte er sich nun an den Wirt.

„Ich hab’ mir nichts dabei gedacht! Die gab es in der Metro für 75 Cent, hier im Fanshop haben wir ja so was nicht, sonst hätte ich sicherlich Tücher mit unserem Logo, Ehrenwort!“

„So, du hast dir nichts dabei gedacht! Was ist das denn für eine Arbeitseinstellung? Ab jetzt denkst du dir was dabei, was es heißt, für eine rotweiße Stadiongaststätte verantwortlich zu sein. Verstanden? Und was hast Du da für einen Müll an, ein weißes T-Shirt und ne blaue Jeans, ha? Wir haben die Zusammenarbeit schon mit ganz anderen Leuten aus ähnlichen Anlässen beendet. Merk dir das!“

„Du meinst, wenn in einer Physiotherapiepraxis blaue Handtücher herum liegen? Oder wenn einem A-Jugendtrainer ein blaues Taschentuch aus der Hosentasche fällt? Oder die Pulleneinsammler blau zur Maloche kommen?“

„Zum Bleistift!“ Hummelmann zwinkerte schmunzelnd, fügte aber mit gespieltem Ernst hinzu: „Sieh dich vor! Unsere heiligen Gemäuer müssen vor der Pestilenz verschont werden, da können wir uns es als wirtschaftlich schlafender Riese nicht leisten, dass so was an die Öffentlichkeit kommt! Wir zahlen jede Woche Schweigegelder an den Visierspross, frage mich allerdings seit einigen Wochen, warum eigentlich?“

Lothar zuckte mit den Achseln und Nicki nickte freundlich dem Hund zu.

Der Präsi wandte er sich nun wieder den drei Freunden zu. Die beschäftigten sich mittlerweile damit, herauszufinden, ob der Hund die wichtigsten Grundregeln des Gehorsams beherrschte. Es schien ganz gut zu klappen. Erpel Leppins gab die Kommandos.

„Sitz, Ottfried!“ Sofort setze sich Ottfried hin.

„Bleib!“ Nach diesem Kommando ging Willi quer durch die Gaststätte und drehte sich wieder um. Der Hund blieb brav an seinem Platz sitzen.

„Komm, Ottfried!“ rief er dem Hund zu. Sofort bestieg Ottfried Nickis Kniescheibe und wackelte im Takt zu der Hintergrund laufenden Musik. Domian hatte soeben Adiole aufgelegt. Loddar, Rolf und Erpel bildeten einen Halbkreis um Nicki und dem Hund, und feuerten beide mit tosendem Applaus an.

Willi beugte sich zu ihm hinab und tätschelte ihn mit lobenden Worten. „Und jetzt pass auf, Ottfried! … Platz!“

PENGGGG! … PFLATSCH! SCHEPPER!

Es dauerte eine Weile, bis sich alle in der Gaststätte von dem Schrecken erholt hatten. Aber schon stand der Wirt neben Willi. In der linken Hand hatte er einen Aufnehmer und einen Putzeimer mit Wasser. Mit der rechten reichte er dem ehemaligen Fußballprofi ein Handtuch, damit der sich den Schleim aus dem Gesicht wischen konnte. Nicki Hirte war von oben bis unten voller Hundefetzen. Er war benommen om Knall, benebelt und besudelt von den Hundefetzen und stammelte immer und immer wieder vor sich hin „Na, wo ist denn das kleine Bautziwauzi?“ Rolf und Loddar hievten in erstmal aus der Schleimpfütze.

„Das war eine recht kurze Karriere als RWE-Mitarbeiter. Das arme Tier. Aber STOPPPP! Bleibt alle bitte stehen, keiner bewegt sich von der Stelle, ich möchte die Überbleibsel von Ottfried gleich doch noch mit zum Bauernhof mitnehmen, vielleicht kann Xeng-Shu aus unserer Küche doch noch was mit ihm anfangen“, bemerkte Leppins.

„Aber gebt mir jetzt bloß nicht wieder die Schuld für das Alles! Ich konnte doch nicht ahnen, dass der die Bedeutung von ‚aufs Wort gehorchen’ und von ‚wortwörtlich gehorchen’ verwechselt!“

* = Der schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst leitete das WM-Endspiel 1966 im Londoner Wembley Stadion, in dem jenes unsägliche Tor fiel.

** = Tja, habt ihr jetzt allen Ernstes noch an einen Merksatz zu Markus Merk gedacht?


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(ks