Interview mit Olaf Janßen
Jawattdenn.de:
Welche Kriterien gab es bei der Auswahl der Spieler
für den Kader? Hatten sie Glück, dass alle
so gut einschlugen?
Olaf Janßen:
19 Mal Glück ist ein wenig viel des Guten, oder?
Wenn es so wäre, sollten Uwe Neuhaus und ich
mal zusammen Lotto spielen. Wir
hatten jeweils eine Liste von Spielern, die wir gerne
holen wollten, und waren mit allen möglichen
Informationen über die Kandidaten ausgestattet.
Mit jedem dieser Spieler haben wir ganz ausführliche,
intensive Gespräche geführt. Ich glaube,
dass ich in einem Zwei- oder Dreistundengespräch
den Charakter eines Spielers erkennen kann. Ich merke,
wie der tickt. Uwe und ich haben unsere Eindrücke
dann ausgetauscht. Genauso wichtig war uns, dass die
Spieler merken, wie wir ticken, welchen Einsatz wir
für den sofortigen Wiederaufstieg zu bezahlen
bereit sind. So ein Gespräch gab es auch mit
Arie van Lent, obschon wir wussten, der marschiert
gleich vom ersten Tage an beim Training vorneweg,
wird sich der Operation Aufstieg annehmen. Es gibt
für Arie nur Rot-Weiss Essen und der pflügt
hier den Platz um.
Jawattdenn.de:
Sie sprachen gerade vom Einsatz für den Wiederaufstieg.
Wie sind sie mit der Mannschaft nach dem Spiel in
St. Pauli umgegangen?
Olaf Janßen:
Beim Paulispiel hat die Mannschaft gemerkt, dass sie
den letzten Rest aus sich rausquetschen muss, um diese
Gemeinschaft nicht zu gefährden. Damals war Zusammenhalt
gefragt, um das Gebilde aus Trainerstab, sportlicher
Leitung und Mannschaft nicht zu gefährden. Und
die Spieler wollten dieses Gebilde beibehalten. Überhaupt
ist diese Gemeinschaft die größte Leistung,
die der Trainer vollbracht hat. Ich weiß gar
nicht, ob es so was im deutschen Fußball schon
mal gegeben hat, dass 21 neue Spieler geholt worden
sind, und die als Einheit funktionieren. Unabhängig
von der bislang erreichten Punktzahl ist das eine
Meisterleistung.
Jawattdenn.de:
Kürzlich gab es den 13. Heimsieg in Folge, ein
Rekord, der seinesgleichen sucht. Warum wird diese
"Meisterleistung" vom Publikum nicht dementsprechend
honoriert?
Olaf Janßen:
Bei einem Großteil der Fans ist schon der Bazillus
gepflanzt. Jetzt dauert es vielleicht noch ein wenig,
bis der Fan das komplett unterschreibt, was da gerade
passiert. Es dauert ein wenig länger, wenn man
den Fan mit so vielen neuen Situationen konfrontiert,
bis sie dann letzten Endes vollkommen zufrieden sind.
Wenn wir unser Ziel erreicht haben und im kommenden
Jahr nicht wieder von Anfang an mit dem Rücken
zur Wand stehen, wird auch der letzte Fan sagen, dass
es passt. Man merkt vielen Leuten in Gesprächen
an, dass sie eine Mannschaft mit Zusammenhalt und
Qualität erkennen können.
Jawattdenn.de:
Vielleicht gibt es Frust bei vielen, weil sie nach
Identifikationsfiguren suchen …
Olaf Janßen:
Auch das ist ein Fakt. Man kann den Fans nicht irgendwelche
Spieler vorsetzen und dann erwarten, dass die sofort
akzeptiert werden. Die Entwicklung zu einer Identifikationsfigur
dauert Monate oder Jahre. Trotzdem haben wir uns im
Sommer gedacht, es sei gesünder, wenn wir alles
komplett neu aufbauen. Dass uns eine solche Figur
fehlt, ist der Preis für diesen gravierenden
Schnitt. Ali Bilgin ist jedoch einer, der in diese
Rolle reinschlüpfen kann.
Jawattdenn.de:
Können sie der heutigen Mannschaft Zweitligaformat
attestieren?
Olaf Janßen:
Wir haben uns in der letzten Zeit auch ein paar Spiele
aus der zweiten Liga angesehen. Wir müssen keine
Angst haben …
Jawattdenn.de:
Wo sehen sie denn im Falle des Aufstieges Handlungsbedarf?
Olaf Janßen:
Das bleibt vorerst intern. Wir haben mit etlichen
Spielern Optionsverträge geschlossen und werden
den Großteil des Kaders behalten. Es werden
aber sicherlich zwei, drei Ergänzungen oder Verstärkungen
kommen.
Jawattdenn.de:
Ist der Drops gelutscht, wenn wir gegen Kiel und Osnabrück
unsere weiße Weste behalten sollten?
