Was bisher geschah: Hans-Rüdiger wird mittels eines gestellten Szenarios kurzzeitig die Vision vorgegaukelt, Restaurantleiter auf Löttingshof zu sein. Sein Büro entpuppt sich allerdings sehr schnell als Kerker, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Dennoch gelingt ihm durch akribische Arbeit und Geschick mit Siebenmeilenstiefeln die Flucht aus dem Kerker. Vor dem Gebäude wird er allerdings gestellt und mit einem gekonnten Hieb in Ohnmacht versetzt ... Was hat man nur mit ihm vor?


PHASE XIV – Baphomet, erwache!

"Und täglich grüßt das Murmeltier: gleiche Stelle, gleiche Welle, still March 05" - Als ich wieder zu mir kam, lag ich festgebunden in Mitten einer großen, kirchenähnlichen Halle auf einem Podest. Das Einzige was ich bewegen konnte, waren mein Kopf und meine Zehenspitzen. An der Wand zur Rechten hingen etliche Bilder von Spielern, die ich zwar nicht kannte, aber allesamt in Schalke Kleidern abgelichtet wurden. Ferner ragten unterhalb der Bilder kleinere Steinschüsseln aus der Wand. Auf jeder dieser Schüssel stand jeweils eine Kastanienpuppe, wie ich sie schon einmal bei Ilse beinahe platt getreten hätte. Neben den jeweiligen Püppchen stand auch noch senkrecht eine Tafel Schokolade. Ich hatte auch zu meiner Überraschung urplötzlich andere Kleider an. Der schicke Anzug war gegen eine Art Leibchen oder Kittel ausgetauscht worden und meine Beine waren nackt. Offensichtlich hatte ich auch keine Unterwäsche mehr an, denn mein Po war kalt.

Ich fühlte mich wie auf einem Operationstisch. Überall brannten Kerzen mit dem Wappen der Schalker. Irgendwie beruhigten sie mich. Die Halle war riesig, ich konnte leider nur nach links oder rechts schauen, was hinter meinem Rücken oder vor mir passierte, das konnte ich nicht einsehen. Ich sah einen Schrein, dekorierte Trennwände sowie einen „Altar“. In der Halle lief leise Musik zur Untermalung, die ich am ehesten in die Kategorie „seichte Fahrstuhlmusik“ eingeordnet hätte. „Hallo? Ist da jemand?“ rief ich durch die Halle, die meine Stimme mit einem schönen Echo verzierte. Es kam jedoch keine Antwort. In etwa zehn Metern Abstand war eine weitere, kleinere Empore. Darauf befand sich irgendein Objekt oder Gegenstand, doch um was es sich dabei handelte, das konnte ich nicht erkennen, da es mit einem blau- weißen Tuch abgedeckt war. Ich lag eine ganze Zeit lang herum und schrie hin und wieder zaghaft durch die Halle. Doch ich sah schnell ein, es würde keinen Sinn machen, mich weiter herumzuquälen. Ich war in der wohl schlimmsten und bedrohlichsten Situation meines Lebens. Ich konnte nicht mehr weg. Versuche - wie Bruce Willis oder Arnold Schwarzenegger in ihren Filmen – mal eben die Seile durchzureißen, scheiterten, da ich auch noch mit Armschellen und Fußketten versehen war.

Nach etlichen, langen Momenten in der kalten Halle hörte ich Schritte näher kommen. Jetzt wurde ich geradezu ungehalten, wollte mich los reißen. Doch ich konnte nach wie vor nur meinen Kopf und meine Zehen bewegen. Es war schrecklich. Dann, als die Schritte immer näher kamen, ich aber immer noch nicht gesehen hatte, was sich denn dahinter verbarg, begann die vermeintliche Masse an zu singen: „Schalke ist der geilste Club der Welt! Schalke ist der geilste Club der Welt!“ marschierten sie gerade zu euphorisch - untermalt von Orgeln - in die Halle ein. Oh mein Gott, wer oder was würde denn da jetzt um die Ecke kommen? Die Felsenzähne? Nach einer Weile stand die Gruppe - bestehend aus fünf Personen – direkt neben mir und stoppte den Gesang. Ich erkannte Charlie, Ilse, den korpulenten Typ, der mich zusammen mit dem Butler verfolgt hatte und zu meiner Verwunderung auch noch Orloff Thun, den ehemaligen Vereinshelden der Blauen.

