Was bisher geschah:
Hans-Rüdiger Eichenbauer, seines Zeichen durch und durch Essener Bürger und jahrzehntelanger RWE-Anhänger, hat die attraktive Kellnerin Ilse Hatsevon kennen und lieben gelernt. Das alles, obwohl sie blaues Blut durch ihre Adern fließen hat. Doch Eichenbauer wäre nicht Eichenbauer, wäre ihm nicht diese unglaubliche und sensationelle Idee gekommen, Ilse umzupolen. Er zerrt sie mit zum Pokalknüller gegen die Alemannia aus Aachen, doch Essen verkackt, so dass der erste Versuch gnadenlos scheitert. Auch beim Kick gegen Erfurt wird Ilse nicht gleich Fan. Ilse verlangt daher, dass ihr Hans-Rüdiger sein Wort hält und sie in die Arena begleitet. Doch der findige Fuchs hat, bevor er mit Ilse zu den Knappen hoppt, einen weiteren Trumpf im Ärmel: Karten für ein pur Konzert in der Turnhalle. Hier macht er erstmals Bekanntschaft mit dem Tempel, der ihn offensichtlich doch mehr anzuziehen scheint, als er vermutet. Eichenbauer steht jetzt am Scheideweg.


PHASE IV - "Metamorphose"

Ich war mit Ilse nun schon mehrere Monate zusammen. Inzwischen hatte ich mich sogar an das Leben in der verbotenen Stadt gewöhnt. Von Bekannten hatte ich erfahren, dass die Kombination „Mann – Rot, Frau – Königsblau“ offensichtlich doch nicht sonderlich selten war. Bei uns kam aber nicht ganz unerheblich der Pantoffelfaktor hinzu, denn ich war ihr regelrecht hörig. Deshalb gab es in unserer kurzen Phase häufiger Reibungspunkte. Nicht nur, dass sie selten bis kaum kochte oder ihren „außerehelichen“ Pflichten nachkam, nein, wir hatten immer dann, wenn es darum ging, wer denn der besseren Religion nachging, regelrechte Konversationen, die meistens damit endeten, dass ich mir den Hund schnappte und mit ihm eine Runde drehte.

Huub und ich hatten uns mittlerweile auch mehr angefreundet. Eigentlich hatte Ilse mit mir vereinbart, dass wir uns mit dem Hund abwechseln, seitdem ich bei ihr wohnte, doch die Verhältnismäßigkeit des vereinbarten „Abwechselns“ lag bei ca. 5:1 für mich. Wenigstens ein Sieg gegen eine Schalkerin machte ich mir immer und immer wieder Mut, wenn ich bei Minus zehn Grad mit dem Hund raus durfte. Der Winter 2004/05 war hart, zu allem Überfluss steckte Essen im Tabellenkeller der zweiten Liga. Nichtsdestotrotz machte ich mir Hoffnung auf einen Klassenerhalt. Wir hatten einen erfahrenen Trainer, der das Vertrauen nahezu aller besaß. Dennoch hatte die Mannschaft sich beim 0:4 gegen Unterhaching regelrecht abschlachten lassen.

Zur Belohnung dafür, dass ich nun häufiger mit Huub spazieren ging, als er mit seinem Frauchen, hatte ich dem Hund einen neuen Namen verpasst. Der Hund hieß schlicht und ergreifend „Boss“, sobald wir Essener Boden betraten, oder aber ein paar Schalker Hunde in der Nähe waren. Und Ilse war häufiger nicht dabei, da sie sich sehr, sehr häufig rasierte. Eigentlich zu häufig. Ich machte mir schon derbe Sorgen, ob ihr Beinkleid im Alter noch eine erotische Ausstrahlung auf mich haben würde. Natürlich kam ich ab und an in Erklärungsnot, wenn wir beim seltenen, gemeinsamen Spaziergang auf Youri, Rudi und Yves aus der Nachbarschaft trafen, doch jedes Mal, wenn Ilse mich fragte, wen denn die jeweiligen Herrschaften mit „Boss“ meinten, sagte ich schlicht und ergreifend: „Mich!“. Und wenn mir Ilse dann zärtlich ins Ohr flüsterte, „da haben die sich ja genau den richtigen ausgesucht ...“ wusste ich, wir gehörten zusammen.

