Was bisher geschah: Hans Rüdiger, inzwischen Knappe, wie er im Buche steht, soll nach einem saftigen Flönz, den er für den Onkel seiner Geliebten Ilse Hatsevon zubereitet hat, den Posten des Geschäftsführers auf der Wasserburg Löttingshof übernehmen. Noch bevor er mit den Arbeiten beginnt, kleidet ihn sein neuer Arbeitgeber mit Designeranzügen aus. Hans-Rüdiger ist nun fast ein Teil der blau-weißen Familie ...


PHASE XII - Acht Köche für ein Hallelujah

Hassel, Sternzeit 07032005 / Schloss Löttingshof - neuer Arbeitsplatz von Hans-Rüdiger
„So, Hansi, da wären wir. Das ist dein neuer Arbeitsplatz!“, entgegnete mir Onkel Kalle. Zunächst sah ich die Burg lediglich von außen. In ihrer ganzen Schönheit und Vielseitigkeit. Ich war sprachlos. „Kalle, ich soll hier arbeiten? Bist du dir da ganz sicher? Das wäre echt ein Ding, hier zu knechten!“ Kalle nickte nur freundlich und schritt in seinem C&A-Sakko durch den schönen Vorgarten voran. „Natürlich muss ich mir das erst mal ein paar Tage ansehen, ob du wirklich der geeignete Mann für den Posten des Restaurantleiters bist, aber ich glaube an dich. Wir machen jetzt hier einen Handschlagvertrag, du arbeitest eine Woche lang Probe, bereitest das Essen für den VIP-Bereich beim Spiel gegen die Seppels vor. Schließlich bin ich da Käterer Off Se Däy. Du bekommst sieben oder acht Köche zur Hand, wie viel brauchst du, um sagen wir mal, für knapp 1800 VIP-Gäste im VIP-Bereich des VIP-Bereiches beim Bayernspiel ´nen leckeren Flönz zuzubereiten?“, fragte er mich mit weit geöffneten Augen. Ich zuckte mit den Achseln.

„Das kann ich doch jetzt noch nicht sagen. Ich brauch' für sechseinhalb Pfund Blutwurst in etwa eine Stunde. Acht Köche schaffen dann in einer Stunde acht mal sechseinhalb Pfund. Das sind 52 Pfund, also 26 Kilo. Von diesen 26 Kilo werden meiner Meinung nach acht Mann satt, wenn jeder der Leute im VIP-Bereich 3,25 Kg isst. Es soll ja auch Leute geben, die lassen sich Sachen für zu Hause einpacken. Rechnen wir mal großzügig 4 Kg, dann brauchen wir 7200 Kg Blutwurst. Ich glaube nicht, dass wir die Menge bis Samstag auftreiben werden. Wer hat soviel Blutwurst am Start?“ Kalle blickte mich an. „Junge, ich kann alles besorgen, was du dir wünscht, wenn du 7,2 Tonnen Blutwurst haben willst, dann besorg ich dir das. Allerdings dürfte das eng werden, wenn wir das erst Samstag angeliefert bekommen, denn die Köche müssen das Essen ja noch zubereiten. Meine Berechnung hat ergeben, dass die Köche insgesamt 260 Stunden dafür benötigen, wir müssen sie in Schichten einteilen. Erstelle mir bitte heute noch einen Plan, so dass das Essen für Samstag sichergestellt werden kann, die Köche in mehreren Schichten arbeiten, aber ihre Ruhepausen und den ganzen Kack einhalten. Ich hab kein Bock auf Terz mit der Koch-Innung, die machen mir sonst den Laden dicht. Also, geh' schon mal an die Arbeit. Ach, und noch was. Im alten Rittersaal wollen wir ab übernächste Woche wieder ein paar Musikorchester spielen lassen, hör dich mal rum, wer Böcke hätte.“, sagte mein neuer Chef.

