Was bisher geschah: Hans Rüdiger steckt in
der Falle der S04-Walhalla, die ihn opfern wollen,
um die Kraft des Bären „Baphomet“ entfalten
zu können. Aus diesem Grund muss ein jungfräulicher
Knappe her. Acht als Köche getarnte Laiendarsteller
sowie ein gefakter Butler haben ihm die Vision vorgegaukelt,
Teil des Traumschlosses Löttinghof zu sein, nun
ist er im Kerker eben jenes Bauwerkes gefangen. Es
ist dunkel und Hans-Rüdiger hat seit einem traumatischen
Erlebnis in seiner Kindheit Angst vor der Dunkelheit:
Er hatte damals als einziges Ruhrgebietskind wirklich
den Bullemann gesehen! Was kann er jetzt noch tun,
um einer Schlachtung aus dem Wege zu gehen?
PHASE XIII – Achluphobia
Gleicher Tag, gleiche Stelle – Dunkelheit.
Finsternis. Die Abwesenheit von Licht. Es war so finster
wie im Stockhaus. Ich hatte Fracksausen. Und ich hörte
meine jämmerlichen Schreie durch den Raum schallen.
„Hilfe! Hört mich denn niemand? Hilfe, der
Bullemann kommt gleich ...“ hatte ich nun bereits
zigmal durch den Raum geschrien. Ich bin zu der großen
Holztüre gerannt und habe gepoltert, habe geflucht,
habe Panik bekommen, doch das alles hat nichts genutzt.
„Angst!“ geisterte es durch meinen Kopf!
„Bullemann!“ geisterte es durch meinen Kopf.
Ja, ich hatte Angst vor ihm, aber das hatte auch seine
guten Gründe, denn ich hatte ihn einst gesehen.
Meine Eltern wollten mich damals immer maßregeln,
wenn ich wieder mal gepopelt hatte oder mit einer
Gabel an die Steckdosen hinter dem Fernseher wollte.
Dann gab es erst immer einen auf den Arsch und dann
sperrte man mich in die Abstellkammer. Ohne Licht
und ohne Ablenkung. Ausgesetzt der eigenen Fantasie
und der immer weiter wachsenden Panik. Und einmal
stand ich in der Abstellkammer, angebunden an den
Eisenregalen, als mir der Bullemann tatsächlich
begegnete. Ein grauenvolles Erlebnis. Danach war ich
in psychologischer Behandlung gewesen und man diagnostizierte
mir eine Achluphobie – die Angst vor der Dunkelheit.
Ich umging diese Phobie aber in meinem späteren
Leben ganz leicht, in dem ich immer mit Fernseher
einschlief und auch keinen Timer programmierte. Dunkelheit
kannte ich eigentlich nur aus dem Fernseher selber.
Durch das Verdrängen der Achluphobie hatte ich
hinterher aber „Stromrechnungsphobie“ ...
Ich war nun geschätzte sechs Minuten an diesem
dunklen Ort, in diesem einsamen Verließ und
jammerte immer noch. „Was bist du nur für
ein Waschlappen?“ fragte ich mich selber. „Andere
entwickeln in Krisenmomenten übermenschliche
Fähigkeiten und du weinst hier vor dich hin und
wartest auf dein Schicksal? “ Zunächst einmal
galt es, sachlich eine Analyse zu erstellen: ich war
in Kerkerhaft, ein nicht zufriedenstellender Zustand
für mich. Anders als mir bekannten Kerkern war
der Raum hingegen jedoch nicht im Keller, sondern
ich befand mich in einem Turm ohne Fenster. Meine
Gedanken kreisten immer wieder um die Worte des Butlers.
„Du wirst unser Opferlamm sein!“ hatte er
mir durch die verschlossene Kerkertüre mitgeteilt.
Unverblümt. Allein bei seinem Anblick bekam ich
wieder Grauen. Und was hatte denn Kalle da für
ein mieses Spiel abgezogen? Mich in eine eiskalte
Falle gelockt. Ich schwor mir, sollte ich jemals wieder
das Licht der Freiheit erblicken, würde ich ihm
sofort und ohne zu zögern ein Mosaik in die Brille
zaubern. Auch wenn er schon über 70 und Ilses
Onkel war.
Und Ilse? War ihre Liebe nur eine vorgetäuschte?