Eine Person kannte ich gar nicht. Allesamt hatten sie aber eines gemeinsam. Sie trugen Kutten aus Jeans mit Vereinsemblemen und waren mit blau-weißen Schirmmützen ausgestattet. Dann begutachteten sie mich eine ganze Weile. Orloff ging vom Podest weg, hinüber zu der abgedeckten Skulptur, oder was immer sich unter dem Laken verbarg. „Orloff kannst du mir gleich hier auf das Leibchen ein Autogramm geben? Schreib drauf: Für meinen Freund Hansi!“ entgegnete ich dem einstigen Nationalspieler. Orloff nickte und zog einen Edding 5000 aus seiner Tasche, doch jetzt ergriff erstmal Charlie das Wort. „Hans-Rüdiger, ich möchte mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, um dir meinen kultigen und kuttigen Clan hier mal genauer vorzustellen. Das hier neben mir ist der Sonnenkönig. Das ist unser Boss, der hat Nerven. Denn sein Hobby ist mörderisch: SCHALKE 04. Er wird heute Abend diese für dich leicht ungewöhnliche Sendung moderieren und später die Zeremonie – bei der man dich ganz nebenbei erwähnt schlachten wird - abhalten. Das ist so fest in unserer Satzung verankert und da gibt es auch nichts dran zu rütteln. Orloff wird das Objekt da unter dem Laken nehmen und ihn mit deinem Blute tränken, sobald der Neumond im Zenit steht. Wir haben uns von mathetrainer.de.vu ausrechnen lassen, dass dies in knapp 75 Minuten der Fall sein wird. Damit wird der Gegenstand unter dem Laken heute noch aufwachen, seine volle Kraft entfalten und wir können schon am Sonntag gegen die Bayern Schritt Eins in Richtung Meisterschaft machen. Ilse wird sich das Ganze obligatorisch ansehen. Schade, dass es so weit kommen musste, denn du kochst wirklich fabelhaften Flönz. Möchtest du mir nicht wenigstens die eine fehlende Zutat verraten, damit wir das Erbe von Urgroßmütterchen Lisbeth aufrecht erhalten können? Ich packe es dann in echt auf unsere Karte des Restaurants ...“

Ich dachte im ersten Moment wirklich daran, mich kaputt zu lachen. Denn das war das absurdeste, was ich jemals gehört hatte. „Ihr wollt mich umbringen und ich soll ein über Jahrzehnte gut gehütetes Familienrezept preis geben? Ihr wollt mich umbringen, damit ihr diesen Gegenstand da unter der Decke mit meinem Blut besudeln könnt? Ihr wollt mich umbringen, weil es so in eurer Satzung steht? Ihr habt sie doch nicht alle, Leute ... jetzt hört mal auf zu spinnen da und lasst mich bitte gehen. Und wer ist eigentlich der da?“ wollte ich wissen, während ich mit dem Schopfe in Richtung der fünften Person zeigte. „Und wo ist überhaupt dieser Butler hin? Dem wollte ich noch mit dem goldenen Kuli die Augen ausstechen ...“ Alle lachten sie jetzt laut. Orloff Thun ergriff mit tiefer Stimme das Wort. „Na, erkennst du die Stimme wieder? Der Butler bin ich. Ich hatte Stelzen an und eine Maske auf. Dafür war ich vorher beim Zirkus Schlakkasanie und hab den Kursus „Maskiertes Stelzenlaufen“ besucht. Von diesen Leuten hab ich auch die Flyjumper abgestaubt, mit denen du beinahe geflohen wärst. Wie haben sie dir denn gefallen? Also, ich finde sie gerade zu aerodynamisch ...“ - „Nun, ich fand die Teile recht geil, würde mich auch gerne später noch weiter mit dir darüber austauschen, wenn du magst.“ Er nickte zufrieden, kam auf mich zu, gab mir das versprochene Autogramm und ging wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt neben dem abgedeckten Gegenstand. Dann ergriff der mir Unbekannte das Wort. „Und mich stelle ich auch noch eben vor, Herr Eichenbauer. Mein Name ist Slash Watzforium. Ich bin Meisterdieb und RWE-Fan, ich hab diesen Auftritt hier gewonnen. Was mich auszeichnet: ich klaue geistige Eigentümer und gebe sie als die meinen aus. Damit ich das in Zukunft nicht mehr mache und es mir eine Lehre ist, wurde ich vom Script-Entwickler dieser Serie einfach hinein geschrieben. Eigentlich spiele ich überhaupt keine Rolle, ich bin nur ein armer N00b.“ Welch gerechte Strafe dachte ich mir. Noch ein RWE-Fan auf Abwegen, denn auch er hatte ja diese Kutte an. „Ach hier, ich habe etwas Wasser mitgebracht, finde jetzt nur gerade keine Angabe darüber, aus welcher Quelle es ist.“ Er hielt mir seine Flasche Wasser ohne Etikett an den Mund. „Halt!“, schrie ich „ohne Quellenangabe kannst du gleich wieder abdackeln! Das müsstest du doch jetzt langsam wissen.“ Er wich von mir.

