Hans-Rüdiger Eichenbauer, ehemaliger Essener,
hadert mit dem Schicksal und verliebt sich in die
Arena. Das alles dank seiner königsblauen Traumfrau
Ilse Hatsevon, mit der er nun bereits seit über
einem halben Jahr liiert ist. Durch seine neue Liebe
und seinem Bekenntnis zum S04 verliert er in seinem
alten Freundeskreis eine Menge an Kredit. Selbst ein
Vertreter Gottes kann es nicht mehr abwenden, das
Eichenbauer nun auf der anderen Seite des Lebens unterwegs
ist. Die Gier nach Bundesligafußball und Schick-Schnack
treibt ihn vorwärts. Hans-Rüdiger glaubt,
auf der besseren Seite unterwegs zu sein. Wie lange
wird Ilses Verhältnis zu Charly Newmann für
Eichenbauer unentdeckt bleiben? Wie lange läuft
er noch blind durch die Gegend? Vollidiot, ey …
PHASE VI - "Eddies erster Kontakt"
Ende Februar 2005. Ich hatte die letzten Monate
in Gelsenkirchen regelrecht genossen. Freundlichere
Menschen hatte ich nie zuvor um mich gehabt. Man lachte,
immer wenn man mich sah und gab mir freundliche Ratschläge
mit auf den Weg. Ferdinand Joaquin Dominguez, Ilses
Nachbar, den ich in den letzten Wochen als guten Freund
kennen gelernt hatte, erzählte fantastische Geschichten
aus Spanien, wie er auf Malle mal zwei Torten auf
einmal und so. Anfangs waren Ilse und ich immer gemeinsam
bei ihm oben in der Dachwohnung, später zog es
mich dann und wann auch schon mal alleine hoch, meist
wenn Ilse sich im Bad den Bär stutzte. Ich mochte
seinen spanischen Akzent. Neulich hatte ich versehentlich
ein für ihn bestimmtes Viagra-Rezept in den Händen
gehabt, doch irgendwie traute ich mich nicht so recht,
ihn darauf anzusprechen. Vielleicht war aber gerade
das sein Geheimnis mit den zwei Torten. Weiterhin
hatte er unheimlich coole Witze auf Lager. „Wasse
isse dickä, trägde ein Schogga un popp deine
Perl?“ fragte er mich eines Tages, als er völlig
betrunken und bekifft war. Doch ich verstand nicht,
was er meinte. Zumal er sich die Antwort auch gleich
selber gab: „Die Ssaaaahlly“ … „Riesenwitz!“
entgegnete ich ihm. Es änderte jedoch nichts
an der Tatsache, dass ich nichts verstand.
Da er selbstständig war, konnte er sich meist
abends die Birne mit Gras und Chantré zuziehen
und am nächsten Tag später aufstehen. Er
arbeitete von zuhause aus, war Leiter seiner eigenen
Ich-AG, dafür beneidete ich ihn, denn er konnte
quasi den ganzen Tag vor der Röhre verbringen.
Als ich am nächsten Nachmittag von meiner Arbeit
in unser vertrautes Heim in Gelsenkirchen ankam, fragte
ich Ilse, ob sie schon mal was von einem „Ssaaaahlly“
gehört hatte. Sie wollte gleich wissen, was es
mit diesem „Unfug“ auf sich hatte und war
leicht angesäuert. „Wer hat dir was von
einem „Ssaaaaaaaaaaaahlly“ erzählt,
Hans-Rüdiger Rupert Eichenbauer?“ fragte
sie mit extrem kräftiger Stimme. Und wenn sie
mich mit vollem Namen ansprach, wusste ich eigentlich
schon, dass es Zeit würde, Land zu gewinnen.
„Der Ferdinand von oben. Aber Ssaaaahlly nur
mit vier A, Ilse. Der erzählt den ganzen lieben
Tag nur so ein Schwachsinn, den wohl nur er versteht!