War sie in die fiesen Machenschaften involviert? Wollte
man mich aus dem Verkehr ziehen? Wenn ja, wozu? Ich
hatte doch niemandem was getan. Ich hatte mich doch
nur verliebt und wollte erstmals in meinem Leben einem
Menschen zeigen, wie anpassungsfähig ich bin.
Ein Chamäleon unter den Lovern wollte ich sein.
Ich wollte ihr zeigen, dass ich bereit war, mich für
sie zu ändern. Doch sie spielte nur mit meinem
Herzen. Das tat mir sehr weh und verursachte eine
kleine Träne auf meiner Wange. Auch an ihr würde
ich mich rächen. Ich wollte mich ab sofort an
dem ganzen Verein rächen. Alle Knappen dieser
Erde sollten verdammt sein. Denn alles war nur gelogen!
Diese ganze Welt „Schloss Löttingshof“
war möglicherweise nur zum Schein erschaffen
worden, um mich her zu lotsen! Ich fragte mich, wer
echt und wer falsch war. Wer meinte es gut und wer
meinte es böse? Ich war zu differenzieren nicht
mehr in der Lage, bemerkte jetzt auch endlich, dass
ich mich in einer bedrohlichen Lage befand. Zu spät?
Der Taxifahrer vorhin hatte recht gehabt, ich hatte
jetzt überhaupt kein Schutzschild mehr - auch
wenn es eine eigenartige Umschreibung war. Immerhin
waren meine Kleider fort und mit ihnen auch mein Handy.
Meine ganzen Telefonnummern – alle weg! Ich konnte
mir doch so gut wie
keine Nummern mehr merken, seit dem die Mobilfunkgeräte
in mein Leben Einzug gehalten hatten. Doch ich hatte
einen klitzekleinen Trumpf im Ärmel: ich hatte
einem der Köche, wenn sie denn überhaupt
echte gewesen sind, das Smartphone vom Tisch im Aufenthaltsraum
gestohlen. Genau in dem Moment, wo sich die ersten
beiden zum Dienst verabschiedet hatten, entwendete
ich das Gerät. Die Hektik muss man als Langfinger
dann und wann ausnutzen. Ferner hatte ich dem Verkäufer
in der Boutique auch noch den goldenen Kugelschreiber
von der Theke gemopst, doch was sollte ich jetzt mit
diesem Teil? Für Wandmalerei – eventuell
um meine Geschichte aufzuschreiben – war es zu
dunkel und der Kuli auch zu Schade.
Ab und an kam halt noch meine kleptomanische Ader
durch, die ich von Oppa Terror – dem ersten Mann
von Urgroßmütterchen Lisbeth - geerbt hatte.
Er hatte knapp 55 Jahre seines Daseins gesessen, wurde
aber stolze 92 Jahre alt. Noch im Altersheim hatte
er seine Hände nicht unter Kontrolle und zockte
alles ab, was er nur irgendwie gebrauchen konnte.
Die Pfleger sahen fairerweise drüber hinweg.
Als er gestorben war, fand man in seinem Sekretär
sowie unter seinem Bett Ramsch und Utensilien aus
25 Jahren Altersheimgeschichte. Davon sanierte sich
die Einrichtung später, in dem man die teilweise
recht seltenen Schätze bei aBo-Ey versteigerte.
Hinter vorgehaltener Hand wird die Kaiser-Otto-Residenz
in Steele seither „Oppa-Terror-Heim“ genannt.
Zumindest innerhalb unserer Familie: bei Tante Hille,
Onkel Gisbert und Großcousin Hanniball, der
ja inzwischen auch nicht mehr in der Metzgerei arbeitete,
weil man ihn beim Klauen von Schweineblut erwischt
hatte. Auch er hatte das Oppa Terror-Gen in sich.
So wie ich ...
Oppa hatte mir immer so viel nützliches gezeigt:
den Stadtplan-Trick, den Bettel-Trick sowie den Rempel-Trick
in der U-Bahn. Aber nichts von alledem konnte ich
jetzt gebrauchen, geschweige denn anwenden. Hier war
nichts zum rempeln. Immerhin hatte ich dieses Telefon.