Trotz des anfänglichen Hasses war mir der Hund allerdings inzwischen richtig ans Herz gewachsen, so dass ich auch schon mal ab und an Samstags mittags mit ihm durch die verbotene Stadt ging, um mir einen Spaß daraus zu machen, die Knappschaft aufs Korn zu nehmen, gerade dann, wenn mir ein Anhänger der Knappen über den Weg lief, und die Mannschaft verloren hatte. Es waren schwere Zeiten für die Blauen zu Beginn der Saison 2004/05 gewesen, denn Osram Heynckes hatte aus dem ehemaligen Pokalsieger eine Mannschaft geformt, die zwischenzeitlich im Keller herumdudelte. Im Spätsommer wurde er entlassen und Ilse fand das alles andere als toll. „Hach, der Jupp, der hat so einen tollen rheinischen Akzent gehabt. Vielleicht hat der Ailton das einfach alles nicht richtig verstanden ...“

Leider hielt die Phase des dauerhaften Abkackens bei den Knappen nicht allzu lange an, denn irgendwann kam der vermeintliche Retter: Professor Rangnick. Ilse behaarte nach wie vor darauf, dass ich sie in die Arena begleiten sollte. Allerdings hatte sie in der Endphase der Osram-Ära eingesehen, dass es keinen Sinn machen würde, mich zu einer Niederlage mit zu schleifen. Doch jetzt hatte „Rolf“ Rangnick die Mannschaft sensationell auf den zweiten Tabellenplatz katapultiert, und Ilse wurde immer fordernder. Waren die Rufe nach dem versprochenen Gang anfangs noch erträglich, so kamen sie inzwischen zu häufig frequentiert. Ich konnte mich mehrmals loseisen und wenigstens noch in die Winterpause retten. Das Weihnachtsfest verbrachten wir ohne nennenswerte Highlights, jedoch hatte mir Ilse an Weihnachten wenigstens mal wieder Paprikagemüse mit Rotkohl und Hähnchenfleisch zubereitet.

Am zweiten Weihnachtstag bekam ich dann erstmals mit, dass im pazifischen Ozean ein Tsunami etlichen Menschen das Leben genommen hatte und dieses Unglück machte mich sehr betroffen. Es war kein Fest wie jedes andere und auch in der Silvesternacht war uns nach allem anderen, als nach feiern zumute, also knallten wir auch nicht. Schnell machte sich nach diesem Unglück eine erhöhte Spendenbereitschaft bemerkbar, da sich auch viele Deutsche unter den Opfern befanden. Es wurden Benefizveranstaltungen organisiert und es dauerte auch nicht lange, bis der DFB sein „Konzept“ der Hilfe parat hatte. Die Verantwortlichen hatten es geschafft, im Januar ein Benefizspiel zu organisieren, bei welchem die deutsche Nationalmannschaft gegen eine internationale Bundesligaauswahl antreten sollte. Der Clou bei der ganzen Sache war, dass just dieses Spiel in der Arena ausgetragen werden sollte.

Da ich mich unbedingt bei den Spenden beteiligen wollte, holte ich also heimlich drei Karten und ließ mich nicht lange bitten. Wenn ich schon die Arena zu einem Fußballspiel betreten sollte, warum dann nicht gerade bei diesem Spiel, für einen guten Zweck? Vielleicht könnte ich mich dann endlich der Sache entziehen, Ilse zu einem S04-Spiel begleiten zu müssen. Am Abend präsentierte ich ihr die Karten, und sie wäre beinah ausgeflippt vor Freude, da ich von alleine auf sie zukam. „Schatz, ich finde es echt stark, dass wir zusammen zu einem Fußballspiel in den Tempel gehen. Glaub aber ja nicht, dass ich das als „Alternative“ dulde, denn Du kommst auf jeden Fall auch mal mit zu den Knappen. Und glaub jetzt auch nicht, dass heute noch was geht, von wegen rüber hüppen, denn ich hab voll die scheiß Migräne.“ sagte sie, nachdem ich sie in den Arm genommen und an ihren Ohrläppchen zu knabbern begonnen hatte. Ich mochte ihre Ohren. Sie waren schön. Wie alles an ihr.

