Auf nach Rödinghausen, denen lehren wir das Grausen!
Dieser martialisch anmutende fiktive Schlachtruf der RWE-Fans trifft die Befindlichkeiten des im Kreis Herford beheimateten SV Rödinghausen unmittelbar vor dem Gastspiel der Essener Rot-Weissen im malerischen Wiehengebirge ganz gut.
Mit dem Klub aus der Reviermetropole stellt sich nicht nur ein ernstzunehmender sportlicher Konkurrent vor, man fürchtet vor allem eines, eine Essener Fan-Invasion, die sich in den Augen der Gastgeber unausgesprochen durch fehlende Etikette und Nettikette auszeichnet. Zwei solch unterschiedliche Klubs wie der SV Rödinghausen und Rot-Weiss Essen verstehen sich halt gegenseitig nicht. Als seit langem in Ostwestfalen lebender Fußballfan, der allerdings nahezu lebenslang Rot-Weiss Essen zugehörig ist, möchte ich hier einen Versuch unternehmen, dem einen den jeweils anderen ein wenig näher zu bringen.
Was sollte der Essener über Rödinghausen wissen? Der Klub erfüllt so manche Klischeevorstellung. So ist sein offizielles Gründungsjahr eine Umstellung der Ziffern der rot-weissen Geburtswehen. Denn erst 1970 schlüpfte der SV Rödinghausen aus dem Ei durch eine Fusion zweier Vorgängervereine. Danach spielte man exakt 40 Jahre lang Kreisliga! Und das meist nur mit mittelmäßigen Erfolg. Dann widmete sich der im selben Ort tätige Küchenmogul Häcker seinem lokalen Sportverein. Mittels massiver finanzieller Zuwendungen dauerte es nur 5 Jahre, bis der Kreis- zum Regionalligisten wurde. Rödinghausen war hinter vorgehaltener Hand in monetären Dingen auf einmal eine Topadresse in Ostwestfalen. Ich möchte hier einen Aachener Fußballfan zitieren, der die treffende Aussage machte, der SVR sei die TSG Hoffenheim für den gehobenen Mittelstand. Das passt! Warum? Weil man auf der einen Seite großen oder größeren Fußball möchte, die „Nebenwirkungen“ wie gegnerische Fans aber nicht unbedingt schätzt. Eine originäre Fußballkultur gibt es hier nicht. Von daher verwundert es auch nicht, dass mal ein Essener Gastspiel verlegt werden musste, weil die Gastgeber zum ursprünglichen Termin lieber dem Zwiebelfest in Bünde beiwohnen wollten.
Seit 2014 befinden sich die Rödinghausener nach Jahren der permanenten Aufstiege in der Regionalliga West. Was genau der Verein jetzt vorhat, bleibt aber nebulös. Auf der einen Seite wurde einer der besten Kader der Liga im Wiehengebirge an den Start gebracht. Auf der anderen Seite reichte man im Frühjahr diesen Jahres keinen Lizenzantrag für die 3. Liga ein, obwohl man sich in sportlich guter Position befand. Als Hauptgrund wurde eine fehlende drittligataugliche Spielstätte angegeben. Die derzeitige, das Häcker-Wiehenstadion, illustriert dabei treffend die DNA des SVR. Irgendwie widersprüchlich. Insgesamt sind aus Sicherheitsgründen nur 2.489 Zuschauer zugelassen. So gibt es ausschließlich Stehbereiche für Gästefans auf der Gegengeraden, die Hühnerkäfigen gleichen, aus denen man das Spielfeld nur unzureichend überblicken kann. Hinter beiden Toren befinden sich lediglich Banden und gar keine Zuschauerbereiche. Dorfplatz eines Dorfvereins, passt also. Wäre da nicht die überaus schmucke Haupttribüne, die eher an Formel 1 in Abu Dhabi erinnert. Hier befinden sich Cateringbereiche und Ledersitzgarnituren für die (Küchen)Vips. Und normale Sitzplätze. Auf denen residiert auch die mit Ponchos und Sombreros verkleidete Trachtengruppe der Amigos, die offiziell ein Fanklub sind, aber eher wirken wie eine Gruppe gesetzterer Herrschaften bei einem Bridgeturnier während der Karnevalszeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rödinghausen