Es sollte aber wohl eher ein Witz sein. Er hat mal
auf Malle zwei Torten auf einen Streich, stell dir
das mal vor, Ilse ...“
Ilse ging ins Schlafzimmer, welches wie immer von
außen abgeschlossen war. Sie schloss die Türe
auf, zog sich ein paar Sachen an, schloss die Türe
wieder zu, steckte den Schlüssel in ihr Dekolleté
und kam zu mir in die Küche. „Hans Rüdiger,
ich muss mal eben was klären. Setz dich doch
so lange ins Wohnzimmer und unterhalte den Hund ein
wenig. Ferdinand bekommt von mir ein Witzebuch geschenkt,
welches ich jetzt mal eben besorgen gehe. Es kann
nicht angehen, dass er Witze verbreitet, die keine
Sau schnallt. Ich bin gleich wieder da. Danach unterhalten
wir uns mal eine Runde, Männeken! Ich möchte,
dass wir jetzt noch in dieser Rückrunde endlich
ein Schalkespiel besuchen. Den Meister haben wir ja
vorletzte Woche geschrubbt, jetzt bietet sich als
nächstes Highlight das Spiel im März gegen
die Bayern an. Wenn wir da gewinnen, dann ist vielleicht
sogar noch der Titel drin!“ Ilse fing an zu schwärmen.
„Hach, den Rolf Rangnick, den will ich ja mal
kennen lernen, dass muss ja ein ganz schicker und
gebildeter Kerl sein!“ „Ilse“, sagte
ich wie aus der Pistole geschossen, „ ich bin
jetzt bereit. Schalke muss Meister werden. Jawohl.
Das wäre das Ereignis des Jahrhunderts.“
Ilse ging an mir vorbei, warf mir noch zu, dass ich
unter keinen Umständen aufstehen dürfe und
knallte die Haustür regelrecht zu. Ich hörte,
dass sie die Treppen im Flur hochging. Scheinbar hatte
sie das mit dem Buch besorgen vergessen. Ich wollte
es ihr noch hinterher rufen, doch ich musste ja auf
der Couch sitzen bleiben, wo Huub einen nicht unerheblichen
Platz für sich beanspruchte, mir aber –
wie immer - sein Fell als Kissen bereitstellte.
„Ach, Boss, “ sagte ich „dass wir mal
so gute Freunde werden hätte ich nie gedacht.
Wir sind jetzt ein wenig alleine, die Giftschlange
ist erstmal etwas außer Haus und wir können
schön Fernsehen, oder?“ Meine Lieblingssendung
lief: die Gilmore Girls. Auch das hatte ich Ilse zu
verdanken. Am Anfang hatte ich sie noch dafür
belächelt, doch später wusste ich, bei den
Gilmore Girls sieht man das wahre Leben. Zudem sah
Lorelai riesig aus, fast wie meine Ilse. Die Sendung
wurde jedoch in regelmäßigen Abständen
von ätzenden, nervigen Geräuschen gestört.
Doch nein, es war nicht die Werbung. Durch den - in
die Wohnung dringenden – Wind knarrte in Ilses
Altbau-Wohnung irgendeine der Türen. Wieso hatte
sie auch im Winter ständig irgendwo ein Fenster
auf? Ich verstand nicht mal mehr, was Rory und Lorelai
sich erzählten, konnte mich aber eine ganze Zeit
zusammenreißen, nicht aufzustehen. Doch meine
Geduld hielt nicht länger durch. Meine Nerven
waren geradezu am Ende. Ich musste zumindest die Türe
schließen, die diese Geräusche verursachte.
Ich tappte also auf Zehenspitzen durch die Wohnung
und begab mich zu aller erst in Richtung WC. Doch
die Türe war zu. Die Wohnungstüre, welche
sich in unmittelbarer Nähe des Klos befand, war
ebenfalls verriegelt. Ich fühlte „der weiße
Hai“ Musik und eine nie da gewesene Spannung
in mir. Fast wie ein Einbrecher kam ich mir vor.
