Was bisher geschah: Charlie und Manfredora kehren
wohl gesonnen von ihrem zwischenzeitlichen Athen-Trip
in den unterkühlten und winterlichen Kohlenpott
zurück. Trotz mehrfacher Versuche vom Kammerjäger,
sich den Teddy bereits vor Ort anzueignen und zu vernichten,
kommt Baphoment heil und unversehrt in der Knappenhochburg
an. Das Unheil scheint jetzt nicht mehr abwendbar
zu sein. Manfredora erkennt, dass er das Schicksal
jetzt nicht mehr beeinflussen kann. Schalke wird 2005
Meister, sollte nicht noch ein Wunder geschehen. Hans-Rüdiger
ist nun endgültig dem Zauber verfallen ...
PHASE XI – Onkel „Kalle“ und
der Flönz
(7. März 2005) – Sechs Tage vor dem
Bayernspiel. Ich war inzwischen wieder seit kurzer
Zeit mit Ilse zusammen und schwebte im siebten Himmel.
Sie hatte alle meine Zweifel ob des angeblichen Zaubers
ausgeräumt und inzwischen hatte ich auch Onkel
Charlie durch Erzählungen von ihr ein wenig besser
kennen lernen dürfen, ein ganz feiner und schicker
Kerl. Er war einige Tage außerhalb unterwegs
gewesen, da er im Ausland wichtige geschäftliche
Dinge zu erledigen hatte. Seit zwei Tagen versuchten
mich Eddy und dieser dubiose Kammerjäger verzweifelt
zu kontaktieren, aber ich ging einfach nicht ans Handy.
Mein neues Leben in Gelsenkirchen ließ jede
Angst vor Eddy und diesem verwerflichen Retter, im
Keime ersticken. Was bildeten sich beide eigentlich
ein? Erst hatte Eddy zwei ehemalige Spielerfrauen
hinterfotzig ausgenommen und gegeneinander ausgespielt,
jetzt versuchte auch noch dieser Kammerjäger
mich von meinem Glück abzuhalten. Ich bekam merkwürdig
formulierte Kurznachrichten, wirres Zeug, welches
keinen Sinn ergab. „Hallo mein Freund. Wir müssen
uns dringend treffen. Jetzt macht alles einen Sinn,
ruf mich umgehend an. Baphomet wird alles verändern!
Sei auf der Hut!“ war einer der vielen Texte,
mit denen er mich inzwischen regelmäßig
zu simste. Allmählich hatte ich das Gefühl,
dass mir alle ehemaligen Kontakte in der alten Welt
nur Böses wollten. Doch ich spürte es gerade
zu, es war nicht eine meiner Lebensaufgaben, einem
unbedeutenden Zweitligaclub die Daumen zu drücken.
Ich war jetzt Fan eines Bundesligavereines. Ich hatte
nach Jahren der Tristesse endlich einmal wieder Visionen.
Ich hatte den Fußball-Olymp erreicht.
Immer noch plagten mich große Gedächtnislücken,
nichts ergab so richtig einen Sinn. Huub war inzwischen
ohne Befund aus der Tierklinik entlassen worden, musste
aber mit Spezial-Futter versorgt werden, wodurch sich
immerhin sein weiterhin unkontrolliert abfallender
Kot verfestigt hatte. Ilse hatte den Hund vor einigen
Tagen nach einer neuerlichen Kot-Attacke in die Klinik
bringen lassen. Wenn er jetzt in die Bude kackte,
dann waren es wenigstens nur noch harte Klumpen, die
man leicht aus dem Teppich entfernen konnte. Meist
trug Ilse mir diese verantwortungsvolle Aufgabe zu.
Huub war neben Ilse mein ein und alles geworden. Inzwischen
waren wir in Schalke alle angespannt wegen dem bevorstehenden
Spiel gegen die Bayern. Wir lagen fast uneinholbar
punktgleich mit den Seppels an der Tabellenspitze.
Das Spiel war zum Sechs-Punkte-Spiel mutiert. Beide
Mannschaften hatten 50 Punkte und es waren nur noch
neun Partien bis zum Saisonende. In unserer Stadt
sprach keiner mehr von irgendetwas anderem. Ich fieberte
wie lange schon nicht mehr einem Fußballspiel
entgegen, war nun auch schon seit etlichem Monaten
bei keinem mehr gewesen, sieht man einmal von dem
Besuch des Benefizspiels im Januar ab.
Ich durfte mich inzwischen frei in Ilses Wohnung bewegen,
es gab endlich keine Geheimnisse mehr. Jetzt standen
mir alle Türen offen. An jenem Morgen wachte
ich in Ilses wunderbarem blau-weißem Himmelbett
auf und bemerkte einen Zettel auf ihrer Kommodenseite:
„Hallo Hansi, bin mit Onkel Charlie unterwegs,
er ist gestern Abend von seiner Geschäftsreise
wieder gekehrt. Wollte dich aber schlafen lassen,
du hast so süß ausgesehen, mein Fratzibatzi.
