"Helden von einst" Teil II
Jawattdenn.de:
Schlägt ihr Herz dennoch rot-weiss??
Frank Mill:
Ja natürlich! Ich bin doch bei diesem Verein
groß geworden. Die Jugendmannschaften eingerechnet,
habe ich sieben oder acht Jahre für RWE gespielt.
So etwas hast du in dir drin, oder eben nicht.
Jawattdenn.de:
Spieler wechseln heutzutage ihre Vereine so oft wie
die Unterwäsche, kann man da immer noch von Herzensangelegenheiten
sprechen?
Frank Mill:
Ich meine nicht irgendwelche x-beliebigen Spieler,
sondern ich rede von Leuten, die in dieser Stadt hier
groß geworden sind. Dortmunder sind Dortmunder,
Gelsenkirchener sind Gelsenkirchener und so ist das
nun mal. Aber hier in Essen passiert nichts.
Jawattdenn.de:
Essen war vergangenes Jahr Zweitligist, da kann man
doch nicht sagen, hier würde nichts passieren.
Frank Mill:
Nein, so war das nicht gemeint. Teilweise spielt die
Mannschaft ja recht guten Fußball.
Jawattdenn.de:
Wie oft sind sie denn im Georg-Melches-Stadion?
Frank Mill:
In den letzten fünf Jahren war ich vielleicht
zwei oder drei mal da. Ich gehe ohnehin nicht gerne
ins Stadion, zumal ich am Wochenende auch selber regelmäßig
spiele.
Jawattdenn.de:
Woher kommt diese Abneigung? Sind sie als ehemaliger
Spieler bei RWE nicht gern gesehen?
Frank Mill:
Ich würde es eher so formulieren, dass es den
Verantwortlichen scheißegal ist. Sonst wären
andere, abgesehen von mir, auch mal hin und wieder
dort. Glauben sie, das beispielsweise ein Matthias
Herget zum Fußball an die Hafenstraße
geht, oder irgendwer anderes?
Jawattdenn.de:
Das ist jetzt schwierig zu beurteilen. Allerdings
wurden in der Vergangenheit doch schon ehemalige Spieler
an der Hafenstraße gesichtet. Hier spreche ich
zum Beispiel Spieler wie Erwin Koen an. Oder jemanden
wie Willi Landgraf! Die müssten ihnen doch eigentlich
etwas sagen.
Frank Mill:
Doch, natürlich kenne ich Erwin Koen, das ist
doch der mit dem linken Hammer. Und selbstverständlich
ist mir Willi Landgraf ein Begriff. Aber warum sind
es so wenige? Oder sind diese beiden Spieler die einzigen
Ehemaligen bei Rot-Weiss? Paul Nikelski zum Beispiel,
den kenne ich auch noch. Von dem weiß man, dass
er noch dort hingeht.
Jawattdenn.de:
Haben sie denn überhaupt noch guten Kontakt zu
ihren ehemaligen Mannschaftskameraden aus ihrer Essener
Zeit?
Frank Mill:
Natürlich
mit vielen sogar. Viele von Ihnen arbeiten mit mir
zusammen für meine Fußballschule, davon
gibt es inzwischen bundesweit 43 an der Zahl. Unser
Prinzip läuft folgendermaßen: Ehemalige
Profis trainieren die Kinder, und einmal in der Woche
kommt ein aktueller Spieler als Stargast. Zu unserem
Trainerstab gehören ehemalige Profis wie Frank
Benatelli, Matthias Herget, Holger Fach sowie Dietmar
Klinger, um hier mal einige Namen aufzuzählen.
Ebbe Sand war beispielsweise letztes Jahr an unserem
Standort in der Bäuminghausstraße als Stargast
vertreten, dann Spieler wie Waldoch, Asamoah, Klasnic.
Unsere Schulen sind in ganz Deutschland unter dem
Name „Kids
Active“ vertreten. So etwas ist natürlich
für die Kinder ein Highlight.
Jawattdenn.de:
Die Fußballschulen scheinen sie auszulasten.