Ilse hatte ja immer alles unter Kontrolle, so dass
ich bestimmte Räume zu bestimmten Zeiten nicht
betreten durfte und ich auch so gut wie nie alleine
in den Räumlichkeiten war. Das, obwohl ich schon
längere Zeit bei ihr wohnte. Ab und an war ja
auch Ulrike da, die ich - seitdem sie eingezogen war
- immer noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen
hatte. Als ich um die Ecke in die Küche kam,
sah ich die nervtötende Ursache! Um Gottes Willen!
Ilse hatte vergessen, die Türe des Schlafraumes
richtig abzuschließen und der Wind schlug sie
immer wieder auf und zu. Ich ging also ganz nah ans
Schlafzimmer und wollte lediglich die Türe zu
ziehen, als ein Windzug die Türe wie von Geisterhand
ganz aufblies. Dadurch hatte ich freie Sicht auf den
Raum und entdeckte auf dem Nachttisch einen Umschlag.
Von weitem konnte ich mit meinen „Adleraugen“
erkennen, dass er an mich gerichtet war. Zumindest
wollte ich, dass er für mich ist. Eine Überraschung
für mich? Ja sicher, eine Überraschung nur
für mich, von meiner geliebten Ilse! Juchhu!
Jetzt wurde mir auch ersichtlich, warum sie die Türe
nicht richtig verriegelt hatte. Sie wollte doch, dass
ich den Umschlag finde. Sie wollte mir eine Freude
bereiten. Ilse war die Größte!
Auf dem Umschlag stand „Für Fratzibatzi!“.
Da sie mich hin und wieder so nannte, war er also
für mich. Der Umschlag war nicht zugeklebt. Ich
blickte hinein und mich traf fast der Schlag. Im Umschlag
waren 5.000 €. Fünftausend Euro! WOW! Meine
Güte, was hatte ich nur getan, dass sie mir so
viel Geld geben wollte? Klar, ich war ´ne Rakete
im Bett, aber da für gleich so viel Patte? Neben
dem Geld waren noch zwei Karten im Umschlag! VIP Karten.
Ausgestellt auf ein Event in Gelsenkirchen-Buer. „Eröffnungsfeier
mit Stargästen der S04 Heavy Metal Pommes Bude“
stand drauf. Geil, die Party war ja gleich heute Abend.
Dann auch noch zwei Karten für mich. Sie konnten
ja nur für mich sein, schließlich stieg
die Eröffnungsfeier der Metal Pommesbude –
was auch immer das sein sollte – in wenigen Stunden
und Ilse war ja unterwegs.
Ich schnappte mir also die Karten, das Geld und schmiss
den Zettel, welcher sich außerdem im Umschlag
befand, gleich neben Huub auf die Couch im Wohnzimmer.
„Für Hans-Rüdiger! Die Sache scheint
ja rund zu sein! Viel Spaß beim Fettabsaugen!
Bussi C.N. i.A. SR“ stand drauf. Weiterhin waren
auf der Rückseite des Zettels eine Wegbeschreibung
sowie eine Adresse. Die Schrift ähnelte eindeutig
der von Ulrike auf dem Alibert im Bad, doch das war
mir jetzt egal. Mir war auch egal, was das „C.N.
i.A. SR“ zu bedeuten hatte. Ich musste schnell
nach Hause, um eine Begleitung für die Heavy
Metal Pommes Bude zu finden. Ilse mochte doch außerdem
nur PUR, Ibo und Drafi Deutscher. Ich war doch der
Heavy im Hause. Ich hatte die fetten Scheiben von
Bon Jovi, Steppenwolf und Europe daheim. Ich war abermals
total glücklich, dass ich in der Schalker Familie
aufgenommen worden war. Mein Schatz hatte mir Karten
für einen Mega-Event zukommen lassen und ich
hatte soviel Knete wie lange nicht mehr auf Tasche.