Ich verkaufe ein paar von den Kastanienmänneken
am orientalischen Flohmarkt an der Trabrennbahn. Sollte
irgendwas sein, ruf mich ruhig an. Komme gegen Mittag
mit Onkel Charlie heim. Vielleicht machst du uns etwas
zu ESSEN!“ Als ich das letzte Wort gelesen hatte,
bemerkte ich eigenartige Schwingungen. „Essen!“
schwirrte es in meinem Gehirn herum. Mich überkam
ein eigenartiges Gefühl und ich musste mich beinahe
übergeben. Ich musste mich jetzt erstmal duschen,
Ilse hatte mich am Vorabend wieder mächtig geritten,
ich fühlte mich unwohl. Neben mir lag Huub auf
seinem Stammplatz und schaute mich mit großen
Hundeaugen an. „Na du, wie geht es deinem Darm?
Ich weiß, dass was du dir da momentan reinziehen
musst, ist echt übelste Kost. Aber es geht nicht
anders, Junge! Es ist Medizin, wir müssen deine
unkontrollierte Scheißerei in den Griff kriegen.
Frauchen hat schon durchklingen lassen, dich sonst
ins Tierheim abzugeben.“ Huub schnaufte. Doch
wirklich etwas verstanden hatte er offensichtlich
nicht.
Nachdem ich ausgiebig gebadet und einen Kaffee zu
mir genommen hatte, ging es mir wesentlich besser.
Fast schon gut. Ich kannte mich in Ilses Küche
nicht sonderlich gut aus, da es eigentlich ihre Domäne
war und dies auch nach unserer baldigen Hochzeit bleiben
sollte. Jetzt wollte ich aber erstmal ihrem Wunsch
folgen und etwas Schmackhaftes zubereiten. Was war
denn überhaupt in ihrer Vorratskammer? Ich öffnete
die Türe. Mich grinsten gleich zwei Gläser
Blaukraut und eine Familienpackung Kartoffelpüree
an. „Mh“, dachte ich so im stillen Kämmerlein,
„wenn ich das Püree mit Sahne verfeinere,
dann passt das ja schon mal farblich zum ersten Treffen
mit Onkel Charlie!“ Jetzt fehlte nur noch eine
weitere Komponente in Form von Fleisch. Ich öffnete
die Kühlschranktür und beim Blick nach unten
sah ich Huub direkt neben mir stehen. Er sabberte
wie eh und je auf den Küchenkacheln. „Hach,
Junge, dich habe ich ja fast vergessen. Du hast bestimmt
auch Kohldampf wie Lassie, ich habe aber die ausdrückliche
Anweisung bekommen, dir nur von diesem Trockenfutter
zu geben. Ich werde den Teufel tun, mich nicht daran
zu halten, wir haben uns erst neulich wieder versöhnt.
Du hast doch da noch was im Napf stehen. Bettel hier
nicht rum, ich werde eh nicht weich. Iss erstmal deine
Otzen auf!“ Ich widmete meine Aufmerksamkeit
wieder der Suche nach einer passenden Fleischbeilage.
Dann erblickte ich den Flönz, zwei ganzen Ringe.
Ich erinnerte mich an ein altes Geheimrezept von Urgroßmütterchen
Lisbeth, die aber inzwischen schon selber zum Flönz
mutiert war: rheinischer
Kaviar! Ich brauchte also nur noch vernünftige
Gemüsezwiebeln. Beim Blick in diverse Steinguttöpfe
entdeckte ich dann endlich auch das deftige Wurzelgemüse.
Ich konnte nun also Gas geben, schnitt zunächst
die Blutwurst in dünne Scheiben, pellte die dicken
Zwiebelknollen und mit einem Hobel stellte ich daraus
feine Ringe her. Die Abschnitte ließen sich
noch für das deftige Gemüse verwerten und
jetzt ging es an die Zubereitung des Blaukrautes.
Die Gläser konnte ich allerdings nur mit äußerstem
Kraftaufwand öffnen, so dass ich zwischenzeitlich
mächtig ins Schwitzen geriet. Beim Thema schwitzen
fiel mir ein, dass ich erst noch Butter auslassen
musste. Ich schnappte mir daher die große, gusseiserne
Pfanne und erhitzte die Herdplatte, in der das Molkereiprodukt
langsam aber sicher zerging. Nun gab ich bei kleiner
Flamme die Zwiebelabschnitte hinzu. Mhhhh, die Wohnung
roch endlich mal nicht nur nach Köter.
