Englische Woche zur Unzeit
Der verregnete Freitagabend präsentierte ein Wechselbad der Gefühle an der Hafenstraße. Wurde die Mannschaft nach der ersten Halbzeit noch mit Pfiffen in die Kabine verabschiedet, feierte die Westtribüne nach dem Abpfiff mit der Mannschaft den wichtigen 3:1-Erfolg gegen den SV Lippstadt. Der in reinen Zahlen recht komfortabel wirkende Sieg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Spiel einen hohen Substanzverlust gefordert hat. Die englische Woche und das Nachholspiel in Wattenscheid gegen TuS Haltern kommen somit zur Unzeit.
Das bislang waltende Glück bei Verletzungen verlässt die Hafenstraße. Hedon Selishta und Dennis Grote sind ohnehin für die kurzfristigen Aufgaben ausgeplant worden. Nun wird auch David Sauerland vorerst nicht mehr eingreifen können. Hier hat RWE aber Glück im Unglück und Sauerland hat "lediglich" einen Muskelfaserriss und fällt damit deutlich weniger lang aus, als es bei dem befürchteten Muskelbündelriss der Fall gewesen wäre. Dagegen keimt Hoffnung bei zwei weiteren Leistungsträgern, denn Daniel Heber und Kevin Grund könnten Alternativen für Mittwoch darstellen, wenn ihre Körper sich schnell genug von Krankheit bzw. leichter Verletzung erholen.
Dennoch zeigt sich, dass der breite Kader dem Trainer weiterhin spielerisch gute Spieler als Alternative bietet. Hierbei hat Hamdi Dahmani nach seiner Einwechslung ein deutliches Ausrufezeichen gesetzt. Er und Maxim Pronichev, der vor dem 3:1-Siegtreffer sehr routiniert den Torwart ausgespielt hat, sind die Hoffnungsträger, dass RWE die enorme Abschlussschwäche im Saisonfinale abstellen kann. Die Aufstellung, die zuletzt wenig Überraschungen bot, könnte so am Mittwoch durchgewirbelt werden.
Auswärtsspiel in Haltern, war da nicht etwas? Da die Stauseekampfbahn der Halterner nicht den Ansprüchen für Spiele gegen die Traditionsvereine der Regionalliga genügt, musste der TuS ein Ausweichstadion für die Spiele anmelden, bei denen mit einem größeren Anhang der Gastvereine zu rechnen ist. Hierfür gab Haltern die Mondpalastarena in Herne an. Seit dem Gastspiel bei der Zweitvertretung eines Gelsenkirchener Fußballvereins wissen wir aber, dass der Platz schon bei kleinsten Schlechtwetterphasen praktisch unbespielbar ist. Nach diesem Auswärtsspiel glich der Platz einem Acker und die Stadt Herne sperrte diesen dann eine Woche später für das erneute Auswärtsspiel der Essener auf diesem Grün. Dies brachte Essens Vorstand Marcus Uhlig auf die Palme und dieser beschwerte sich öffentlich darüber, dass in Haltern alle Hilfsangebote aus Essen, um das Spiel regulär auszuführen, abgelehnt wurden und er diese Absage als wettbewerbsverzerrend empfand.
Richtig ist sicher, dass der Verband sich bei der Betreuung der Regionalliga einen sehr schlanken Fuß macht. Hier wird überhaupt nicht hinterfragt, ob die Gegebenheiten semiprofessionellen Fußball zulassen und im Fall von Verl wurde eine offensichtlich sportlich motivierte Spielabsage akzeptiert. Der Rasen von Herne ist einem Wettbewerb sicher nicht angemessen, der als „Champions League der Amateure“ bezeichnet wurde. Umgekehrt kann man allerdings auch die Frage stellen, ob der Essener Vorsitzende nicht hätte souveräner reagieren können, als die Auseinandersetzung über die Reviersport zu suchen.