Olaf Janßen:
Es bringt nichts, wenn wir diese Spiele nach Hause
schaukeln, aber danach nichts mehr gewinnen. Auf Grund
der Nachholspiele können wir bestimmte Dinge
nicht selber beeinflussen, sondern müssen uns
in Geduld üben. Aber wenn wir unsere Arbeit machen,
setzen wir den Kontrahenten ein ums andere Mal einen
Stich ins Herz. Machen wir unsere Hausaufgaben, wird
irgendwann zum Zeitpunkt XY für die anderen Teams
keine Möglichkeit bestehen, uns noch abzufangen.
Jawattdenn.de:
Stijn Haeldermans sagte jüngst in einem Interview,
die anderen müssten Platz zwei leider unter sich
ausmachen … Hat er damit etwas dick aufgetragen?
Olaf Janßen:
Nein,
wir haben schon unter Beweis gestellt, dass wir den
besten Kader der Regionalliga haben. Wir haben von
allen Mannschaften die beste Ausgangslage. Was hätte
Haeldermans denn da sonst sagen sollen? Dass wir nicht
mehr absteigen können? Auch Stijn weiß,
dass jede Woche unter Beweis gestellt werden muss,
dass wir zu Recht oben stehen. Es bringt nichts, wenn
die Mannschaft auf den Rasen geht, und sich schon
vorher sagt, wie gut sie doch ist, und wie toll doch
alles ist. So wie die Spieler vom AC Milan im Champions-League-Finale:
Was haben sich die nur in der Halbzeit gedacht? Wie
toll der Tag ist, wie toll das Leben ist und was sonst
nicht noch alles … wie toll die erste Halbzeit
war. Wenn man mit so einer Einstellung rausgeht, dann
fällt auf einmal das erste Tor, dann plötzlich
das zweite, und ruck-zuck werden die Beine schwer.
Aber so ist Fußball. Wer meint, dass er mit
Überheblichkeit weiter kommt, der wird bestraft.
So einfach ist das.
Jawattdenn.de:
Aber wir reden vom so genannten FC Bayern der Regionalliga,
ist ein wenig Arroganz nicht gesund?
Olaf Janßen:
Ich kann das langsam nicht mehr hören. Es war
vor der Saison ein Thema, in der Winterpause, die
gegnerischen Trainer nennen uns durch die Bank als
Titelkandidaten. Die gratulieren sogar schon vorher.
Das macht die Sache nicht einfacher, es nervt eher.
Wir können uns dafür nichts kaufen. Vielleicht
ist es auch ein wenig Schutz, wenn der Trainer schon
vorher sagt, in Essen können wir nichts reißen.
In Wirklichkeit stellen die doch ihre Mannschaft so
ein, dass sie hier für eine Überraschung
sorgen sollen. Für viele Gegner ist das Spiel
in Essen das Spiel des Jahres, da rennen die Spieler
so lange, bis sie umfallen.
Jawattdenn.de:
Kommen die gegnerischen Teams mit einem Kloß
im Hals zur Hafenstraße?
Olaf Janßen:
Wir haben uns den Respekt der anderen Mannschaften
erarbeitet. Unsere Heimserie trägt einiges dazu
bei. Wenn wir unser Spiel von Anfang an umsetzen können,
merkt der Gegner gleich, dass es hier besonders schwer
ist.
Jawattdenn.de:
RWE hat jetzt 59 Punkte. Wieviel Zähler fehlen
noch für den Aufstieg?
Olaf Janßen:
In den letzten Jahren war der Titelkampf anders als
in diesem Jahr. Dass sich aus dem Kreis der Aufstiegsanwärter
gleich drei Mannschaften bis zum Saisonende verabschieden
werden, ist schon fast auszuschließen. Ich hatte
irgendwann mal 75 gesagt. Das ist zwar eine ganze
Menge, aber ob es reicht, kann ich nicht sagen.
Jawattdenn.de:
Wenn wir Essen mit Frankfurt oder Köln vergleichen,
welches Potenzial hat dann der Club?
Olaf Janßen:
Viele können das Gerede vom schlafenden Riesen
aufgrund fehlender Erfolge schlichtweg nicht mehr
hören. Dabei muss man sich nur die Eckdaten genauer
anschauen. Essen hat einen Fankern von 10.000 Zuschauern
in der dritten Liga. Mit uns arbeiten inzwischen Sponsoren
zusammen, da würden sich andere Clubs die Finger
nach lecken. Wir reden hier von Fakten und nicht von
Träumereien. Wenn die Mannschaft wieder Erfolg
hat, wird auch das Gerede vom schlafenden Riesen endlich
aufhören. Denn dann wird dieser einfach erwachen.
Jawattdenn.de:
Danke für das Gespräch, Herr Janßen.
Das Interview führten Frank Schulz und Tim Zähringer