Als die Zwiebeln langsam glasig geschwitzt waren,
gab ich das farblich kräftige Kraut dazu. „Deckel
drauf, das braucht jetzt eine Weile!“ Zur Herstellung
der Sättigungsbeilage stellte ich eine Mischung
zu gleichen Teilen von Milch und Sahne her, würzte
diese mit Salz, weißem Pfeffer und einer Prise
Muskatnuss. Nun ging es im wahrsten Sinne des Wortes
um die Wurst. Oh, wie herrlich roch der Flönz.
Ich siebte feines Weizenmehl und wendete die Blutwurstscheiben
mit einem seligen Wohlgefühl darin. „Ja,
Hans, so wird Kochen zur Kunst, schade, dass dieses
Geheimrezept aber für immer in unserer Familie
bleiben muss, schließlich hat es Tante Hille
Großmütterchen Lisbeth am Sterbebett in
der Köln-Kalk-Klinik versprochen.“ Die Blutwurstscheiben
brutzelte ich erst in dem Moment an, wo ein Taxi vor
der Tür anhielt. Es weiß ein jeder, dass
man den Flönz frisch zu bereiten muss. Hoffentlich
hatte ich bei einem fast 75-jährigen Mann mit
dem Blutwurstgericht die richtige Wahl getroffen.
Panhas war ja leider keiner da gewesen. Im Flur hörte
ich bereits Geräusche, ich musste mich nun beeilen.
Eine Mischung aus gekörnter Brühe, diversen
Gewürzen, einem Lorbeerblatt, Wachholderbeeren
hatte ich ja bereits im Vorfeld dem geschmorten Kohl
hinzugefügt. Jetzt gab ich ihm noch die alles
entscheidende, letzte geheime Zutat hinzu. Ich vernahm
Schlüsselgeräusche und rührte noch
fix das Pulver der Kartoffel in die Sahne-Milch-Mischung
ein. Ich hörte bereits durch die Wohnungstür
im Flur den alles entscheidenden Satz, der meine vorherige
Eingebung untermauerte: „Mensch, Ilse, kocht
hier irgendeiner ´nen leckeren Flönz!??
Das erinnert mich an meine Kindheit am Eierberg.“
Sie betraten nun beide die Wohnung und als er feststellte,
dass der Geruch aus Ilses Wohnung in
seine Nasenwindungen flatterte, sah ich Tränen
in seinen Augen. Hoffentlich waren sie nicht nur von
den Zwiebeln allein, doch als er schnurstracks in
die Küche stürzte und mich alsgleich kräftig
und herzhaft umarmte, wusste ich: der Flönz stellte
die optimale Wahl dar. „Mensch, Junge, das habe
ich ja schon ewig nicht mehr gehabt. Wie kommt ein
so junger Mann denn dazu, solch eine himmlische Köstlichkeit
zu zubereiten. Nein, ich muss die Frage anders stellen:
warum in Gottes Namen bist du dazu überhaupt
in der Lage? Hallo, ich bin der Onkel Kalle! Du musst
der allseits beliebte Hans-Rüdiger sein, Ilse
hat mir so viel von dir erzählt.“ Solch
eine Begrüßung hatte ich nicht erwartet,
ich stand in der kleinen Küche zusammen mit dem
größten Idol aller Schalker. Konnte es
kaum fassen. Dann riss er mich aus meinen tiefen Gedanken.
„Mensch, Junge, der Flönz fackelt ab. Ich
dachte wir knallen uns den jetzt erstmal zur Begrüßung
deftig rein.“ In Windeseile hatte er sich an
die bereits eingedeckte Tafel begeben. So eine Schnelligkeit
hätte ich dem korpulenten und tattrigen Mann
gar nicht zugetraut. „Ja, ich bin der Hansi,
nenn mich Hansi, Onkel Kalle.“ Doch er fuhr mir
ins Wort. „Komm laber´ nicht lange rum
da und schepp einfach kräftig auf, ich hab Hunger
bis unter beide Arme.“ Ilse hatte dem Szenario
bislang stillschweigend und genießend zugesehen.
Sie gab mir mittels Augenkontakt eindeutig zu verstehen,
dass bislang alles nach ihrem Wohlgefallen geschehen
war. Ich liebte sie.
