21.12.2020

Zum Jahresabschluss Düsseldorf die Fortunarrenkappe aufsetzen!

Es ist so weit, Rot-Weiss Essen hat nach grandioser Ligaperformance, bei der die Neidhart-Schützlinge in 20 Saisonspielen unbesiegt geblieben sind und einen Punkteschnitt von 2,5 aufzuweisen haben, sein so getauftes Bonusspiel vor sich. In der zweiten Hauptrunde des DFB-Pokals empfängt der Spitzenreiter der Regionalliga West Fortuna Düsseldorfs erste Mannschaft zum traditionsreichen Westschlager im Stadion Essen. An dieser Stelle könnte man nun noch einmal die coronabedingte Aussperrung der Fans oder das letztmalige unglückliche Pokalaus gegen denselben Gegner im Sommer 2015 beklagen. Jedoch, es zählt nur das Hier und Jetzt! Einen Tag vor Heiligabend will RWE sich und seine euphorisierte Fangemeinde ultimativ bescheren und eine weitere Pokalsensation schaffen!

Die erste davon gelang Mitte September gegen Arminia Bielefeld, ihres Zeichens Bundesligist. Da sollte eine solche Überraschung doch auch gegen den Zweitligisten aus Düsseldorf gelingen können. Marcus Uhlig, der vor dem Bielefeld-Spiel berechnete, dass RWE gegen die Arminia eines von 10 Spielen gewinnen könne, steigerte seinen Optimismus auch entsprechend und meint nun, dass es gegen die Fortuna zwei von 10 Partien sein könnten, die Essen bei der derzeitigen Konstellation für sich entscheiden könnte. Doch Vorsicht! Die Düsseldorfer sind ebenfalls ziemlich gut drauf und nicht unwahrscheinlich werden die Rheinländer zum jetzigen Zeitpunkt der Saison einen noch dickeren Brocken darstellen, als es die Ostwestfalen bei ihrem erstem Pflichtspiel vor drei Monaten gewesen sind. In der ersten Hauptrunde siegte der kommende Gast mit 1:0 bei Drittliga-Schwergewicht Ingolstadt.

Fortunas Coach Uwe Rösler ist ein ehemaliger Kultkicker. Bei Dynamo Dresden machte er sich einen Namen, bei Manchester City wurde er zur Legende. Lange bevor die Scheichgelder den Arbeiterklub ManCity zum Premiumprodukt aufpimperten, ging Rösler dort auf Torejagd. Die City Fans entwarfen ihm zu Ehren ein eigenes Fanshirt. Da viele Engländer fast schon unvermeidlich jeden Deutschen mit dem Weltkriegsmilitarismus verbinden und kein anderer Klub bei den Citizens so verschrien ist wie der eigene Lokalrivale Manchester United gab es ein Shirt mit der Aufschrift „Uwe`s Granddad bombed Old Trafford“. Old Trafford ist bekanntlich die Spielstätte von ManU und wurde 1941 tatsächlich von deutschen Bomben arg in Mitleidenschaft gezogen, aber ob Uwe Röslers Großvater wirklich der deutschen Luftwaffe angehörte, sei an dieser Stelle dahingestellt.

Der Stürmer nahm es mit Humor, dem typisch schwarzen Humor der Briten natürlich, und erstand für seinen Großvater eines der Shirts. Rösler gilt in der Rückschau tatsächlich als einer der Wegbereiter des Booms deutscher Fußballprofis bei englischen Klubs. Als Trainer musste der gebürtige Altenburger und fünfmalige DDR-Nationalspieler in der letzten Saison als Feuerwehrmann geholt dennoch den Bundesligaabstieg der Fortunen hinnehmen. Dennoch betraute man ihn mit der Aufgabe „Wiederaufstieg“. Der rheinländische Express kam zunächst nur schwer ins rollen. Zuletzt aber eilte die Fortuna von Sieg zu Sieg. Viermal in Serie siegten die Düsseldorfer, aktuell klar und deutlich mit 3:0 am Millerntor beim FC St. Pauli. Das bedeutet, dass der Absteiger wieder in ganz unmittelbarer Schlagdistanz zu den Aufstiegsrängen rangiert.

Mit unter den Torschützen in Hamburg war Strafraumserientäter Rouwen Hennings, Fortunas Äquivalent zu Essens Simon Engelmann. Die spielstarke Unterstützung an der Seite des Torjägers ist Kenan Karaman, der eine Abwehr ordentlich aufwirbeln kann. Auch der bundesligaerfahrene Edgar Prib trug sich mit einem Treffer in die Statistik ein, Rechtsverteidiger Zimmermann hatte einen Sahnetag und glänzte sowohl als Torschütze als auch als Vorbereiter. Der Rest der Abwehr um den 1,90 Meter Funkturm Luka Krajnc war ohnehin in den letzten Wochen ein wichtiger Faktor zur Stabilisierung. Ansonsten zeigten sich die Düsseldorfer kompakt im Mittelfeld und bissig in den Zweikämpfen, eine kurze Schwächeperiode Mitte der ersten Halbzeit überstanden sie allerdings nur, weil St. Pauli im Abschluss zu ungefährlich war. Das nährt Essens Hoffnungen.