Die dritte Karte hatte ich für ihre Freundin Ulrike-Eva Kapp gekauft, die nach der Trennung von ihrem Ehemann inzwischen auch bei Ilse eingezogen war. Ich hatte sie aber eigenartiger Weise noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Wir hatten also eine m/w/w WG, was mich hin und wieder auf die wahnsinnigsten Ideen brachte, wenn ich auf gelben Seiten im Netz unterwegs war. Ich mochte Eva überhaupt nicht, da sie die Bindung zu Ilse noch ein wenig verschlechterte, denn jetzt waren Ilse und ich nur noch selten bis kaum alleine, auch wenn Eva vermehrt damit verbrachte, im Schlafzimmer zu weinen und ich sie seit ihrem Einzug bei Ilse eigentlich noch überhaupt gar nicht gesehen hatte. Ich kannte sie nur von Beschreibungen. Aber dass sie präsent war, sah man ja an den Veränderungen innerhalb der Wohnung.

Außerdem fraß sie mir mein Essen weg. Nicht nur das. Sie fing auch an meine Toilettenkreuzworträtsel anzukrakeln, aber niemals beendete sie eines. Ferner lagen jetzt ihre Haare in der Wanne (sie hatte mit angeblichen 22 Jahren schon graue) und auf Ilses Alibert-Spiegel befanden sich plötzlich mit Lippenstift geschriebene Botschaften: „Hab dich ganz doll lieb, meine kleine blau-weiße Freundin!“. Die Zeiten waren hart, doch ich wollte die Beziehung zu Ilse aufrechterhalten. Ich musste es sogar, denn die Liebe ist ein seltsames Spiel. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, die Schrift würde nie und nimmer von einer Frau stammen.

Zwei Tage vor dem Gang in die Arena plagten mich plötzlich Gewissensbisse. Ich hatte Karten für den Stehrang in der Arena und es war mehr als vermutbar, dass dort auch eingefleischte Schalker stehen würden, was mich aber inzwischen nicht mehr sonderlich störte. Hatte ich vor dem Pur Konzert noch regelrechte Angst vor der Arena, war diesmal alles anders. Für mein Empfinden zu anders. Aus diesem Grund brauchte ich Hilfe. Ich suchte den Rat eines Vertreters Gottes, den ich mittels eines Internetportals vor Jahren kennen gelernt hatte. Von der Institution Kirche wusste ich nicht sonderlich viel, hatte aber inzwischen festgestellt, dass einer der zwölf Propheten offensichtlich Abraham hieß. Ferner wusste ich seit Pulp Fiction, dass der Pfad der Gerechten mit den Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer gesäumt ist. So ähnlich zumindest.

Ich besuchte also seine kleine Gemeinde in Güglingen im Schwabenland, um mir die Beichte abnehmen zu lassen, vielleicht waren Hopfen und Malz ja noch nicht verloren. Die Fahrt dauerte mit meinem quietschgelben Oldtimer etwas länger, aber ich musste jetzt endlich in Erfahrung bringen, ob noch alles normal war, was gerade mit mir passierte. Ich hatte inzwischen keinen Hass mehr gegenüber Schalke und hegte beinahe so etwas wie Sympathien. Der Pastor war seit etlichen Jahrzehnten Anhänger der Rot-Weissen, er hatte sicherlich schon schlimmere Schicksale abwenden können, so lag meine Hoffnung einzig und allein bei ihm. Er kam auch direkt aus seinem Büro, als er meinen Wagen vorfahren sah.