„Ich gebe dir nachher mal mein Telefonbuch, da stehen ein paar Namen drin. Am Besten fänd' ich ja jetzt als Re-Opener diesen nasalen Rapper, Jan Diegay. Ruf' die blankpolierte Fleischmütze mit Hut an und triff dich mit ihm. Er wird zusagen, wenn er hört, dass er in meinem Laden spielen soll. Der behauptet zwar überall, dass er HIV Fan ist, aber ich weiß, dass er etwas für den Meister der Herzen übrig hat ... “ Sofort kam mir die Idee, Lunaticus dort spielen zu lassen. Ich hatte mir alles so weit gemerkt. Schritt für Schritt kamen wir dem Haupthaus der Burg näher, in welchem sich mein Büro befinden sollte. „Ach, ich habe etwas Wichtiges vergessen zu sagen. Das Büro ist leider im Dachgeschoss und hat keine Fenster. Momentan ist auch noch kein Licht da, ich habe dem Butler mitgeteilt, er möchte bitte ein paar Teelichter auftreiben, damit du in deinem Büro wenigstens was siehst. So, wie ich den Schussel aber kenne, hat er das doch glatt vergessen, wetten dass ... ?“, fügte Kalle noch hinzu, ehe wir nun endlich den Eingangsbereich der Burg erreicht hatten.

„Ja, Moment mal! Und was ist mit dem Computer in meinem Büro?“, fragte ich entsetzt. Der Dicke lachte wieder laut. „Junge, was ist mit dir los, wir sind ein Restaurant, kein Internetzkaffee. Ilse hat mich schon gewarnt. Du darfst auf keinen Fall einen Rechner mit Netz haben. Du bist Internetzabhängig. Ilse sagt, du kannst ohne Probleme 20 Stunden mit dem Arsch vor dem Rechner hängen ...“, sagte er bestimmend, während wir bereits im antiken Hauptgebäude waren. „Die alte Kuh!“, dachte ich laut, und Charly wurde etwas ungehaltener. „Auch wenn wir jetzt Arbeitskollegen werden. Solche Beleidigungen erbitte ich mir. Du läufst hier mit „sauberer“ Zunge durch mein Schloss und hörst auf, deine Chica zu dissen. Stell' dir vor, ein Gast hört so was. Ach guck mal, da vorne sind ja auch die verkackten Köche. Komm', ich stell dich den Jungs mal vor.“

Die Köche saßen allesamt in ihrem Aufenthaltsraum, offensichtlich war der Laden noch gar nicht geöffnet. Sieben waren Männer, eine war weiblichen Geschlechts. Es hingen Nikotinschwaden in der Luft, der eine oder andere trank Kaffee. Als Kalle auf sie zu kam, versuchte einer der Männer noch den Qualm um sich herum weg zu wedeln. „Ludger-Johannes, brauchste gar nicht versuchen, den Mief zu vertuschen.“ Der Mann bekam ein rotes Gesicht, rechnete fest mit einer Rüge, Abmahnung, ja wenn man in seinem Gesicht las, hatte er die Papiere eigentlich schon in der Tasche. „Du weißt ja, was das jetzt bedeutet, oder?“ Ludger-Johannes schüttelte mit dem Kopf! „Na, gib mir endlich auch mal eine Fluppe.“, wurde Charlie konkreter und die Stimmung wurde wieder friedlicher. Alles wirkte familiär.

