03.09.2020

Gegen die Doppelstädter über die erste Aufstiegsbrücke gehen

von Redaktion

Ab jetzt gilt es! RWE hat sich mit dem Sieg im Niederrheinpokal den ersten Titel der Saison geholt und die wichtige Teilnahme an der ersten DFB-Pokalhauptrunde gesichert. Ab Samstag geht es nun endlich um Meisterschaftspunkte. Der große Aufstiegsfavorit aus dem Revier empfängt den Aufsteiger aus dem beschaulichen Wiedenbrück in Ostwestfalen. Da stehen die rot-weissen Vorzeichen natürlich klar auf Sieg. Und gerade deshalb muss man besonders gewarnt sein, denn - Achtung, ein Fünfer für das Phrasenschwein - die einen (RWE) haben besonders viel zu verlieren, die anderen (SCW) können fast nur gewinnen.

Welch ein Kontrastprogramm zum Saisonauftakt des Vorjahres. Vor über 14.000 Besuchern rang RWE damals in der Schlussphase den BVB 2 nieder, mit dem Schlusspfiff verwandelte Alex Hahn einen Strafstoß zum Sieg, was Essens Anhang an einem brüllend heißen Juliabend in südländische Ekstase versetzte. Bekanntlich ist nun vieles anders. Corona bedingt werden die RWE-Fans am Samstag in der überwiegenden Mehrheit den Saisonauftakt am heimischen Smart-TV verfolgen. Mit dem Erwerb einer Dauerkarte sichert sich ein Fan den Zugang zum vom Verein in Zusammenarbeit mit Soccerwatch angebotenen Livestream. Stand 01.09 haben 3060 Dauerkartenbesitzer der Vorsaison vom sogenannten „RWE-DoppelPass“ Gebrauch gemacht. Eine stolze Zahl, wenn auch noch signifikant entfernt von den bis zu 5000 Tickets, die der Verein sich abzusetzen erhofft.

Die Botschaft ist klar, das direkte Stadionerlebnis wird von den Fans natürlich präferiert, zusätzlich haben die Fankurven ein Problem damit, dass bei Stadionöffnung Teile der Zuschauer auch ausgesperrt bleiben, solange die Infektionsschutzmaßnahmen zumindest in diesen Bereichen strenge Anwendung finden. Virtuelle Unterstützung wird es von der Westkurve geben, dort können zumindest Zaun- und Fanclubfahnen aufgehängt werden. Derweil hält Corona die Liga bereits wieder im Würgegriff. Das Auftaktspiel von Nachbar RWO gegen Aufsteiger Wegberg-Beeck musste bereits abgesagt werden, weil sich im Umfeld eines Oberhauseners Akteurs ein entsprechender Fall befindet. Da stehen wohl nicht nur den Spieltagsplanern schon wieder Schweißperlen auf der Stirn.

Noch nie startete die Liga so spät, noch nie gingen so viele Mannschaften an den Start und folglich noch nie gab es so viele Partien auszutragen. Nimmt man noch die zu erwartenden witterungsbedingten Spielausfälle hinzu, drohen dann im Frühjahr ultraenglische Wochen und ein Tabellenbild, gegen das der schiefe Turm von Pisa förmlich kerzengerade sein wird. Das alles trübt die Vorfreude auf eine Saison, die dennoch gerade in Essen mit heißem Herzen erwartet wird und ebenso großen Erwartungen verbunden ist. Von daher gilt es zunächst einmal, sich auf den Gegner aus Wiedenbrück zu fokussieren.

Vergleiche aus der Vorsaison fehlen, die Emsstädter hatten am Ende der Spielzeit 2018/19 den Gang die Oberliga Westfalen antreten müssen, standen jedoch zum Zeitpunkt des Saisonabbruchs im Frühjahr auf dem Tabellenplatz an der Sonne, sodass der Abschied nur ein einjähriges Intermezzo gewesen ist. Die Regionalliga West ist für unseren RWE leider längst kein Zwischenspiel mehr, sondern langjährige Realität. Das möchte man nun mit vereinten Kräften ändern.

Wiedenbrück zum Saisonauftakt, da war doch was? Gleich zweimal kreuzten RWE und die Ostwestfalen in der jüngeren Vergangenheit im ersten Saisonspiel die Klingen, was sehr gemischte Gefühle hinterließ. Einen Vorgeschmack auf eine Katastrophensaison bekam Rot-Weiss im August 2015. Unter dem jungen Neutrainer Jan Siewert startete RWE wie gewohnt ambitioniert in die Spielzeit 2015/16. In der Vorbereitung hatte man den Lokalrivalen ETB gleich mit 7:0 abgeschossen und dem spanischen Zweitligisten Real Mallorca ein 2:2 abgerungen. Da sollte ein Auftaktsieg gegen den SC Wiedenbrück vor heimischer Kulisse doch im Rahmen des Möglichen liegen. Am Ende hatten sich die Roten eine deftige 0:3 Klatsche auf der Zielgeraden des Spiels eingefangen, die Kamil Bednarski mit seinem Führungstreffer eingeleitet hatte. Auch nach dem Rückspiel in OWL leckte RWE seine Wunden, weil man eine 2:0 Führung in den Schlussminuten noch verspielte, zum Ausgleich traf wiederum Bednarski für Wiedenbrück.