Ich ging auf ihn zu, schüttelte seine Hand und er blickte tief in meine Augen. „Hans-Rüdiger, wann hast Du das letzte Mal gebetet? Du siehst verändert aus.“ Er öffnete für mich den Beichtstuhl. „Ich habe die halbe Nacht vor dem Schlafzimmer warten müssen, weil meine Ilse und ihre Freundin Eva im Schlafzimmer was zu besprechen hatten. Irgendwann bin ich dann aber eingeschlafen auf dem Boden vor dem Schlafzimmer. Mein Kissen war Huub.“ platzte es aus mir heraus. „Was redest Du nur für wirres Zeug, Hans-Rüdiger. Du solltest mal wieder beten. Beten läutert die Seele, erhellt den Geist und führt auf den Pfad zur ewigen Seeligkeit. Sprich nun, warum wolltest Du so dringend eine Audienz bei mir?“

„Herr Pastor, ich habe schwer gesündigt und komme gerade in eine entscheidende Phase. Ich spüre eine Veränderung in mir“, entgegnete ich ihm. „Was ist denn passiert, Hans-Rüdiger, hast Du Dich denn etwa in einen Mann verliebt? Nun, da kann ich dich beruhigen, das ist heute schon alltäglich ...“ ... ich musste kurz in mich kehren. „Nein, es ist viel schlimmer. Ich liebe eine Schalkerin und bin ihr hörig. Ich bin soweit, dass ich in Kürze die Arena betreten werde. Es zieht sich sogar soweit, dass ich mich bei meiner Angebeteten mit Schalke Handtüchern abtrockne, ohne dass mir die Pelle wegätzt. Was kann ich nur tun?“

Der Gottesmann erschrak zutiefst und kam sofort aus seinen Beichtstuhl, riss mich aus der Kabine und tunkte mein Gesicht in frisch geweihtes Wasser, welches er aus einer kleinen Ampulle aus seiner Brusttasche gezaubert hatte „Häresie ... HÄRESIE! Wir müssen sofort einen Exorzismus bei dir durchführen. Du bist kurz davor, auf die falsche Bahn geleitet zu werden. Deine Liebe macht dich blind“, platzte es aus ihm heraus. Er nahm eine Bibel zur Hand und zitierte daraus. Ich war wie in Trance. „Macht keine gemeinsame Sache mit Ungläubigen! Was hat Licht mit der Dunkelheit zu tun, wenn RWE nur das Licht sein kann? Berührt nichts Unreines!“ ließ er verlauten und so langsam erinnerte mich die Szene an einen bekannten Streifen aus den 70er Jahren mit Linda Blair. Ich bekam Angst. Wollte er mir tatsächlich den Teufel austreiben? Ich riss mich los und plötzlich erwachte in mir ein zweites Ich. Ein Ich, welches vorher nie da gewesen war. „Niemand, verstehen sie, Herr Pastor, niemand wird mich daran hindern, meine Ilse zu heiraten um mit ihr Kinder in die Welt zu setzen, welche die Namen der einstigen Helden Ernst Kuzorra und Fritz Szepan tragen werden. Niemand wird mich daran hindern, mit meiner Ilse in Gelsenkirchen glücklich zu werden. Niemand!“

Kaum hatte ich dieses ausgesprochen, fragte sich meine linke Gehirnhälfte, ob ich das soeben Geschehene wirklich eigenmächtig gesteuert hatte. Hatte ich mich wirklich damit abgefunden, meine Zukunft beim bösen Verein zu verbringen? Der Verein war doch gar nicht böse. In mir steckten Jekyll und Hide zeitgleich. In mir steckten Rahn und Kuzorra im selben Augenblick. Es war paradox. Ich war jetzt in einer Zwickmühle, musste aber aus dem Gebäude, so schnell es ging, denn ich war sehr verwirrt. Der Geistliche versuchte ein letztes Mal Worte an mich zu richten. Er schrie durch die leicht abgedunkelte Gemeindehalle: „Hans-Rüdiger, Du wirst dir die Finger verbrennen. So was kann nicht gut gehen. Sie nutzt dich nur aus. Welchen Grund hat sie, dich auf die falsche Seite ziehen zu wollen? Denk mal drüber nach. Ich werde dich in meine Gebete aufnehmen!“ Doch ich nahm von all diesen Worten nichts mehr wahr. Ich warf mich in meinen Karmann Ghia und fuhr von Dannen. Weg von diesem Ort! Zurück in die Arme meiner Ilse! Ab nach Hause, ab nach Gelsenkirchen!