Dann nahm er mich in dem hammergeilen Anzug beiseite und richtete das Wort an die Köche, die mich nun gespannt musterten. „Leute, heute ...", begann er und fing an zu lachen. „Habt ihr verstanden, oder? Da war ein Reim drin. Zudem ist es eine Fernsehsendung. Also nochmal von vorne!“ Er zog jetzt genüsslich an der Zigarette. „Dies hier neben mir ist Hans-Rüdiger Nepomuk Eichenbauer aus dem Kaiserreich Kray, dem angeblichen Geburtsort von Hubertus „Rumpelstilchen“ Albers. Nur Kenner werden wissen, wen ich meine. Er wird ab sofort unser neuer Restaurantleiter. Da er noch keine Erfahrung in dem Gebiet hat, möchte ich, dass er von eurer Seite aus absolute Unterstützung erhält. Er wird Leiter des Restaurants sowie des Weinkellers und nebenbei noch unser Ereignisplaner. Müsste ich nun, wie in meinem Gastspielvertrag für diese Serie fest verankert ist, zu Anglizismen greifen, hätte ich wohlmöglich Eventmanager gesagt. Damit ihr wisst, was in den kommenden Tagen auf euch zu kommt, wird Hans-Rüdiger jetzt ein paar Worte an euch richten. Hansi, bitteschön.“ Jetzt blickte er mich überfreundlich an, hob seine Hand in die Richtung der vor Spannung kochenden Zunft und ich begann meine Antrittsrede

„Blutwurst ...“ Ich machte eine lange Pause. Die Köche blickten sich verwirrt an, einige kicherten. „Blutwurst gehört zu den ältesten bekannten Fleischerzeugnissen und ist die älteste bekannte Wurstsorte überhaupt. Bereits in der Antike wurde sie von den Kriegern auf dem Schlachtfeld zubereitet und gegessen. Homer ließ Odysseus bei seiner Rückkehr nach Ithaka sprichwörtlich „um die Wurst“ kämpfen - das Preisgeld war ein mit Schweineblut und -fett gefüllter Schweinemagen. Die Blutwurst ist kult. In letzter Zeit wurde sie aber mehr und mehr aus unseren Küchen und vor allen Dingen von unseren Tellern verbannt. Der Diätenwahn hat den Flönz in ein zweifelhaftes Licht gerückt. Onkel Kalle ist aber der Ansicht, dass sich dieser bedauernswerte Umstand wieder ändern muss. Als ich heute Mittag als Störkoch für ihn und meine geliebte Ilse nen leckeren Flönz gezaubert hatte, kam ihm die spontane Idee, den vakanten Posten des Restaurantleiters mit mir neu zu besetzen. Ja, und da bin ich jetzt. Alles, was ihr in eurer Karriere bislang gekocht habt, könnt ihr ab sofort zu den Akten legen bzw. eigentlich gänzlich in die Tonne kloppen. Kulinarisch zieht jetzt aus dieser Burg aus, und Deftig zieht ein. Aber richtig Deftig. Wer von euch Birnen ist hier der Küchenmeister?“, warf ich als Frage in den Raum.

Ausgerechnet - der mit dem Rücken zu mir sitzende - Ludger-Johannes hob die Hand. Ich trat langsam auf den Tisch zu. „Hör mal, Ludger-Johannes jetzt jedes Mal auszusprechen, würde ein wenig unseren zeitlichen Rahmen sprengen, hast du keinen Spitznamen?“ Ludger-Johannes wandte sich jetzt erstmals wirklich mir zu. „Die Jungs in der Küche nennen mich Lujo, El Jay habe ich auch schon gehört, aber ich muss wirklich zugeben, keiner dieser Namen gefällt mir. Was wäre denn jetzt ihr Vorschlag, Herr Eichenkasper?“ Die am Tische sitzenden Köche lachten lauthals. Ja, sie wollten mich offenbar verhöhnen. „Ach, ein Komiker mit Kochmütze ist er, der Johannes. Wohl heute morgen mit Peter Lustig unter der Dusche gewesen, oder? Alter, damit dir klar wird, dass hier ab heute ein ganz anderer Wind weht, taufen wir dich jetzt Hannes Popannes, das ist zwar nicht wesentlich kürzer, aber diskriminierender. Sonst noch einer hier ohne Fahrschein?“, fragte ich die Köche. Schlagartig war es ruhiger im Aufenthaltsraum. Dann richtete ich wieder mein Wort an El Jay.