im Moment wohl selber nicht weiß, wo genau der Verein denn eigentlich hin soll. Dass man seit 5 Jahren nicht mehr aufgestiegen ist und es auch nicht ernsthaft versucht hat, zeigt irgendwie auch, dass man den großen Profifußball noch ein wenig scheut. Es ist alles familiär und ruhig im Wiehengebirge. Auch für die Spieler, die paradiesische Ruhe und ebensolche paradiesischen Gehälter vorfinden. Der Verein an sich ist wohl noch immer in der Findungsphase. Hier ist die größte Parallele zu den Hoppenheimern. Ohne Häcker-Küchen wäre der SVR sowohl finanziell als auch von der weiteren Strahlkraft und dem Zuschaueraufkommen her nur ein Kreisligist. Und das ist nicht böswillig, sondern aus der Vereinsgeschichte heraus abzuleiten. Noch macht man aber anders als im Kraichgau nicht annähernd ernst. Denn auch ein drittligataugliches Stadion wäre für den Hauptgeldgeber aus der Portokasse zu stemmen. Die Ausgliederung der ersten Herrenmannschaft in eine GmbH ist allerdings bereits beschlossene Sache. Die Zeichen stehen auf Paradigmenwechsel. Zwei DFB-Pokalteilnahmen in Serie mit Spielen gegen Dresden, die großen Bayern und zuletzt Paderborn haben Hunger auf mehr gemacht. Zudem wurde wohl erstmals seit dem Einstieg von Häcker mittels Zuschauereinnahmen im Pokal kein reines Reinbuttern in die Mannschaft betrieben. Noch aber setzt man auf Beschaulichkeit und seine Amigos.
Und eben diese finden es gar nicht lustig, wenn sich in die Heimbereiche der SVR-Anhänger gegnerische Fans einschleichen. So geschehen beim letzten Gastspiel der Essener. Das erlebt man selten bis gar nicht. Meistens reichen die den Gästen zur Verfügung gestellten Stehplatztickets und der kleine Bereich auf der Haupttribüne. Meistens. Aber zum Saisonstart 2018/19 fanden über 1.000 RWE-Fans den Weg ins Wiehengebirge. Und mischten sich daher auch munter auf die heimischen Tribünen. So kam es während der gesamten Spielzeit zum Austausch verbaler Nettigkeiten aus kürzester Distanz. Zum Glück blieb es dabei. Den Gastgebern gefällt es nicht, wenn eine Horde Ruhrgebietler die beschauliche Ruhe stört und sich nicht an die ihnen zugewiesenen Plätze hält. Kann man ja auch irgendwo verstehen. Und da Rödinghausen seinen Etat in Ermangelung von Zuschauern nur zum allergeringsten Teil oder besser gar nicht aus Zuschauereinnahmen bestreitet, kann man auf ein ausverkauftes Stadion verzichten, auch wenn das gegen RWE am kommenden Samstag möglich wäre, denn die Euphorie ist riesig im Pott.
Von daher möchte man der rot-weissen Fanlawine Einhalt gebieten. Zum Beginn des Online-Ticketverkaufs auf der Homepage des SVR wurden keine Bestellungen an die Postleitzahl 45 folgende ausgegeben. Sprich, man hat Bestellungen aus Essen einfach verweigert. Dahinter witterten einige RWE-Anhänger Diskriminierung und beschwerten sich bei der Fan-und Förderabteilung FFA über das Geschäftsgebahren der Rödinghausener. Ergebnisse hierzu stehen noch aus. Nachdem der Online-Ticketverkauf eine knappe Woche am Start gewesen ist, wurde dieser gänzlich eingestellt. Ohne offizielle Begründung. Inoffiziell wunderte man sich über zahlreiche Ticketbestellungen aus dem gesamten Bundesgebiet und kam zu dem Schluss, dass es sich hierbei weniger um euphorisierte Exklaven von Wiehengebirglern, denn um gut vernetzte Essener handelte. Der Schuss ging aber dennoch nach hinten los. Die Fanbereiche werden erneut nicht wirklich getrennt sein, RWE kann mit einer Überzahl seiner Anhänger auf den Rängen rechnen. Das ärgert Rödinghausen, dessen Versuch des Protektionismus vor die Wand lief.
