Ilse Hatsevon hat schwer zu schaffen. Einerseits hängt ihr die lästige GEZ auf dem Hals, auf der anderen Seite kommt dieser ekelhafte Essener Hans-Rüdiger Eichenbauer ständig zu seinem unverdienten Recht in Form von Flüssigkeitsvermischung. Doch sie muss es tun, sie muss ihn umpolen, bei der Stange halten, denn sie hat nicht nur Probleme mit der Gebühren-Mafia und mächtig hohe Schulden durch jahrelanges Schwarzgucken, sondern sie muss auch noch einem Höherem dienen. Dem S04-Walhalla ...


PHASE VIII – "Walhalla [Das Voodoogeheimnis von Ilse]"

“In der frühen königsblauen Geschichte, auch bekannt als Jungknappenzeit, wurden bereits 1933 bedeutende Vereinshelden sowie mit der Geschichte der Vereinigung eng verbundene Persönlichkeiten durch Symbole bestehend aus Maronentorsos und Riegeln aus den Bohnen des Kakaobaumes geehrt. Eingeführt hatte diesen Brauch Emil Kahl aus Gerresheim, ein waschechter Schalker. Irgendwann war die auserkorene Toilettenwand in seiner Altbauwohnung mit übergrossen Kastanienpuppen von Szepan und Kuzorra zugestellt, so dass er nicht mehr an das Fenster zum Lüften kam. Durch diese Ungeschicklichkeit schlief jener edle Brauch des Untergrundes im Laufe der Vereinsgeschichte somit wieder ein und wurde über Jahrzehnte für Schlecht befunden. Doch ein treuer Vereinsabgesandter erinnerte sich Jahre später nach einem Gespräch mit Kahl an diese extravagante Form der Huldigung: Charlie Newmann. Aus diesem Grunde gab er bereits Mitte der 80er Jahre eine geheime Ausschreibung für eine Beherbergung der Templer aus.

Der Architektenhelfergehilfe Leonard von Schwittipalla überzeugte mit seinem simplen Konzept und renovierte den als „Knappentempel“ gedachten Bau von Mai 1993 bis Ende September 1993 im Auftrag Eichbergs des Ersten. Selbstverständlich an der Steuer vorbei. Zur Tarnung nahm man hierfür einige entlegene Kellerräume eines Wasserschlosses an der Stadtgrenze zu Marl. Das S04-Walhalla erstrahlt dank Schwittipallas abstraktem Denken im paranoiden Stil. Bei der Neuschaffung des Ordens der heiligen Knappen am 18. Oktober 1993 wurden gleich sieben Personen mit neun Maronenbüsten geehrt. Inzwischen wird mit elf Büsten und 65 tafeln an acht Personen erinnert. Keine der Geehrten ist eine Frau, obwohl diese vom Sonnenkönig ausdrücklich erwünscht wurde: “Kein Vereinsheld nicht, auch des weiblichen Geschlechtes nicht, ist ausgeschlossen. Gleichheit besteht im S04-Walhalla; hebt doch der Aufgang ins königsblaue Pantheon jenen (unter-) irdischen Unterschied auf...“

Als bislang letzte Castanea sativa Büste wurde am 22. Februar 2003 jene von Adolf Urban in das S04-Walhalla angefertigt, stellvertretend für die legendären Mitglieder des Schalker Kreisels in Baphomets Reich. Sie waren einmalig für ihre Zeit und ehrliche Sieger. Sie gewannen durchschnittlich acht von zehn Spielen. Der Ordenstift ist Eigentum des Sonnenkönigs. Jede blau-weiße Interessengruppe kann eine zu ehrende, königsblaue Persönlichkeit frühestens 20 Jahre nach deren Tod vorschlagen und trägt dann gegebenenfalls die Kosten für die Anfertigung und Aufstellung des jeweiligen Kastanienmännekens. Über die Neuaufnahmen entscheiden die obersten Ministeriale des Ordens, bestehend aus Eichberg I., Charly Newmann und Orloff Thun. Ilse Hatsevon als anerkannte Miss Hupen 2004 wohnt dem Ministerialrat obligatorisch bei. Ziel des S04-Walhalla ist schließlich das weltweite Verbreiten des königsblauen Genes.