Ich wählte die 110, doch es ertönte kein
Freizeichen. Ich wählte die 112, doch wieder
passierte nichts. Ich wählte eine 0190er Nummer
und wollte Renate verlangen, doch auch hier blieb
das Telefon stumm. Es ertönte lediglich das akustische
Signal, dass kein Netz vorhanden sei. In dem verfluchten
Kerker war kein Netz – und das ausgerechnet in
meiner lebensbedrohlichen Lage. Wenigstens aber das
Akku zeigte noch alle Balken an. Durch das Telefon
hatte ich ein wenig Licht in dem Raum und ich begab
mich auf geräteinterne Suche. Zunächst einmal
durchstöberte
ich das fremde Telefon nach Indizien, Nummern und
ganz wichtig: den Spielen. Snake war ja da drin. Ich
spielte einige Runden und vergaß die Zeit um
mich herum. Vielleicht spielte ich eine, möglicherweise
sogar zwei Stunden. Ärgerlich war, dass der vorherige
Besitzer schon einen guten Rekord vorgelegt hatte,
an dem ich partout nicht heran kam. Die anderen Spiele
interessierten mich nicht. Nach dieser kurzweiligen
Ablenkung begab mich in dem Raum weiter auf die Suche.
Vielleicht war irgendetwas hier drin, was mir helfen
könnte? Doch schnell musste ich feststellen:
der Raum war leer. Nach ersten groben Schätzungen
von mir war er in etwa 20 m² groß. Allerdings
war er niedriger als andere Räume. Mit meinem
1,81 m konnte ich Problemlos gerade stehen, der Riese
von Butler würde hier drinnen allerdings Probleme
bekommen, was mir die Idee brachte, in dem Moment
wo er sich in dem Raum bücken müsste, direkt
den goldenen Kugelschreiber zu benutzen, um zu zu
stechen. Ich würde ihm, wenn es denn erforderlich
wäre, damit in sein Auge pieken und es ausstechen.
Ich musste jetzt Übermenschliches vollbringen,
um frei zu kommen. Um der Sache mit dem Opferlamm
aus dem Wege zu gehen. Und ich musste Ideen entwickeln.
Schnellstens. Ich hatte doch abertausend Folgen von
MacGyver gesehen, der hatte doch immer eine Idee,
in jeder Folge. Ich brauchte ja nur eine für
diese hier ... zwischenzeitlich blickte ich immer
wieder auf das Netzsymbol des Telefons: Null Balken.
Dennoch nahm ich mir vor, eine SMS zu schreiben, um
sie wenigstens schon mal zu speichern: “Bin hier
in der Burg Löttingshof gefangen und werde vermutlich
heute Nacht umgebracht werden. Hab nur 160 Zeichen
und kein Guthaben mehr. Bitte rette mich Onkel"
... „Eddy müsste da noch rein. Kacke! Ach,
das ist ja gar nicht mein Handy! Kannst dann ja sogar
umschreiben! „Onkel Eddy. Ich bin gefangen. Im
Restaurant von Charlie im Dach in einem Kerker. Hilfe!
Gruß Hansi“ Die SMS war jetzt bei weitem
nicht mehr so dramatisch, wie der erste Text. Allerdings
fiel mir zum Verrecken nicht Eddys Telefonnummer ein,
zumal er seit seiner „Selbstständigkeit“
als Betreiber einer Internetseite auch eine neue hatte.
Aber was spielte das alles für eine Rolle, wenn
ich keinen Empfang hatte? Ich steckte in einer Zwickmühle.
Dabei hatte der Tag doch so schön angefangen.
In jedem Winkel der Kammer testete ich, ob ich nicht
irgendwie Netz bekommen könnte. Hielt das Handy
hoch, ging in die Hocke, legte es auf den Boden, drehte
es um 180 ° - doch nichts geschah. Null Balken.
„Scheiß moderne Telekommunikation!“
ging es mir durch den Kopf. Ich musste mich jetzt
erstmal noch bei einer Runde Snake abreagieren. Rekord
wieder nicht geknackt! Als nächstes begab ich
mich an die Wände und klopfte sie leise ab. Ich
ging einmal rund um und plötzlich ertastete ich
eine hohle Stelle in der Wand. Nein, es war nicht
hohl, ich bemerkte beim Abklopfen, dass die Wand aus
Gipskartonplatten bestand. MacGyver, was würdest
du jetzt tun? In meinem Kopf ertönte die Titelmusik
der Serie. Dü dü dü düü -
dü dü düü. Plötzlich kam
mir eine riesige Idee und die Panik wich dem Geiste.