Haltern reagierte zunächst cool, die Attacken aus Essen schienen dennoch tief getroffen zu haben. Nach der unnötigen Niederlage gegen den VfB Homberg twitterte der Marketingdirektor aus Haltern, dass RWE sein jahrelanges sportliches Versagen an den kleinen Clubs festmachen würde. Das wirkte wie eine verunglückte Retourkutsche, die allerdings wenig verfing. Eine Portion Rivalität ist also drin in diesem Spiel, denn beide Mannschaften wollen den vielen Worten Taten folgen lassen.
Die Halterner Defensive lässt vieles zu und so musste der Verein die viertmeisten Gegentore der Liga hinnehmen (44). Umgekehrt trafen sie 27 Mal, was einen ordentlichen Wert darstellt. Mit Stefan Oerterer (8 Tore) haben sie einen treffsicheren Stürmer in ihren Reihen und dazu in der Winterpause den in Essen bestens bekannten Emre Yesilova und Berkant Canbulut (7 Tore) von der SG Wattenscheid 09 verpflichtet, die die Offensive variabler macht. Verzichten muss Haltern auf den Stammspieler im Mittelfeld Marvin Möller, der in Rödinghausen bei der 1:5-Niederlage seine 5. Gelbe Karte gesehen hat.
In Essen zeigte sich vor dem letzten Heimspiel ein Phänomen, welches die Mannschaft zum Glück nicht ansteckte. Gespielt wurde gegen Lippstadt, geredet wurde über den SC Verl. RWE-Fans beschwerten sich über die Ticketpolitik des SC Verls. Nach einer unglücklich formulierten Pressemitteilung wirbelte der rot-weisse Shitstorm über die Poststraße. Die Größe der Eskalation ist dabei leider ein paar Stufen zu hoch angesetzt worden. Darüber hinaus wurden die Mannschaften von Verl und Essen individuell verglichen, Siegchancen errechnet, also das ganze Programm besprochen, was die Vorfreude auf ein Spiel für die Fans wach hält. Allerdings hieß der nächste Gegner nicht Verl, sondern Lippstadt. Diese Mannschaft bekam nur geteilte Aufmerksamkeit und sie bewies, dass es sich gelohnt hätte, auch über sie zu sprechen. Die Mannschaft von RWE zeigte aber, dass der Fokus bei den Spielern auf dem aktuellen Gegner lag und sie setzten sich abschließend durch.
Respekt vor dem Gegner bedeutet nicht, dass Verein und Fans die eigenen Stärken klein reden sollen. Es bedeutet, dass man die nächste Aufgabe ernst nehmen und sich darauf konzentrieren sollte. Deswegen ist aktuell das wichtigste Spiel der Auftritt gegen TuS Haltern. Haltern ist wohl einer der kleinsten Vereine der aktuellen Liga. Vor zehn Jahren spielten sie noch in der Bezirksliga und kletterten in diesen zehn Jahren von dort bis in die Regionalliga. Dass sie nicht chancenlos sind, zeigt ihre Platzierung. Mit 22 Punkten auf der Habenseite belegen sie momentan einen sicheren Nichtabstiegsplatz und haben Achtungserfolge z.B. zuletzt im Januar gegen Alemannia Aachen erzielen können (2:1).
Der hart erkämpfte Sieg lässt alle Zuschauer auf das Spiel gegen Haltern schauen. Die Probleme sind bekannt. Trotz oftmals sehr guter defensiver Arbeit schleichen sich immer wieder unerklärliche Böcke ein, die zu Gegentoren führen und die Abschlussschwäche ist ein weiteres Problem. Hinzu kommen die Verletzungen von wichtigen formstarken Stammspielern. Auf all das muss Christian Titz innerhalb von wenigen Tagen reagieren. Positiv ist, dass die Mannschaft fokussiert wirkt und bei allen Problemen hart weiter arbeitet. Die Zuschauer sind ebenfalls froh, dass es selbst im März noch spannend ist und werden das Team in das nur wenige Kilometer entfernte Wattenscheid begleiten. Bei diesem Nachholspiel kann RWE die verzerrte Tabelle zu seinen Gunsten nutzen und Druck auf die Konkurrenten ausüben. Mit vereinten Kräften wollen wir diese Vorlage nutzen.