Nun ging der Sonnenkönig in die Mitte des Raumes, wo sich dieser Altar befand, der wie ein Rednerpult aufgebaut war.. Er wollte gerade sein Bibel-ähnliches Notizbuch aufklappen, als Charlie noch mal das Wort ergriff: „Bevor wir gleich mit der Zeremonie beginnen, möchte ich noch einen kleinen Einwurf bringen. Liebe Ilse, auch in Anbetracht der Tatsache, dass wir diesen wahnsinnigen Spinner endlich hier liegen haben, wollte ich dich vor seinen Augen bitten, irgendwann meine Frau zu werden. Ich bin zwar schon verheiratet, spiele aber mit dem Gedanken, mich einer fundamentalistischen Mormonengruppierung anzuschließen. Also Ilse, mein goldigster Schatz unter blau-weißem Himmel, willst du dich mit mir verloben oder sollen wir erstmal nur offiziell bekannt geben, dass wir miteinander gehen? Ich hab hier zwei Zwiebelringe ...“ - „Du, the real Fratzibatzi, das würde ich gerne tun, mich mit dir verloben, aber ich hab auch noch ein Problem. Jetzt, wo du und Hans-Rüdiger hier mal zusammen seid und wir hier mit offenen Karten spielen können, wollte ich euch mitteilen, dass meine Kletsche diesmal nicht gekommen ist und ich schwanger bin. Ich war gestern schon beim Lippenstift an der Uni. Jetzt hab ich nur ein Problem: ich weiß nicht, wer mir den Mutterkuchen voll gerotzt hat. Ich stehe quasi vor einem Rätsel.“ Jetzt wurde es noch absurder. An meinem letzten Tag sollte ich erfahren, dass ich möglicherweise Vater werden, aber das Kind niemals aufwachsen sehen würde? „Du hast dich mit diesem alten tattrigen Knubbel tatsächlich in die Poofe gehauen, Ilseken? Das kann nicht dein Ernst sein. Aber kein Problem, ich stelle mich gerne einem Vaterschaftstest! Hier, nimm eine Probe in Angela Ermakova Manier von mir, bevor ihr mit mir macht, was ihr vorhabt ... Ilse saug ...“ Ihr Anblick in der Kutte machte mich regelrecht gierig und unter meinem Schlabberlatz wuchs etwas heran. Sie zündete sich nun eine Zigarette an. „Das würde dir wohl so passen, dass ich jetzt hier die Praktikantin vor den anderen spiele, nicht wahr? Wenn wir alleine wären ... Aber mein Problem ist ein wenig umfangreicher. Es kommen ja nicht nur du und Charlie in Betracht.“