Dann tat ich uns allen kräftig auf. Wie Kalle
das Mahl verschlang, war schon beeindruckend. Mit
voll gestopftem Mund faselte er irgendwelche Dinge
vor sich her. Auch Ilse langte herzhaft zu. Als ich
nach der langen Phase des Stresses nun erstmals wieder
Ruhe einkehren lassen konnte, bemerkte ich: ich hatte
gar keinen Hunger. Dann sagte Kalle: „Was ist,
willst du nichts ESSEN?“ Kaum hatte er dieses
ausgesprochen, spürte ich, wie sich meine Magengegend
zusammenzog. „Essen!“ schwirrte es in meinem
Gehirn herum. Ich riss alle Kraft zusammen und sagte:
„Ilse, Kalle, ich habe heute wohl schon zu viel
von dem Flönz beim Kochen probiert. Ihr müsst
mich kurz entschuldigen.“ Dann verließ
ich den Tisch und hastete zum Bad. „Na macht
ja nichts, dann können wir ja alles auf ESSEN!“
hörte ich seine gierige Stimme und ich riss die
Falttür von Ilses Beuler auf. Mir wurde abermals
flauer im Magen. Ich schaffte es nicht einmal mehr,
die Brille hoch zu bekommen und durch eine riesige
Fontäne schoss eine bräunliche Soße
aus meinem Rachen. Mitten durch meine schutzsuchenden
Hände. Ich hatte in mich soeben in Ilses gefliesten
Nebenraum übergeben. Mist! Ich sah vor mir auf
dem Boden den Wäschehaufen, den Ilse und ich
bei unserem Versöhnungsf*ck hinterlassen hatten
und plötzlich strahlte mich ein Fetzen bedrucktes
Papier an. Im selben Moment ging der Radiowecker auf
Ilses Waschtischunterschrank an. „Dunkle Wolken
ziehen auf. Ein verheerendes Unwetter bahnt sich an.
Die neue Welt ist nicht das, was du denkst …
KOMM ZURÜCK NACH ESSEN!“ Dann ging das Radio
wieder aus. Hatte Ilse die Sleepfunktion aktiviert?
Ich ging zum Waschbecken mit schwankendem Schritt,
abermals verursachte allein das letzte Wort der Ansage
ein Flauegefühl in mir. Als ich die Verkabelung
überprüfen wollte, traute ich meinen Augen
kaum, das Gerät war überhaupt nicht am Stromkreis
angeschlossen, der Stecker steckte überhaupt
nicht in der Dose. Das Gerät besaß auch
kein Batteriefach. Wie konnte dann diese Nachricht
übertragen worden sein? Ich hatte das Gefühl,
langsam aber sicher verrückt zu werden. Was war
nur mit mir los?
Von außerhalb der Badezimmerfalttüre hörte
ich das Kratzen von Huubs Pfoten. Mit letzter Kraft
öffnete ich ihm. Er tappte in das Bad und begab
sich sofort an die Pfütze auf den Kacheln. Ich
schloss die Türe sofort wieder zu, Kalle und
Ilse sollten nichts von alledem mitbekommen. Er schleckte
an der Pfütze mit einer Hingabe, wie ich es selten
bei ihm erlebt hatte. Solch einen Heißhunger
kannte ich eigentlich nur von ihm, wenn er von Ilse
Eierschalen als vorbeugende Maßnahme gegen seinen
Kalziummangel bekam. Dass er das Malheur „beseitigte“,
kam mir in jenem Moment der Hilflosigkeit gerade recht.
Als er fertig war, waren die Spuren meines Missgeschickes
spurlos beseitigt. Nichts deutete mehr darauf hin,
was für eine Schweinerei ich wenige Augenblicke
zuvor begannen hatte. Dann ging er zu dem Wäschehaufen,
schnupperte an Ilses feurigem Schlüpfer und im
selben Augenblick begab er sich daran, dass Stück
Papier auf dem Boden zu essen. Noch bevor ich es ihm
entreißen konnte, war mir klar, um was für
einen Papierfetzen es sich dabei handelte. Er hatte
soeben einen Fetzen Toilettenpapier gefressen. „Huub“,
flüsterte ich ihm zu, „bist du denn bescheuert?
Was frisst du denn diesen Mist auf? Ich weiß
nicht mal mehr, was genau auf dem Papier stand!“
Jetzt war ich aber froh, dass er dieser Fetzen von
diesem bescheuerten Spinner ein für alle Mal
vernichtet hatte. Man? Mann? Manfred Manns Earth Band?
Hach, ich bekam es einfach nicht mehr zusammen. Nach
kurzer Schockperiode ging es mit mir langsam aber
sicher wieder bergauf. Ich wischte mir die letzten
verbliebenen Kotzereste aus meinem Mundwinkel und
spülte meinen Rachenraum mit kaltem Wasser aus.
Dann verließ ich das Bad. Ilse und Onkel Kalle
hatten zusammen zwischenzeitlich die komplette Menge
des Flönz vertilgt. Es war nur noch ein wenig
von dem Gemüse und dem Brei über, doch die
beiden kompletten Blutwurstringe waren verschwunden.
„Habt ihr Euch jetzt echt die sechs Pfund von
der Wurst reingezimmert?“ fragte ich in den Raum.
„Hans-Rüdiger, es war einfach fabelhaft.