In den angesagteren Bereichen des Vereines wird das S04-Walhalla als belanglose Einrichtung abgetan. KETZER! Clubpfarrer Joachim Duhm verbietet der Gemeinde daher die Anerkennung, verwährt ihr die Absolution und forscht seit jeher in Vereinskreisen nach potentiellen Mitgliedern des Templerordens.

Wir müssen daher auf der Hut sein ...“

[Auszug aus der Begrüßungstafel im S04-Walhalla]

*

März 2005 – Ich erwachte aus dem Koma. Die übelsten Kopfschmerzen meines Lebens lähmten jeden noch so kleinen Gedanken an den Vorabend. Zumindest wusste ich aber, dass ich mit heftigem Sabbermund in Onkel Eddies Sessel im Wohnzimmer seiner Wohnung aufgewacht war. Vor mir auf dem Tisch stapelten sich leere Champagnerflaschen, es waren Duzende. In den Aschenbechern sammelten sich die Stumpen, teilweise sogar von Zigarren und im Raum lag ein unangenehmer Geruch. Ein Gemisch aus Schweiß, Alkohol und kalten Püpen. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke. Doch es waren glasklar nicht nur die von Eduard, denn ich konnte eindeutig zwei (!!!) Stringtangas und Wonderbras im Wäschehaufen entdecken. Normalerweise trug er solche Sachen nur, wenn auch gesichert war, dass er unbeobachtet bleiben würde. Daneben standen Dominastiefel. Zwei Paar an der Zahl. Was war nur passiert? Ich konnte mich wie immer nach solch einem Suff an nichts mehr erinnern. Als ich auf die Uhr blickte, traf mich fast der Schlag, es war bereits kurz vor Mittag, ich musste dringend zu meiner Wohnung, denn der Kammerjäger hatte sich angekündigt. Dennoch musste ich vorher noch mit Eddy reden. Er sollte meine Lücken wieder mit Leben füllen. Langsam kamen mir zwar wieder Gedanken, doch eigentlich hätte ich sie am liebsten verjagt. Ich hatte aus Ilses Schlafzimmer Karten und Geld entwendet und kam mir mehr als dreckig vor. Sie war doch auch nur eine kleine Aushilfskellnerin. Sie hatte sich auch noch nicht gemeldet und ich erwartete geradezu ein Donnerwetter von ihr. Erstmals hatte ich regelrechte Angst, sie zu treffen. Vielleicht würde sie mir bei der Gelegenheit auch gleich sagen können, was sie mit dem dicken Charly gemein hatte. Waren sie etwa ein Liebespaar? Je länger ich darüber nachdachte, kam eine Beziehung der beiden Aufgrund des Altersunterschiedes für mich kaum in Frage, es war aber dennoch merkwürdig. Vielleicht war er ja ein Verwandter.

Doch das interessierte mich jetzt erst mal nur am Rande. Wichtiger war es, Eddy sanft zu wecken, um den Speicher mit Input gefüllt zu bekommen. Ich schlich vorsichtig über den Schichtpressstoff seiner Wohnung und blickte durch den Türspalt in sein Schlafzimmer. Was ich da sah, war alles andere als ein gewohntes Bild. Es war entsetzlich. Eddy lag mit zwei Frauen mittleren Alters im Bett, die eine zur linken gewandt, die andere zur rechten verdrillt. „Eddy, alten Womanizer” geisterte es durch meinen Kopf. Hoffentlich hatte ich nicht auch Dummheiten gemacht, denn wie hätte ich gerade das noch Ilse verkaufen sollen? Ich flüsterte in den Raum, welcher eine gemischte Tüte Bonbons aus Schnarch und Schnauf-Akustik wiedergab. „Eddy, du alten Stecher ... steh mal eben auf, ich brauche deine Hilfe.“ Von Eddy ging jedoch keinerlei Regung aus. „EDDY!“ wurde ich lauter, „werde mal wach da, ich hätte ein paar Fragen, brauche Lösungen, mir fehlen die Ansätze ...“ Langsam öffneten sich seine Döppen und er fuhr stocksteif hoch, saß Kerzengerade im Bett, starrte mich an und deutete mit seinem Zeigefinger gleich mittig auf seinen Mund. Ruhe, keine weiteren Worte mehr, gab er mir pantomimisch zu verstehen. Er stand vorsichtig, ohne die beiden Damen zu wecken, auf und kam in Bottroper Feinripp in den Korridor. Er drückte die Türe von außen zu.

