26.11.2020

Wuppertal weggehauen! Jetzt Aachen verhauen!

von Redaktion

Die Schlagzeile klingt martialisch und zeugt von der guten Stimmung rund um die Hafenstraße 97 A, die derzeit aufgrund der sportlich überzeugenden Performance der Neidhart-Jungs existiert und den Corona-Blues ein wenig zu mildern versteht. Und das, obwohl im Westschlager gegen den WSV mit dem positiv auf Corona getesteten Stammkeeper Daniel Davari und dem ebenfalls in Quarantäne befindlichen Felix Backszat RWE erstmals direkte Corona-Auswirkungen auf das eigene Personal zu verkraften hatte.

Der 6:1 Kantersieg über Wuppertal war ein weiterer Mosaikstein für die derzeitige Rekordjagd der Jungs von der Hafenstraße. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit soll auch am kommenden Sonntag beim nächsten Westderby bei Alemannia Aachen aufrechterhalten werden. Dass die Alemannia etwas dagegen haben und alles reinwerfen wird, um Essen in die Suppe zu spucken, versteht sich dabei von selbst.

Die puren Zahlen belegen, bei Rot-Weiss Essen läuft es nicht nur momentan, sondern bereits seit geraumer Zeit sehr gut. Wie schon einmal von uns erwähnt, war eine RWE-Mannschaft seit der Saison 1991/92 nicht mehr so lange nach Saisonstart noch ohne Niederlage. Gestern reihte man außerdem den sechsten Heimsieg in Folge aneinander. Das ist RWE-Rekord seit der Spielzeit 2005/06. Von den 15 Heimerfolgen in Serie, die Rot-Weiss im Aufstiegsjahr in die Zweite Liga unter Uwe Neuhaus feiern konnte, ist man allerdings noch ein Stück weit entfernt. Der Punkteschnitt von 2,466 ist überragend. Er ist hier auf drei Stellen nach dem Komma erfasst um zu verdeutlichen, auch im Quotienten hätte Rot-Weiss derzeit hauchdünn die Nase vorn vor dem BVB II, der sich mit 2,461 begnügen muss. Mit nur 7 Gegentreffern stellen die Essener auch die beste Abwehr der Liga, in der Offensive regelte Simon Engelmann in dieser Spielzeit bislang 14 Mal, ebenfalls Ligabestwert. In der Summe ist es somit nicht verwunderlich, dass Rot-Weiss Essen von ganz oben in der Tabelle grüßt.

Auch war der gestrige Spieltag wie gemalt für RWE. Nicht nur, dass die einzig wahren Roten auch im 15. Saisonspiel nicht zu schlagen waren, nun ist Rot-Weiss auch die einzige Mannschaft der Regionalliga West, die dieses Etikett tragen darf. Die U23 des BVB unterlag dem SV Rödinghausen nicht unverdient mit 1:2, sodass RWE nun 5 Punkte Vorsprung vor der Maaßen-Elf besitzt, die freilich noch immer zwei Spiele gegenüber Essen in der Hinterhand hat, nun aber selber Tabellendruck spürt. Auch Preußen Münster unterlag im Verfolgerduell bei Fortuna Köln mit 0:2. Satte 8 Punkte trennen die Münsteraner nun von RWE, ganze 11 Zähler hat Fortuna Köln trotz des Erfolges Rückstand auf den Spitzenreiter. Die Saison ist hoffentlich noch lang. Der Liga-Trend weist aber darauf hin, dass außer RWE nur zweite Mannschaften ein Wort um den Aufstieg mitsprechen könnten. Neben Dortmund ist auch noch Düsseldorfs U23 in Lauerstellung. Vor allem dann, wenn sie ihre Nachholbegegnung gegen die Borussen kurz vor Weihnachten siegreich gestalten würde.

Ein Spiel wie gegen den WSV gestern kann ein RWE-Anhänger eigentlich nur genießen. Es war der höchste Erfolg seit gut 2 Jahren. Damals wurde ebenfalls Wuppertal hoch aus dem Stadion Essen geschossen, und zwar mit 1:5 in der Saison 2018/19. Die Bergischen haben aus ihren letzten beiden Auftritten an der Hafenstraße eine Schreckensbilanz von 2:11 Toren aufzuweisen. Als Nächstes erfreute sich der Anhang der Simon-Engelmann-Show. Die in Fankreisen aufgekommene Kritik, Engel würde noch nicht an seine Torquote aus Rödinghausen heranreichen, konterte der Torjäger auf unnachahmliche Weise. Nach dem frühen Rückstand glich Engelmann zunächst für seine Farben zum 1:1 aus. Nur wenige Minuten erfreute sich der Gast an der Führung. Dann legte Cedric Harenbrock, der zuvor von Grote mustergültig in Szene gesetzt worden war, den Ball zurück auf den linken Schlappen des Torjägers, der die Kugel humorlos im WSV-Kasten versenkte.

