Was bisher geschah:
RWE Fan Hans-Rüdiger Eichenbauer, seines Zeichen durch und durch Essener Jung und jahrzehntelanger Vereins-Anhänger, hat nach einem verlorenen Billard-Endspiel und einer völlig durchzechten Nacht die attraktive Kellnerin Ilse Hatsevon kennen gelernt. Bereits beim ersten Treffen muss er allerdings eine grauenvolle Entdeckung machen: Das Objekt der Begierde lebt in jener Stadt, wo Abraham noch als Prophet gilt und hat zu allem Überfluss einen vierbeinigen Untermieter: Goldenretriever-Rüde "Huub". Eichenbauer ahnt Böses, doch es kommt viel schlimmer. Beim Betreten von Ilses Hütte erlebt er schließlich den Megaschock, die Bude sieht aus wie die Merchandising-Abteilung vom FC Schalke 04 und er will zunächst die Flucht ergreifen, doch dann kommt ihm die unglaubliche und sensationelle Idee, Ilse umzupolen. Wird es ihm gelingen?


PHASE II (Ilses erster Kontakt)

Spätsommer 2004. Gespannt hatte man im Lager der Essener auf die Auslosung zur ersten DFB-Pokalhauptrunde gewartet und als das Los - Alemannia Aachen - gezogen wurde, war die Meinung innerhalb des Vereines und des Umfeldes durchaus geteilt. Aachen hatte einige Zeit vorher mit dem Einzug in das Pokalfinale und der damit verbunden Qualifikation zum Uefa-Cup für Furore gesorgt, galt aber nicht als unbesiegbar. Mit Coach Dieter Hecking traf man auf einen alten Bekannten, dem zwei Jahre vorher der Aufstieg mit dem VfB Lübeck geglückt war. Inzwischen war jener Verein aber wieder abgestiegen und Dieter heuerte als Nachfolger von Jörg Berger beim Aufstiegsanwärter Aachen an.

So weit so gut, das Spiel rückte näher und langsam wurde auch ich kribbelig, denn eigentlich sorgten in der Vergangenheit die Auftritte der Essener im DFB-Pokal immer wieder für Spiel, Spaß und Spannung. Unvergessen die Siegesserie im Jahr 1994, wo man erst im Finale Werder Bremen, damals noch von König Otto Rehakles trainiert, unterlag, und das, obwohl man bereits im Frühjahr die Lizenz für den Spielbetrieb der zweiten Liga entzogen bekommen hatte. Unvergessen das Spiel gegen Bayer Leverkusen knapp zwei Jahre später (4:4 n.V.), wo erst der liebe Gott mit einem monsunartigen Platzregen und einem nie für möglich gehaltenen Wetterumschwung für die Niederlage im Elfmeterschießen gesorgt hatte.

Ilse hatte mir einige Tage vorher ihr Versprechen gegeben, mich zu einem Spiel zu begleiten und ich hatte bewusst dieses Spiel ausgesucht, denn wenn es eine Möglichkeit geben sollte, Ilse schnellstmöglich umzupolen, dann war dieses Spiel der optimale Aufhänger. Würde das Spiel nur ansatzweise an alte Pokalknüller anknüpfen können, so malte ich es mir aus, könnte ich sie schon am gleichen Abend in meiner RWE-Bettwäsche schlafen lassen, möglicherweise wäre sogar Sex im Final-Trikot von 1994 drin gewesen, welches allerdings inzwischen aufgrund eines angewachsenen Bierbauches nicht mehr ganz passte. Ich hatte mir vorher schon im Internet die Route ausgerechnet, wie wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln am Besten von Feldmark nach Bergeborbeck kommen würden. Bei Ilse angekommen hatte ich mehrere Extraminuten mit im Gepäck, weil ich noch hoffte, sie würde ihre fantastischen Bratkartoffeln mit Paprikagemüse und Rotkohl für mich machen.