Die gesamte Spielzeit über kam Rot-Weiss nicht richtig in die Spur, geriet sogar in akut zu nennende Abstiegsgefahr, weswegen der restlos überfordert wirkende Jan Siewert Sven Demandt weichen musste, der das angeleckte Schiff dann ans sichere Ufer brachte. Um die Gefahr Bednarski für RWE zu bannen, wurde dieser zur kommenden Spielzeit dann von den Essenern verpflichtet. Wieder lautete der Auftaktgegner Wiedenbrück, diesmal allerdings musste die Roten Auswärts ran. Und erinnern sich daran wesentlich lieber als an die Vorsaison. Mit einem 2:0 Auswärtssieg, einen Treffer steuerte der damalige Rückkehrer Timo Brauer bei, nahm RWE Revanche. Überhaupt kamen beide Mannschaften in den letzten Jahren bei ihrem jeweiligen Gegner besser zurecht als in heimischen Gefilden. Fast regelmäßig siegte RWE in Wiedenbrück, ebenso regelmäßig überraschte der SCW hingegen in Essen. Unter anderem gewann er im Spätsommer 2017 mit 4:2 an der Hafenstraße, kurz darauf erklärte der von einigen Fans schwer angegangene Michael Welling seinen Rücktritt als RWE-Boss. Wir hoffen, das sind keine schlechten Omen für den kommenden RWE-Heimauftritt gegen Wiedenbrück. Die gesamte Fangemeinde glaubt daran, dass RWE ebenso wie im Dezember 2014 zuhause die Oberhand behalten wird, tatsächlich der einzige Essener Heimsieg gegen den SCW.

Alles andere als den zweiten Sieg gegen die Emsstädter aus dem einen Teil der zugleich Doppelstadt Rheda-Wiedenbrück zu feiern, wäre eine herbe Enttäuschung. Die Vorbereitung der Rot-Weissen lief gut, ausnahmslos siegreich und mit insgesamt nur drei Gegentoren aus 8 Spielen in der Vorbereitung inklusive zwei Partien im Niederrheinpokal gestaltete die Neidhart-Elf den saisonalen Vorlauf. Mit Wiedenbrück kommt jedoch nun die neben RWE einzige Mannschaft der Liga zu Besuch, die ebenfalls im DFB-Pokal antreten darf. Im Ausscheidungsspiel des Fußballverbandes Westfalen, das jeweils zwischen dem bestplatzierten westfälischen Regionalligisten sowie dem Meister der Oberliga Westfalen ausgetragen wird, gaben die Emsstädter dem amtierenden Regio-Meister Rödinghausen mit 4:0 ordentlich eins auf den Amigo-Sombrero.

Ein weiteres Indiz dafür, dass es in der kommenden Saison zu einer Wachablösung an der Tabellenspitze der Regio West kommen wird. In diesem Match zeigte der SCW wohl auch bereits die Taktik, mit der er in Essen bestehen möchte. Aus einer starken Defensive heraus zog der Oberligameister seinem Pendant die Zähne, Rödinghausen rannte ohne Effektivität an und fing sich einen Konter über den pfeilschnellen Linksaußen Phil Beckhoff. Fortan fand der Favorit nicht mehr richtig ins Spiel, während Wiedenbrück sich sehr effektiv vor des Gegners Tor zeigte. Diese Medizin möchte der SCW auch den Essenern verabreichen, die gewarnt sein sollten.

Trainer Daniel Brinkmann stapelt naturgemäß aber erstmal tief, was den Auftritt seiner Jungs an der Hafenstraße angeht. Essens Kader habe so viel Qualität, dass RWE eigentlich mit gleich zwei Mannschaften um den Aufstieg spielen könnte, so Brinkmann. Hierin liegt natürlich nicht reine Ehrfurcht vor den Gastgebern, sondern zeigt sich taktisches Kalkül. Wenn man den Druck auf den großen Favoriten noch einmal erhöht, spielt man selber umso leichter auf. Wiedenbrück wird die Punkte nicht kampflos abliefern. Das wird auch Essens Boss Marcus Uhlig wissen, der mit Brinkmann gemeinsam große Erfolge in Bielefeld gefeiert hatte, Uhlig als Geschäftsführer, Brinkmann als Spieler. In der Spielzeit 2014/15 stieg die Arminia von der Dritten in die Zweite Liga auf und erfüllte dabei die Favoritenrolle. Im DFB-Pokal jedoch zeigten sich die Arminen als bissiger Underdog, der vier klassenhöhere Gegner ausschaltete, bis er im Halbfinale der Millionario-Truppe aus Wolfsburg unterlegen war. Im Viertelfinale gegen Gladbach war Daniel Brinkmann zudem unter den erfolgreichen Bielefelder Schützen, die das Elfmeterschießen gegen die Borussia siegreich gestalteten. Mit Sensationen kennt sich der 34-Jährige somit aus und will diese auch als Coach in Essen schaffen.