Nach nur 23 Minuten hatte Rot-Weiss das Spiel bereits ganz gedreht. Nach einer Ecke kam es zu einem ordentlichen Gewusel im Wuppertaler Strafraum, bei dem letztlich Isaiah Young die Übersicht behielt und den Ball zu Engelmann weiterleitete, der von links in der Box den Ball direkt ins lange Eck schlenzte. Das Tor hatte gewisse Ähnlichkeit mit dem, was der Italiener Fabio Grosso gegen die deutsche Mannschaft im Halbfinale der WM 2006 erzielte und das deutsche Sommermärchen beendete. Zu einem WSV-Wintermärchen kam es erst gar nicht. Eher zu einem Gruselmärchen. Nach dem zwischenzeitlichen 3:1 für RWE durch Dennis Grote bewies Engelmann, dass ein Torjäger eben das gewisse Etwas hat und den Ball einfach nur irgendwie treffen muss, damit dieser dennoch unhaltbar einschlägt.

So geschehen beim 4:1 nach 70. Minuten, das die Gäste endgültig erledigte. Nach diesen drei gekonnten Einschlägen folgte ein klassischer Abstauber in Gerd-Müller-Manier, als Engel ein Pfostenschuss von Harenbrock als Abpraller vor die Füße rollte. Es scheint, als habe Essens Nummer 11 für solche Situationen einen eingebauten Peilsender, der ihn immer an die richtige Stelle führt. Die Ligabilanz lautet nun 14 Tore aus 15 Partien, ein Toreschnitt von 0,93. Vier Tore in einem Spiel gelangen für RWE davor zuletzt Sascha Mölders, der im Spiel gegen die Zweitvertretung von Mainz 05 im November 2008 seinen Torepack dabei sogar in einer einzigen Halbzeit schnürte. Zur Essener Glückseligkeit durfte auch Marcel Platzek noch einnetzen, bzw. einen Wuppertaler zu einem Eigentor zwingen, das Platzo aber dennoch gutgeschrieben wurde. Ein halbes Dutzend Tore gegen einen alten Rivalen, was will man mehr?

Es war aber so, dass Rot-Weiss noch nicht einmal sein bestes Spiel machte. Das frühe 0:1 nach 6 Minuten war eine Kopie des ebenso frühen Rückstandes gegen RW Ahlen. Die Essener schienen noch gar nicht richtig auf dem Platz gewesen oder mit ihren Köpfen noch beim gerade zu Ende gegangenen Spiel zwischen Dortmund und Rödinghausen zu sein. Die Gäste spielten sich gekonnt durch die weit aufgerückte, aber nicht zupackende Abwehr hindurch und Marwin Studtrucker bediente Ametov im genau richtigen Moment, der frei vor Golz keine Nerven zeigte. Ärgerlich für den Davari-Vertreter, der nach gut 8 Monaten Pause in der Liga sofort hinter sich greifen musste, jedoch auch absolut chancenlos war. Ansonsten rettete der Youngster den Roten unmittelbar nach Wiederanpfiff die Führung, als er einen Freistoß von Torschütze Ametov aus bester Position aus dem Torwart-Eck fischte.

Der Freistoß war brandgefährlich und unnötig, da Young sich zuvor sorglos die Kugel stibitzen ließ und der Schiedsrichter den folgenden Zweikampf an der Strafraumkante zwischen Daniel Heber und seinem Gegenspieler als Foul des Esseners wertete, das obendrein mit Gelb sanktioniert wurde. Im Gefühl des sicheren Sieges ließ RWE später zudem noch zwei WSV-Konter zu, von denen einer im Grunde zum Tor hätte führen müssen, Marzullo ließ die Großchance aber liegen. Insbesondere in der ersten Halbzeit wirkten die Roten nicht immer völlig konzentriert, der WSV hielt vorerst mit Aggressivität und Leidenschaft dagegen. Das sah auch Chefcoach Neidhart so und goss in seiner Spielnachbetrachtung etwas Wasser in das Siegesstauder. Das erscheint zwar insgesamt als Luxuskritik. Es zeigt aber auch, dass auch RWE nicht gefeit davor ist, dem Gegner Gelegenheiten zu eröffnen, die unter Umständen auch mal schwerwiegendere Folgen haben könnten.

