Was bisher geschah:
Hans-Rüdiger Eichenbauer, seines Zeichen durch
und durch Essener Bürger und jahrzehntelanger
RWE-Anhänger, hat die attraktive Kellnerin Ilse
Hatsevon kennen und lieben gelernt. Das alles, obwohl
sie blaues Blut durch ihre Adern fließen hat.
Doch Eichenbauer wäre nicht Eichenbauer, wäre
ihm nicht diese unglaubliche und sensationelle Idee
gekommen, Ilse umzupolen. Er zerrt sie mit zum Pokalknüller
gegen die Alemannia aus Aachen, doch Essen verkackt,
so dass der erste Versuch gnadenlos scheitert. Auch
beim Kick gegen Erfurt wird Ilse nicht gleich Fan.
Ilse verlangt daher, dass ihr Hans-Rüdiger sein
Wort hält und sie in die Arena begleitet. Doch
der findige Fuchs hat, bevor er mit Ilse zu den Knappen
hoppt, einen weiteren Trumpf im Ärmel: Karten
für ein pur Konzert in der Turnhalle. Hier macht
er erstmals Bekanntschaft mit dem Tempel, der ihn
offensichtlich doch mehr anzuziehen scheint, als er
vermutet. Eichenbauer steht jetzt am Scheideweg.
PHASE IV - "Metamorphose"
Ich war mit Ilse nun schon mehrere Monate zusammen.
Inzwischen hatte ich mich sogar an das Leben in der
verbotenen Stadt gewöhnt. Von Bekannten hatte
ich erfahren, dass die Kombination „Mann –
Rot, Frau – Königsblau“ offensichtlich
doch nicht sonderlich selten war. Bei uns kam aber
nicht ganz unerheblich der Pantoffelfaktor hinzu,
denn ich war ihr regelrecht hörig. Deshalb gab
es in unserer kurzen Phase häufiger Reibungspunkte.
Nicht nur, dass sie selten bis kaum kochte oder ihren
„außerehelichen“ Pflichten nachkam,
nein, wir hatten immer dann, wenn es darum ging, wer
denn der besseren Religion nachging, regelrechte Konversationen,
die meistens damit endeten, dass ich mir den Hund
schnappte und mit ihm eine Runde drehte.
Huub und ich hatten uns mittlerweile auch mehr angefreundet.
Eigentlich hatte Ilse mit mir vereinbart, dass wir
uns mit dem Hund abwechseln, seitdem ich bei ihr wohnte,
doch die Verhältnismäßigkeit des vereinbarten
„Abwechselns“ lag bei ca. 5:1 für mich.
Wenigstens ein Sieg gegen eine Schalkerin machte ich
mir immer und immer wieder Mut, wenn ich bei Minus
zehn Grad mit dem Hund raus durfte. Der Winter 2004/05
war hart, zu allem Überfluss steckte Essen im
Tabellenkeller der zweiten Liga. Nichtsdestotrotz
machte ich mir Hoffnung auf einen Klassenerhalt. Wir
hatten einen erfahrenen Trainer, der das Vertrauen
nahezu aller besaß. Dennoch hatte die Mannschaft
sich beim 0:4 gegen Unterhaching regelrecht abschlachten
lassen.
Zur Belohnung dafür, dass ich nun häufiger
mit Huub spazieren ging, als er mit seinem Frauchen,
hatte ich dem Hund einen neuen Namen verpasst. Der
Hund hieß schlicht und ergreifend „Boss“,
sobald wir Essener Boden betraten, oder aber ein paar
Schalker Hunde in der Nähe waren. Und Ilse war
häufiger nicht dabei, da sie sich sehr, sehr
häufig rasierte. Eigentlich zu häufig. Ich
machte mir schon derbe Sorgen, ob ihr Beinkleid im
Alter noch eine erotische Ausstrahlung auf mich haben
würde. Natürlich kam ich ab und an in Erklärungsnot,
wenn wir beim seltenen, gemeinsamen Spaziergang auf
Youri, Rudi und Yves aus der Nachbarschaft trafen,
doch jedes Mal, wenn Ilse mich fragte, wen denn die
jeweiligen Herrschaften mit „Boss“ meinten,
sagte ich schlicht und ergreifend: „Mich!“.