„Bist Du denn verrückt hier so rum zu schreien wie ein trächtiges Pavianweibchen, Du Gesichtstoaster ...“ Eddy war sauer. Ich versuchte ihn zu erheitern. „Mensch Eddy …“ – „Nix. Eddy … die Mädels dürfen gar nicht wissen, dass ich Eduard van Kesteren oder Onkel Eddy bin, die denken, ich bin der Calli! Man ... das war die Nacht der Nächte, die beiden waren riemig ohne Ende. Kannst du dir vorstellen, was ich mit den beiden angestellt habe? Die haben mich nach aller Regel der Kunst fertig gemacht!“ ... ich ging ungern dazwischen. „Das ist ja alles schön und gut, aber ehrlich gesagt interessiert mich nicht, was du mit den Mädels gemacht hast, Eeed … äh, Calli. Mich interessiert lieber mal, was gestern so in den letzten Stunden der Party passierte oder ob ich mit den Miezen was angestellt habe ...“ Eddy blickte kurz tief in meine Augen und sagte dann: „Du weißt es echt nicht mehr, oder? Also, zum Poppen warst Du zu steif, dir gefiel auch Ludmilla nicht so sonderlich wegen ihrem rumänischen Damenbart. Dabei habe ich Veet for Men im Badezimmer. Das Beste aber ist: ich hab gestern gerockt, was das Zeug hält und habe den verschissenen Luftgitarrenwettbewerb gewonnen. Jetzt habe ich Karten für das Bayernspiel der Knappen, stell dir mal so´n scheiß vor. Als wenn ich da hingehen würde, die versteigere ich bei aBo-Ey. Was interessiert mich so eine Kacke ... ich bin Roten!“ Ich blickte zur Uhr. In wenigen Augenblicken musste ich los. „Gut, und wo kommen die ganzen Champagner Flaschen her? Das muss doch Kohle ohne Ende gekostet haben. Wann waren wir denn noch an der Nachttanke?“ Eddy blickte jetzt leicht undurchsichtig. „Du, nein, es ist sogar eine etwas längere Geschichte. Aber Du musst ja jetzt los. Schönen Tag, habe die Ehre, ich knall mich mal wieder zu den beiden Fegern in die Falle.“ Eddy wollte gerade die Türe von Innen öffnen, als ich abblockte. „Man, ich habe einen Filmriss. Sag mir bitte, woher wir die Flaschen haben.“ Eddy fing an: „Wir waren gestern mit Greta und Ludmilla noch im Diamonds & Pearls. Hehe. Einheizen der Schnecken. Verstehste? Da habe ich schon gemerkt, dass beide eine leichte Bi-Ader haben und war fast der glücklichste Eddy auf Erden. Du hast mit deiner Kohle total ein auf dicke Hose gemacht und alles bezahlt. Hat dich doch keiner zu gezwungen.“

Ich blickte sofort in meine Geldbörse und bekam einen Schock. Von anfänglich 5000 € waren noch genau 43,68 € übrig. Die Welt war zu Ende. Ich war am Ende. „Alter, wie teuer war denn so eine scheiß Flasche? Ich wollte mir davon doch noch eine Überraschung bei Dildokaiser Punkt Org für mich und mein Ilseken bestellen, die Krankenkasse bezahlt in meinem Fall ja noch nicht, die zahlen nur bei erektiler Dysfunktion. Was auch immer das heißen mag!“ Eddy wurde jetzt leiser. „Naja, einen Tausender hast du mir ja sogar noch geschenkt, als ich dich bei der Pommesbudeneröffnung aus der Toilette befreit habe. Du lagst im Inneren einer Toilettenkabine so ungünstig, dass niemand mehr rein noch raus kam. Von oben bis unten war die Kabine zugekotzt. Was hast du denn da alles gegessen gehabt? Es sah aus wie eine Mischung aus Erbsen und Möhren, Pommesotzen, Schillerlocken und Tomatensaft. Ach ich habe auch gut abgekotzt, habe es aber nicht mehr bis zur Toilette geschafft.“ Mir wurde flau im Magen, Eddy sprach immer so bildlich.