Am Sonntag geht es zum Westschlager nach Aachen. Ein Kuriosum stellt dar, dass die Alemannen am Sonntag erst ihr zwölftes Spiel insgesamt und dabei aber schon ihr zehntes Heimspiel auszutragen haben. Zahlreiche Auswärtsspiele fielen Corona zum Opfer. Die Alemannia hatte einen guten Saisonstart hingelegt und war perspektivisch aussichtsreich positioniert. Dann sorgten die Spielausfälle offenbar für Langeweile und Lagerkoller am Tivoli. Es war von einem Spieleraufstand gegen Chefcoach Vollmerhausen die Rede, zudem zog sich der Hauptsponsor öffentlichkeitswirksam bereits jetzt für die kommende Saison zurück und sägte ebenfalls laut am Trainerstuhl. Pikant. Derart harmoniegestärkt lief es zuletzt fast gar nicht mehr. 0:1 gegen Fortuna Köln, 0:0 gegen den 1. FC Köln II und 0:1 in Lotte lauten die drei letzten Resultate. So haben sich die Aachener wohl etwas selber aus dem Spiel genommen.

Bei der Pleite in Lotte sah zudem Kapitän und Abwehrchef Alexander Heinze den roten Karton und fehlt gegen Essen ebenso wie der etatmäßige Rechtsverteidiger Robin Garnier, der eine Gelbsperre absitzen muss. So erscheint die Abwehr der Gastgeber ziemlich auseinandergerissen und RWE dürfte die Chance auf einen wichtigen und prestigeträchtigen Auswärtsdreier wittern. Aber Vorsicht! Am Tivoli hängen die Trauben für Rot-Weiss in der Regel hoch und unterschätzen darf das Neidhart-Team seinen Kontrahenten auf keine Fälle. Anderenfalls könnte es tatsächlich erneut Alemannia Aachen sein, das eine beeindruckende RWE-Serie stoppen könnte. In der eingangs bereits erwähnten Spielzeit 1991/92 war es nämlich die Alemannia, die Essens Niederlagenlosserie stoppte und RWE nach zuvor 19 ungeschlagenen Ligapartien mit 0:2 nach Hause schickte. Die Zahl 19 hat RWE saisonübergreifend gerade ebenfalls stehen, was wir bereits vor dem Wuppertal-Spiel etwas vorschnell vermeldeten. Ist das ein schlechtes Omen? Ob abergläubisch oder nicht, wird allen voran wohl Hamdi Dahmani nur zu gern für eine RWE-Pleite sorgen wollen, kam der vor der letzten Saison als einer der Toppneuzugänge bei Rot-Weiss angesehene Deutsch-Tunesier doch an der Hafenstraße leider nie richtig an. Der Wechsel zum Tivoli hat Hamdi offenbar gutgetan, dort hat er schon 5 Treffer erzielt.

RWE wird diese Vorzeichen zu deuten wissen und erneut seine Qualität unter Beweis stellen wollen. Im Fernduell mit dem BVB II, der zeitgleich bei Bergisch Gladbach eine vermeintlich niedrigere Hürde zu überspringen hat, haben die Roten gerade richtig Fahrt aufgenommen und werden ihre Bremsbeläge in dem Traditionsduell nicht strapazieren wollen. Die Tatsache, dass Fußball aktuell und noch auf unbestimmte Zeit vor leeren Rängen gespielt wird, dürften die Essener ausnahmsweise am Sonntag nicht bedauern. In Aachen stünde ansonsten eines der wenigen echten Auswärtsspiele für RWE an, denn die Alemannia weiß ein lautstarkes und treues Publikum hinter sich.

Für beide Fangruppen gibt es das Spiel live ins heimische Wohnzimmer zu streamen. Beim Anbieter Airtango, etatmäßiger Streampartner der Gastgeber, ist das Einzelticket für 7,90 € buchbar. Dadurch wird der Alemannia sicherlich eine nette Einnahme aus Essen beschert werden. Sportlich soll es aber keine Gastgeschenke an die Aachener geben, RWE wird reinhauen und Aachen verhauen wollen. Zumindest mit Toren. Denn wie wir wissen, ist Essen ansonsten eine Mannschaft mit himmlischen Spielern und einem wahren Engelmann. Ob der auch gerne Printen verspeist, wird sich zeigen.

NUR DER RWE!

Sven Meyering