Ich nahm meine S04-Krawatte ab, stellte im Telefon
wieder das Snake-Spiel (Version ohne Wände, wie
passend) ein, welches das Display des Telefons dauerhaft
erleuchten ließ. Dann band ich mir die Krawatte
um den Kopf und steckte das Handy dahinter. Dadurch
hatte ich mir eine eigene Kopflampe gebastelt. Dann
nahm ich den goldenen Kugelschreiber, entfernte die
Miene und begann mit der Spitze in den Gipskarton
zu bohren, so lange, bis ich ein kleines Loch hatte.
Jetzt nahm ich meine bloßen Fäuste und
stemmte sie gegen die instabile Wand. Ich zupfte die
juckende Wolle aus dem Hohlraum der Wand und riss
mir kleine Gipsstückchen ab. Ich durfte nur nicht
zu laut sein, denn ich wusste ja nicht, was mich auf
der anderen Seite erwarten würde! Als das Loch
in der Wand groß genug war, riss ich die komplette
Wand in Stücke. Ich bemerkte, dass es sich um
eine Doppelständerwand handelte. Das ganze Spielchen
musste ich demnach noch einmal von vorne betreiben,
doch ich musste ja raus hier aus dem dunklen Raum.
Mit Vorsicht und Bedacht brach ich die Stücke
aus der Wand und als ich auch in der zweiten Wand
ein Loch hatte, blickte ich hindurch. Ich sah S04-Luftballons
en masse, daneben waren Löttingshof-Streichholzschachteln
in einem Glas und davor waren Blöcke, daneben
Büroklammern und anderer Kram. Ganz klar, vor
mir lag eine Abstellkammer oder irgendetwas ähnliches.
Hoffentlich war das Regal nicht an die Wand geschraubt.
Als erstes nahm ich mir die Blöcke und legte
sie in die Mitte des Raumes, in dem ich mich nach
wie vor befand. Dann nahm ich mir einen Packen Streichhölzer
und zündete eines der Hölzer an, entflammte
damit den kleinen Papierhaufen vor mir. Und siehe
da: es wurde Licht. Mein Herz polterte jetzt nicht
mehr so heftig, denn ich hatte wieder etwas Licht.
Auch die Snake-Krawattenlampe auf meiner Stirn spendete
mir nach wie vor Licht, wenn auch nicht besonders
viel, doch es langte aus, um zu sehen, welche Taten
ich mit einem Kugelschreiber und meinen blanken Händen
vollbracht hatte. Inzwischen roch es im Kerker nach
verbranntem Papier. Zum ersten Mal seit meiner unliebsamen
Inhaftierung hatte ich keine Angst mehr, ich fühlte
mich plötzlich stark. Stark genug, um dem Treiben
schnell ein Ende setzen zu können. Ich durfte
also keine Zeit verlieren, doch meine Vergnügungssucht
forderte ein weiteres Spiel mit der Schlange ein.
Und siehe da: diesmal knackte ich den Rekord. Jetzt
war das Spiel langweilig und diente ausschließlich
nur noch dazu, mir Licht zu spenden.
Jetzt ging es ziemlich rapide. Ich hatte inzwischen
ein so großes Loch in der Wand, dass ich auf
der anderen Seite im Regal den Ramsch beiseite schieben
konnte. Ich arbeitete an meinem Fluchtloch. Ich quetschte
mich durch die Gipswand und als ich auf der anderen
Seite angekommen war schaltete ich den Lichtschalter
ein. Die Helligkeit blendete mich einen kurzen Moment
– doch als ich mich an das Licht gewöhnt
hatte, begann ich sofort, den Raum zu durchstöbern.
Unheimlich viel Kram befand sich in der Kammer, viele
Werbeprodukte. Schloss Löttingshof-Serviette,
Schloss Löttingshof Gläser! Ach, den ganzen
Mist weiter aufzuzählen, macht keinen Sinn. Das
Einzige, was mich in dem Raum wirklich mehr als neugierig
machte, waren ein paar „Schuhe“ die in der
Ecke standen. Es waren gelbe 7-Meilenstiefel bzw.
auch bekannt als Flyjumper. Bislang hatte ich von
den Teilen nur gehört, wusste aber, dass sie
mächtig teuer und inzwischen sehr trendy waren,
zudem auch einen hohen Spaßfaktor besitzen sollten.