Du scheinst nicht nur der perfekte Mann für meine
Cousine Ilse zu sein, sondern auch noch ein ausgesprochen
guter Koch. Was hältst du davon, wenn wir uns
mal auf mein Wasserschloss nach Hassel begeben? Ich
will dir ein paar ganz wichtige Leute vorstellen.
Ich bestelle uns gleich einen Wagen, mein Fahrer ist
gerade im Uniklinikum in ESSEN eine Blutspende abgeben,
der wird aber in spätestens 30 Minuten hier sein.“
Jetzt hatte er wieder irgendetwas von sich gegeben,
was ein leichtes Unwohlsein auslöste, aber es
war bei weitem nicht so schlimm, wie noch wenige Augenblicke
vorher. „Ach, die Uniklinik in essen? Ja, da
lag ich auch mal eine Woche wegen eines Leistenbruchs,
da arbeiten aber meiner Meinung nach nur Metzger …“
Kalle lachte laut. „Hansi, du wirst mir immer
sympathischer, du bist genau ein Junge nach meinem
Geschmack. Was machst du eigentlich beruflich?“
fragte er neugierig. „Hach, Kalle, ich bin freier
Handelsvertreter für Rheuma- und Schafswollsteppbettdecken.
Das Geschäft läuft aber seit einiger Zeit
eher mau, ich lebe eigentlich seit Wochen bzw. Monaten
von Ersparnissen, die aber auch bald zur Neige gehen.“
Er blickte mich jetzt ziemlich verwundert an.
„WATT? So ein kompetenter Junge wie du geht Klinken
putzen? Wie kannst du dir denn dann so ein schickes
Auto leisten? Ich habe es unten auf der Straße
gesehen, es ist ja wirklich ein Blickfang …“
Ich wollte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. „Ich
habe den Wagen eigentlich immer selbst bezahlen können:
Irgendwann ging es nicht mehr, da habe ich meine Simpsons
Comic Sammlung ins Pfandhaus gebracht. Seit einiger
Zeit unterstützt mich nun mein Onkel Eduard!“
Kalle blickte mich jetzt leicht verändert an.
„Ach, der Mann, der beim Luftgitarren Contest
das Feld abgeräumt hat? Ich hörte davon!
Da sind ja auch einige Dinge bei der Zuteilung der
Karten falsch gelaufen, nicht wahr?“ blinzelte
er mir zu. Ich wusste jetzt genau, worauf er hinaus
wollte, ging aber gar nicht erst darauf ein. „Lass
uns das doch vergessen! Ich habe der Ilse schon die
Patte zurückgeben, ich wusste nicht, dass du
sie auch Fratzibatzi nennst. Und wenn ihr mich nicht
so lange im Irrglauben mit dieser Ulrike- Eva Kapp
gelassen hättet, wäre ich niemals so weit
gegangen. Ich habe zwischenzeitlich echt das Gefühl
gehabt, als verbündeten euch nicht nur familiäre
Dinge …“
Charlie war nun offensichtlich sehr angetan, ob der
klaren Worte meinerseits. „Junge, ich bin doch
der Neffe ... äh, Onkel von Ilse. Überleg
doch mal. Sie ist 32, ich werde nächstes Jahr
ein dreiviertel Jahrhundert alt. Außerdem hab
ich doch Familie. Aber ich finde es gut, dass du hier
direkt Tacheles redest. Solche Leute mag ich. Was
denkst du darüber, wenn ich dich jetzt von deinem
Klinkenputzerdasein befreie? Wir suchen auf Löttingshof
einen neuen Restaurantleiter. Was du hier heute mit
geringen Mitteln gekocht hast, hat mich überzeugt.
Ich will die Karte zukünftig eh deftiger gestalten,
du scheinst genau der richtige Mann dafür zu
sein. Kannst du auch Brot- oder Graupensuppe zubereiten
oder könntest du bei uns die Abläufe beobachten?“
Ich nickte. „Nicht nur die Abläufe, wahrscheinlich
sogar die Einläufe, aber ich habe bei meinen
Arbeitgeber einen sechs Jahresvertrag unterzeichnen
müssen, da komm ich auch nicht so leicht raus.“
Kalle lachte abermals. „Junge, ich kenne rund
70 % der Schlägertruppe „Felsenzähne“,
die gehen immer mit einem Lachen nach Hause, wenn
sie irgendwo zugeschlagen haben … meinst du nicht,
dass wir mit solchen Butterfahrten-Kaspern umzugehen
wissen? Mach dir da mal keine Sorgen. Mit dem Vertrag
kannst du dir den Arsch abwischen, ganz gleich, was
man dir dort bietet oder du zuletzt verdient hast,
ich zahle dir das Doppelte!!!“ Hui, dachte ich.