„Was?“ schrie der Dicke zutiefst erschrocken und auch ich war perplex: „Wer kommt denn noch in die engere Auswahl?“ Ilse schluckte, allerdings nicht so, wie ich das kurz vorher befohlen hatte. Sie zog hastig an ihrer Zigarette. „Also, ich hab neben Euch beiden noch mit meinem Nachbarn Ferdinand Joaquin Dominguez gemännert. Aber wirklich nur vierzehn Mal, das müsst ihr mir beide glauben. Dann hatte ich auch noch Verkehr mit diesem Chauffeur - dieser Charmeur. Das wundert mich allerdings sehr, da ich ihn noch nie real in der Kiste hatte. Es war irgendwie so eine Art Traum, als ich vor einiger Zeit auffem Pott A A machen war, aber es war ein reales Erlebnis. Ich hatte auf der Brille einen Abgang.“ Ihr Geständnis schockte mich sehr, auch den Dicken, denn er sagte erstmal nichts, blickte verletzt durch sein Kassengestell. “Ich kann nichts dafür, es ist bei mir krankhaft, ich bin promiskuitiv. Ich bin eine Nymphe, eine abgefuckte Nymphe. Haha haha, ich bin so heiß wie ein Vulkan ... Der einzige, der das bisher halbwegs in den Griff bekommen hat ist mein Pummelchen Charlie, weil der Dank seiner kleinen, blauen Pillen neuerdings eh eine komplett andere Blutzirkulation und daher Dauerbereitschaft hat. Ich wollte deswegen auch in Behandlung. Bitte verzeih mir, Kalle.“ Sie schluchzte jetzt leise vor sich hin, was den Dicken aber nicht davon abhielt, gleich reinen Tisch zu machen: „Wahnsinn, Ilse, Wahnsinn. Und ich hab mit dem Gedanken gespielt, einer anderen, möglicherweise moderneren Religion beizutreten. Du hast mich derbe enttäuscht, du Schlampe ... hier hast du das Foto wieder, wo du mit offenem Flansch posierst ...“ Er warf ein Bild aus seiner Geldbörse zu Boden. Jetzt flennte Ilse den selbigen der Halle mit ihren Tränen voll, man hörte die Tropfen wie von einem Wasserhahn herunter fallen. Niemand hob das Bild auf. Was mich aber in Rage brachte, war Charlies unsensibles Auftreten: „Charlie, wenn die Ilse doch sagt, dass es bei ihr krankhaft ist, warum reitest du dann weiter darauf herum? Lass sie doch in Ruhe, du bist doch auch nicht besser, wir leben in einem Zeitalter, wo sexuelle Selbstbestimmung ein Rechtsgut ist. Wenn Männer polygam leben, dann heißt es immer 'Die coole Sau, hat der schon wieder eine flachgelegt“', tun das aber die Mädels, dann wird ihnen gleich ein Schlampenimage auferlegt. Das prangere ich an.“

Charlie trat jetzt ganz nah an mich heran, so dass ich ihn genau im Fokus hatte. Seine silbernen Haare leuchteten im Kerzenschein, an seinen Lippen klebte weiße Spucke und ich bekam angst, dass er mich damit treffen könnte. Auch in den Brillengläsern spiegelten sich einige Kerzenlichter. „Junge, Du hältst jetzt die Fresse. Du hast die ganzen Folgen nur gelabert, jetzt sind mal andere dran. Wir werden gleich deinen Körper aufschneiden und den Gegenstand unter der Abdeckung mit dem Blute deines Körpers tränken ... danach werden die Ratten in der Kanalisation auf deinem Torso durch die Kötsche von Nordgelsenkirchen reisen. Wir werden den bisher noch unbekannten Gegenstand heute Nacht auferstehen lassen. Dann wird das nächste große königsblaue Zeitalter anbrechen.“ sagte er mir mit wahnwitzigem Gesichtsausdruck mitten ins Gesicht. Dann trat Orloff, der sich schon vor dem anderen Podest positioniert hatte, beiseite und wollte den Gegenstand darunter aufdecken. Orloff wand sich jetzt dem Gast zu. „So, Slash, wir spielen jetzt zusammen unser Spiel 'Wer A sägt, muss auch B sägen!' Du wurdest ausgewählt unter 5 Bewerbern und hast diese kleinere Erlebnisreise hier in das Schloss schon mal gewonnen, jetzt winkt der Hauptpreis: eine Führung durch die Arena. Dazu musst du nur erraten, was sich unter dieser Abdeckung befindet. Wir geben dir zwei Lösungen vor: A) Ein Teddy, der uns zu Weltruhm verhelfen wird oder aber B) ein niegelnagelneues Essbesteck aus der Württembergischen Metallwarenfabrik, Kollektion 2005 mit Stäbchen, Porzellanlöffel, Teelöffel, Esslöffel, Gabel, Messer sowie einem Fischmesser im Wert von mehreren hundert €?“ Slash zögerte, dann entschied er sich für B. „Ich denke, es ist das Besteck, hier wurde ja schon das eine oder andere Mal von Aufschneiden gesprochen. Also, es kann nur das Besteck sein ...“ Jetzt untermalte ein Trommelwirbel die nächsten, zugegeben spannenden Momente. Orloff zog am unteren Zipfel der Decke und siehe da, es war wieder dieser Teddy, den ich bereits einmal in einer visuellen Wahrnehmung gesehen hatte. Dieser dreinasige Teddy war also der berüchtigte Baphomet. Der Raum erstrahlte plötzlich hell und ich konnte regelrecht spüren, welche magische Anziehung er auf uns alle ausübte. Die anderen wirkten hörig. „Tja, Slash, schade, damit hast du leider die Rundführung nicht gewonnen.“ - „Darf ich mal was fragen, bevor ihr hier gleich Gas gebt?“, wollte ich wissen. Der Sonnenkönig nickte „Was hat es mit diesem verkackten Teddy auf sich? Ich sah ihn in meinem Träumen und hatte Visionen! Was habe ich euch denn eigentlich getan, dass ihr mich auswähltet?“