„Also Hannes, als Küchenmeister musst du ein Vorbild sein. Gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass wir hier eine Jungköchin in unseren Reihen haben. Wir horchen dich mal ab, wollen wissen, was aus der Kochschule noch bei dir hängen geblieben ist. Nahrungsmittelkunde Grundlagen: die Grützwurst. Prozentualer Anteil an Buchweizen?“ wollte ich einen schnellen Überblick über seinen Wissensstand abrufen. „Grützwurst? Tut mir echt leid, aber ich kenne keine Grützwurst. Bin ich jetzt gefeuert?“, entgegnete er meiner Frage. „Du willst mir also weiß machen, dass du die einfachste Theorie nicht auf der Pfanne hast?“, fragte ich kopfschüttelnd. „Okay, dann die nächste Frage. Stippgrütze. Wie hoch ist denn da der Fettanteil? Hm?“ Wieder nur entsetztes Schulterzucken. Jetzt kam ich richtig in Fahrt. „Wissen wir das nicht, Herr Popannes? Knipp! Dir sagt auch Knipp nichts? Pinkel? Tote Oma? Verkehrsunfall? Weckewerk mit sauren Gurken und Pellkartoffeln? Das sagt euch alles nichts, oder? Alles Unterarten des rheinischen Kaviars, genannt Flönz, der Mutter aller Blutwurstsorten. Ja, guten Tag auch. Ich hab vorhin gesagt, hier wird jetzt deftiger gekocht. Ihr kocht ab sofort wie Urgroßmütterchen Lisbeth. Dazu verrate ich euch bis auf eine einzige Zutat das heilige Flönz-Rezept von ihr. Diese eine, fehlende Zutat werde immer ich dem Gericht beifügen, wer damit Probleme hat, sagt das jetzt sofort, da hinten ist die Tür! Wir lassen den Kult der legendären Brüderschaft des Ordens der Blutwurstritter hier und heute wieder auferstehen.“

Alle saßen wie erstarrt, und keiner verzog auch nur eine Miene. Entschlossenheit sah dennoch anders aus. Aber jetzt hatte ich die endgültige Kontrolle über den Haufen. „Also, mal ein Blick auf den Kalender, ihr Spatzenhirne. Heute ist Montag. Bis Samstagnacht müssen wir 7,2 Tonnen Blutwurst zum Flönz zubereiten. Kalle ist nämlich im VIP-Bereich der Arena am Sonntag beim Spiel gegen die Bayern der „Caterer Of The Day“. Das Spiel ist am Sonntag um 17:30 Uhr. Dazu ist es notwendig, dass wir in Schichten arbeiten. Ich unterstütze das Projekt von Anfang bis Ende. Wir verarbeiten an jedem Tag in etwa eine Tonne. Ohnehin wird die Speisekarte hier, wer auch immer die entworfen hat, ab sofort nur noch zum Arschabputzen benutzt. Meine Vision ist eine Welt voller rundlicher Frauen, die blutwurstverzehrend in einem Fünf Sterne Restaurant sitzen. Die nach dem Essen noch die Schwarte und das Schwabbelfleisch mit aller Hingabe verspeisen. Nie war ich dieser Vision näher als heute. Und ihr werdet meine Instrumente sein ...“