„Das ist ne Menge Holz, Du willst mir doch nicht
ernsthaft weismachen, dass du für meine Tätigkeit
5.000 Patronen im Monat locker machen kannst?“
Charlie blickte Ilse an. „Sag du mal was, Ilsemaus.
Der Junge hat doch was Besseres verdient, als ein
Leben in einer Abzockerkolonne, oder nicht?“
Ilse zuckte mit den Achseln und sah Charlie nun überheblich
an. „Ich weiß nur eines: er hat großes
Talent, sehr großes sogar. Ausdauer, Kraft,
er steckt im Saft seines Lebens, kann offensichtlich
aus gammeligen Blutwürstchen Flönz basteln,
also mein Veto hat er …“ – „Ilse,
du meinst bestimmt Votum, aber das ist dir wahrscheinlich
genauso unbekannt, wie der Unterschied von Valium
zu Viagra oder von Vögeln zu Macht und Geld.
Treib es nicht auf die Spitze!“ fauchte er sie
an. Jetzt lag eine unangenehme Luft im Raum. Ich ergriff
das Wort. „Kommt mal wieder runter, öy.
Jetzt, wo wir eine Familie sind, müssen hier
nicht solche Töne vorherrschen. Für 3.500
Netto fang ich an und lese auch mal wieder ein paar
alte BWL-Schinken, damit es auch kein Flop wird!“
Kalle nickte freundlich in meine Richtung und streckte
mir seine Hand entgegen. „Schlag ein, das ist
gebongt!“ sagte er. Doch ich ließ ihn noch
etwas zappeln. „Meinst du nicht, ich sollte mir
vorher mal die Örtlichkeit ansehen, bevor ich
hier zusage?“ Charlie kugelte die Augen, fast
schon zustimmend. „Da hast du natürlich
Recht. Ich ruf jetzt meinen Fahrer an, der soll uns
mal eben nach Löttingshof düsen. Hansi muss
sich unsere Brutzelstube sofort ansehen, damit er
auch schnell anfangen kann zu arbeiten. Vielleicht
schafft er es ja sogar noch vor dem Spiel gegen die
Bajuwaren die Küche wieder auf Vordermann zu
bringen, schließlich bin ich „Käyterer
Of Se Däi“. Hoffentlich habe ich das jetzt
richtig ausgesprochen, ich hatte kein Englisch in
der Schule.“ Ilse und ich lächelten uns
an. Dann ergriff sie das Wort. „Hast Du, Onkel
Charlie, hast du … und jetzt seht zu, dass ihr
beide Land gewinnt. Ich spül den ganzen Müll
jetzt erstmal hier weg, rauch mir in aller Seelenruhe
gleich erstmal ne Roth Hänsele ohne Filter und
werd mir dann mal ein ordentliches Bad geben.“
Charlie zauberte ein antikes Handy aus der Brusttasche
seines C&A-Sakkos. Dann wählte er eine Nummer.
„Ja, Manfredora! Wie sieht´s aus? Blutprobe
abgegeben? Ähä. Mh mh mh mh mhhh.
Jo. Jaaa. Is gut. Dann in 25 Minuten unten. Klapp
aber die Rückbank um, wir nehmen diesmal nicht
den Hund mit, sondern den zukünftigen Restaurantleiter
meines Schlosses. Der Freund meiner Base. Du wirst
ihn mögen!“ Er legte das Telefon zunächst
bei Seite. „Das war mein Fahrer, ein feiner Kerl.
Obwohl er laut eigener Aussage kein Knappe ist. Aber,
das Problem erledigt sich vielleicht eines Tages von
selber. Man muss nur gute Argumente haben. Und Ilse
hatte die besten beiden …“ Charlie kicherte
leise vor sich hin. Doch dann sah er etwas starr in
den Raum. „Ilse, Hansi wird ja gleich sicherlich
nicht sofort wieder zurückkommen. Es ist an der
Zeit, dass wir nachher mal reden. Ist nicht mehr lang
hin bis zum Bayernspiel, wir müssen gut vorbereitet
sein.“ Ich unterbrach. „Ach ja, Eddy wollte
auch kommen. Der hat doch die Karten gewonnen. Jetzt
habe ich leider seit drei Tagen keinen Kontakt mehr
zu ihm, ist mir auch peinlich. Aber vielleicht klärt
ihr das mal, wie er an die Karten kommen kann.“
Charlie schaute von seinem Stuhl zu mir auf. „Bist
nicht auf dem neusten Stand, oder? Eddy hat die Karten
schon abgeholt bei uns in der Geschäftsstelle.
Hat der irgendwie geerbt? Man berichtete mir, er habe
sich nicht nur vom Kleidungsstil leicht verändert!“
Ich zuckte mit den Schultern und blickte verlegen
zur Seite. „Keine Ahnung ob er geerbt hat. Jedenfalls
geht´s ihm scheinbar etwas besser als noch zuletzt!“
Nachdem wir die letzten 25 Minuten immer zu auf die
Uhr gesehen hatten, ohne noch groß zu reden,
piepte endlich sein Nuttelrolla International 3200.