Charlie ging in sich, schlich mit zusammengefalteten Händen auf dem Rücken um den Altar herum und begann zu erzählen: „Am Anfang wollten wir dich nur in die Arena schleifen, weil es eine Wette zwischen Rudi und Rolf gab. Rolf behauptete, kein Essener sei käuflich, wir hielten dagegen und wollten dich in der Arena mit Schal und Mütze unseres Vereins fotografieren. Die Wahl fiel auf dich, weil du am 13. Januar 2002 mit einer uns unbekannten Person in RWE-Kluft meinen Bummelzug am Bahnhof betreten hast und ihr dort Anti-S04 Parolen verbreitet habt. Es hat lange gedauert, bis wir endlich eine Kontaktperson in deinem Umfeld installiert hatten, schließlich kellnerte die Ilse schon seit 2002 da in dem miesen Schuppen Ypsilon. Wir wussten auch, dass du durch dein Auftreten in der virtuellen Welt innerhalb des RWE-Mikrokosmos einen sehr guten Leumund hattest und deine Worte für viele Jünger eurer Minisekte von hohem Stellenwert waren. Du stelltest für uns das optimale Opfer dar. Das Coming-Out von dir, bei welchem wir mit Kalthopfenschalen nachgeholfen hätten, sollte am kommenden Sonntag beim Spiel gegen die Bayern sein. In der Zwischenzeit tauchte aber Baphomet bei aBo-Ey auf, wir suchten ihn schon eine halbe Ewigkeit. Dieser Teddy da ist Baphomet, unser oberstes Götzenbildnis. Zwischen 1933 und 1942 war er schon einmal im Besitz eines Vereinsoberen, wodurch der Teddy sechs Meisterschaften einbrachte. Zwei hätten noch gefehlt, dann wäre der ganze Kosmos in blau-weißen Händen. Wir würden jeden Titel einfahren und alle würden nur noch uns zu jubeln! Tja, hast du wohl die Arschkarte gezogen, Junge!“