Haben sie überhaupt keine Ambitionen, bei irgendeinem
Bundesligaclub zu trainieren?
Frank Mill:
Nein, habe ich nicht. Obschon ich die A-Lizenz besitze.
Jawattdenn.de:
Oder liegt das eher an mangelnden Angeboten?
Frank Mill:
Ich hatte ein paar Anfragen aus der Oberliga. Ich
hätte auch mehrfach die Möglichkeit gehabt,
irgendwo in der 2. Liga als Manager zu arbeiten. Aber
das alles interessiert mich, ehrlich gesagt, nicht
besonders.
Jawattdenn.de:
Fehlt ihnen nicht das Rampenlicht?
Frank Mill:
Ob mir das Rampenlicht fehlt? (lacht) Im Gegenteil.
Ich bin ohnehin eher der zurückhaltende Typ Mensch.
Jawattdenn.de:
Sie wirken aber gar nicht so.
Frank Mill:
Ja, das sagen die meisten. Aber ich muss nicht unbedingt
im Fernsehen sein. Ich muss auch nicht unbedingt Interviews
geben (lacht). Ich brauche auch nicht die Aufmerksamkeit
einer Kamera.
Jawattdenn.de:
Sie
waren mal vor einigen Jahren als Gast im Publikum
bei TV Total, als Stefan Raab sie im Studio bemerkte
und sie mit Fragen löcherte. Damals wirkte es
fast so, als wäre ihnen das peinlich gewesen.
Zumal auch Fragen zu ihrer wohl bekanntesten Aktion
als Fußballer aufkamen, als sie in München
frei vor dem Tor stehend den Ball an den Pfosten hämmerten…
Frank Mill:
Ja, sie haben Recht, aber Stefan Raab hat es nicht
böse gemeint, er war sehr überrascht, weil
er mich im Publikum dort entdeckt hatte. Nachher hatten
wir noch jede Menge Spaß…
(Anmerkung: einen Videostream des Auftritts gibt
es beim Klick auf das Bild)
Jawattdenn.de:
Eigentlich wollte ich eher auf diese Situation in
München hinaus…
Frank Mill:
Ja, ich weiß genau wovon sie reden! Es war mein
erstes Spiel für Dortmund. Ich hatte bei unserem
2:2 ein Tor vorbereitet, doch alle Welt spricht selbst
heute noch nur von diesem einen Pfostenschuss. Mittlerweile
ist das eine lustige Geschichte in meiner Biographie
geworden, denn selbst Otto Normalverbraucher sieht:
„Schau an, dem Mill ist das auch passiert.“
Das macht einen eher sympathischer. Um ehrlich zu
sein, es ist ja wirklich eine Lachnummer, wenn man
aus einem Meter den Pfosten trifft. Das ist ein typisches
Beispiel dafür, wenn Fußballer in ihrem
Leben mal einmal etwas anderes ausprobieren wollen,
als das, was sie eigentlich können. Ich hätte
einfach nur das machen sollen, was ich immer gemacht
habe: den Ball mit der breiten Seite einfach in die
Mitte hämmern. Aber nein, ich wollte Jean-Marie
Pfaff ins leere Tor fliegen lassen.
Jawattdenn.de:
Sie haben während ihrer Profikarriere neunzehn
Mal für die Nationalmannschaft gespielt und wurden
1990 in Italien sogar Weltmeister…
Frank Mill:
Das mit der WM ist doch Eierkram. Ich hab doch gar
nicht gespielt…
Jawattdenn.de:
Eierkram? Wie viele Spieler können von sich behaupten,
Weltmeister gewesen zu sein?
Frank Mill:
Es
war eine schöne Sache, natürlich. Ich sehe
aber nicht, dass ich jetzt Großartiges geleistet
hätte. Ich war wichtig für die Mannschaft,
ich habe die Truppe zusammengehalten, das war meine
Leistung. Wir hatten immer eine gute Kameradschaft.
