„Prost!“ – Man erwartete die diesem
Ruf normalerweise folgenden Geräusche: Das angenehme
„Pling“ aneinanderklirrender Gläser
und das wohlige Glucksen von Bier in den Kehlen. Doch
dazu kam das bereits am Stammtisch sitzende Trio nicht
mehr. Laut krachend sprang die Tür der Stadiongaststätte
auf und „Nicki“ Hirte stürzte lachend
herein.
„Es hat geklappt! Ich könnte mich beömmeln.“,
prustete er los, kaum dass er bei Hummelmann, Saltatorius
und Leppins Platz genommen hatte. „Ihr hättet
das Gesicht vom Granulat sehen sollen, als er merkte,
dass wir ihn verarscht haben!“ Olaf Granulat
war der für RWE zuständige Redakteur der
im Kohlenpott vielfach gelesenen und selten ernstgenommenen
Sportgazette REVIERSPOTT. Obwohl für die Berichterstattung
über RWE zwangsabgestellt, versah er seine Aufgabe
hingebungsvoll und leidenschaftlich. Einzigartig seine
Interviews, deren Verlauf er atmosphärisch dicht
schildern kann. Der Leser hat verbal die Faust ballende
und auf den Tisch hauende Gesprächspartner lebendig
vor Augen.
„Super! Der Spaß war seinen Aufwand wert“,
ließ Loddar Saltatorius verlauten, dem der Schalk
im Nacken saß. „Da hat auch alles zusammen
gepasst. Spitze gemacht, Ralf, wie du bei der Pressekonferenz
ganz vorsichtig den Hinweis auf eine Krise in der
Mannschaft fallen gelassen hast. Und du, Willi, hast
die Mannschaft richtig gut eingespurt. Die haben alle
mitgezogen. Als Granulat hier und dort nachfragte,
bohrte, nicht locker ließ, haben die perfekt
rumgedruckst und ausweichende Antworten gegeben. ‚Ich
weiß nicht, wer der Ersatz-Ersatzspielführer
ist, wenn ich nicht Ersatzspielführer bin.’,
hatte der Bemben gesagt und wütend die Binde
dem Trainer vor die Füße geworfen. Naja,
vielleicht war das schon ein bisschen zu auffällig.“
„Die Antworten hast du aber auch perfekt vorformuliert,
Loddar.“, gab „Erpel“ Leppins das Kompliment
zurück.
„Das war nicht schwer“, stapelte der Heuschreck
vom Niederrhein tief, „man braucht sich nur die
Interviews in Presse und Fernsehen reinzuziehen, dann
weiß man, wie ausweichende Antworten aussehen.
Jeder Reporter bohrt da nach. Das liegt denen im Blut.
Unvermeidlich tappte der Olaf immer tiefer in die
Falle."
„Der Gipfel war die Sache mit dem Teleprompter.“
Nikolaus Hirte schüttelte sich immer noch vor
Lachen. „Wie wir den Ali Bilgin davor gesetzt
haben und der seine Antwort an die Reporter abgelesen
hat – einmalig! Mit einem Teleprompter erweckt
man im Fernsehen den Eindruck, der Moderator formuliert
frei sprechend in die Kamera, während er aber
Wort für Wort abliest. Anstatt das Gerät
geschickt zu verbergen, haben wir es offen vor Ali
hingestellt. Und dann der Mann von ISSA-Security.
Als der seine Hand freundlich, aber doch deutlich
auf Alis Schulter legte, hatte jeder geglaubt, der
Bilgin darf nicht sagen, was er wirklich denkt. Und
alle haben sie es gefressen. Hehe!“
„Wie war der Text noch mal?“, wollte Hummelmann
wissen.
Saltatorius wusste es noch. Er hatte den Wortlaut
verfasst. „‚Ich weiß nicht, warum
Hilko Kapitän war’, hatte Ali gesagt ‚ich
war verletzt, bei der Vorbereitung nicht dabei. Ob
Michael offiziell zu meinen Vertreter bestimmt wurde,
weiß ich nicht, auch zu dieser Zeit war ich
am Anfang der Saison verletzt.’ Das konnte gar
nicht schief gehen. Die mussten einfach hellhörig
werden“, grinste Loddar.
„Sagt mal, wer ist den der Typ am Tresen dahinten?
Kennt den jemand? Der ist mir noch nie aufgefallen.“
Erpel Leppins schaute skeptisch zur Theke hinüber.
„Keine Ahnung! Nie gesehen!“ schüttelten
die drei anderen ihre Köpfe.
„Seht ihr, so macht man das!“ kam Hirte
zum Thema zurück. „So stellt man die Medien
in den Dienst der eigenen Sache. Die sind nichts anderes
als Matrixwelten. Realitäten, die du dir selber
schaffst. Die Medien sind so, wie sie sind, weil du
willst, dass sie sind, wie sie sind. Dabei haben die
Leute in dieser Matrix von sich den Eindruck, sie
seien autonom, unabhängig, selbstständig.