Das eben gehörte klang für mich zu abstrakt und wahnwitzig, weswegen ich nach setzte: „Ach so, und der Teddy da kann das?“ Der Dicke nickte. „Ja, er hat auch die Griechen neulich zum Europameister gemacht. Wir benötigen allerdings frisches Blut eines jungfräulichen Knappen! Der du ja jetzt durch den Voodoozauber von Ilse geworden bist. Einziger Haken: wir wissen nicht, in wie weit deine Verwandlung abgeschlossen ist, da auch gewisse Dinge bei der Voodoozeremonie nicht rund liefen. Also, fangen wir mal an dich zu testen: Wer nicht hüpft der ist ...?“ - „Borusse, hey, hey!“ platzte es aus mir heraus. „Leute, lasst mich mal mithüpen da!“, entgegnete ich ihnen, denn alle im Raum sprangen auf und nieder. „Aber Moment mal, euer Plan hat einen Haken. Ich bin auch nicht jungfräulich, ich hab letzte Woche noch die Ilse gebügelt. Und zwar vor dir ätzenden Wanst. Ich bin der Vadder ... nä nä nä nä nää näää.“ Charlie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und schon gar nicht provozieren, er schlich weiter um mich herum: „Jungfräulich bedeutet in diesem Fall lediglich, dass du noch zu keinem Spiel gewesen sein darfst. Und du hast auch den ersten Test bestanden. Nächster Test: Ob ich verroste und verkalke ...“ - „ ... ich gehe immer noch auf Schalke ...“ vollendete ich schlagartig. Der ganze Tempel bebte, alle sangen, tanzten und feierten. Ich musste ihre Freude mit meiner nächsten Frage doch alsbald beenden: „Leute, ich war auch schon zwei Mal in der Arena, wer weiß ob ich noch als jungfräulicher Knappe angesehen werden kann. Schaut in eure Bedienungsanleitung von dem Bären. Vielleicht steht da etwas dazu drin!“

„Nein, wir haben keine Bedienungsanleitung von Baphomet, es ist alles per Mundpropaganda innerhalb unseres Ordens weiter getragen worden. Wir wissen lediglich, dass der Teddy Blut braucht ...“ warf Orloff ein. Inzwischen war auch Slash wieder dorthin verschwunden, wo er einst hergekommen war. In das Nichts. „Ja, aber wieso nehmt ihr mir denn dann nicht einfach das Blut ab und konserviert es. Ich komm jetzt jede Woche zum spenden, wenn ihr mich laufen lasst! Hab ich früher auch beim Roten Kreuz gemacht. Außerdem will ich auch irgendwann mal Meisterschaften feiern. Nur deshalb bin ich euch doch auf dem Leim gegangen ...“ Ich wollte jetzt wieder in ihrer Gunst steigen. Ich hatte keine Lust darauf, aufgeschnitten zu werden. „Ja, sicher, du glaubst wohl auch, dass wir ein bisschen Banane oder Doofmunder sind, wa? Aber nach Dortmund, da fliegen unsere Tauben höchstens zum kacken hin ...“ gab der am Podest stehende Sonnenkönig zu Protokoll. „Du hast uns alle jetzt gesehen, kannst uns identifizieren und wirst mit Sicherheit auch auspacken, wenn Team Green dich in dieses Lampenlicht gucken lässt. Dieses Risiko können wir nicht eingehen!“ Im Raum herrschte nun Stille. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wann die seichte Fahrstuhlmusik aufgehört hatte, dafür war ich zu angespannt. Dann ging ich aber weiter in die Offensive.

„Leute, wer würde mir denn abkaufen, dass ihr mich hier erst in einem Kerker eingesperrt habt, um mir später auf einem Tapeziertisch mittels eines Steifteddies mein Blut zu entnehmen? Wer würde mir abkaufen, dass es das diesen Raum hier gibt und ihr den wohl beknacktesten aller Kulte zu neuem Leben erweckt habt? Niemand! Vielleicht schaffen wir maximal, dass diese Burg hier eines Tages Pilgerstätte für Essener-Fußballfans wird, wenn ich die Geschichte an irgendein gut funktionierendes Fanzine verscherble. Außerdem, wenn dieser Teddy uns zu Meisterschaften verhelfen wird, warum kann ich diese denn dann nicht mit feiern?“ Ich witterte Morgenluft, denn jeder sah den anderen verdutzt an. Sie wirkten zögerlich. Doch dann ließ Charlie wieder den fiesen Möp raus hängen: „Junge, du kommst doch von einem Verein, wo du nie was zu feiern hattest. Ihr empfindet doch alle nur Hass und Neid für uns großartige Schalker. Außerdem bist du nicht auf natürlichem Wege zum Knappe mutiert, sondern wir haben dich dazu gezwungen. Hier ist deine Büste, die du laut Aussage von Ilse fast vernichtet hättest, weil du aus Versehen im Bad drauf getreten bist.“ Er zückte eine weitere Kastanienskulptur aus seiner Kutte hervor. „Weißt du, was dir passiert wäre, wenn du das Kastanienmänneken kaputt getreten hättest?“ fragte er mich. - „Nein“ - „Ja, nix! Dann wärst du gar nicht verwandelt worden und wir hätten hier den anderen liegen, mit dem du in meiner Bar warst. Von dem könntest du uns übrigens mal die Adresse oder den Namen rüber wachsen lassen, falls das hier mit dir gleich nicht so hinhaut, wie wir uns das vorstellen. “