Und wenn mir Ilse dann zärtlich ins Ohr flüsterte,
„da haben die sich ja genau den richtigen ausgesucht
...“ wusste ich, wir gehörten zusammen.
Trotz des anfänglichen Hasses war mir der Hund
allerdings inzwischen richtig ans Herz gewachsen,
so dass ich auch schon mal ab und an Samstags mittags
mit ihm durch die verbotene Stadt ging, um mir einen
Spaß daraus zu machen, die Knappschaft aufs
Korn zu nehmen, gerade dann, wenn mir ein Anhänger
der Knappen über den Weg lief, und die Mannschaft
verloren hatte. Es waren schwere Zeiten für die
Blauen zu Beginn der Saison 2004/05 gewesen, denn
Osram Heynckes hatte aus dem ehemaligen Pokalsieger
eine Mannschaft geformt, die zwischenzeitlich im Keller
herumdudelte. Im Spätsommer wurde er entlassen
und Ilse fand das alles andere als toll. „Hach,
der Jupp, der hat so einen tollen rheinischen Akzent
gehabt. Vielleicht hat der Ailton das einfach alles
nicht richtig verstanden ...“
Leider hielt die Phase des dauerhaften Abkackens bei
den Knappen nicht allzu lange an, denn irgendwann
kam der vermeintliche Retter: Professor Rangnick.
Ilse behaarte nach wie vor darauf, dass ich sie in
die Arena begleiten sollte. Allerdings hatte sie in
der Endphase der Osram-Ära eingesehen, dass es
keinen Sinn machen würde, mich zu einer Niederlage
mit zu schleifen. Doch jetzt hatte „Rolf“
Rangnick die Mannschaft sensationell auf den zweiten
Tabellenplatz katapultiert, und Ilse wurde immer fordernder.
Waren die Rufe nach dem versprochenen Gang anfangs
noch erträglich, so kamen sie inzwischen zu häufig
frequentiert. Ich konnte mich mehrmals loseisen und
wenigstens noch in die Winterpause retten. Das Weihnachtsfest
verbrachten wir ohne nennenswerte Highlights, jedoch
hatte mir Ilse an Weihnachten wenigstens mal wieder
Paprikagemüse mit Rotkohl und Hähnchenfleisch
zubereitet.
Am zweiten Weihnachtstag bekam ich dann erstmals mit,
dass im pazifischen Ozean ein Tsunami etlichen Menschen
das Leben genommen hatte und dieses Unglück machte
mich sehr betroffen. Es war kein Fest wie jedes andere
und auch in der Silvesternacht war uns nach allem
anderen, als nach feiern zumute, also knallten wir
auch nicht. Schnell machte sich nach diesem Unglück
eine erhöhte Spendenbereitschaft bemerkbar, da
sich auch viele Deutsche unter den Opfern befanden.
Es wurden Benefizveranstaltungen organisiert und es
dauerte auch nicht lange, bis der DFB sein „Konzept“
der Hilfe parat hatte. Die Verantwortlichen hatten
es geschafft, im Januar ein Benefizspiel zu organisieren,
bei welchem die deutsche Nationalmannschaft gegen
eine internationale Bundesligaauswahl antreten sollte.
Der Clou bei der ganzen Sache war, dass just dieses
Spiel in der Arena ausgetragen werden sollte.
Da ich mich unbedingt bei den Spenden beteiligen wollte,
holte ich also heimlich drei Karten und ließ
mich nicht lange bitten. Wenn ich schon die Arena
zu einem Fußballspiel betreten sollte, warum
dann nicht gerade bei diesem Spiel, für einen
guten Zweck? Vielleicht könnte ich mich dann
endlich der Sache entziehen, Ilse zu einem S04-Spiel
begleiten zu müssen. Am Abend präsentierte
ich ihr die Karten, und sie wäre beinah ausgeflippt
vor Freude, da ich von alleine auf sie zukam. „Schatz,
ich finde es echt stark, dass wir zusammen zu einem
Fußballspiel in den Tempel gehen. Glaub aber
ja nicht, dass ich das als „Alternative“
dulde, denn Du kommst auf jeden Fall auch mal mit
zu den Knappen. Und glaub jetzt auch nicht, dass heute
noch was geht, von wegen rüber hüppen, denn
ich hab voll die scheiß Migräne.“
sagte sie, nachdem ich sie in den Arm genommen und
an ihren Ohrläppchen zu knabbern begonnen hatte.
