29.10.2020

Gelsenkirchen noch genießen!

von Redaktion

Ein eigentlich ungewöhnlicher Auftrag für die Essener Rot-Weissen, verbindet man doch mit der nördlichen Nachbarstadt im Grunde wenig positive Konnotationen. Möglicherweise wird es aber so sein, dass wir unsere Roten am morgigen Tage zum vorerst letzten Male in Aktion erleben werden dürfen.

Ähnlich wie im Frühjahr ist Corona derzeit kaum zu zähmen. Ein Teil-Lockdown ab Montag ist politisch beschlossen. Der Spielbetrieb der reinen Amateurligen wird ebenfalls unterbrochen werden. Schätzt das Land NRW die Regionalliga-West, die im Grunde einen Zwitter-Status zwischen Amateur-und Profilager hat, ebenfalls als Amateurliga ein, wird der Spielbetrieb auch hier unterbrochen werden. Am morgigen Samstag soll die Kugel jedoch auf jeden Fall rollen. Auf dem Youtube-Kanal der Gastgeber wird das Match auch in Essener Wohnzimmer gestreamt werden. Gute Sache!

Sportlich läuft es rund für die Rot-Weissen, die Tabellenführer sind. Seit Februar und damit auch in der gesamten bisherigen Saison sind die Essener ungeschlagen. Wir wiederholen uns, Christian Neidhart hat eine große Baustelle der Vorsaison in den Griff bekommen. Das Essener Spiel gegen den Ball, das schnelle Umschalten nach eigenen Ballverlusten funktioniert glänzend, RWE gestattet den Gegnern wenig an Toren und auch generell an Torchancen. Bislang gelang auch immer mindestens ein eigenes Tor. Offense wins games, defense wins championships lautet die rot-weisse Devise. Auch ansonsten könnte man im Grunde denselben Text aufsetzen, der im Vorbericht auf das mit 3:0 gewonnene Spiel gegen Oberhausen auftauchte. „Auch im Essener Lager weiß man, dass man wegen des Damoklesschwertes Corona über den Köpfen der Liga keine Zähler leichtfertig verschenken darf und wird einen Sieg anstreben.“ Mindestens 18 Saisonspiele muss jede Mannschaft in der Regionalliga West ausgetragen haben, damit die Saison gewertet werden würde. Bei einer ungleichen Anzahl an Spielen entscheidet der Quotient. Hier hätten die Rot-Weissen aktuell das Nachsehen gegenüber dem BVB 2, der mit einem Zähler Rückstand auf dem zweiten Tabellenplatz liegt, aber eben auch ein Spiel weniger ausgetragen hat. Von daher lautet auch beim Spiel in Gelsenkirchen die Devise, alles auf Sieg!

Der Gegner erwartet RWE im umgebauten Parkstadion auf Gelsenkirchener Stadtgebiet. Die Nachwuchstruppe steht mit 16 Zählern aus 11 Partien in Lauerstellung nach oben, muss aber auch auf die untere Tabellenhälfte Acht geben. Verlassen kann man sich auf eine stabile Defensive, die bislang nur 7 Gegentreffer zugelassen hat. Vorne sieht es bei 11 eigenen Toren überschaubar aus. Im Vorjahr biss RWE sich an der Abwehr der Gastgeber beim 0:0, damals noch in Herne, die Zähne aus. Wohl auch diesmal wird die Mannschaft von Thorsten Fröhling auf defensive Kompaktheit setzen. Wie wird die Profiunterstützung aussehen? Gelsenkirchens U23 ist eine der wenigen Zweitvertretungen in der Regionalliga West, die regelmäßig mit Akteuren des eigentlichen Bundesligakaders aufläuft. Darunter auch ein Ahmed Kutucu, der noch immer als großes Talent gilt und ebenso wie Timo Becker, der ebenfalls wieder für die Zweite auflaufen könnte, in der Jugend schon einmal bei RWE aktiv war. Die ersten Knappen treten am heutigen Abend gegen den VFB Stuttgart an, da könnte es Hinweise darauf geben, wer das große Revierderby gegen RWE bei der Zweiten spielen darf. Auch wenn böse Stimmen behaupten, beim aktuellen Zustand der Gelsenkirchener Bundesligatruppe müsse man von dort keine Abstellungen fürchten, sollte dennoch klar sein, dass Spieler mit potenziell hoher Qualität kommen könnten. Im Vorjahr übrigens Nabil Bentaleb, der in Herne von frankophilen RWE-Anhängern in Zwiegespräche verwickelt worden war. Allein deshalb bleiben zweite Mannschaften weiterhin eines der großen Reizthemen in der Regionalliga, dessen Diskussion sich der Dachverband DFB in der bereits gewohnten grenzenlosen Ignoranz auch weiterhin verweigert.