Jetzt ging ich oberlehrermäßig (wollte ich immer schon mal machen) um den Tisch herum und musterte einen nach dem anderen. Ich merkte regelrecht, dass keiner angesprochen werden wollte, um nicht irgendetwas falsches zu sagen. Dann ging ich zu der Frau. Sie war nicht wirklich hübsch. Aber jung. Sicherlich ein Grund für die Gierlappen, nach dem armen kleinen Wesen zu grabschen „Na, wie oft wird dir hier am Tag am Arsch gepackt? Und hinterher will´s keiner gewesen sein. Häh!?“, fragte ich. „Eigentlich sind die Köche hier alle sehr nett. Mich hat noch keiner von denen unsittlich angefasst.“ Die Antwort überraschte mich. „Wie ist dein Name?“, wollte ich wissen. „Mein Name ist Apolonia Möhrenschläger, Herr Eichenbauer. Aber um ihre Frage von gerade noch mal aufzugreifen: Stippgrütze hat einen Fettanteil von 82,5 %. Das hatten wir neulich noch in Fachkunde.“ Ich blickte zur Decke, wo sich überraschenderweise gerade einige Spinnen abseilten. „Ja, jaaaaa! Vollkommen richtig! Popannes, hast du das mitgekriegt? Die Kleine hier macht dem Küchenchef noch einen vor. Dabei ist sie gerade mal in der Lehre. Solange ich jetzt hier das Sagen habe, wirst du zum Zwiebelschälen abkommandiert, denn für den Flönz werden wir einiges an Zwiebeln benötigen. Ich denke so 600 Kg. Unterstützen wirst du ihn.“ sagte ich und deutete mit meinem Finger auf einen älteren Herren. „Wie ist dein Name, mein tattriger Freund?“

Der Grauhaarige teilte mir seinen Namen mit. „Mein Name ist Edmund Igel, hier in der Küche nennen mich alle nur Eddie, the Eagle! Ich möchte sie aber bitten, jemand anderen für diesen Dienst einzuteilen, denn ich geh' am Donnerstag in Rente. Ich könnte also maximal vier von sechs Tagen Zwiebeln schälen. Ich bin also nicht der richtige Mann.“ Jetzt lachte ich laut. Hämisch. „Gerade, weil du dich davor drücken willst, schälst du jetzt erst recht die Zwiebeln. Bis zum Abwinken! Wenn du einmal drin bist, wird dir vielleicht gar nicht bewusst, wann Donnerstag ist, weil in den nächsten sechs Tagen ohnehin keiner mehr von Euch nach Hause gehen wird. Ihr pennt hier in diesem Raum, die Frau kriegt ein Einzelzimmer hier im anliegenden Hotel. Ich hab doch gesagt, hier weht jetzt ein anderer Wind. Hier herrscht jetzt Orkan Eichenbauer ...“ Der Mann blickte mich verbittert an, gab abermals Kontra. „Herr Eichenbauer, ich werde sehr wohl wissen, wann Donnerstag ist, denn schauen sie mal, ich habe hier so ein Maßband wie bei der Bundeswehr, allerdings für Rentner. Da sind nur noch vier Zentimeter übrig, was soviel bedeutet, wie: in vier Tagen habe ich meine Rente durch. Da, sehen sie?“ Er holte ein 4 cm langes Maßband aus der Brusttasche seines Kittels.

„Ist ja interessant. Gib mal her, Edmund.“ Ich nahm mir felsenfest vor, weiterhin Edmund zu sagen, da ich meines Empfinden nach schon genug Eddies in meinem persönlichen Umfeld hatte. Dann nahm ich das Maßband, warf einen Blick darauf und steckte es in meine Hosentasche. „Und du schälst doch die Zwiebeln. Edmund. Kein Aber und kein Palaver. Popannes und Edmund, ab zum Dienst. Zwiebeln schälen. Aber dalli-dalli.“ Die zwei verließen griesgrämig den Tisch, gingen zu den Spinten in der Ecke und zogen sich ihre Schiffchen über. Irgendwas stammelten sie vor sich hin. Dann gingen sie aus dem Raum und knallten noch laut die Türe zu. Ich wollte ihnen zwar noch hinterher, um ihnen die Leviten zu lesen, doch Kalle stellte sich mir in den Weg und flüsterte „Komm, jetzt lass doch gut sein, wir haben keine Zeit für den Mist! Teil die restlichen Leute auch noch eben ein.“ Ich schnaufte durch. „Okay, zwei Leute haben wir schon einmmal gefunden. Wir wollen das Gericht ja so richtig blau-weiß haben, daher brauchen wir zwei Leute, die das Blaukraut zubereiten. Irgendwer, der sich freiwillig meldet?“