Hihi!“
„Finis medias sanctificit“, gab Loddar zum
Besten, „der Zweck heiligt die Medien.“
(‚Medias’ eigentlich ‚die Mittel’)
„Aber ich versteh das nicht ganz.“ Ralf
Hummelmann hatte zwar die Führung des Vereins
fest im Griff. Aber er brauchte meist etwas Zeit,
bis er die Zusammenhänge durchschaute. „Dass
wir die Medien benutzt haben, ist klar. Aber wie sollte
die Mannschaft zu besseren Leistungen motiviert werden,
wenn wir ihr eine Krise andichten?“
„Das war doch nicht für die Mannschaft,
Ralf.“, stellte Willi klar. „Das haben wir
für die Fans inszeniert. Bei denen liegen die
Nerven blank. Jedes Körnchen Sand im Getriebe
wird heftigst kritisiert. Die mussten wir ein wenig
beruhigen. Und da kam uns der Olaf Granulat gerade
recht. Auf den war Verlass. Der hat das mit der Krise
geglaubt und so plump nachgebohrt mit seinen Interviews,
dass jeder Leser den Eindruck haben musste, er dichtet
die Krise in die Mannschaft hinein. Und als dann die
Fans sahen, wie die Mannschaft wider Erwarten geschlossen
und harmonisch auftrat und auch noch eine ansprechende
Leistung brachte, waren die wieder voll auf unserer
Seite.“
„Ja … aber … ich dachte wir wollten
die Mannschaft motivieren?“
„Haben wir ja auch“, erklärte Hirte
„doch dafür hatten wir eine andere Trumpfkarte.
Ich muss mich bei dir entschuldigen, Ralf. Dazu habe
ich dich ein wenig benutzt.“
„Waaaaaaaaas hast du?“
„Nichts Schlimmes!“ zwinkerte Nicki seinem
Freund zu. „Weißt du noch, dass ich dich
gebeten habe, beim WDR anzurufen und drum zu bitten,
uns am Wochenende die Orca Gundel als Reporterin zu
schicken? Dafür bin ich ja normalerweise zuständig.
Aber es wäre zu offensichtlich gewesen, wenn
ich das Telefonat selber geführt hätte.
Bei dir haben sie keinen Verdacht geschöpft,
weil jeder weiß, dass sie dir insgeheim ganz
sympatisch ist.“ Alle grinsten.
„Das habt ihr gemerkt?“ Hummelmann war baff
erstaunt. Ihm war das ein wenig peinlich. „Und
was sollte das?“ wollte er wissen.
„Nun, die Orca gefällt nicht nur dir.“
erklärte Loddar. „In der Mannschaft haben
auch einige ein Auge auf sie geworfen. Die heißt
zwar wie ein Killerwal, hat aber keineswegs den Charme
des lieben Tierchens. Die sind hochmotiviert, wenn
Frauen in der Nähe sind. Kuck mal, wie die spielen,
wenn Bibiana Steinhaus pfeift. Aus dem gleichen Grund
haben wir eine Frau im Aufsichtsrat.“
„Man konnte am Samstag richtig sehen, wie ein
‚Rock’ durch die Mannschaft gegangen ist.“,
feixte Leppins „Dabei hatte sie nicht mal einen
an. Erstaunlich!“
„Ja, aber hat die das denn mitgemacht? Die muss
das doch geblickt haben.“, rätselte Hummelmann.
„Natürlich hat die das geblickt!“ bestätigte
Hirte. „Aber ich habe ihr versprochen, sie dürfe
direkt nach dem Spiel in der Umkleidekabine Interviews
machen. Da war sie sofort dabei.“
Nun musste auch der Präsident lächeln. Doch
schnell verdüsterte sich sein Blick wieder. „Mir
ist der Typ da am Tresen auch nicht geheuer. Ich meine,
der schielt und lauscht immer wieder verstohlen zu
uns herüber. Gefällt mir nicht, die Sache.“
„Ich glaub, ich weiß jetzt, wer das ist.“,
warf Leppins ein. „Der stammt aus Süddeutschland
und ist höchstens zwei- oder dreimal pro Jahr
hier in Essen. Ansonsten treibt der im RWE-FORUM sein
Unwesen. Dort hat er sich einen Vogelnamen als Nick
zugelegt: ‚Gimpel’ oder so ähnlich.
Hat nur Unsinn im Kopf, der Mann. Aber lustig. Da,
jetzt hab ich’s auch gesehen! Sieht so aus, als
ob er tatsächlich seine Ohren etwas weit aufspannt.“
„Um noch mal auf die Matrixwelten zurückzukommen“,
setzte Hummelmann das Gespräch fort und wurde
dabei ganz nachdenklich, fast etwas depressiv. „Ich
habe das Gefühl, wir befinden uns auch in einer
Matrix.“
„Was meinst du?“
„Manchmal denke ich, mich gibt es nicht wirklich.
Die Gefühle, die ich habe, kommen mir so fremd
vor. Es ist, als ob ich meine Gedanken nicht selber
denke, als ob mir meine Worte in den Mund gelegt werden.
Wenn ich etwas unternehme, habe ich den Eindruck,
an Marionettenfäden zu hängen. Und überhaupt
…“, fuhr Hummelmann mit einem vorsichtigen
Blick zum Tresen fort „… sollte es mich
nicht wundern, wenn wir alles, was wir hier reden,
nächste Tage auf jawattdenn.de nachlesen können.“
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(ks)