Doch Ilse hatte keine Zeit, denn kaum war ich angekommen, gab sie mir zu verstehen, dass Huub raus müsse, und ich noch mit ihm Gassi gehen solle, da sie noch nicht fertig für den Ausflug war. "Schatz, es ist die ideale Gelegenheit, dass ihr Euch mal näher kommt. Er braucht mal wieder eine starke, männlich-führende Hand! Bei mir hast Du das doch auch geschafft. Ich muss mir jetzt erst mal die Beine rasieren" Ich bekam die Krise. Nicht nur, dass ich jetzt mit einer Schalkerin in intimen Kontakt stand, nein, nach wenigen Tagen durfte ich auch erstmals mit einem Hund namens Huub Gassi gehen. "Komm Huub!" befahl ich dem Vierbeiner und machte mich auf den Weg.

Huub war ein Kämpfer an der Leine, was mir die Sache keinesfalls leichter machte, da ich in dieser Sache eigentlich nicht sonderlich geübt war. Huub pisste hier hin, Huub hob dort sein Bein, Huub zog, Huub kackte, Huub bellte, Huub schnüffelte hier, dort, da, eigentlich überall und was ich nach wenigen Minuten schmerzhaft erfahren musste, war die Tatsache, dass nicht ich den Hund führte, sondern er mich. Huub konnte zwar nichts dafür, aber eigentlich hasste ich ihn. Er war für mich nicht mehr als ein kleiner, mickriger Schalker.

Unterwegs trafen wir auf die Creme de la Creme der Nachbarshunde, und schon von weitem konnte man immer wieder die gleichen Sprüche hören, die die jeweiligen Herrchen an der Leine zum Besten gaben. „Ach guck mal, Youri, da ist ja der Huub. Na Huub, wo issen das Frauchen heute?", sagte beispielsweise ein etwa sechzigjähriger Mann zu seinem Königspudel. Wir waren wie auf einem Präsentierteller, ich war wie auf einem Präsentierteller, denn jede noch so kleine Flohschleuder, die uns begegnete, war offensichtlich mit Huub konform. „Guck mal, Rudi, da ist der Huub!" sagte die Frau zu ihrem Collie. „Guck mal, Ebbe, da ist der Huub!" sagte die Oma zu ihrem F*tzenleckerhund, dessen Rassename mir gerade entfallen ist, aber ihr kennt solche Viecher. Nach einer kleinen (!!!) Runde um den Häuserblock kam ich mit leichten Schwielen in den Handballen wieder bei Ilse an, sie war inzwischen zum Abmarsch bereit und wir gingen gleich los zur Haltestelle.

Wir stiegen in die Straßenbahn in Gelsenkirchen ein und zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, inmitten dieser Insel von Ahnungslosen gab es echte Kenner, denn in der Bahn saßen diverse Personen in rot-weißer Kluft. "Hut ab", flüsterte ich Ilse zu, denn ich war beeindruckt. "Ich dachte immer, man bekommt sofort einen auf die Fresse, wenn man hier in Kutte herumgeistert!" - "Deswegen hast Du auch keine an, oder, Rambo?" entgegnete sie mir sanft. Hatte ich mir vorher immer wieder ausgemalt, wie qualvoll ein Leben in der verbotenen Stadt für Anhänger meines Vereines sein müsste, so fand ich Gefallen an diesem Underdog-Gefühl. Ich fühlte mich wie Sting als "Englishman in New York".

Je näher wir der Heimatstadt Essen kamen, desto mehr Anhänger in roten und weißen Farben sah man, was auch Ilse nicht ganz verborgen blieb. "Maa, wo komm´ die denn alle her..." bemerkte sie, "ist hier irgendwo ein Nest?" Allmählich bemerkte ich, dass sie doch mehr Hass in sich trug, als zunächst vermutet. Wir mussten in Katernberg umsteigen, um in die S-Bahn zum Bahnhof Bergeborbeck zu gelangen und Ilse glänzte nach weiteren Fahrt- und Umsteigeminuten mit den nächsten fantastischen Kommentaren: "Wie viele Leute gehen denn in Eure Arena rein?" fragte sie mich.