„Daraufhin habe ich zu Greta und Ludmilla gesagt: Wir müssen so langsam aber sicher mal los, packt ihn mal bitte mit an, der ist schwer wie Blei. Schließlich geht die Party doch jetzt erst richtig los, nicht wahr ihr kleinen, süßen Zuckerschneckchen!“ Okay, das langte. „Du weißt doch, dass ich im dichten Schädel nicht mit Geld umgehen kann, wieso hast Du denn nicht mal die Reißleine gezogen, ich wollte das Geld überhaupt nicht anrühren. Ich habe gestern 5 Mille auf den Kopf gehauen. Ilse wird mich hassen. Die geht im Zweifelsfall sogar wegen Diebstahl zu den Grünen“ Eddy wollte mir jetzt den Kopf waschen: „Na und? Soll sie doch. Dann gibt es eben die nächste Ilse. Und wenn das nichts wird, dann die übernächste Ilse. Die über-über-übernächste heißt dann Änne, die nächste Ische und so weiter. Hör mal langsam auf, den Liebeskasper zu spielen, Du Pflaumenaugust! Das was ich heute Nacht erlebt habe, wäre mit „Liebe“ überhaupt nicht drin gewesen, da hätte ich draußen bleiben müssen. Und weißt Du was? Wir verdienen damit noch ein paar Märker, denn Nicolay-Aloisius hat aus der Wohnung schräg gegenüber ein paar scharfe Bilderchen geschossen, damit wir auch richtig an der Sache partizipieren. Außerdem spielt Ilse mit falschen Karten. So what?“

„Naja, wie auch immer, ich muss jetzt los, Eddy! Die Sache ist noch nicht vom Tisch, und ich möchte dich bitten, dich eventuell in den nächsten Tagen für mich frei zu halten, falls es zu einem Treffen mit Ilse und diesem Newmann kommen sollte, hätte ich dich schon ganz gerne dabei. Den Tausender bekomme ich aber hoffentlich wieder.“ Eddy nickte freundlich … „Klar, sobald ich Geld mit den Bildern verdient habe, bekommst Du es doppelt und dreifach wieder. Ich glaube, im anderen Verein lässt sich sehr schnell Geld verdienen, immerhin dafür hast Du ja ein Auge gehabt.“ Ich fragte ihn noch, ob er mir seine Mofa leihen könne. „Du Eddy, ich muss in viertel vor an meiner Wohnung in Kray sein, wollte vorher auch noch duschen. Mit dem Restalkohol von gestern wäre es aber besser, wenn ich über Seitenschleichwege mit dem Mofa-Roller nach Kray fahren würde.“ Doch Eddy schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid, das geht nicht. Der Roller ist überhaupt nicht hier, ich musste ihn notgedrungen weggeben.“ Ich blickte ihn an. „Aber er war doch dein ganzer stolz, dein ein und alles!“ - „Naja, ich habe auch kürzlich meinen Mofaführerschein abgeben müssen, weil man mich ohne Helm erwischte. Dummerweise haben die dann auch direkt gemerkt, dass das Dingen fett frisiert war und man mit der Mofa locker 70 km/h fahren kann. Ich habe eine Geldstrafe von 300 € aufgebrummt bekommen, die auch noch offen ist, deswegen kam mir dein Tausender auch ehrlich gesagt gelegen, ich muss das langsam mal bezahlen, sonst komme ich in Beugehaft. Es ist bereits ein Haftbefehl gegen mich draußen. Aber weißt Du was? Weil Du mir den Tausender geborgt hast, leih ich dir mein nagelneues Disaster-Snakeboard. Es steht im Keller, allerdings ziemlich weit hinten. Pass aber bitte auf, die Glühbirne dort ist seit einigen Tagen defekt. Ach übrigens, hast Du irgendwo meine Alfhausschuhe gesehen?“ Ich brach emotional zusammen. In dem Zustand musste ich nun sportliche Höchstleistungen aufbringen, um noch rechtzeitig nach Hause zu kommen? „ Vielleicht liegen die Pantoffel irgendwo in dem riesigen Wäscheberg im Wohnzimmer. Da liegt ja so einiges. Wenn ich wenigstens die Nummer von dem Vogel dabei hätte, würde ich bei der Kakerlakenfirma anrufen und die Sache auf einen anderen Termin verschieben. Die berechnen aber schon die bloße Anreise mit 43,65 €. Ich könnte nicht mal mehr mit dem Taxi, geschweige denn mit dem Bus fahren und meine EC Karte habe ich zuhause gelassen, ich dachte mit dem Batzen Geld in der Tasche müsste ich für die nächsten acht Monate nicht mehr an einen Geldautomat gehen.“