Genau das will sein Gegenüber Christian Neidhart selbstredend verhindern und einen Favoritensieg feiern. In den letzten zwei Wochen kristallisierte sich dabei auch immer mehr die Anfangsformation heraus, mit der zum Saisonstart zu rechnen sein wird. Im Tor hat sich Routinier Daniel Davari gegen seinen jungen Herausforderer Jakob Golz durchgesetzt. Sowohl im Pokalfinale gegen Kleve als auch im finalen Test gegen den niederländischen Ehrendivisionär FC Emmen hütete Davari das rot-weisse Gehäuse. Gegen Emmen parierte er überdies einen Strafstoß. Christian Neidhart bestätigte am Dienstag, dass RWE mit Davari als Nummer 1 in die Saison starten wird. In der Abwehrformation von RWE wird wohl lediglich Sandro Plechaty ein neues Gesicht auf der rechten Seite darstellen. Das Pendant links dürfte nach wie vor Kevin Grund sein, im Zentrum verteidigen wie gewohnt Daniel Heber und Alex Hahn. In der Mittelfeldzentrale scheint kein Weg am Tripple-Regio-Champ Felix Backszat vorbeizuführen. Kapitän Marco Kehl-Gomez wird ebenso wie Amara Condé den etwas offensiveren Mittelfeldpart spielen.

In der letzten Zone dürfte Oguzhan Kefkir die Flügelzange auf links sowie Joshua Endres den Gegenpart auf rechts darstellen. Hinter Endres steht dabei noch das größte Fragezeichen. Wer im Sturmzentrum auf Simon Engelmann wettet, wird damit keinen zählbaren Gewinn machen können, sowohl Neidhart als auch die Buchmacher dürften sich hier sicher sein. Käme es so, wären vier Neuzugänge im Vergleich zur Vorsaison dabei, die die Qualität der Essener auf dem grünen Rasenrechteck entscheidend steigern können sollten. Daniel Brinkmann hat natürlich nicht ganz Unrecht damit, dass die meisten RWE-Akteure, die nicht das Vertrauen von Anfang an geschenkt bekommen werden, in der Startformation vieler anderer Mannschaften dabei wären. Dennoch, die nächste Fußballphrase, spielen Elf gegen Elf.

Taktisch gesehen wird es für Essen darum gehen, einen dicht gestaffelten Gegner in der letzten Zone auszumanövrieren und die so kreierten Torchancen zu verwerten. Hört sich ebenso einfach wie selbstverständlich an. Doch zumindest in einigen Partien der Vorbereitung zeigte sich bei RWE das alte Problem des Chancenwuchers, weswegen man auch im Niederrheinpokalfinale ein Déj? -Vu erleben musste. Hätte RWE zur Pause mit 3 oder 4:0 geführt, wäre das verdient gewesen, doch man ging mit nur einem Tor Vorsprung in die Pause, den der unterklassige Gegner aus Kleve dann durch einen zweifelhaften Elfer egalisieren konnte. Die Klasse Simon Engelmanns rückte das wieder gerade, doch nach wie vor wünschen sich alle, die es mit RWE halten, mehr Effizienz vor dem Tor bei Engelmanns Nebenleuten. Viel Wert hat Coach Neidhart auf das Defensivverhalten seiner Mannschaft gelegt, die auch wenig an gegnerischen Chancen zuließ. Auch gegen den Aufsteiger muss die richtige Balance aus Angriffsdruck und defensiver Absicherung vorhanden sein. Und wie oben schon erwähnt, kann der SCW durchaus mit Räumen umgehen, die man ihm offeriert, so wie es Rödinghausen tat und dies bitter bezahlen musste.

Von daher wartet auf RWE womöglich der Prototyp eines Regionalliga West Spiels 2020/21. Essen wird machen müssen, der Gegner RWE machen lassen und auf seine Chance warten. Rot-Weiss zeigte sich bislang besonders gefährlich, wenn man das schnelle Spiel in die Spitze gepflegt hat, das Neidhart sich auch wünscht. Immer wieder waren während der Tests die Anweisungen des Trainers zu hören, den Ball vorne herein und nicht hinten herum zu spielen, wenn es die Gelegenheit dazu gibt. Ein erfolgreiches Beispiel lieferte am Samstag im Test gegen Emmen Amara Condé, an dem auch gerne Kritik laut wird, er verschleppe das Spiel zu sehr. Nach einer Balleroberung schaltete Condé blitzschnell und spielte einen Sahnepass über das halbe Feld genau in den Lauf von Endres, der in der folgenden Eins gegen Eins Situation mit dem Torhüter die Nerven behielt. Essen kann also auch schnelles Umschaltspiel. Mithilfe dieser sicherlich auch notwendigen Flexibilität möchten die einzig wahren Roten dann am Samstag mit einem Erfolg über die Mannschaft von der Ems über die erste Brücke zum Aufstiegsufer gehen.

NUR DER RWE!

Sven Meyering