Ich mochte ihre Ohren. Sie waren schön. Wie alles
an ihr.
Die dritte Karte hatte ich für ihre Freundin
Ulrike-Eva Kapp gekauft, die nach der Trennung von
ihrem Ehemann inzwischen auch bei Ilse eingezogen
war. Ich hatte sie aber eigenartiger Weise noch nicht
einmal zu Gesicht bekommen. Wir hatten also eine m/w/w
WG, was mich hin und wieder auf die wahnsinnigsten
Ideen brachte, wenn ich auf gelben Seiten im Netz
unterwegs war. Ich mochte Eva überhaupt nicht,
da sie die Bindung zu Ilse noch ein wenig verschlechterte,
denn jetzt waren Ilse und ich nur noch selten bis
kaum alleine, auch wenn Eva vermehrt damit verbrachte,
im Schlafzimmer zu weinen und ich sie seit ihrem Einzug
bei Ilse eigentlich noch überhaupt gar nicht
gesehen hatte. Ich kannte sie nur von Beschreibungen.
Aber dass sie präsent war, sah man ja an den
Veränderungen innerhalb der Wohnung.
Außerdem fraß sie mir mein Essen weg.
Nicht nur das. Sie fing auch an meine Toilettenkreuzworträtsel
anzukrakeln, aber niemals beendete sie eines. Ferner
lagen jetzt ihre Haare in der Wanne (sie hatte mit
angeblichen 22 Jahren schon graue) und auf Ilses Alibert-Spiegel
befanden sich plötzlich mit Lippenstift geschriebene
Botschaften: „Hab dich ganz doll lieb, meine
kleine blau-weiße Freundin!“. Die Zeiten
waren hart, doch ich wollte die Beziehung zu Ilse
aufrechterhalten. Ich musste es sogar, denn die Liebe
ist ein seltsames Spiel. Hätte ich es nicht besser
gewusst, hätte ich vermutet, die Schrift würde
nie und nimmer von einer Frau stammen.
Zwei Tage vor dem Gang in die Arena plagten mich plötzlich
Gewissensbisse. Ich hatte Karten für den Stehrang
in der Arena und es war mehr als vermutbar, dass dort
auch eingefleischte Schalker stehen würden, was
mich aber inzwischen nicht mehr sonderlich störte.
Hatte ich vor dem Pur Konzert noch regelrechte Angst
vor der Arena, war diesmal alles anders. Für
mein Empfinden zu anders. Aus diesem Grund brauchte
ich Hilfe. Ich suchte den Rat eines Vertreters Gottes,
den ich mittels eines Internetportals vor Jahren kennen
gelernt hatte. Von der Institution Kirche wusste ich
nicht sonderlich viel, hatte aber inzwischen festgestellt,
dass einer der zwölf Propheten offensichtlich
Abraham hieß. Ferner wusste ich seit Pulp Fiction,
dass der Pfad der Gerechten mit den Freveleien der
Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer
gesäumt ist. So ähnlich zumindest.
Ich besuchte also seine kleine Gemeinde in Güglingen
im Schwabenland, um mir die Beichte abnehmen zu lassen,
vielleicht waren Hopfen und Malz ja noch nicht verloren.
Die Fahrt dauerte mit meinem quietschgelben Oldtimer
etwas länger, aber ich musste jetzt endlich in
Erfahrung bringen, ob noch alles normal war, was gerade
mit mir passierte. Ich hatte inzwischen keinen Hass
mehr gegenüber Schalke und hegte beinahe so etwas
wie Sympathien. Der Pastor war seit etlichen Jahrzehnten
Anhänger der Rot-Weissen, er hatte sicherlich
schon schlimmere Schicksale abwenden können,
so lag meine Hoffnung einzig und allein bei ihm. Er
kam auch direkt aus seinem Büro, als er meinen
Wagen vorfahren sah.
Ich ging auf ihn zu, schüttelte seine Hand und
er blickte tief in meine Augen. „Hans-Rüdiger,
wann hast Du das letzte Mal gebetet? Du siehst verändert
aus.“ Er öffnete für mich den Beichtstuhl.