Ich wurde jetzt innerhalb von einer Nanosekunde vollkommen wütend. Eigentlich viel zu spät. „Du kannst mich mal am Arsch lecken, der liegt eh hier blank herum, du Spinner. Ich sach dir doch nicht den Namen vom Edenhofer ...“ Jetzt lachte er lauthals. So fies hatte ich noch nie in meinem Leben jemanden fies lachen hören. „Wisst ihr, was euch später, wenn ihr die Welt in weiß-blaue Farben getränkt habt, niemals aus dem Sinn kommen darf?“ brachte ich den nächsten Einwurf. Charlie schüttelte den Kopf. „Nein, ist aber auch scheiß egal, wir müssen langsam mal mit der Zeremonie beginnen. Günni go!“ Plötzlich ertönte wieder laute Orgelmusik. Der Sonnenkönig klappte sein Buch auf und zitierte daraus. „Oh, großer Baphomet, der uns wieder zu altem Ruhme leiten wird. Unser tristes Dasein, geprägt von achtundvierzigjähriger Erfolgslosigkeit auf nationaler Ebene, wird mit dem heutigen Tage ein für alle Mal ein Ende haben. Wir mussten viel Hohn und Spott in all den Jahren über uns ergehen lassen. Anscheinend ist der S04 das geeignete Objekt, an dem man sich als Fan eines anderen Vereins austoben kann. Dennoch fühlten wir uns alle sehr wohl in unserer Haut, auf irgendetwas anderes als Schalke hätten wir null Bock. Wir bitten dich daher, erwache heute Nacht und bring uns die Kraft und die Stärke, wieder die Salatschüssel nach Gelsenkirchen zu lotsen. Es darf keine Feier der Zecken im Jahre 2008 stattfinden ...“ Wieder Orgelmusik.

Jetzt schrie ich gegen die nervige Musik an. „Ich frag euch Hirnies das jetzt noch mal: wisst ihr, was euch später, wenn ihr die Welt in weiß-blaue Farben getränkt habt, niemals aus dem Sinn kommen darf? Dass es ein Essener war, dem ihr das alles zu verdanken habt. Eure Titel und Erfolge. Alles hat ein Essener ausgelöst. Ich fordere daher hiermit ausdrücklich, dass ich in den Geschichtsbüchern erwähnt werde, auch wenn ich nur als Opfer fungierte. Benennt die Arena bald bitte in 'Hans-Rüdiger-Rupert-Nepomuk-Eichenbauer-Aus Essen-Kray-Arena' um. Dann könnt ihr mich gerne aufschnibbeln. Mehr verlange ich nicht ...“ Dann endete die Orgelmusik abrupt. Die in den Kutten gekleideten Personen sahen sich wirr an und brachten erstmal keinen Ton heraus. „Verdammt, er hat recht!“ gab Orloff zu bedenken. „Man muss sich das mal vorstellen: wir holen jetzt in den nächsten Jahren zig Titel und wenn das irgendwann mal raus kommt, dass das Alles einem Exxener zu verdanken ist, dann haben wir aber derbe Erklärungsnöte vor unseren treuen Anhängern. Lasst uns lieber auffen Christkindlmarkt nen Glubberer oder aus der Schwebebahn nen Wuppi angeln. Damit hätte ich echt weniger Probleme, als mit diesem ätzenden Exxener ...“ Jetzt entfachte beinahe eine Diskussion. Als nächstes wollte Charlie seinen Standpunkt erläutern.