War ich jetzt bereit für den Gang in die Arena? Auf dem Heimweg kamen mir wieder leichte Zweifel. Ich fuhr sehr unkonzentriert und hatte regelrechte Angst, dass ich einen Unfall verursachen würde. So kam es, dass ich an einem Rasthof pausieren musste. Viele LKW-Fahrer mit Schildern an den Innenscheiben ihrer Führerhäuser sah man auf dem Parkplatz des Rasthofes. Mein Gehirn und ich entwickelten ein Spiel. Ich vereinbarte mit mir selbst, dass ich die unzähligen LKWs observieren würde, die während meiner Pause mit Schalke 04 Fanschildern an meinem Wagen vorbeirasen würden. Und sollten es mehr als zehn sein, würde ich mit einem guten Gefühl in die Arena gehen. Nach knapp 35 Minuten waren es im tiefsten Rheinland-Pfalz exakt zehn LKWs gewesen. „Sieh mal, Hans Rüdiger!“ redete ich mir den Mute des Verzweifelten zu, „wenn so viele Personen auf die blau-weiße Religion setzen, warum sollte sie dann schädlich für dich sein ...“

Die nächsten anderthalb Tage vergingen wie im Schneckentempo und ich hatte mir mal wieder vorgenommen, meinen Onkel Eddy zu besuchen. Aus diesem Grund rief ich vorher bei ihm an, da ich ihn mittlerweile schon etliche Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er ging auch relativ rasch an den Apparat. „Eduard van Kesteren ...“ – „Hallo Onkelchen, hier ist dein Neffe Hansi.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte erst mal Stille. „Wer ist dort?“ wollte Eddy wissen. Als ich abermals bestätigte, dass sein Neffe am Telefonhörer sei, wurde er etwas ungehalten, so hatte ich ihn noch nicht erlebt. „Sag mal, stimmt das, was man hier in Essen seit einigen Wochen über dich berichtet, dass Du mit ´ner Schlacke-Tante angebändelt hast und sie auch schon seit Monaten fleißig bürstest?“ Ich war zunächst perplex. „Aber, Eddy, du kennst sie. Sie war an dem Abend dabei, an dem wir das Billardturnier gespielt haben. Es ist die Ilse aus dem Ypsilon, die mit den Mega Hupen. Wir sind seit Monaten ein unzertrennbares Paar“ versuchte ich ihn zu besänftigen. Doch er wurde immer lauter und böser. „Seit Monaten hast Du dich hier nicht mehr gemeldet. Was ist eigentlich los mit dir? Hier in Essen redet man schon über dich und es wird vermutet, dass Du inzwischen längst von der Pestilenz verseucht bist! Was ist an den Gerüchten dran?“

Ich musste mich zusammenreißen, wie redete er nur über Ilses – über unser - Gelsenkirchen. Das war gemein. „Onkel Eddy. Wie kannst Du nur so selbstgefällig sein? Kennst du irgendwas anderes aus Gelsenkirchen als den Rotthauser Markt? Es ist eine schöne Stadt und Ilse hat mir schon viele dufte Ecken hier gezeigt. Wir gehen morgen in die Arena.“ Am anderen Ende hörte ich, wie Eddy immer wütender wurde. „Du brauchst dich hier in Essen nirgends mehr blicken zu lassen, wenn das rauskommt, dann kannst du deine Karriere beim Verein auf Lebzeiten vergessen, ich werde dafür sorgen, dass Du kein Bein mehr auf den Boden der Hafenstraße bekommst. Ich werde die Essener Möwen auf dich hetzen.“ Ohne mir die Option auf eine Antwort zu gewährleisten, flog der Hörer am anderen Ende der Leitung wieder auf die Gabel. Eddy wollte mein Onkel sein, wenn er mit solchen Vorurteilen behaftet war? Eddy wollte mein Onkel sein, wenn er dem Liebesglück mit Ilse nichts abgewinnen konnte? Ich war enttäuscht, ging aber gestärkt aus dem Telefonat hervor, denn jetzt wollte ich allen Beweisen, dass Ilse und ich ein Traumpaar waren, wenn ich mich nur für sie ändern würde.