Wirklich ein sehr ausgefallenes Exemplar. „Sag
mal Onkel Kalle, das geht mich zwar nichts an, aber
wie lange hast du dieses Telefon schon?“ fragte
ich ihn, noch bevor er den mächtigen Knopf gedrückt
hatte. „Fuffzehn Jahre!“ flüsterte
er mir zu und nahm dann ab. „Ja? Ähä.
Mh mh mh mh mhhh. Jo. Jaaa. Is gut. Wir kommen runter.
Bis gleich!“ Dann widmete er mir wieder seine
Aufmerksamkeit zu. „So, Junge, wir gehen uns
jetzt das Schloss ansehen. Vorher kleiden wir dich
aber mal vernünftig ein. Du willst doch wohl
nicht mit den Sachen da durch mein Restaurant latschen!
Außerdem dürfte das Hemd nach dem guten
Essen leicht nach Flönz riechen. Irgendwie stinkst
du auch – verzeih meine Ausdrucksweise –
leicht nach Kotze, jetzt wo der Geruch des fantastischen
Essen aus der Luft ist. Alles klar bei dir?“
fragte er mich. Ich nickte. „Natürlich ist
alles klar bei mir, es war eigentlich nie besser.
Von mir aus können wir.“ Dann schnappte
ich mir meine Daunenjacke und Kalle umarmte noch einmal
sehr, sehr herzlich meine Ilse. Packte ihr sogar an
den Po. „Bis gleich mal, Fratizbatzi!“ Ich
blickte verwirrt. Charlie richtete das Wort an mich.
„Junge, sie ist meine Nichte, wie oft noch! Ich
bin über Siebzig. Ich wollte nur mal wieder wissen,
wie sich das anfühlt!“ Okay, dachte ich
mir. Passt schon. Ich gab ihr einen Zungenkuss. Sie
wirkte irritiert.
Wir gingen im Treppenhaus nach unten. Ich blickte
noch einmal durch den kleinen Schlitz, den mir das
Geländer bot, nach oben, wo ich die Gesichter
von Ilse und Huub erblickte. Ich lächelte beiden
noch mal zu. Dann gingen wir aus dem Haus. Dort wartete
schon das Taxi mit laufendem Motor. Onkel Kalle stieg
vorne ein. Ich ging nach hinten. Kaum hatte ich Platz
genommen, sah sich der Taxifahrer unglaubwürdig
um. Er wirkte beinahe erschrocken. Ich sah ihn an.
„Ist irgendwas? Was mustern sie mich denn so
abfällig?“ Der Taxifahrer blickte nach vorn,
musterte mich aber weiterhin durch den Rückspiegel.
„Sind wir uns nicht schon mal begegnet?“
fragte er mich. „Sie kommen mir so bekannt vor!
Mein Name ist Manfredora. Manfredora Kuss!“ Ich
schaute ihn nun genauer an, grübelte. „Vielleicht
haben sie mich und meine Ilse schon mal von essen
hier her gefahren, als sie noch im Ypsilon kellnerte.
Kann alles sein!“ Dann drehte er sich noch mal
um. „Aha, dann erinnern sie sich also nicht an
mich, oder?“ Der Mensch nervte mich langsam.
„Onkel Kalle! Wenn der nicht gleich Gas gibt,
dann fahren wir mit meinem Karmann. Verstehe eh nicht,
warum wir das nicht so machen!“ Der Taxifahrer
trat in die Pedale. „Nein, nein, kein Problem.
Wie ich sehe, ist hier alles in Butter! Wo darf es
denn hingehen?“ fragte er Charlie. „Fredo,
sag mal, was bist du so merkwürdig drauf? Wir
haben doch eigentlich schon alles besprochen. Für
den Jungen da hinten kaufen wir in Buer mal eben ein
paar andere Sachen. Er hat gerade für uns gekocht,
hat aber nicht wirklich etwas Ansprechendes dabei.
Und bevor wir hier zu viel Zeit verlieren, fahren
wir direkt Richtung Norden. Danach geht es dann weiter
zur Wasserburg. Besichtigungstermin!“
Der Fahrer nickte, konnte es aber nicht vermeiden,
ständig weiter im Spiegelbild irgendwelche Grimassen
in meine Richtung zu schneiden. Ich tat so, als bemerkte
ich es nicht, schaute immer wieder aus dem Fenster.
Nach 15 Minuten waren wir am Zwischenstopp angekommen.
Wir standen in einer Einkaufstrasse in Buer, stiegen
aus dem Wagen und gingen in einen sehr feinen Kleiderladen.