Apropos Ignoranz. Nicht nur die Essener Rot-Weissen, sondern die meisten Vereine der Regionalligen befürchten nicht nur die Einstellung des Spielbetriebes, sondern wohl auch, dass sie erneut von DFB und erst Recht von der darüber gelagerten DFL schmählich im Stich gelassen werden und sich erneut niemand Gedanken darüber machen wird, was weit unterhalb des Pseudo-Glamour-Betriebes Bundesliga sein wird. Konzepte Fehlanzeige. Interesse? Fehlanzeige. Nachdem dieser Grundsatz im Bezug auf die Regionalliga bis zum heutigen Freitag galt, bewegte sich die Landesregierung NRW nun kurzfristig, indem sie eine Kompensation der Verdienstausfälle der Regionalligateams in Aussicht stellt. Insgesamt stehen 15 Millionen Euro bereit, mit denen die Vereine Teile des Verlustes durch die Verbote von Zuschauern kompensieren können. Dies ist wenigstens ein ermutigendes Zeichen, dass der Fußball unterhalb der Bundesliga nicht vergessen wird.

In der weitgehend völlig unkritischen ARD-Dokumentation „Weiter, immer weiter…“ durfte sich der Fußballfan am vergangenen Sonntagabend zur eigentlichen Sportschau-Zeit noch einmal das Selbstverständnis der 1. Liga vorführen lassen. Dass der Bundesligaspielbetrieb als erster in Europa wieder an den Start gegangen war, wurde von DFL-Boss Christian Seifert und weiteren Funktionären als Monumentalleistung gefeiert, wer das noch nicht verstanden hatte, wurde darüber belehrt, wie großartig es war, den Ball dort wieder rollen zu lassen, welche großen Schwierigkeiten man überwunden habe, welche Ängste besiegt worden wären. Klar. In der Bundesliga. Sonst gibt es und existiert ja auch nichts in der Denke der Seiferts, Watzkes und Co. Dass womöglich Corona ganze Vereinslandschaften von der Fußballkarte wischen wird, ist dort womöglich sogar eher gewünscht. Muss man sich doch dann mit den Sorgen und Nöten kleinerer Vereine gar nicht mehr beschäftigen und man könnte die elitäre Monopolstellung sogar noch ausbauen. Der Gegenentwurf ist bei der ARD-Doku „No sports“, die seit Monaten unsere Essener Rot-Weissen, die Düsseldorfer EG sowie einige Individualsportler bei ihrem Weg und Kampf gegen Corona begleitet, zu sehen. Während des RWE-Spiels gegen Oberhausen wurde der langjährige RWE-Fan Holger Barking, ein 49-Jähriger Berufsschullehrer und Mitglied des Rot-Weiss Fanclubs „Nordmannen“, zum Thema erste Bundesliga befragt und brachte es für viele auf den Punkt. Die Bundesliga, so Barking, könne machen, was sie wolle, von denen sei man ganz weit weg. Weiter explodierende Gehälter und Ablösen, Gedanken an eine neue europäische Superliga stoßen in Holger Barkings Augen auf Unverständnis. Entsetzlich sei es. Das sehen viele Fußball-Fans so.

Fazit, auch die finanzielle Spritze des Landes NRW wird die enormen Verluste an der Hafenstraße etwas abfedern, aber keinesfalls auffangen. RWE kann sich weiterhin nur selbst helfen, kann und darf sich auf niemanden verlassen. Der Verein, die Mannschaft mit ihrem Trainer und der dahinterstehenden sportlichen Leitung sind gut aufgestellt. Das wird sie auch weiterhin sein müssen. Am Samstag in Gelsenkirchen hoffen wir auf den nächsten Dreier und drücken unseren Roten auf dem Rasen und bei den Irrungen und Wirrungen der Verbände in Corona-Zeiten ganz fest beide Daumen!

NUR DER RWE!

Sven Meyering