„Ich habe die halbe Nacht vor dem Schlafzimmer
warten müssen, weil meine Ilse und ihre Freundin
Eva im Schlafzimmer was zu besprechen hatten. Irgendwann
bin ich dann aber eingeschlafen auf dem Boden vor
dem Schlafzimmer. Mein Kissen war Huub.“ platzte
es aus mir heraus. „Was redest Du nur für
wirres Zeug, Hans-Rüdiger. Du solltest mal wieder
beten. Beten läutert die Seele, erhellt den Geist
und führt auf den Pfad zur ewigen Seeligkeit.
Sprich nun, warum wolltest Du so dringend eine Audienz
bei mir?“
„Herr Pastor, ich habe schwer gesündigt
und komme gerade in eine entscheidende Phase. Ich
spüre eine Veränderung in mir“, entgegnete
ich ihm. „Was ist denn passiert, Hans-Rüdiger,
hast Du Dich denn etwa in einen Mann verliebt? Nun,
da kann ich dich beruhigen, das ist heute schon alltäglich
...“ ... ich musste kurz in mich kehren. „Nein,
es ist viel schlimmer. Ich liebe eine Schalkerin und
bin ihr hörig. Ich bin soweit, dass ich in Kürze
die Arena betreten werde. Es zieht sich sogar soweit,
dass ich mich bei meiner Angebeteten mit Schalke Handtüchern
abtrockne, ohne dass mir die Pelle wegätzt. Was
kann ich nur tun?“
Der Gottesmann erschrak zutiefst und kam sofort aus
seinen Beichtstuhl, riss mich aus der Kabine und tunkte
mein Gesicht in frisch geweihtes Wasser, welches er
aus einer kleinen Ampulle aus seiner Brusttasche gezaubert
hatte „Häresie ... HÄRESIE! Wir müssen
sofort einen Exorzismus bei dir durchführen.
Du bist kurz davor, auf die falsche Bahn geleitet
zu werden. Deine Liebe macht dich blind“, platzte
es aus ihm heraus. Er nahm eine Bibel zur Hand und
zitierte daraus. Ich war wie in Trance. „Macht
keine gemeinsame Sache mit Ungläubigen! Was hat
Licht mit der Dunkelheit zu tun, wenn RWE nur das
Licht sein kann? Berührt nichts Unreines!“
ließ er verlauten und so langsam erinnerte mich
die Szene an einen bekannten Streifen aus den 70er
Jahren mit Linda Blair. Ich bekam Angst. Wollte er
mir tatsächlich den Teufel austreiben? Ich riss
mich los und plötzlich erwachte in mir ein zweites
Ich. Ein Ich, welches vorher nie da gewesen war. „Niemand,
verstehen sie, Herr Pastor, niemand wird mich daran
hindern, meine Ilse zu heiraten um mit ihr Kinder
in die Welt zu setzen, welche die Namen der einstigen
Helden Ernst Kuzorra und Fritz Szepan tragen werden.
Niemand wird mich daran hindern, mit meiner Ilse in
Gelsenkirchen glücklich zu werden. Niemand!“
Kaum hatte ich dieses ausgesprochen, fragte sich meine
linke Gehirnhälfte, ob ich das soeben Geschehene
wirklich eigenmächtig gesteuert hatte. Hatte
ich mich wirklich damit abgefunden, meine Zukunft
beim bösen Verein zu verbringen? Der Verein war
doch gar nicht böse. In mir steckten Jekyll und
Hide zeitgleich. In mir steckten Rahn und Kuzorra
im selben Augenblick. Es war paradox. Ich war jetzt
in einer Zwickmühle, musste aber aus dem Gebäude,
so schnell es ging, denn ich war sehr verwirrt. Der
Geistliche versuchte ein letztes Mal Worte an mich
zu richten. Er schrie durch die leicht abgedunkelte
Gemeindehalle: „Hans-Rüdiger, Du wirst dir
die Finger verbrennen. So was kann nicht gut gehen.
Sie nutzt dich nur aus. Welchen Grund hat sie, dich
auf die falsche Seite ziehen zu wollen? Denk mal drüber
nach. Ich werde dich in meine Gebete aufnehmen!“
Doch ich nahm von all diesen Worten nichts mehr wahr.
Ich warf mich in meinen Karmann Ghia und fuhr von
Dannen. Weg von diesem Ort! Zurück in die Arme
meiner Ilse! Ab nach Hause, ab nach Gelsenkirchen!
War ich jetzt bereit für den Gang in die Arena?