„Du, die Dinger sind echt schweineschnell - wenn du einmal richtig Speed drauf hast; ich bin damit schon mal um den Baldeneysee in 83 Minuten gefahren. Das sind 16 Kilometer. 83 geteilt durch 16 ergibt eine Periodenzahl von 13,833333 Minuten pro km. Du wohnst ca. vier km von hier entfernt, und fährst für diese vier km, jetzt halte dich fest – 55,33 Periode Minuten. Wenn du das Snakeboard innerhalb von drei Minuten aus dem Keller holen kannst, kommst du noch genau rechtzeitig!“ Ich schlich wortlos an ihm vorbei und fischte mit einer artistischen Meisterleistung das Snakeboard aus dem unbeleuchteten Keller. Ich schaffte es in genau drei Minuten. Über den Weg nach Hause möchte ich Aufgrund von diversen Flugeinlagen meinerseits nicht allzu viele Worte verlieren, es kam mir aber fast so vor, als würde mich das Snakeboard auf dem Heimweg in gewisse Gefahren lenken wollen. Ich kam aber rechtzeitig zuhause an, denn der Lieferwagen des Schädlingsbekämpfers stand bereits unmittelbar vor meiner Haustüre. Ich nahm das Board unter meine Arme und ging schnurstracks auf das Fahrzeug zu. Dann klopfte ich von außen an die Scheibe.

Eine Kombination aus Wunderwerk der Technik und schneller Fingerfertigkeit seitens des Mannes im Kombi ließ die Scheibe nach unten fahren. Der Mann blickte mich an. „Sind sie Hans-Rüdiger Eichenbauer? Haben sie es tatsächlich geschafft, mit diesem Snakeboard in Essen zu fahren?“ Ich blickte ihn fragend an. „Bitte was? Ich verstehe sie nicht ganz!“ Er blickte mir fast schon zu tief in die Augen. „Ich bin ihr persönlicher Ungezieferkiller. Hier ist meine Visitenkarte. Sie ist leicht veraltert, die Daten stimmen nicht mehr, bis auf den Namen, doch es ist wichtig, dass sie diese Karte stets bei sich tragen.“ Was für ein Spinner dachte ich und steckte sie ungelesen in die Jackentasche. „Sie hatten nicht wegen der Spinnen, sondern wegen der Fliegen in ihrer Wohnung angerufen, Herr Eichenbauer!“ Ich nickte. „Ja, und das ist mir auch sehr peinlich, ich war in den letzten Monaten meist bei meiner Freundin in Gelsenkirchen und habe dadurch meinen eigenen Haushalt sehr vernachlässigt.“ Der Mann schaute mich nun etwas intensiver an. „Gelsenkirchen sagen sie? Sie sehen gar nicht so aus, wie jemand, der solche Machenschaften auch noch gutheißen kann. Wie lange sind die Fliegen schon in ihrer Wohnung?“ Der Mann stieg aus, unterließ es aber nicht, mich weiterhin abwertend zu taxieren – zumindest war dies mein persönlicher Eindruck. „Nun, ich habe sie gestern bemerkt, aber offensichtlich hat der Hund meiner Freundin irgendwo in die Wohnung gekackt. Er ist in letzter Zeit inkontinent. Ich habe keine Ahnung, wie lange das her ist. Zeit interessiert mich nicht. Mich interessiert vielmehr, was sie gedenken zu tun …“