Am Tage des Spiels tranken Ilse und ich schon morgens Sekt und wir stimmten uns auf das Fußballspiel ein. Aus der Anlage lief „Ob ich verroste und verkalke“ und dieses Lied gefiel mir gerade zu. „Hans Rüdiger. Der nächste große Schritt für dich ist heute da. Ein Fußballspiel im Tempel. Ich muss dir aber leider mitteilen, dass Ulrike nicht mitkommen wird, sie ist in Ratingen bei ihrem Mann, um ein paar Sachen zu klären.“ sagte sie mir traurig. „Aber Ilse, das ist doch egal, dann sind wir wenigstens mal wieder alleine. Ich hab sie in den Wochen, seitdem sie hier wohnt, eh noch nicht gesehen. Was spielt es da für eine Rolle?“

Am Abend fand das Spiel in der Arena statt und diesmal hatten wir auf meiner Ablage des Karmanns sofort einen blau weißen Schal liegen. Wir waren uns einig, wollten unnötiges Aufsehen vermeiden. Im Vergleich zum Pur-Konzert waren die Ordner auch direkt freundlicher und ich wurde herzlich in der großen Familie aufgenommen. Etliche Freunde von Ilse schüttelten mir die Hand und gaben mir Weisheiten mit auf den Weg: „Willkommen auf der Sonnenseite des Lebens!“ gab mir Ilses Freund Marco mit auf dem Weg, als wir ihn auf dem Parkplatz vor dem Stadion trafen. „Es werden sich einige Leute in Zukunft von dir distanzieren und du wirst deren wahres Gesicht kennen lernen, aber wir werden dich hier freundlich empfangen und in unsere Mitte aufnehmen.“ Ich musste direkt an Onkel Eddy denken.

Überhaupt war der gesamte Weg zum Stadion dieses Mal vollkommen anders. Mich störten keine Wappen, mich störten keine Leute, mich störten keine Farben und mich störten keine Lieder. Ein paar kannte ich durch Ilse ja sogar schon. Während des Spiels standen wir in der Fankurve von Schalke und die deutsche Nationalelf spielte vor 50.000 Zuschauern bei eisiger Kälte gegen ausländische Stars aus der Bundesliga. Der ganze Rahmen passte, abgesehen von der eisigen Kälte. Wir hüpften bei Liedern wie „Wer nicht hüpft, der ist Borusse!“ und Ilse hielt meine Hand ganz fest. Bei „steht auf, wenn ihr Schalker seid“ bekam ich eine Gänsehaut. Die Schalker lieferten einen Support erster Güte und das obwohl es nur ein Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft war. Das Spiel endete 2:2 - die Knappen hatten zwar nicht gespielt, doch meinem ersten schönen Erlebnis in der Arena tat dies kein Abbruch.

Nach dem Spiel fragte ich: „Ilse, wann können wir hier das nächste Mal hingehen? Das war ja atemberaubend. Ich mag die Arena. Ich mag Pizzen beim Fußball; das ich nie den inneren Drang in mir verspürte, Thunfisch-Peperoni während eines Einwurfes zu verzehren, grenzt an ein Wunder. Ich danke dir, dass Du mir die Augen geöffnet hast. Das war Stimmung wie vom anderen Stern. Du hast mich geheilt“ Ilse lächelte sanft und gab mir einen tiefen Kuss. „Hans-Rüdiger, ich freue mich, dass es dir gefallen hat. Wir werden so schnell es geht wieder hier sein, das verspreche ich dir. Die nächsten Karten werde ich besorgen. Die Winterpause ist ja schon vorbei.“

Ich war jetzt der glücklichste Mensch auf der Welt. Ilse und ich verbrachten einen traumhaften Abend und ich freute mich auf meinen ersten Schalke-Besuch bei einem Heimspiel in der Fußball-Bundesliga. Von heute an wollte ich nur noch dem FC Schalke 04 die Daumen drücken. Ich wollte endlich einmal Erfolge als Fan feiern ... würden sie auch nur vier Minuten andauern, das war mir egal. Ich spürte regelrecht, das konnte ich nur in dieser riesigen Gemeinschaft, wo ein jeder für den anderen da ist ... Ilse hatte mich gerettet! Dafür war ich ihr dankbar.


(fsl)