Tatsächlich hoben sich einige Hände, so dass ich sogar noch ausselektieren musste. Dann teilte ich noch die Abteilung Stampfkartoffeln ein und schließlich noch Ablösen für jede einzelne Schicht. Die Verbliebenen teilte ich für das Tagesgeschäft ein, und von der Speisekarte strich ich 14 von 38 Gerichten, fügte Graupensuppe, Grünkohleintopf und Saure Zipfel hinzu. Den Rest wollte ich später noch umschreiben. Als alle eingeteilt und bereits im Haus aktiv waren, ging ich wieder zu Onkel Kalle, der mich freudestrahlend umarmte. „Jetzt umarme ich dich schon das zweite Mal heute. Denk nicht, dass ich eine warme Ader habe. Mein lieber Schwan, du hast ja einen eigenartigen Führungsstil. Nicht dass die dir eines Tages auflauern. Bislang hatten wir nur Restaurantleiter, die einen kollegialen Führungsstil bevorzugten. Aber warum nicht mal etwas Neues, wir müssen einfach innovativ sein!“ „Onkel Kalle. Du hast vorhin gesagt, dass du echt fast alles besorgen kannst, stimmt das?“, fragte ich ihn. Er nickte. „Mein Junge, ich bin einer der einflussreichsten Herrschaften aus dem Ruhrgebiet, stehe wahrscheinlich noch vor Wolle Petry und Toto und Harry, ich kann wirklich alles klar machen, egal was du willst. Transen, Nutten, Hühner, Matchboxautos - was willst du haben?“ Ich hatte jetzt bei diesem Anliegen ein Kloß im Hals. „Nein, mir reicht Ilse. Weißt du, die Jungs sind ja allesamt – gelinde gesagt – nicht mehr die Jüngsten. Ich mach mir ehrlich gesagt ein wenig Sorgen, dass sie das Hammer-Programm, welches nun bevorsteht, nicht durchhalten und wollte da ein wenig nachhelfen. Also, um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, wir brauchen ein wenig Marschierpulver, also ein bissken Pep, verstehst du?“ Jetzt blickte er erstmals leicht verstört.

„Tut mir leid, aber das ist nicht meine Baustelle, denn ich habe seinerzeit die Aktion des DFB „Gib Drogen keine Chance“ maßgeblich mit unterstützt. Hm, oder war es „Keine Macht dem AIDS?“ Ich werde langsam alt. Aber wenn wir gleich meinen Butler Kurt treffen, kannst du ihm den Auftrag geben, er hat da so seine Quellen. So, und jetzt zieh ich mir erst mal einen Hörnertee rein.“ Er fischte aus dem C & A Sakko eine kleine, silberne Flasche und nippte mehrfach und hastig daran. Schließlich verließen auch wir den Aufenthaltsraum und gingen durch die große Lobby im Flur. Vorbei an pompösen und blankpolierten Ritterrüstungen, vorbei an einer unbesetzten Begrüßungspforte, und endlich kam auch der Butler die riesige Treppe herunter. „Ah!“, sagte Kalle, „Da ist ja auch der Mann, der dir jetzt erst mal dein Zimmer zeigt. Hans-Rüdiger, darf ich dir vorstellen: mein persönlicher Angestellter Kurt Kurtensen. Kurt Kurtensen, zeigste ihm kurz das Zimmer? Und du Hansi, fragste wegen des Marschierzeugs? Ich werde jetzt erst mal zur Ilse abdampfen, wir wollten Briefmarken gucken. Hans-Rüdiger, ich hoffe, du findest dich hier schnell zurecht. Bis später mal. Fredo wollte mich jetzt gleich wieder abholen, aber du bleibst hier und hältst die Stellung ...“ Dann schritt er von dannen, und ich stand mit dem Butler alleine im Flur.