Der Mann öffnete die Hecktüren seines Lieferwagens und sprang auf die Ladefläche. „Nun, ich habe ein paar Mittelchen dabei, wodurch die Fliegen in Windeseile aus ihrer Wohnung verbannt werden sollten. Doch um eine genaue Analyse zu betreiben, muss ich jetzt die betroffene Örtlichkeit sehen, Herr Eichenbauer.“ Der Mann nahm einen großen Koffer, ein Gerät, welches einem Staubsauger ähnelte sowie einen mächtigen Kunststoffbehälter, an welchem sich ein Schlauch mit einer Düse befand. Ich hätte ihm nach den ersten Eindrücken ja beinahe schon fast zugetraut, er würde vielleicht so ein Rucksackgerät wie die Ghostbusters benutzen wollen. Als er alles beisammen gestellt hatte, kam er wieder von der Ladefläche. Irgendwie hatte er was extrem mystisches in seinem rot-weißen Overall. Dann entdeckte er auf der anderen Straßenseite meinen gelben 65er Karmann. „Mein Gott, wem gehört denn dieses fantastische Auto da?“ fragte er mich fast beiläufig. „Das ist meiner.“ entgegnete ich ihm. „Ich wette, mit dem Wagen fliegen einem die Frauen nur so zu, oder?“ vermutete er. Ich nickte, denn er lag damit goldrichtig. „Um die Wahrheit zu sagen, er fährt sich nicht mal besonders gut, aber das ist auch nie die Idee bei diesem Wagen gewesen. Worum geht´s bei so einer Sache denn meistens? Um Hupen, richtig?“ Er schaute wirr.

Ich schloss die Haustüre auf und wir gingen durch über die Stufen nach oben. Er schnappte sich sein „Waffenarsenal“ auf einer Sackkarre, die er hinauf zog. „Oh man, jetzt sagen sie nicht, dass sie im Dachgeschoss wohnen? Ich wusste gleich, sie sind ein Ganz-Oben-Wohn-Typ … von Typen wie ihnen sollte es Hunderte geben – leider gibt es davon zig Tausende in dieser Stadt … was ich in meinem Leben schon Treppen gestiegen bin, können sie sich gar nicht vorstellen. Viele verdienen es gar nicht, oben wohnen zu dürfen, sag ich ihnen … Warum haben immer Oben-Wohn-Typen solche Probleme und nicht mal Parterre Ommas?“ Ich ging nicht weiter auf das alles ein, war ich es doch gewohnt, die Treppen zu steigen. Ich wollte nur, dass er schnell wieder weg ist und ich hatte eine heftige Nacht hinter mir. Wenigstens hatte er nicht auch noch die Frechheit besessen, mir irgendwelche Teile seines Equipments in die Hand drücken zu wollen. Aber irgendwie ging dennoch von ihm eine eigenartige Aura aus. Ich stellte das Snakeboard neben meiner Wohnungstüre ab. Angelehnt an die Wand. Dann steckte ich den Schlüssel in den Zylinder und öffnete meine Tür. In der Wohnung war das Licht ziemlich gedämmt für diese Uhrzeit. Der Kammerjäger schob mich zur Seite. „Partytime! Jetzt räumen wir hier auf, mein Pfreund! …“

Er ging vorweg. Ich ihm hinterher. Ich konnte schon wieder leises Summen hören, hatte ich doch am Vortag aus Vorsichtsgründen die Korridortüre zugezogen. Die Fliegen sollten sich nicht in der ganzen Wohnung breit machen; wenn man in solch einem Fall die Verbreitung der Fliegen überhaupt kontrollieren kann. „Ich schlage vor, sie bleiben jetzt etwas weiter hinter mir.“ Dann trat er in Rambomanier ohne mit der Wimper zu zucken und völlig hemmungslos die Wohnzimmertüre auf, jeder andere hätte sicherlich die Klinke benutzt. Was sich nun unseren Augen präsentierte, hatte ich vorher noch nie gesehen. Abertausende Fliegen kreisten durch mein Wohnzimmer. Es wäre vermessen gewesen zu sagen, dass sie immer wieder um das – mittig im Raum platzierte – Häufchen Huub kreisten. Die ganze Wohnung war düster. Dennoch hatte ich den Eindruck, als würden sich rote und blaue Farben bekämpfen. Es stank auch in der Bude bestialisch und ich hatte irgendwie den Eindruck, als würde ich mich unter dem Einfluss von chemikalischen Substanzen befinden. Ich hatte jetzt unerwartet stechende Kopfpinne. Ob der Kammerjäger solche paranormalen Bilder kombiniert mit diesem unkultivierten Geruch kannte? Ich fragte erst gar nicht, es war sein Job. Doch als er sich kreidebleich zu mir umdrehte und „heilige Scheiße“ brüllte, die Tür wieder schloss, war meine Frage schneller als gedacht beantwortet. „So ein starkes Persönlichkeitsprofil eines Orakels habe ich schon lange nicht mehr gesehen!“ Er schüttelte den Kopf. Er schüttelte seinen ganzen Körper. Seine Blicke wurden immer starrsinniger.

