Interview mit Olaf Janßen

veröffentlicht am 28.03.2006 um 08:50 Uhr

Jawattdenn.de:
Welche Kriterien gab es bei der Auswahl der Spieler für den Kader? Hatten sie Glück, dass alle so gut einschlugen?

Olaf Janßen:
19 Mal Glück ist ein wenig viel des Guten, oder? Wenn es so wäre, sollten Uwe Neuhaus und ich mal zusammen Lotto spielen. Olaf JanßenWir hatten jeweils eine Liste von Spielern, die wir gerne holen wollten, und waren mit allen möglichen Informationen über die Kandidaten ausgestattet. Mit jedem dieser Spieler haben wir ganz ausführliche, intensive Gespräche geführt. Ich glaube, dass ich in einem Zwei- oder Dreistundengespräch den Charakter eines Spielers erkennen kann. Ich merke, wie der tickt. Uwe und ich haben unsere Eindrücke dann ausgetauscht. Genauso wichtig war uns, dass die Spieler merken, wie wir ticken, welchen Einsatz wir für den sofortigen Wiederaufstieg zu bezahlen bereit sind. So ein Gespräch gab es auch mit Arie van Lent, obschon wir wussten, der marschiert gleich vom ersten Tage an beim Training vorneweg, wird sich der Operation Aufstieg annehmen. Es gibt für Arie nur Rot-Weiss Essen und der pflügt hier den Platz um.


Jawattdenn.de:
Sie sprachen gerade vom Einsatz für den Wiederaufstieg. Wie sind sie mit der Mannschaft nach dem Spiel in St. Pauli umgegangen?

Olaf Janßen:
Beim Paulispiel hat die Mannschaft gemerkt, dass sie den letzten Rest aus sich rausquetschen muss, um diese Gemeinschaft nicht zu gefährden. Damals war Zusammenhalt gefragt, um das Gebilde aus Trainerstab, sportlicher Leitung und Mannschaft nicht zu gefährden. Und die Spieler wollten dieses Gebilde beibehalten. Überhaupt ist diese Gemeinschaft die größte Leistung, die der Trainer vollbracht hat. Ich weiß gar nicht, ob es so was im deutschen Fußball schon mal gegeben hat, dass 21 neue Spieler geholt worden sind, und die als Einheit funktionieren. Unabhängig von der bislang erreichten Punktzahl ist das eine Meisterleistung.


Jawattdenn.de:
Kürzlich gab es den 13. Heimsieg in Folge, ein Rekord, der seinesgleichen sucht. Warum wird diese "Meisterleistung" vom Publikum nicht dementsprechend honoriert?

Olaf Janßen:
Bei einem Großteil der Fans ist schon der Bazillus gepflanzt. Jetzt dauert es vielleicht noch ein wenig, bis der Fan das komplett unterschreibt, was da gerade passiert. Es dauert ein wenig länger, wenn man den Fan mit so vielen neuen Situationen konfrontiert, bis sie dann letzten Endes vollkommen zufrieden sind. Wenn wir unser Ziel erreicht haben und im kommenden Jahr nicht wieder von Anfang an mit dem Rücken zur Wand stehen, wird auch der letzte Fan sagen, dass es passt. Man merkt vielen Leuten in Gesprächen an, dass sie eine Mannschaft mit Zusammenhalt und Qualität erkennen können.


Jawattdenn.de:
Vielleicht gibt es Frust bei vielen, weil sie nach Identifikationsfiguren suchen …

Olaf Janßen:
Auch das ist ein Fakt. Man kann den Fans nicht irgendwelche Spieler vorsetzen und dann erwarten, dass die sofort akzeptiert werden. Die Entwicklung zu einer Identifikationsfigur dauert Monate oder Jahre. Trotzdem haben wir uns im Sommer gedacht, es sei gesünder, wenn wir alles komplett neu aufbauen. Dass uns eine solche Figur fehlt, ist der Preis für diesen gravierenden Schnitt. Ali Bilgin ist jedoch einer, der in diese Rolle reinschlüpfen kann.


Jawattdenn.de:
Können sie der heutigen Mannschaft Zweitligaformat attestieren?

Olaf Janßen:
Wir haben uns in der letzten Zeit auch ein paar Spiele aus der zweiten Liga angesehen. Wir müssen keine Angst haben …


Jawattdenn.de:
Wo sehen sie denn im Falle des Aufstieges Handlungsbedarf?

Olaf Janßen:
Das bleibt vorerst intern. Wir haben mit etlichen Spielern Optionsverträge geschlossen und werden den Großteil des Kaders behalten. Es werden aber sicherlich zwei, drei Ergänzungen oder Verstärkungen kommen.


Jawattdenn.de:
Ist der Drops gelutscht, wenn wir gegen Kiel und Osnabrück unsere weiße Weste behalten sollten?