Ich musste kurz schlucken, denn Ilse hatte offensichtlich keinen blassen Schimmer, was sie in naher Zukunft erleben würde: Fußball in Reinkultur - fernab von Vip-Logen, Videowürfeln und ausfahrbarem Rollrasen, fernab von zigarrequalmenden Managern. "Ilse!" entgegnete ich ihr, "bei uns ist das alles ein wenig anders. Da wird zum Fußball noch klassisch konventionell eine Bratwurst gegessen und es wird noch im Freien gespielt, so wie es einst angedacht war!". Doch anhand von Ilses unverständlichen Blicken konnte ich erkennen, dass sie eigentlich gar nicht wusste, wovon ich da gerade sprach.

Die Fahrt neigte sich dem Ende entgegen und ich war erstmals in meinem über 20-jährigem Fandasein aus einer anderen Stadt zum Spiel angereist. Ich fühlte mich wie all die Anhänger, die hunderte Kilometer Anreise in Kauf nahmen, um ein Spiel ihrer Mannschaft zu sehen. Wir kamen schließlich nach einem kleinen Fußmarsch in Borbeck am altehrwürdigen Georg-Melches-Stadion an, und Ilses nächste süffisante Aussage machte mich ein wenig sauer: "Was ist denn das für eine Bruchbude?" fragte sie mich. "Gehören in ein vernünftiges Stadion nicht eigentlich vier Tribünen?"

Ich musste mich abermals zusammenreißen, bekam dann aber Gott sei Dank noch die Kurve. "Das Stadion ist schon sehr alt. UNSER Verein war der erste, der Flutlichter hatte und Essen war der erste deutsche Vertreter im europäischen Landesmeisterwettbewerb überhaupt." versuchte ich sie zunächst über traditionelle Aussagen zu ködern, doch das alles schien sie weniger zu beeindrucken als ein Zelt in der ehemaligen Westkurve, welches für VIP-Gäste eingerichtet worden war. Klar, dass der nächste Kommentar nicht lange auf sich warten ließ. "Was ist das da? Camping für Arme?" Ich hatte mir vorgenommen, nicht weiter auf die Aussagen einzugehen, denn erstmals hallten Fangesange unserer Anhänger, meiner Verbündeten, durch das - für Ilse unvollständige - Stadion. Ich beobachtete sie heimlich und bemerkte, wie sie langsam aber sicher von der Atmosphäre ergriffen wurde. "R-W-E!" ... Ilse hatte tatsächlich eine leichte Gänsehaut. Das wiederum gab mir zu denken und machte mir gleichzeitig ein wenig Angst, denn ich stellte mir die Situation andersherum vor. Wenn Ilse bereits vor Spielbeginn sichtlich ergriffen von der Atmosphäre war, wie würde es dann im umgekehrten Fall aussehen?

Das konnte und das durfte niemals passieren, unabhängig davon welche Abmachung ich mit ihr getroffen hatte. Das Spiel begann und gleich zu Beginn der Partie machte ich abermals eine Gänsehaut auf Ilses Armen aus. "Was ist los?" fragte ich, "Hast wohl nicht mit der geilen Stimmung gerechnet, wie?" doch Ilse gab mir zu verstehen, dass ihr kalt sei und sie lediglich ihre Jacke zu Hause vergessen hatte, dabei waren an diesem Tag gefühlte 18° C, doch ihre Hupen sprachen eine andere Sprache. Ich hatte wohl zu schnell mit einem Erfolg gerechnet und auch weitere Aussagen von ihr ließen durchblicken, ich hatte es mit einem echten Eisblock, aber auch gleichzeitig mit einem echten Profi zu tun. ("Von Essen kenn ich ja mal keinen, außer den Bjarne, seit wann hat der schon die Glatze?" - "Was ist denn das da für ein Riese vor uns, steht der auf Stelzen?" - "Mein Gott, was für ein Fliegenfänger der Dingsbumskowski doch ist!" - "Hol mir mal ein Bier!" - "Schatz, mir ist kalt!" - "Ich will auch so´n Barett wie die Reibeisenstimme da vor uns!" etc.)