Hier roch es nach Geld. Sofort kam ein Verkäufer
auf mich zu geprescht, der mich überfreundlich
begrüßte. „Chaa, da ist ja schon die
Kunde, auf denne ich mich seit mehrrrerrren Stunden
mental vorrrberrreite! Sein Akzent war von osteuropäischem
Ursprung und zugleich urkomisch. Ich musste mich zusammenreißen,
nicht zu lachen. „Sie rrriechen bissken wie Blutwurrst,
aber keine Thema, krrriegen wa in Grrrif!“ scherzte
er. Er schnappte mich an den Armen und zog mich in
den hinteren Bereich des Ladens, wo die teuren Anzüge
lagerten. Charlie setzte sich im vorderen Teil auf
einen Stuhl und blätterte in einem Magazin. Es
dauerte keine 20 Minuten, da hatte ich den Anzug aller
Anzüge für mich gefunden. Und nicht nur
das, sondern auch neue Socken, eine neue Unterhose,
sowie ein neues Feinripp-Unterhemd. Wir gingen zur
Kasse, Charlie zahlte mit einer goldenen Kreditkarte
und ich behielt die Sachen gleich an. „Packen
sie mir meine Wäsche bitte in eine Tüte?
Ich möchte sie gerne mitnehmen!“ Der Verkäufer
lachte. „Nein, dass geht nicht, ich chabe Anweisung
errrhalten, die Sachen in das Rrreingung zu brrringen.“
Charlie nickte zustimmend. „Hansi, das Zeug stinkt
nach Zwiebeln und Flönz. Wir lassen es hier gleich
um die Ecke reinigen.“ Ich sah es ein. „Aber
keinen Unfug mit den Sachen machen.“ – „Nein,
nein! Die errrhalten sie rrrasch wiederrr!“ versprach
der eigenartige Verkäufer. Wir gingen aus dem
Laden und stiegen wieder in das direkt vor der Türe
parkende Taxi. Der Fahrer wirkte ungeduldig.
Dann fuhren wir noch knapp fünf, sechs Minuten,
bis wir vor einem riesigen Schloss standen. Charlie
stieg aus. „Bis nachher mal.“ Auch ich wollte
meine Türe von innen öffnen, doch sie war
verriegelt. „Das muss wohl die Kindersicherung
sein, Hans-Rüdiger!“ sagte der Taxifahrer.
Plötzlich waren wir für den Bruchteil eines
Momentes alleine im Wagen. Woher kannte er meinen
Namen? „Wir müssen uns mal dringend unterhalten,
bevor es zu spät ist.“ fuhr er weiter fort.
Ich klopfte von innen an die Scheibe. „Kalle,
mach mal auf, die Kindersicherung ist aktiv.“
Er reagierte nicht, justierte gerade sein Hörgerät
neu. „Über was sollen wir denn reden? Ich
kenne sie doch überhaupt nicht!“ entgegnete
ich dem Mann. „Doch, du kennst mich. Glaub mir
einfach, DU kennst mich.“ Dann berührte
er mit Gewalt meine Hand. Blitzartig verschwanden
meine realen Bilder vor Augen und vor mir schwebte
ein uralter Teddybär mit drei Nasen in einem
düsteren Raum. Ich riss mich los. „Jetzt
langt es aber! Lassen sie mich sofort hier raus, sonst
ruft Onkel Kalle die „Felsenzähne“!“
Der Taxifahrer lachte. Ich klopfte abermals
gegen die Scheibe. „Ich glaube es nicht! Du hast
dich an keine unserer Abmachungen gehalten und jetzt
ist deine Seele schon kurz davor, überzugehen.
Wenn jetzt innerhalb der nächsten 24 Stunden
nichts passiert oder du nicht wenigstens wieder nach
Essen kommst, dann ist der Wandel vollzogen, Du Spinner.
Man hat dir sogar jetzt deinen allerletzten Schutzschild
genommen! Deine eigenen Kleider.“ Jetzt endlich
hatte Charlie mein permanentes Klopfen gehört
und öffnete die Tür. Ich hatte in den wenigen
Sekunden mit „Fredo“ im Taxi regelrechte
Schweißausbrüche bekommen. Was für
ein unangenehmer Zeitgenosse. „Man! Das ist aber
ein Vogel.“ sagte ich tief durch atmend, als
ich endlich befreit war. Charlie lachte. „Ach,
der dachte halt, dass ihr euch kennt. Er hat mich
vier Tage auf meiner Auslandsreise begleitet, ein
angenehmer Zeitgenosse. Wenn ihr Euch erstmal besser
kennt, dann kommt ihr sicherlich gut klar!“ Dann
sah ich vor mir meinen vermeintlich neuen Arbeitsplatz
in voller Pracht: die Wasserburg Löttingshof.
Sie war wunderschön.
(fsl)