„Was spielt denn das alles für eine Rolle? Für den Erfolg gehe ich über Leichen, das ist mir egal. Mir ist egal, ob wir den künftigen Erfolg einem Essener, der Russenmafia, einer Schwalbe von Kevin Kuranyi oder den Marsmänneken zu verdanken haben. Seine Story wird er eh niemals jemandem erzählen können, denn hier endet sein Weg heute. Wir haben keine Zeit zu verlieren, heute ist der Neumond wieder im Zenit, bis es wieder soweit ist, sind schon zu viele Spieltage vergangen. Mitunter könnten die Bayern dann schon wieder zu weit weg sein. Lasst ihn uns heute und hier schlachten und gut ist. Wir sind eh alles Konsumnutten der Gesellschaft. Die Werbeindustrie verleitet uns dazu, mit Parfüm getränktes Katzenfutter zu kaufen, auch wenn es teurer ist. Die Bildzeitung gibt uns vor, was in und was out ist und schreibt im rudimentärem Stil. Warum kann dann ein Essener nicht als Plazenta für unsere späteren Titel herhalten? Nach dem achten Titel verschwinden eh alle anderen Fanszenen vollends von der Landkarte, also ist mir das ehrlich gesagt egal. Darüber hinaus haben wir im Jahr 1997 rund 20 % unserer Fans über den Uefa-Cup neu hinzugewonnen, später dann noch mal rund 20 % durch die Turnhalle, alle anderen neuen Fans haben wir über einen Anhängerverleih langfristig an uns gebunden ...“ Jetzt hallte Beifall durch die Halle. Alle nickten, alle stimmten dem bei. Ich bitte dies aber noch mal kurz zu vertiefen: ihr wart gerade Zeuge, wie der Schalker an sich tickt. Er würde für den Erfolg alles tun, sogar seine Seele an den Teufel verkaufen. Mich hatte man für diesen Zweck mit unlauteren Mitteln umgepolt und wollte mich sogar umbringen.

Jetzt startete wieder die Musik und der korpulente mit dem Asitoaster-Teint las weiter aus seiner Bibel vor: „Oberhausener, Bochumer, Duisburger und Dortmunder haben eins gemeinsam: sie mögen Schalke nicht. Lasst uns ihnen den Spaß am runden Leder nehmen und sie zu unseren Untertanen machen, bevor auch sie endgültig in unserer Gemeinde integriert werden können .... Lasst sie lernen, was es heißt, ein waschechter Schalker zu sein. Baphomet, erwache ... hol für uns die Schale heim.“ Mit einem Stab deutete er immer wieder auf den Bären, der langsam aber sicher eine gewisse Atmosphäre in den Raum brachte. Alle wiederholten jetzt den letzten Passus immer und immer wieder. Durch die Halle hallte halbwegs verständlich: „Hol für uns die Schale heim ...“ Jetzt nahm der kleinwüchsige Exkicker den Bären und zückte aus seiner Hosentasche das Messer, welches er schon vor ein paar Stunden in den Händen gehalten hatte, als er vor meiner Kerkertüre auf mich lauerte, ich aber zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass er es war. Verdammt! Er ging wie in Trance auf mich zu, wirkte mit dem Bären in den Händen wie ein Zombie auf mich. Auch er wiederholte ständig diesen einen Satz: „Hol für uns die Schale heim ...“ Die Orgelmusik wurde dramatischer und ich begann lauthals zu schreien. „Hilfe, Hilfe, rettet mich. Bitte, Hilfe. Ilse, das kannst du mir doch nicht antun, bei dem geilen 69er den wir hatten ... “ Doch auch Ilse sprach nur monoton: „Hol für uns die Schale heim ...“ Die Musik hämmerte jetzt unaufhörlich in meinem Hirn. Mein Kreislauf war kurz vor dem Zusammenbruch und die Todesangst in mir wurde unerträglich. Mein Herz raste wie wild. Er kam Schritt für Schritt mit dem Bären und dem Messer in der Hand näher. „Hol für uns die Schale heim ...“ Irgendwann nahm ich die Geräuschkulisse nicht mehr richtig wahr, sondern konzentrierte mich nur noch absolut auf den heran torkelnden Orloff, der nun die Aufgabe besaß, den Bären in meinen Rumpf zu tauchen. Dafür musste er ihn aber erst einmal aufschneiden. Er war jetzt vielleicht noch vier Meter weit entfernt. Ich zappelte von links nach rechts, begann zu transpirieren, wollte mich wehren, doch wirklich von der Stelle kam ich nicht. Ich stand meinem vermeintlichen Schlachter gegenüber.

Auge in Auge ...


(fsl)