„Ich kann es spüren. Ich kann es verdammt noch mal spüren.“ brüllte er mich an, wobei seine Augen einen immer irrsinnigeren Ausdruck annahmen. Seine Ausstrahlung sagte mir zwar regelmäßig, was für ein Arsch er doch ist, doch seine unheimliche Aura ließ mich beinahe seinen Worten gehorchen. Er fragte mich, ob er mich kurz anfassen dürfe. „"Also, was bist du?“ fragte ich ihn. „Ein abgefuckter Kammerjäger?“ Schwul sah er eigentlich nicht aus, worauf ich meine Zustimmung dennoch gab. Er drückte mich auf die Toilettenbrille im Badezimmer. Dann legte er meinen Kopf nach hinten. Er tat dies sehr vorsichtig und behutsam. Mit seinen Fingern drückte er meine Wangen nach unten, wodurch ich nicht mehr mit den Augen blinzeln konnte. Was sollte das? Er starrte mir tief in die Augen, ich hatte das Gefühl, er würde in mein Innerstes sehen wollen. Beinahe bis zur Seele. Mit Worten nicht zu umschreiben.

Dann zog mich urplötzlich irgendetwas in eine Art Trancezustand, ich hörte nur noch die intensive Stimme von Manfredora Kuss, dem Exterminator. „Sagen sie mir etwas über diesen Hund, der in ihren Räumlichkeiten sein Geschäft verrichtet hat! Es ist ein Rüde, der Haufen im Wohnzimmer ist ein eindeutiger Rüdenhaufen …“ Ich wollte schnell antworten, doch meine Zunge war schwer, unendlich schwer. Ich konnte nicht antworten, doch ich bemerkte, dass der Kakerlakenhunter mit einem Blick in meine Augen alles mögliche an Antworten entnehmen konnte. „Huub heißt der kleine Racker. Er ist drollig, doch er kackt unkontrolliert, weil er noch nicht weiß, wo er hingehört. Gelsenkirchen wird mit ganz besonders dicken Haufen zugepflastert. Nehmen sie denn ihre Umwelt nicht wahr, wenn sie mit dem Hund in der verbotenen Stadt ihre Kreise ziehen?“ Allmählich wurden meine Augen trockener und der Mensch vor mir machte mir gerade zu Angst. Wer oder was war er??? „Meinen Namen habe ich ihnen doch bereits genannt, ich bin Manfredora Kuss!“ Nun wurde es noch abstrakter und mein Kopf glühte, der Typ las in meinen Gedanken und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Mir versagte der Speichelfluss, ich war wie gelähmt. Jetzt fing er an, von Sachen zu reden, die ich selber nicht ganz verstand, er entnahm sie aber dennoch irgendwo aus meinen Gehirnwindungen.