Die Geschichte vom Spiel ist schnell erzählt, Aachen ging relativ früh in Führung, eigentlich genau das, was nicht passieren durfte, und die Nervosität der Mannschaft zog sich wie ein Faden durch die Partie und übertrug sich auch relativ schnell auf die Anhänger. Zerfahrenes Spiel, ruhige Anhänger und kaum noch überwältigende, gänsehautauslösende Stimmung. Meine Mission wurde mehr und mehr zu einem riesigen Flop. Die erhoffte Pokalschlacht mit Verlängerung und fünf roten Karten sowie das schleunige "Umpolen" von Ilse blieben aus. Essen ging bereits in der ersten Pokalrunde baden und hatte nach drei Pflichtspielen in der neuen Saison immer noch keinen Sieg erlangen können, Aachen besaß sogar noch die Frechheit, einen weiteren, zweiten Treffer zu erzielen. Kurz nach Spielende sah ich jedoch ein Licht am anderen Ende des Tunnels, denn Ilse und ich kamen in eine zunächst sehr erfreuliche Konversation. "Schade, dass ihr verloren habt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Echt, so ist Fußball wohl in Reinkultur!" sagte sie und ich wartete lediglich noch auf Aussagen wie: "Ich komme jetzt immer mit, hier ist es viel besser und auch die Farben der Fans sind nicht so ätzend. Rot ist besser als Blau. Altes Stadion ist besser als neue Turnhalle. Gelsdorf ist besser als der Jupp! Essen ist besser als Schalke!"

Doch Ilse sagte nichts von alledem, sondern vielmehr für mich vernichtende Sätze: "Ich hoffe doch sehr, du erinnerst dich noch an Deine Abmachung, die Du vorletzte Woche im dichten Schädel von Dir gegeben hast und Du begleitest mich in absehbarer Zukunft in die heilige Arena. Dort, wo man auch Pizza, Döner und mehr als drei Getränke bekommt und nicht Ewigkeiten auf dieses lästige Wechselgeld warten muss. Dort, wo Bundesligafußball in einem würdigen Rahmen präsentiert wird. Einmal blau, immer blau, mein lieber Hans-Rüdiger! Und wenn Du meinst, dass Du mich mit einem dreiviertel Stadion, einem viertel Alster so wie einer spendierten Karte mal eben von meiner Religion abbringen kannst, dann hast Du Dich GEWALTIG geirrt, Männeken!" Ich war sprachlos. Ilse hatte meinen Plan schon im Keime ersticken lassen und mich bereits nach nur einem Spiel durchschaut.

Ich kam jetzt nicht mehr um die, aus meiner Sicht, Höchststrafe herum, die Arena zu betreten. Ich musste es tun, wollte ich diese Beziehung aufrechterhalten. Gleichzeitig hatte ich aber noch einen Trumpf im Ärmel, denn erstens stand nicht ganz knapp fünf Tage später der nächste Auftritt der Essener - unter Flutlicht - auf dem Programm, also eine weitere Umpolgelegenheit, andererseits gastierte Ilses Lieblingsband Anfang September in der Arena. Die Rede ist von der herzschmerz- und weibereinscheiß Truppe "pur". Ich musste lediglich noch an Karten gelangen, und hätte zumindest meinen Teil der Abmachung, wenn auch auf leicht abgewandelte Art, erfüllt. Immerhin hatte ich ihr ja lediglich versprochen, in die Arena mitzukommen, aber mit keiner Silbe erwähnt, dass es sich dabei um einen Besuch eines Fußballspiels handeln muss.

Aber würde sie das so akzeptieren?


(fsl)