Wir haben viel gelacht, das war einer der Gründe,
warum wir Weltmeister geworden sind. Wir hatten nie
Theater und natürlich mit Franz Beckenbauer einen
super Trainer. Wenn wir abends beispielsweise gefragt
haben: „Berti Vogts, wie lange können wir
heute raus“, sagte der meistens: „Ja so
um Mitternacht müsst ihr wieder hier sein.“.
Kaum war Berti außer Reichweite, kam der Franz
um die Ecke und meinte: „Jungs, seht einfach
nur zu, dass die Journalisten euch morgen früh
nicht sehen!“ Selbstverständlich ging so
etwas nicht vor einem wichtigen Spiel.
Jawattdenn.de:
Also ist Franz Beckenbauer kein „Suppenkasper“,
wie ihn ein anderer Nationalspieler mal beschrieb?
Frank Mill:
Ach (lacht), der Franz ist wirklich in Ordnung. Der
Mann ist immer höflich, selbst wenn die Leute
auf ihn zugehen oder Kinder Autogramme wollen, er
sagt nie „Geh weg“, „Keine Zeit“
oder so was in der Art. Es ist schon faszinierend,
wie er mit der ganzen Sache umgeht. Den Mann kennt
ja wohl wirklich jeder. Ich habe sogar noch selbst
gegen Franz Beckenbauer gespielt. Unser damaliger
Trainer Hermann Erlhoff sagte mir vor dem Spiel „Jedes
mal, wenn der Franz über die Mittelinie geht,
deckst du ihn!“ Und ich war stolz und habe ihn
nur angeguckt. Dachte mir: „Da ist der große
Franz.“ Und er konnte machen, was er wollte.
Jawattdenn.de:
Konnte er das nicht ohnehin?
Frank Mill:
Ja sicher, aber ich hatte einen Heidenrespekt. Nie
hätte ich mir gedacht, „dem haust du jetzt
einen auf die Socken“ oder so. Ich war damals
17 und habe noch Fußballbilder gesammelt.
Jawattdenn.de:
Wenn sie auf ihre Karriere zurückblicken: Würden
sie alles wieder so machen wie damals?
Frank Mill:
Nein, eine Sache würde ich anders machen: Ich
würde definitiv ins Ausland wechseln. Mir lagen
zwei Angebote vor, von AC Mailand und Hellas Verona,
zu der Zeit, wo Hans Peter Briegel dort spielte und
die Mannschaft gleich im selben Jahr italienischer
Meister wurde. An meiner Stelle haben die damals Preben
Elkjaer Larsen verpflichtet. Ich hätte eine Menge
Geld verdienen können.
Jawattdenn.de:
Abschließende Frage, Herr Mill: Wo landet das
deutsche Team bei der nächsten Weltmeisterschaft?
Frank Mill:
Es wird eine relativ gute Rolle spielen und unter
die letzten Acht kommen. Pauschal zu sagen, wir werden
Weltmeister, wäre vielleicht ein wenig zu weit
gegriffen. Neulich habe ich allerdings in einer Talkrunde
aus Trotz gesagt, wir holen den Titel, da alle anderen
in der Runde andere Mannschaften auf der Rechnung
hatten. Ich bin dann hergegangen und habe gesagt:
„Leute, ich bin Deutscher, dann ist es doch wohl
normal, dass ich zur deutschen Mannschaft halte.“
Es wäre ja fatal, nicht zu seinem Heimatland
zu halten.
Jawattdenn.de:
Dann
möchten wir doch noch eine Frage hinterher schieben.
Kann man im Umkehrschluss hergehen und sagen, dass
sie als gebürtiger Essener den Rot-Weissen langfristig
Erfolg gönnen?
Frank Mill:
Natürlich kann man das so sagen! Ich wünsche
dem Verein sogar, dass er irgendwann mal wieder in
der 1. Bundesliga spielen kann. Allerdings glaube
ich nicht, dass dies in naher Zukunft im Bereich des
Möglichen liegt.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das Gespräch Herr Mill.
Das Interview führten Frank Schulz und Marcel
Rotzoll