12.12.2020

Die Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks

von Hendrik Stürznickel

Es ist das mittlerweile bekannte Bild. RWE feiert einen Dreier und hat eine Serie von 12 Jahren durchbrochen, in denen die Essener in Lotte nichts Zählbares mitnehmen konnten. Diese enorme Kontinuität ist die Sensation. Nach 19 Spielen hat RWE satte 47 Punkte gesammelt, das ist eine Mannschaftsleistung, die wohl kaum ein Anhänger sich erträumt hat. Gleichzeitig gilt es trotz dem Dortmunder Stolperer in Homberg die Konzentration nicht zu verlieren.

Christian Neidhart präsentiert sich so kurz vor Weihnachten nicht als Fan von Überraschungen und schickte so zum dritten Mal dieselbe Aufstellung am Autobahnkreuz ins Rennen. Auch wenn alles nach Kontinuität aussah, erkennt man allerdings an vielen Stellschrauben, dass der Trainer stark an den Schwächen der Mannschaft gearbeitet hat, aber dazu später.

Wer geglaubt hat, dass sich die Sportfreunde – wie so viele andere Teams – hinten verschanzen würden, um RWE den Punkt abzuluchsen, sah sich schon in den ersten Minuten getäuscht. Die Sportfreunde setzten die Hintermannschaft von Rot-Weiss bereits am eigenen Strafraum unter Druck und schaltete beim Ballgewinn blitzschnell um. Man muss es ganz deutlich sagen. Die Qualität, mit der die Sportfreunde Lotte über die 90 Minuten auftraten spiegelte den Tabellenplatz nicht im Geringsten wider. Sollte es kein leistungsmäßiger Ausreißer gegen die Rot-Weissen gewesen sein, sollte Lotte sich noch locker von den Abstiegsrängen absetzen können.

Nachdem sich insbesondere Dennis Grote und Sandro Plechaty nach einer Viertelstunde an die aggressive Gangart der Sportfreunde gewöhnt und darauf eine Antwort gefunden hatten, baute RWE sukzessive immer mehr Druck auf. Ein erstes Lebenszeichen setzte dann Oguzhan Kefkir (16.), der aus über 20 Metern eine Lücke sah und ein ordentliches Pfund hinter den Ball brachte. Torwart Jhonny Peitzmeier war wahrscheinlich froh, dass der Ball über die Latte ging, denn es sah nicht so aus, als wäre er da noch drangekommen, auch wenn Kefkir vehement einen Eckball forderte.

Vier Minuten später durfte in Essener Wohnzimmern wieder gejubelt werden. Ausgangspunkt war ein Einwurf von Kefkir und eine sich daran anschließende Flanke von ihm, die von der Lotter Abwehr nicht konsequent geklärt wurde. Halbrechts vor dem Strafraum kam Dennis Grote an den Ball und schickte Simon Engelmann an die Grundlinie. Der Knipser zeigte, dass er auch als Vorbereiter auftreten kann und setzte eine Flanke auf den Kopf von Daniel Heber, der nur noch seinen zweiten Saisontreffer einnicken brauchte. Nach der Führung erhöhte Lotte das Tempo zwar, aber die RWE-Hintermannschaft behielt meistens die Oberhand. Allerdings merkt man an seltenen Unkonzentriertheiten, dass die Viererkette auf dem Zahnfleisch geht. Ali Hahn, Daniel Heber und Sandro Plechaty sehnen wahrscheinlich wie kein anderer im Team die kurze Winterpause herbei.

Danach gab es, wie in den letzten beiden Spielen auch, noch was fürs Auge. Wieder ging Daniel Heber in die Lotter Hälfte verlor aber beim Doppelpass mit Isaiah Young den Ball. Beim Kampf um den Ball prallte dieser auf Marco Kehl-Gomez, der den Ball sofort ans linke Strafraumeck weiterschob. Dort stand Cedric Harenbrock und hielt einfach drauf. Ein Schuss wie ein Strahl flog direkt in den Winkel. Da gab es für Peitzmeier aber mal gar nichts zu halten und der einstige Pechvogel Harenbrock markierte seinen mittlerweile vierten Saisontreffer.

Natürlich war RWE maximal effizient, denn die beiden besten Chancen saßen auch gleich. Andererseits waren es auch wirklich die beiden besten Chancen des Spiels, sodass sich Lotte auch nicht beschweren konnte. Insgesamt beherrschte RWE trotz der starken Leistung der Sportfreunde das Spiel.

In der zweiten Halbzeit konzentrierte sich RWE vor allen Dingen darauf, das Spiel zu verwalten. Die beste Chance hatte dieses Mal Lotte. Doch Daniel Davari parierte den strammen Schuss von Leon Demaj. Es ging in erster Linie um Belastungssteuerung. Christian Neidhart nahm frühzeitig Leistungsträger (Harenbrock, Engelmann, Grote, Young) vom Platz, um diese für die nächste Aufgabe zu schonen. Es sollte aber auch nicht mehr viel anbrennen und so feierten die Rot-Weissen ihren 14. Saisonsieg. Gleichzeitig macht sich niemand davon frei, mit einem Auge auf die Verfolger zu schielen. Der BVB II kam nicht über ein 0:0 in Duisburg-Homberg hinaus, die beiden Kölner Vereine spielten jeweils Unentschieden und Düsseldorf II verlor sogar in Rödinghausen. Der Abstand zu den drittplatzierten Düsseldorfern beträgt bereits 16 Punkte.

Das könnte zur Entspannung beitragen, wenn nicht der BVB den Rot-Weissen weiterhin im Nacken sitzen würde. Auch wenn der Punktequotient mittlerweile hauchdünn auf der Seite der Essener ist, kann der BVB, wenn er alle Nachholspiele gewinnt, mit einem Vorsprung von einem Punkt an RWE vorbeiziehen. Deswegen muss die Mannschaft auch beim letzten Heimspiel gegen Wegberg-Beeck das machen, was sie zuletzt mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks gemacht hat: Gewinnen. Christian Neidhart schafft es immer wieder, die Mannschaft nicht abheben zu lassen und die Gegner zu unterschätzen. Gelingt dies in der kommenden Woche ebenfalls und kann RWE seine Qualitäten erneut ausspielen, würde die Hafenstraße mit 50 Zählern in die Winterpause gehen. Was ein Brett!