Ich wusste noch gar nicht, was ich mit der Kohle anfangen
sollte. Ich verließ die Wohnung, knallte die
Tür ins Schloss, und machte mich vom Acker. Huub
hatte mir noch hinterher geschaut, weil er wohl offensichtlich
wieder mal einen Köttel quer sitzen hatte, doch
ich musste jetzt an mich denken und schleunigst nach
Hause. Ich musste mich schließlich umziehen!
Doro Pesch wartete.
Ich fuhr mit meinem Wagen direkt zu meiner Wohnung
in Essen, wo ich in Windeseile zunächst duschen
und dann noch die Kleidung - insbesondere die Krawatte
wechseln - wollte, da ich ungern mit einer Dienstkrawatte
aus dem Haus ging. Das Logo meines Arbeitgebers stand
ja drauf. Ich war nicht mehr oft hier gewesen, nachdem
ich Ilse kennen gelernt hatte. Am Tage zuvor war ich
zwar knapp zehn Minuten mit Huub in meiner Wohnung
gewesen, um ihn zu schrubben, doch um alles andere
hatte ich mich noch nicht kümmern können.
Deswegen quoll der Briefkasten auch schon über
und Spinnenweben zierten Teile der Decke. Huub hatte
auch am Vortag in meine Wohnzimmer geschissen, das
jedoch hatte ich irgendwie übersehen. Bäh!
Ich hatte inzwischen festgestellt, dass Huub seine
Stubenreinheit ad acta gelegt hatte und machte dafür
psychische Probleme aus. Vielleicht pendelte er emotional
zu viel zwischen den Welten? Ob aus dem Schiss aber
die ganzen Fliegen in meiner Bleibe resultierten?
Vielleicht lag es doch eher am Spülberg in der
Küche, für welchen ich aber ausgerechnet
jetzt keine Zeit hatte. Nach einer Katzenwäsche
und dem Durchkämpfen zum Schlafzimmerschrank
in Indiana Jones Manier, zog ich mich zunächst
um, kämpfte mich dann nochmals an der Fliegenwand
vorbei und ergriff den Telefonhörer. Alles summte
…
Wie viele Fliegen in meiner Bude waren, konnte ich
schlecht abschätzen, ich denke aber, es werden
so an die vier- bis fünfhundert gewesen sein.
Für einen Einsatz mit Feuerzeug und Haarsprayflasche
eindeutig zu viel. Unter unzähligen Babyfliegen
und Larveneiern eingelegt in einer offenen Raviolidose
entdeckte ich das Branchenbuch. Schleunigst suchte
ich die erstbeste Nummer eines Kammerjägers heraus.
Nach kurzem Gespräch verabredeten wir uns für
den nächsten Tag an meiner Wohnung. Danach wählte
ich noch die Nummer eines Taxiunternehmens, wartete
in eisiger Kälte auf das Vehikel und fuhr anschließend
weiter durch zu Eddy in Huttrop. Ich wollte ihn als
Zeichen meiner Versöhnung gleich mal mit zu der
Veranstaltung nehmen, da er gerne Metal hörte.
Er konsumierte aber schon die härteren Sachen
wie Scorpions oder Halloween, von welchem ich bislang
aber aus Furcht die Finger gelassen hatte. Nach unserem
letzten Telefonat hatte ich eigentlich mit Eddy abgeschlossen,
aber ich wollte mich entschuldigen. Wofür wusste
ich zwar nicht, dennoch war er mir als Vertrauter
und Onkel unheimlich wichtig. Ansonsten hatte ich
ja nur noch Ilse, da ich zu allen anderen den Kontakt
abgebrochen hatte bzw. keiner mehr was mit mir zu
tun haben wollte, seitdem ich offiziell ein Schalkefan
war.
Ich klingelte an Eddys Haustüre, von oben drückte
jemand auf. Ich ging die Treppen hoch und stand vor
einer verriegelten Eingangstür, ausgestattet
mit einem Spion. Dann hörte ich durch die Türe
folgende Sätze: „Ich zähle jetzt bis
drei. Wenn du bis dahin nicht verschwunden bist, schieß
ich mit meiner Schrotflinte durch diese Türe.
Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Du abgefucktes
Schalker Schwein.“ Oh mein Gott, was war nun
mit meinem netten Onkel Eduard los? „Eddy!“
flehte ich ihn förmlich an, „aber ich bin
doch immer noch der Alte. Hansi, dein Lieblingsneffe
Und dein Kumpel. Dein Patenkind sowieso. Wir Schalker
sind nicht böse!“ Doch durch die Tür
drang: „EINS“. Er fing wirklich an, mich
anzuzählen. Ich war entsetzt und magnetisiert,
konnte mich nicht mehr von der Stelle bewegen. Es
war wie in diesen fiesen Kinderalpträumen, wo
man nicht von der Stelle kommt. Wenigstens die Stimme
versagte aber nicht, weil der Hals auch nicht rau
war. „Bitte, lass uns doch darüber reden,
Eddy. Mach keinen Scheiß da. Tante Hille, Onkel
Gisbert und Großcousin Hanniball werden dir
doch nie verzeihen, wenn Du mich hier umnietest.“
„ZWEI!!!!“ Ich musste mich jetzt schnell
entscheiden. Gehen oder stehen bleiben. Leben oder
leben lassen … doch ich war immer noch nicht
in der Lage auch nur einen Fuß vor den anderen
zu setzen.
„Eddy, ich hab hier Vipkarten für die neue
Heavy Metal Pommesbude, die heute eröffnet. Da
spielt Doro Pesch. Die geile blonde Ische. Willst
Du dir SOWAS entgehen lassen?“ Es herrschte im
Flur Stille. Dann vernahm ich Schlüsselgeräusche
aus dem Inneren der Wohnung. Er drehte den Schlüssel
um und öffnete die Türe. Vor mir stand er
mit einer Wasserpistole bewaffnet und drückte
ab. „DREI!!!! Peng, peng! Du bist nass, Knappe!
Sag doch gleich, dass Du was für mich hast! Bei
der Doro wird mir ganz schwindelig, da kann ich nicht
nein sagen!“ Er bat mich, einzutreten. „Wo
ist dieses Event mit der Doro? Sag´ jetzt nicht
Gelsenkirchen, dann muss ich dir sofort einen vor
die Mappe kloppen!“ Scheinbar war er immer noch
nicht abgekühlt. „Nein, nein, mach dir keine
Sorgen, es ist in Buer, das ist nur ein Vorort dieser
graziösen Stadt. Hier, ich habe uns auch zwei
Literflaschen Jägermeister mitgebracht, Eddy,
die trinkst Du doch so gerne. Ich schmeiße auch
das Taxi rein, ich bin überraschend zu Geld gekommen.
Allerdings musst du dich für die Eröffnung
in Schale werfen.“ Eddy ging zu seiner Hausbar
und holte zwei Gläser mit Eis, ich setzte mich
an die Theke, welche quer durch die Küche verlief.
„Ich komme nur wegen der Doro mit, nicht wegen
dir, das sage ich dir gleich. Und wenn mir irgendeiner
krumm kommt, dann setzt es einen Onkel-Eddy-Spezial-Karnickelfangschlag.
Und versuch ja nicht, mich auch noch mit der Knappenkacke
zu verseuchen. Es reicht wenn wir einen solchen Spacko
in der Familie haben. Ach, und wo du von Geld sprichst:
Du schuldest mir noch einen Hunni von unserer letzten
McDoof-Tour.“ Er setzte sich ebenfalls auf einen
der Hocker an die Theke und ich drückte ihm ungefragt
die hundert Euro in die Hand. Er steckte sie in seine
Hosentasche.