„Jetzt sehe ich es ganz klar. Sie hat bei dem Götzenbildnis das Wichtigste verbockt. Was für ein Tortentresken. Sie hat vergessen, der Voodoopuppe ein Schalke Trikot anzuziehen. Der Zauber konnte auch nicht zu Ende gebracht werden, weil der Hund sie störte. Also seien sie ihm dankbar. Außerdem hatte sie kein Duftwässerchen aus der Emscher am Start. Deswegen zieht es sie "nur" schleichend an und sie pendeln zwischen den beiden großen Mächten." Was er mir da mitteilte, erschien mir zu wirr. Dann wurde auch er etwas angespannter. "Sagen sie mal, ich möchte hier in ihrer Serie ja eigentlich keine Tittenwitze reißen, aber ich habe es dem kleinen Dicken von der Ersatzbank versprochen. Sie ist nicht zufällig Brustschwimmerin, oder? Die hat doch bestimmt eine Bugwelle wie ein Dampfer! Oder kommt sie aus Witten? Sei ehrlich, mein Pfreund, die sind dir doch ne Nummer zu groß, oder nicht? Oder lässt du dir jetzt in baldiger Zukunft die Hände vergrößern?“ Jetzt soeben hatte ich ihm also doch unkontrollierter Weise erlaubt, mehrere Witze über Melonen zu verbreiten. Er sprach weiter: „Aber da kleben ja auch aktuell zehn Hände dran, auf Biegen und Brechen. Ihre, Deine, Charlies, die Klauen von Ferdinand Joaquin Dominguez - wer auch immer das sein mag - und gerade just in dem Moment auch meine … hehe …“

Der Fliegenmatador setzte jetzt ein leichtes Grinsen auf. „Oh, was bist Du gepeinigt worden, mein Pfreund, man versucht deine rot-weiße Seele auf die falschen Fährten zu führen. Aber viel mehr kann ich dir momentan nicht sagen. Du musst hier schleunigst aus dieser Wohnung raus. Darfst auch vorerst nicht mehr wieder kommen. Dieser riesige Haufen Hundekot muss jetzt erst mal von den Fliegen verdaut werden. Gerade bei diesen klimatischen Bedingungen brauchen die Fliegen meistens etwas länger, dafür riecht es dann aber auch strenger. Wir sollten daher die Heizung auf Drei stellen. Das was in deinem Wohnzimmer auf dich wartet, ist der nahtlose Übergang vom Essener zum Schalker. Diese ist eine der schlimmsten Höllenfahrten, die man sich als Träger einer verirrten Seele vorstellen könnte. Ich kenne Leute, die wünschten sich lieber den Tod. Viele dieser Leute sind aber bereits klinisch tot. Sie grillen auf dem Balkon oder schwimmen im eigenen Garten im Planschbecken. Sie verkaufen Ski-Schuhe oder behaupten abends joggen zu gehen, obwohl sie eigentlich nach alten Möbeln suchen. In dieser Welt sind andere Kräfte am Werk. Merk dir das gut. Du bist noch nicht verloren, aber es muss jetzt an Informationen für dich langen. Trete allen Personen, die dich in der näheren Zukunft kontaktieren werden, stets mit allergrößtem Misstrauen entgegen und treffe dich mit den Vertretern der anderen Seite nur noch an neutralen Orten, bis es von mir eine Entwarnung gibt. Doch verhalte dich geschickt. Es darf keiner merken, dass wir uns über den Weg gelaufen sind … ansonsten ist der Zauber der S04-Templer nicht mehr aufzuhalten … Reise auch nur noch an Tagen, an welchen in beiden Reichen kein Flutlicht ausgestrahlt wird. Das Flutlicht strahlt nie vor Sonnenuntergang ... sonst wäre es ja auch großer Blödsinn. Das solltest Du dir auch auf die Fahne schreiben ...“ Was denn für eine Fahne? Schnapsfahne? Roch er denn auch, dass ich am Vortag übel gekotzt hatte? Dann schlossen sich meine Augen und ich sah lange Zeit nur ein Testbild.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich mitten in einem Menschenpulk. Sie schoben mich hin und her, es war ungewohnt und ich empfand es als störend. Viele davon haben mir sogar zu gewunken. Wo war auf einmal dieser eigenartige „Prophet“ hin? Ich wurde aus diesen erlebten Geschehnissen nicht wirklich schlau … vielleicht konnte ich das auch noch gar nicht … Ich blickte noch einmal auf seine „Karte“. Manfredora Kuss war sein Name, was für ein ungewöhnlicher Name. Alle anderen Angaben waren veraltet. Er hatte gesagt, ich sollte sie bei mir halten! Sie gab mir irgendwie Sicherheit ... obwohl sie aus recyceltem Toilettenpapier bestand.


(fsl)