Olaf Janßen:
Es bringt nichts, wenn wir diese Spiele nach Hause schaukeln, aber danach nichts mehr gewinnen. Auf Grund der Nachholspiele können wir bestimmte Dinge nicht selber beeinflussen, sondern müssen uns in Geduld üben. Aber wenn wir unsere Arbeit machen, setzen wir den Kontrahenten ein ums andere Mal einen Stich ins Herz. Machen wir unsere Hausaufgaben, wird irgendwann zum Zeitpunkt XY für die anderen Teams keine Möglichkeit bestehen, uns noch abzufangen.


Jawattdenn.de:
Stijn Haeldermans sagte jüngst in einem Interview, die anderen müssten Platz zwei leider unter sich ausmachen … Hat er damit etwas dick aufgetragen?

Olaf Janßen:
Olaf JanßenNein, wir haben schon unter Beweis gestellt, dass wir den besten Kader der Regionalliga haben. Wir haben von allen Mannschaften die beste Ausgangslage. Was hätte Haeldermans denn da sonst sagen sollen? Dass wir nicht mehr absteigen können? Auch Stijn weiß, dass jede Woche unter Beweis gestellt werden muss, dass wir zu Recht oben stehen. Es bringt nichts, wenn die Mannschaft auf den Rasen geht, und sich schon vorher sagt, wie gut sie doch ist, und wie toll doch alles ist. So wie die Spieler vom AC Milan im Champions-League-Finale: Was haben sich die nur in der Halbzeit gedacht? Wie toll der Tag ist, wie toll das Leben ist und was sonst nicht noch alles … wie toll die erste Halbzeit war. Wenn man mit so einer Einstellung rausgeht, dann fällt auf einmal das erste Tor, dann plötzlich das zweite, und ruck-zuck werden die Beine schwer. Aber so ist Fußball. Wer meint, dass er mit Überheblichkeit weiter kommt, der wird bestraft. So einfach ist das.


Jawattdenn.de:
Aber wir reden vom so genannten FC Bayern der Regionalliga, ist ein wenig Arroganz nicht gesund?

Olaf Janßen:
Ich kann das langsam nicht mehr hören. Es war vor der Saison ein Thema, in der Winterpause, die gegnerischen Trainer nennen uns durch die Bank als Titelkandidaten. Die gratulieren sogar schon vorher. Das macht die Sache nicht einfacher, es nervt eher. Wir können uns dafür nichts kaufen. Vielleicht ist es auch ein wenig Schutz, wenn der Trainer schon vorher sagt, in Essen können wir nichts reißen. In Wirklichkeit stellen die doch ihre Mannschaft so ein, dass sie hier für eine Überraschung sorgen sollen. Für viele Gegner ist das Spiel in Essen das Spiel des Jahres, da rennen die Spieler so lange, bis sie umfallen.


Jawattdenn.de:
Kommen die gegnerischen Teams mit einem Kloß im Hals zur Hafenstraße?

Olaf Janßen:
Wir haben uns den Respekt der anderen Mannschaften erarbeitet. Unsere Heimserie trägt einiges dazu bei. Wenn wir unser Spiel von Anfang an umsetzen können, merkt der Gegner gleich, dass es hier besonders schwer ist.


Jawattdenn.de:
RWE hat jetzt 59 Punkte. Wieviel Zähler fehlen noch für den Aufstieg?

Olaf Janßen:
In den letzten Jahren war der Titelkampf anders als in diesem Jahr. Dass sich aus dem Kreis der Aufstiegsanwärter gleich drei Mannschaften bis zum Saisonende verabschieden werden, ist schon fast auszuschließen. Ich hatte irgendwann mal 75 gesagt. Das ist zwar eine ganze Menge, aber ob es reicht, kann ich nicht sagen.


Jawattdenn.de:
Wenn wir Essen mit Frankfurt oder Köln vergleichen, welches Potenzial hat dann der Club?

Olaf Janßen:
Viele können das Gerede vom schlafenden Riesen aufgrund fehlender Erfolge schlichtweg nicht mehr hören. Dabei muss man sich nur die Eckdaten genauer anschauen. Essen hat einen Fankern von 10.000 Zuschauern in der dritten Liga. Mit uns arbeiten inzwischen Sponsoren zusammen, da würden sich andere Clubs die Finger nach lecken. Wir reden hier von Fakten und nicht von Träumereien. Wenn die Mannschaft wieder Erfolg hat, wird auch das Gerede vom schlafenden Riesen endlich aufhören. Denn dann wird dieser einfach erwachen.


Jawattdenn.de:
Danke für das Gespräch, Herr Janßen.


Das Interview führten Frank Schulz und Tim Zähringer