Einmal wollte ich mir solche Dinger mal anziehen und
richtig fett bouncen. Kurios – der Abstellraum
war höher als der Kerkerraum, so dass ich wohl
möglich ein, zwei Mal in der Abstellkammer hüpfen
können würde. In dem Raum befand sich auch
ein Stuhl, so dass ich mir die Dinger echt problemlos
überziehen konnte. Sie waren nicht gerade besonders
bequem und jedes mal als ich mich hinstellen wollte,
knickte ich ein. Ich versuchte ein paar leichte Sprünge
und es war schon beinahe so, als würde ich auf
einem Trampolin stehen. Dann flatterte etwas Rauch
in meine Nase ...
Inzwischen roch es aus dem Nebenraum mehr als heftig
nach verbranntem Plastik und wenige Augenblicke später
hörte ich das schrille Pfeifen einer Sirene sowie
einen dauerhaft anhaltenden Klingelton. Soeben war
der Feuermelder angegangen, und beim Blick durch das
Loch stellte ich fest, dass der Boden des „Kerkers“
aus PVC war und inzwischen kokelte. Der Raum nebenan
brannte ab. Verdammt, jetzt hatte ich noch mal einen
ganzen Batzen an Problemen hinzu bekommen. Mir die
Schuhe auszuziehen, dafür hatte ich jetzt keine
Zeit mehr. Ich hatte ja noch nicht mal geprüft,
ob die Kammer abgeriegelt war. Jetzt wurde es an der
Zeit, ich musste schleunigst fliehen. Die Sirenen
heulten permanent weiter. Die Türe war natürlich
verriegelt und mit den Schuhen unter mir konnte ich
sie nicht eintreten, wer weiß, ob ich es denn
ohne Flyjumper geschafft hätte. Ich nahm mir
aus einem Glas eine Büroklammer und versuchte
wie MacGyver die Türe zu knacken, allerdings
ohne Erfolg. Wenige Sekunden später hörte
ich schon die ersten Schritte im Gang draußen.
Erst ganz leise, dann immer lauter. Dann vernahm ich
Stimmen „Ich hab dir doch gesagt, du sollst ihn
filzen und wirklich alles abnehmen, warum hast du
das nicht gemacht?“ hörte ich eine mir unbekannte
Stimme sagen. Dann die tiefe Stimme des „Butlers“:
„Tut mir leid, mein Sonnenkönig, er war
sehr ungehalten und ich musste ihn schon mit letzter
Kraft in das Verließ schieben. Abgesehen davon
hat er all sein Hab und Gut in der Boutique gelassen,
wie man mir berichtete und es auch befohlen war.“
Die Schritte gingen jetzt genau an meiner Türe
vorbei. Mein Herz schlug schneller und lauter denn
je. Ich musste weg. Mit meinem Ellbogen wuchtete ich
einmal fest gegen die Tür der Abstellkammer und
wie durch ein Wunder ging sie tatsächlich auf!
Wackelig wie Pudding auf den Beinen begab ich mich
in gebückter Haltung nach draußen.
Im Gang konnte ich halbwegs normal stehen. Dann sah
ich nach rechts und entdeckte in ca. fünf Meter
Abstand die beiden Personen. Den einen hatte ich irgendwo
schon mal gesehen, doch es wollte mir nicht einfallen
woher, der andere war Kurt. Sie standen genau vor
der Eingangstür des Kerkerraumes, wo man mich
eingesperrt hatte. Der Butler hatte ein Messer in
der Hand und zu meiner Verwunderung hatten mich beide
hatten noch nicht entdeckt, zu sehr waren sie auf
sich selbst fixiert. Sie klopften von Außen
an die Türe. „Hans-Rüdiger, du dummer
Heckenpenner, was hast du da drin getrieben?“
fragte Kurt gegen die Holztüre und der andere
zog einen Schlüssel aus der Tasche. Es wäre
jetzt die ideale Gelegenheit gewesen, auf Zehnspitzen
rückwärts den Gang herunter zu tippeln,
doch ich hatte ja die Flyjumper umgeschnallt. Nie
zuvor war ich mit Siebenmeilenstiefeln gelaufen. Jetzt
mussten diese Dinger herhalten und mir zur Flucht
verhelfen. Ohne mich auch nur eine Sekunde mit dem
Gedanken zu befassen, was passieren würde, wenn
ich hinfallen würde, begab ich mich langsam aber
sicher in Bewegung. Ich drückte mich vom Boden
ab. Und langsam ist hier eigentlich das falsche Wort,
denn urplötzlich machte ich einen riesigen Satz
und war mindestens vier Meter weit geflogen. „WAHNSINN!“
geisterte es sofort durch meinen Kopf. Trotz der sehr
angespannten und ungewissen Situation keimte ein Funken
Euphorie in mir auf.