Was aber sollten die Rödinghausener umgekehrt über Essener Fans wissen? Wer aus Essen anreist, nimmt etwa 200 Kilometer nur für die Anreise in Kauf. Wie bereits erwähnt, sind die Stehplätze derart schlecht, dass man nicht wirklich von Fans erwarten kann, dass sie sich hierhin stellen und nur die Gitterstäbe der Käfige und nicht das Spiel sehen können. Die Sitzbereiche für auswärtige Fans können dem Ansturm nicht nur nicht gerecht werden, sie wurden von den „Gastgebern“ dieses Mal gar nicht erst für Gäste freigegeben. Ein absolutes Unding, das auch den Spielregeln des DFB, der auch in der Regionalliga die Zurverfügungstellung von Sitzplätzen für auswärtige Fans vorsieht, grob zuwiderhandelt. So etwas gehört sich nicht und der Verband sollte hier einschreiten. Aber wie so oft schaut man in der vierten Liga nicht so genau hin. Zum Leidwesen anderer. Für die Rot-Weissen sind die Spiele ihrer Mannschaft keine Folkloreveranstaltung, sondern eine absolute Herzensangelegenheit und ihre Verkleidungen sind keine Mc-Donalds-Los-Wochos-Anleihen, sondern die Utensilien ihres Vereins. Wer will es ihnen verdenken, dass sie Plätze in Anspruch nehmen, die ansonsten gänzlich leer geblieben wären?
Einen ruhigen Fußballnachmittag können sich unsere Freunde der Amigos daher abschminken. Man nennt so etwas Fankultur, an dessen Begleiterscheinungen man sich bei den Zwiebelfeststädtern gewöhnen muss. Der SVR proklamiert in aller Bescheidenheit sein Vereinsmotto, dass der Fußball im Wiehengebirge zuhause sei. Interessant dabei nur, dass auswärtige Zuschauer dabei ausgeschlossen werden sollen.
Sportlich hoffen alle Essener darauf, dass sich ihre Mannschaft nach dem großartigen Saisonstart auch bei dem Topfavoriten der Liga behaupten wird. Verstärkt wurde der ohnehin starke Kader durch Felix Backszat und Christian Derflinger von Vorjahres Aufsteiger Viktoria Köln sowie ganz aktuell durch den bundesligaerfahrenen Innenverteidiger Fynn Arkenberg, der vom Drittligisten Halle kommt. Der Start war überzeugend. Mit zwei leicht herausgespielten Ligasiegen und einem starken Pokalauftritt wurde eindrucksvoll unterstrichen, dass es im Häcker-Küchen-“Werksteam“ keinen Feierabendfußball gibt. Die Truppe von Enrico Maaßen wird dabei wohl nicht so tief verteidigen wie die letzten Gegner, den Essenern aber auch nicht ins offene Messer laufen. Zu erwarten ist eine kompakte Spielweise und durch schnelles Umschaltspiel die bislang nicht sattelfeste RWE-Abwehr bei Ballverlusten in Schwierigkeiten zu bringen. Vorne hat man mit Simon Engelmann ohnehin die personifizierte Torgefahr. Davon konnte sich Rot-Weiss vor Jahresfrist leidvoll überzeugen. Es wird alles andere als einfach, die bislang weiße Weste zu erhalten oder auch nur zu punkten, wenn die Essener nicht erneut alles abrufen können, was sie bislang auszeichnete. Gelingt dieses jedoch, dann dürfen die Rot-Weissen auf einen besseren Ausklang hoffen als beim letzten Gastspiel. Dieses wurde höchst unglücklich mit 1:2 verloren. Eine Doppel-Szene war den Essenern dabei besonders schlimm in Erinnerung geblieben. In der Nachspielzeit beförderte Marcel Platzek vor dem leeren Tor stehend die Kugel an den linken Innenpfosten. Von dort prallte sie genau vor die Füße von Enzo Wirtz, der den Ball dann vor dem immer noch leeren Tor an diesem vorbei beförderte. Besonders pikant, zwei der drei Auftaktsiege feierte RWE bislang, weil man diese Saison die Nachspielzeit zum Tore schießen genutzt hatte. Ein gutes Omen also, dass es es jetzt anders kommen könnte im Wiehengebirge und RWE samt Anhang Rödinghausen auf dem Platz und auf den Rängen das Grausen lehren wird! Sportlich und friedlich natürlich. NUR DER RWE!
Sven Meyering