„Hier lass uns saufen, auf Doro.“ sagte
er und füllte die Gläser. Wir tranken Hörnertee
on the Rocks. Einen, zwei, drei, vier. Langsam lockerte
sich auch die Atmosphäre wieder. Als wir einen
halbwegs akzeptablen Pegel hatten, sagte ich: „Du
musst dich nun umziehen, denn es wird Zeit. Zieh bitte
den Anzug an, den Du bei meiner Kommunion getragen
hast! – „Hansi, pinke Lederkrawatten und
Polster im Schulterbereich eines türkisen Sakkos
sind inzwischen out. Warum also so dick auftragen?
Es ist ein Metal Ereignis, da trägt man fettiges
Haar und stinkt nach Alk aus dem Hals. Außerdem
hab ich noch das schicke Doro-Shirt. Was meinst Du,
was die sich freut!“ - „Eddy, tu mir bitte
einen Gefallen, und zieh den Anzug an. Es ist eine
VIP Veranstaltung, wer weiß, wer da alles sein
wird. Es steht schon auf der Karte, dass Abendgarderobe
erwünscht ist. Schau mich mal an, ich trage auch
einen Anzug“ Eddy zog sich leicht betäubt
und benebelt um, ich rief an diesem Tage abermals
ein Taxi und der vermeintliche Abend der Abende lag
vor uns.
Am Zielort in Buer standen wir vor dem Laden. Es war
ein Flachdachgebäude und man hörte schon
die saftigen Sounds, die aus dem Gebäude nach
außen drangen. Der Eingang war mit Securitypersonal
versehen, vor der Tür lag ein roter Teppich und
hinter Absperrungen standen einige kreischende Menschen,
überwiegend Frauen, die wohl auf die Stargäste
warteten. Es hatte ein wenig was von einer Filmpremiere
in Hollywood. Eddy und ich waren offensichtlich auch
im Fokus der Leute, denn als wir aus dem Taxi stiegen,
riefen uns die Leute zu: „Da sind Hartmut Engler
und Rainer Callmund!“ Aus dem Pulk hörte
man noch weitere Sätze: „Meine Fresse, Herr
Callmund, gehen sie auf einen Kostümball? Seitdem
sie nicht mehr bei Bayer arbeiten, scheinen sie abstrakt
abzudrehen“ Eddy wollte gerade ansetzen, um seinen
gefürchteten Karnickelfangschlag an den Typen
zu verrichten, als ich ihn blockte. „Eddy, sei
mal nicht so ein Spießer und spiele mit. Die
denken echt, du bist der Calli …“ flüsterte
ich ihm zu. Eddy drehte sich noch mal freundlich zu
der Masse, winkte ihr zu und kramte eine ganz tiefe,
verrauchte, rheinische Stimme aus. „Ja sischa,“
sagte er, „sie ham rescht, datt iss hier enne
Kostümbaall. Mir mittendrin, statt wie ihr, nur
dabei!“
Wir gingen über den roten Teppich. Links und
rechts Menschen die schrieen. Am Rande C-Promis wie
Orloff Thun oder Andrea Mulla, die in irgendwelche
Mikrophone sprachen. Wir gingen durch das aufgebahrte
Spalier. Dann standen die beiden Türsteher vor
uns und ich drückte ihnen die Karten in die Hand.
„Stehen Sie auf der Gästeliste?“ fragte
mich der eine. „Hören Sie, “ entgegnete
ich ihm, „erkennen Sie uns denn etwa nicht?“
Die Typen guckten sich verdutzt an. „Ja sicher
erkennen wir Sie. Wir haben nur ein Problem. Rainer
Callmund ist hier vorhin schon rein gegangen und Hartmut
Engler steht unseres Wissens nach überhaupt nicht
auf der Gästeliste. Ferner haben sie Karten für
Sir Charlie Newmann und Madame Ilse von Hupenstein.
Wir nehmen aber an, dass es lediglich bei der Zuordnung
Probleme gegeben hat.“ Eddy ergriff das Wort.