Ich landete auf dem linken Bein und stieß mich
gleich wieder vom Boden ab, wodurch ich einen weiteren
Satz von einigen Metern machte. Zwei Schritte für
mich brachten mich gefühlte zehn Meter vorwärts.
Und das binnen einer Sekunde. Jetzt hatten sie mich
bemerkt. Der eine schrie. „Da ist er. Los, er
darf nicht entkommen, sonst können wir die Zeremonie
heute Nacht abblasen.“ Beide setzen sich in Bewegung
und rannten los. „Es hat keinen Sinn zu fliehen,
Hans-Rüdiger. Du bist der Auserwählte. Du
rettest den FC Schalke 04 von seinem tristen Dasein
ohne Meisterschaftstitel. Du wirst Baphomets Opfer.“
stammelte der mir unbekannte, leicht korpulente Typ
mit braunem Haar und Teint. Ich rannte mit den Schuhen
so schnell den Gang herunter, dass ich sie sehr rasch
abgehängt hatte. Dann folgten die Treppen, die
ich ebenso in Windeseile herunter „jumpte“.
Zwischendurch war ich sehr wackelig auf den Beinen,
doch eigentlich war es echt mächtig geil, mit
den Teilen zu laufen. Sehr schnell war ich in der
großen, menschenleeren Lobby. Ich warf einen
Blick auf das Handy, wählte die Nummer von Onkel
Eddie zu Hause. Das einzige was mir in dem Moment
einfiel. Ich betete innerlich, ob er denn da sei.
Dann ging der Anrufbeantworter ran. „Eddy, wenn
ich in einer Stunden nicht da bin, dann musst du mich
hier aus dem Schloss von Charlie befreien. Die haben
irgendwas mit mir vor ...“. Wenigstens hatte
ich schon mal eine Information an ihn richten können.
Dann wählte ich den Notruf. Jetzt würde
ich es dieser Sippschaft ein für alle mal zeigen.
Durch das Gebäude schallten alsgleich Rufe. „Haltet
ihn, so haltet ihn auf, er darf nicht entkommen!“
Doch niemand war da, der mich hätte aufhalten
können. Meine Freiheit war nun noch eine einzige
Türe entfernt.
Ich ging zur Eingangstüre des Schlosses und drückte
sie mit dem Handy am Ohr auf, am anderen Ende ertönte
ein Freizeichen. Als ich die Türe geöffnet
hatte, standen urplötzlich Ilse, Charlie und
Huub vor mir. Wie aus dem Nichts. Es dämmerte
bereits. Ilse und Charlie waren umarmt, wirkten wie
ein Paar. Ich bekam einen kompletten Schock. Jetzt
war es wie in einem Alptraum, wo man versucht vor
dem Bösen weg zu rennen, aber nicht vorwärts
kommt. Hatte ich mir vorher noch vorgenommen, Charlie
bei nächst bester Gelegenheit eine über
zu ziehen, so war ich nun wie gelähmt und konnte
nichts tun. Dann hob am anderen Ende des Handys jemand
ab. „Polizei Gelsenkirchen, guten Abend. Wie
können wir helfen?“ - „Kommen sie schnell,
bitte ...“ schrie ich in das Telefon. Und ehe
ich mich versah, hatte Ilse mir ihre Handtasche übergezogen
und schrie laut. „Du wolltest dich doch wohl
nicht aus dem Staub machen, so kurz vor dem Ziel,
oder?“ waren die letzten Worte, die ich hörte.
Ich wurde bewusstlos und um mich herum wurde es düster.
Das letzte was ich vernahm, war das Bellen des Hundes.
(fsl)