Christian Neidhart wird ein wachsames Auge auf Stärken und Schwächen des Gegners geworfen haben. Zugegebenermaßen überwiegen aktuell Fortunas Stärken und die Gefahr, zum Jahresabschluss 2020 das erste Pflichtspiel als RWE-Coach zu verlieren, dürfte Neidhart nur allzu bewusst sein. Doch der 51-Jährige Essener Erfolgstrainer, ja so darf man ihn nach der Hinrunde mit Fug und Recht nennen, wird seinem Team wie üblich die richtigen Rezepte an die Hand geben, um seinen Gegner adäquat zu bespielen. Nicht gesondert erwähnt werden muss dabei, dass Fehler wie beim unnötig knappen 3:2 Heimerfolg gegen den SV Wegberg Beeck mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Pokalaus bedeuten würden. Der Mannschaft dürfte bewusst sein, dass man den Gästen keine Tore schenken darf und vorne konsequenter zu Werke gegangen werden muss.

Gegen Fortuna werden die Essener wohl nur einen Bruchteil der Chancen bekommen, den sie in vielen Ligaspielen erarbeiten konnten. Und dann muss auch potenziell mal jemand anderes als Strafraumphänomen Simon Engelmann die Kugel über die gegnerische Linie befördern. Am Samstag gegen Wegberg Beeck veranstalteten die Essener jedenfalls ein regelrechtes Scheibenschießen und überboten sich gegenseitig im Auslassen bester Gelegenheiten. RWE erzielte in der Liga aber auch 28 Treffer, die nicht auf das Konto Engelmanns gehen. Das ist so schlecht auch nicht. Aber natürlich überragt der Goalgetter mit 18 Treffern aus 20 Spielen nicht nur bei RWE alle anderen, sondern in der gesamten Regionalliga West auch jeden anderen Stürmer.

Engelmanns Trikot, in welchem er gegen den WSV viermal einnetzen konnte, ging gerade zu einem guten Zweck als Tombola-Hauptpreis als Weihnachtsgeschenk an einen zufriedenen Fan. Auch für den Erstrundenerfolg gegen Bielefeld war Engel als Torschütze verantwortlich. Wer springt in die Bresche, wenn Essens Nummer 11 mal besonders gut beschattet werden sollte? Gegen Fortuna möchte Cedric Harenbrock, mit 5 Treffern die Nummer zwei der internen Essener Torjägerliste, womöglich das wiederholen, was ihm bereits gegen Düsseldorfs Zweite in der Liga gelungen ist, nämlich ein wichtiges Tor zu erzielen. Nur zu Cedric! Das gilt auch für alle anderen im Essener Trikot.

RWE muss am Mittwoch letztmalig vor der kurzen Winterpause alles, wirklich alles raushauen, um den Traum vom Achtelfinale, der für den Verein auch wirtschaftlich wichtig ist, wahr werden zu lassen. Es wird Essens inklusive des Auftritts im Niederrheinpokal 23. Pflichtspiel werden. Der Gast aus Düsseldorf hat erst deren 14 Pflichtauftritte. Kein Wunder, dass auch bei Rot-Weiss einige Akteure auf dem Zahnfleisch zu gehen scheinen, denn trotz des breiten und guten Kaders sind Spieler wie Daniel Heber, Ali Hahn, Sandro Plechaty, Dennis Grote und Simon Engelmann eigentlich immer dabei.

Vielleicht erklären sich auch dadurch gewisse Konzentrationsmängel in den letzten Partien. Genau das darf am Mittwoch nicht passieren. Ob Neidhart wie gegen Bielefeld mit einer Dreierkette hinten auflaufen wird und Felix Herzenbruch oder Namensvetter Weber eine Chance erhalten werden, wird sich zeigen. Neidhart wird einen Plan haben, wie man die karnevalsverrückten Düsseldorfer zum Fortunarren machen und aus dem Pokal werfen kann. Ein gutes Omen ist jedenfalls, dass die Rot-Weissen gegen Bielefeld in dieser Pokalsaison bereits einmal Revanche für eine erst im Elfmeterschießen verloren gegangene vorherige Pokalpartie nehmen konnten. Fortuna durfte sich 2015 jedenfalls sehr glücklich schätzen, nach torlosen 120 Minuten mittels der berüchtigten Duelle vom Punkt aus weitergekommen zu sein. Auf diese Lotterie können wohl alle Beteiligten sehr gut verzichten. Wenn es aber so kommen sollte, werden wir RWE-Fans dennoch volles Vertrauen in die Mannschaft haben, dass sich Rot-Weiss mit einem neuerlichen Pokaltriumph die Sahne auf die Ligapunkte-Erdbeeren hauen kann.

NUR DER RWE!

Sven Meyering