„Paase ma uff, Du Flitzpiepe. Isch bin da zwar
schon drinne jewesen, aber bei der Luft musst isch
hinten widda raus, weil et mir net jut jing. Meine
Betablocker ham vesaacht!“ Die Türsteher
öffneten uns die Türe. „Herr Engler,
Herr Callmund, viel Vergnügen!“
Kurz hinter dem Eingang ergriff Eddy abermals das
Wort: „Sag mal, Hansi, was hat denn deine Mieze
mit Charlie Newmann zu tun? Bei Ilse von Hupenstein
kann es sich doch eindeutig nur um einen Tarnnamen
deiner Freundin handeln.“ Ich blickte ihn verdutzt
an. „Das weiß ich nicht, aber ich habe
eine schwere Befürchtung. Ich glaube, ich bin
das Opfer eines Komplotts geworden, mir ist ganz flau
im Magen. Vielleicht waren die Karten gar nicht für
mich, vielleicht nicht mal das Geld. Vielleicht bin
ich ein Dieb. Vielleicht ist meine Ilse ne Nutte.
Vielleicht ist Charlie auch der Typ, der auf Ilses
Alibert gekritzelt hat und ich werde seit Wochen richtig
fett verhunzepiepelt. Eddy, ab an die Bar, ich brauch
ruck zuck was zu ballern …“ Onkel Eddy nahm
mich erstmals nach Monaten wieder in den Arm. „Die
haben dich bestimmt verarscht. Von vorne bis hinten.
Wer weiß, was die mit dir vorhatten. Wir machen
uns jetzt hier einen schönen Abend … und
morgen überlegen wir uns, wie wir uns dagegen
wehren können! Es darf nur nicht auffallen. Ach
und komm mal eben her, was hast du denn da in den
Haaren? Fliegeneier?“
Nachdem wir uns akklimatisiert hatten, begann der
Abend so richtig. Die Damen hinter der Pommes-Theke
schnitten leicht bekleidet Gyros vom Spieß und
tanzten zu der fetzigen Musik. Einige warfen Schnitzel
in Friteusen, allerdings wesentlich eleganter, als
es sonst in Pommesbuden üblich war. Der Laden
war einfach riesig. An der Pommestheke standen etliche
Spieler der aktuellen Schalker Mannschaft und allesamt
aßen sie Frikandeln. Eigentlich war jedes Gesicht,
welches einem im Pulk entgegen kam, irgendeines welches
man aus Funk und Fernsehen kannte. In der Mitte befanden
sich eine Tanzfläche und gleich dahinter eine
Bühne, die bereits für den Live-Act vorbereitet
war. Die Masse brüllte immer wieder „Wir
wollen die Doro sehen.“ Und „Doro hat die
Haare schön …“ Eddy und ich tanzten
im Rausch von Jägermeister und diversen Cocktails
mit irgendwelchen Mädels, offensichtlich gingen
die Mädels ziemlich heftig auf Eddy steil. Er
verletze sich auch noch übel, als er nach dem
Versuch auf der Pommes-Theke Tango zu „Smoke
on The Water“ zu tanzen, von selbiger hinab stürzte.
An einem Nagelklotz spielte er später am Abend
gegen diverse Herrschaften um Runden, es war zwar
eine All-Inclusive Party, doch Eddy schien vom sportlichen
Reiz gepackt, ein paar „Knappen“ zu besiegen.
Die Musik war der Hammer. Heftige und harte Gitarrenmusik,
genau das, was wir mochten. Wir trugen uns später
beide noch in die Liste für den Luftgitarren-Wettbewerb
ein. Dann wurde es irgendwann schwarz um mich. Der
Alkohol setzte ein und vernebelte meine Sinne. Was
folgte, war ein unendlicher Filmriss. Ich sah verschwommen,
wie Eddys Körper mit irgendwelchen Frauen verschwand.
Das letzte, woran ich mich definitiv erinnerte, war,
wie mein Gesicht in eine Kloschüssel eintauchte
und eine Stimme sagte: „Los, packt ihn …“
(fsl)