Auf dem Heimweg kamen mir wieder leichte Zweifel.
Ich fuhr sehr unkonzentriert und hatte regelrechte
Angst, dass ich einen Unfall verursachen würde.
So kam es, dass ich an einem Rasthof pausieren musste.
Viele LKW-Fahrer mit Schildern an den Innenscheiben
ihrer Führerhäuser sah man auf dem Parkplatz
des Rasthofes. Mein Gehirn und ich entwickelten ein
Spiel. Ich vereinbarte mit mir selbst, dass ich die
unzähligen LKWs observieren würde, die während
meiner Pause mit Schalke 04 Fanschildern an meinem
Wagen vorbeirasen würden. Und sollten es mehr
als zehn sein, würde ich mit einem guten Gefühl
in die Arena gehen. Nach knapp 35 Minuten waren es
im tiefsten Rheinland-Pfalz exakt zehn LKWs gewesen.
„Sieh mal, Hans Rüdiger!“ redete ich
mir den Mute des Verzweifelten zu, „wenn so viele
Personen auf die blau-weiße Religion setzen,
warum sollte sie dann schädlich für dich
sein ...“
Die nächsten anderthalb Tage vergingen wie im
Schneckentempo und ich hatte mir mal wieder vorgenommen,
meinen Onkel Eddy zu besuchen. Aus diesem Grund rief
ich vorher bei ihm an, da ich ihn mittlerweile schon
etliche Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er ging auch
relativ rasch an den Apparat. „Eduard van Kesteren
...“ – „Hallo Onkelchen, hier ist dein
Neffe Hansi.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte
erst mal Stille. „Wer ist dort?“ wollte
Eddy wissen. Als ich abermals bestätigte, dass
sein Neffe am Telefonhörer sei, wurde er etwas
ungehalten, so hatte ich ihn noch nicht erlebt. „Sag
mal, stimmt das, was man hier in Essen seit einigen
Wochen über dich berichtet, dass Du mit ´ner
Schlacke-Tante angebändelt hast und sie auch
schon seit Monaten fleißig bürstest?“
Ich war zunächst perplex. „Aber, Eddy, du
kennst sie. Sie war an dem Abend dabei, an dem wir
das Billardturnier gespielt haben. Es ist die Ilse
aus dem Ypsilon, die mit den Mega Hupen. Wir sind
seit Monaten ein unzertrennbares Paar“ versuchte
ich ihn zu besänftigen. Doch er wurde immer lauter
und böser. „Seit Monaten hast Du dich hier
nicht mehr gemeldet. Was ist eigentlich los mit dir?
Hier in Essen redet man schon über dich und es
wird vermutet, dass Du inzwischen längst von
der Pestilenz verseucht bist! Was ist an den Gerüchten
dran?“
Ich musste mich zusammenreißen, wie redete er
nur über Ilses – über unser - Gelsenkirchen.
Das war gemein. „Onkel Eddy. Wie kannst Du nur
so selbstgefällig sein? Kennst du irgendwas anderes
aus Gelsenkirchen als den Rotthauser Markt? Es ist
eine schöne Stadt und Ilse hat mir schon viele
dufte Ecken hier gezeigt. Wir gehen morgen in die
Arena.“ Am anderen Ende hörte ich, wie Eddy
immer wütender wurde. „Du brauchst dich
hier in Essen nirgends mehr blicken zu lassen, wenn
das rauskommt, dann kannst du deine Karriere beim
Verein auf Lebzeiten vergessen, ich werde dafür
sorgen, dass Du kein Bein mehr auf den Boden der Hafenstraße
bekommst. Ich werde die Essener Möwen auf dich
hetzen.“ Ohne mir die Option auf eine Antwort
zu gewährleisten, flog der Hörer am anderen
Ende der Leitung wieder auf die Gabel. Eddy wollte
mein Onkel sein, wenn er mit solchen Vorurteilen behaftet
war? Eddy wollte mein Onkel sein, wenn er dem Liebesglück
mit Ilse nichts abgewinnen konnte? Ich war enttäuscht,
ging aber gestärkt aus dem Telefonat hervor,
denn jetzt wollte ich allen Beweisen, dass Ilse und
ich ein Traumpaar waren, wenn ich mich nur für
sie ändern würde.