Ich wollte ihm noch einige Sachen hinterher rufen, doch der Mann auf der Treppe nahm mich an die Hand. „Sie müssen jetzt in ihr Zimmer!“ Und jetzt schaute ich ihn mir erstmals genauer an. Der übergroße Butler war zum Fürchten. Er hatte einen riesigen Buckel und einen extremen Silberblick. Vorne im Mund hatte er einen Goldzahn, darüber hinaus wuchsen ihm Haare aus den Ohren. Ein echt widerwärtiger Kerl. „Soso,“, säuselte er, „du bist also unser neuer Restaurantleiter? Hans-Rüdiger, ich habe schon sehr viel von dir gehört. Hast du deinen Karmann Ghia noch? Meine Frau hatte ja Fünfundsechzig auch mal einen. Damenporsche haben wir da früher zu gesagt.“ Wie oft hatte ich diese Sätze schon in meinem Leben gehört. „Ja, ich weiß, ich hab' ihn auch noch! Und ich kenne auch diesen Damenporsche-Mist zu genüge.“ Wir gingen die große Wendeltreppe rauf. „Karl, ich soll dir sagen, also, äh, um es kurz zu machen: besorg für morgen bitte 50 Gramm Schnelles. Das brauchen wir, damit die Jungs ein wenig mehr Motivation in die Knochen bekommen! Ab morgen arbeitet ja jeder von denen ca. 17 Stunden am Tag.“

Er nahm einen Block aus seiner Jackentasche und notierte sich etwas schnelles. „Die Jungs da unten brauchten mal einen ordentlichen Arschtritt. Wie lange ist der Laden hier jetzt eigentlich schon ohne Restaurantleiter ausgekommen?“, fragte ich neugierig. „Ach, ich glaube, es waren jetzt fünf Tage oder so.“, entgegnete mir der Butler. „Ja, wie – und dann einfach die Papiere in die Hand gedrückt? Was hat er denn falsch gemacht? Kalle meint, dass er zu nett war. Stimmt das?“ Ich wollte dem ätzenden Butler unbedingt ein Gespräch aufzwingen, denn die Treppen nahmen erstens kein Ende und zweitens wurde es eigenartigerweise immer dunkler. Es erschien mir mit dem Mutanten im Butlergewand schon fast düster. Dann endlich etwas Licht in einem langen Gang, in der Mitte des Ganges eine Holztüre, die er mit einem riesigen Schlüssel aufschloss. Die Türe knarrte, und innen drin war es stockduster. „Er war zu nett, ja. Aber er ist nicht gekündigt worden. Er ist leider verstorben. Bitte trete in dein Zimmer ein.“ Jetzt stockte mir erst recht der Atem. „Wie, er ist gestorben? Wie denn? Woran?“ Ich zitterte, hoffentlich würde er es nicht bemerken. Der Riese baute sich jetzt vor mich auf und drängte mich regelrecht in das Zimmer. „Bitte gehe jetzt in dein Zimmer.“ Dann drückte er mich einfach in den Raum rein, gegen diese riesigen Pranken hatte ich keine Chance. „Ja, er ist gestorben, aber darüber kann und darf ich mit dir nicht reden, schließlich ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Die Förster ermitteln noch.“

Dann nahm er den Türgriff in die Hand, zog die Türe zu sich, sie rastete ins Schloss. Ich hörte, wie er von außen die Türe wieder verriegelte. Er sperrte mich ja ein. Um Himmelswillen. Ich bekam Angstzustände. Polterte gegen die Tür. „Mach auf, hier ist es total dunkel und ich habe Angst im Dunkeln. Ich habe Angst vorm Bullemann. Woran er ist er gestorben?“, schrie ich hysterisch durch die dicke, alte Holztüre. Von Außen hörte ich noch die flüsternde Stimme des Butlers „Er wurde ermordet ... hier in diesem Schloss. Baphomet wird sich morgen Nacht für uns erheben. Und du wirst unser Opferlamm sein ...“


(fsl)