Am Tage des Spiels tranken Ilse und ich schon morgens
Sekt und wir stimmten uns auf das Fußballspiel
ein. Aus der Anlage lief „Ob ich verroste und
verkalke“ und dieses Lied gefiel mir gerade zu.
„Hans Rüdiger. Der nächste große
Schritt für dich ist heute da. Ein Fußballspiel
im Tempel. Ich muss dir aber leider mitteilen, dass
Ulrike nicht mitkommen wird, sie ist in Ratingen bei
ihrem Mann, um ein paar Sachen zu klären.“
sagte sie mir traurig. „Aber Ilse, das ist doch
egal, dann sind wir wenigstens mal wieder alleine.
Ich hab sie in den Wochen, seitdem sie hier wohnt,
eh noch nicht gesehen. Was spielt es da für eine
Rolle?“
Am Abend fand das Spiel in der Arena statt und diesmal
hatten wir auf meiner Ablage des Karmanns sofort einen
blau weißen Schal liegen. Wir waren uns einig,
wollten unnötiges Aufsehen vermeiden. Im Vergleich
zum Pur-Konzert waren die Ordner auch direkt freundlicher
und ich wurde herzlich in der großen Familie
aufgenommen. Etliche Freunde von Ilse schüttelten
mir die Hand und gaben mir Weisheiten mit auf den
Weg: „Willkommen auf der Sonnenseite des Lebens!“
gab mir Ilses Freund Marco mit auf dem Weg, als wir
ihn auf dem Parkplatz vor dem Stadion trafen. „Es
werden sich einige Leute in Zukunft von dir distanzieren
und du wirst deren wahres Gesicht kennen lernen, aber
wir werden dich hier freundlich empfangen und in unsere
Mitte aufnehmen.“ Ich musste direkt an Onkel
Eddy denken.
Überhaupt war der gesamte Weg zum Stadion dieses
Mal vollkommen anders. Mich störten keine Wappen,
mich störten keine Leute, mich störten keine
Farben und mich störten keine Lieder. Ein paar
kannte ich durch Ilse ja sogar schon. Während
des Spiels standen wir in der Fankurve von Schalke
und die deutsche Nationalelf spielte vor 50.000 Zuschauern
bei eisiger Kälte gegen ausländische Stars
aus der Bundesliga. Der ganze Rahmen passte, abgesehen
von der eisigen Kälte. Wir hüpften bei Liedern
wie „Wer nicht hüpft, der ist Borusse!“
und Ilse hielt meine Hand ganz fest. Bei „steht
auf, wenn ihr Schalker seid“ bekam ich eine Gänsehaut.
Die Schalker lieferten einen Support erster Güte
und das obwohl es nur ein Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft
war. Das Spiel endete 2:2 - die Knappen hatten zwar
nicht gespielt, doch meinem ersten schönen Erlebnis
in der Arena tat dies kein Abbruch.
Nach dem Spiel fragte ich: „Ilse, wann können
wir hier das nächste Mal hingehen? Das war ja
atemberaubend. Ich mag die Arena. Ich mag Pizzen beim
Fußball; das ich nie den inneren Drang in mir
verspürte, Thunfisch-Peperoni während eines
Einwurfes zu verzehren, grenzt an ein Wunder. Ich
danke dir, dass Du mir die Augen geöffnet hast.
Das war Stimmung wie vom anderen Stern. Du hast mich
geheilt“ Ilse lächelte sanft und gab mir
einen tiefen Kuss. „Hans-Rüdiger, ich freue
mich, dass es dir gefallen hat. Wir werden so schnell
es geht wieder hier sein, das verspreche ich dir.
Die nächsten Karten werde ich besorgen. Die Winterpause
ist ja schon vorbei.“
Ich war jetzt der glücklichste Mensch auf der
Welt. Ilse und ich verbrachten einen traumhaften Abend
und ich freute mich auf meinen ersten Schalke-Besuch
bei einem Heimspiel in der Fußball-Bundesliga.
Von heute an wollte ich nur noch dem FC Schalke 04
die Daumen drücken. Ich wollte endlich einmal
Erfolge als Fan feiern ... würden sie auch nur
vier Minuten andauern, das war mir egal. Ich spürte
regelrecht, das konnte ich nur in dieser riesigen
Gemeinschaft, wo ein jeder für den anderen da
ist ... Ilse hatte mich gerettet! Dafür war ich
ihr dankbar.
(fsl)