10.09.2019

In Lippstadt nicht locker lassen und Lücken reißen!

von Redaktion

Von der Papierform her sind für RWE die Wochen der namhaften Gegner zunächst vorüber. In den ersten sechs Ligaspielen trafen die Rot-Weissen mit den jeweiligen Zweitvertretungen des BVB und FC Kölle, dem großen Mitfavoriten SV Rödinghausen sowie dem Revier-Rivalen Rot-Weiß Oberhausen auf gleich vier Mannschaften, denen die obere Tabellenregion zuzutrauen ist. Hinzu kamen die Begegnungen bei Aufsteiger Homberg und das bereits dritte Revier-Derby der Saison gegen Wattenscheid 09.

RWE hat mit 16 von 18 möglichen Punkten aus diesen Partien einen sensationell guten Saisonstart hingelegt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich mit einer gewissen Berechtigung behaupten lässt, dass die Essener das schwerste Auftaktprogramm der Regionalliga West-Vertreter zu absolvieren hatten. Im Niederrhein-Pokal trafen die Roten zudem sogleich in Runde Zwei auf den Drittligist KFC Uerdingen. Am vergangenen Freitagabend versetzte RWE seine mal wieder in fünfstelliger Anzahl erschienene Anhängerschaft in Verzückung und feierte gegen den West-Rivalen einen hoch verdienten 2:1-Erfolg. Die kommenden Gegner sind nun zwar nicht mehr so bekannt, jedoch möchte Rot-Weiss auch weiterhin auf der Welle des Erfolges surfen.

Nun geht es nach Lippstadt. Lippstadt, da war doch was? Vor fast genau einem Jahr war es ebenfalls der siebte Spieltag und RWE stand sogar noch einen Platz höher in der Tabelle, als der freche Aufsteiger aus Ostwestfalen die Hafenstraße stürmte und beim nicht unverdienten 3:2-Erfolg Essens Serie stoppte. Es war das Spiel mit dem luxemburgischen Austauschschiedsrichter, der Roten Karte mit anschließender vierwöchiger Sperre für Kai Pröger und dem verschossenen Foulelfmeter kurz vor Schluss durch Benni Baier. Danach ging wenig bei den Roten. Von daher sollte RWE sensibilisiert dafür sein, den formidablen Saisonstart diesmal über die Partie gegen Lippstadt hinaus zu konservieren. Immerhin gelang im Rückspiel in Ostwestfalen beim glatten 3:0-Sieg eine der wenigen überzeugenden Leistungen der Rückrunde. Zudem verkündete RWE-Boss Marcus Uhlig im unmittelbaren Vorfeld der damaligen Partie, dass man einen strategischen Partner gefunden habe, mit dem man sein Budget nennenswert aufstocken könne. Dieser Partner entpuppte sich später als Naketano-Gründer Sascha Peljhan und Uhligs Versprechungen als gehaltvoll, denn Rot-Weiss Essen erfüllt zu Beginn der Spielzeit 19/20 die in den Verein gesetzten Erwartungen vollauf. Aufgrund dieser Anekdoten rund um die letztjährigen Spiele gegen den SVL, die eine gewisse Symbolkraft offenbarten, sehen nicht nur abergläubische Fußballanhänger daher der Partie am Freitag den Dreizehnten mit Spannung entgegen. Die Vorzeichen scheinen klar zu sein.

Die Rummenigge-Städter tummeln sich derzeit im unteren Drittel der Tabelle und stehen mit 7 Zählern aus ebenso vielen Partien nicht allzu rosig da. Im Ostwestfalenduell gegen Verl setzte es Zuhause eine 0:5-Klatsche, bei der Zweitvertretung der Gladbacher Borussia ein 0:4. Seelenmassage konnte der SVL hingegen am vergangenen Wochenende beim hohen 5:1-Sieg beim in der Liga wohl derzeit überforderten Aufsteiger SG Bergisch Gladbach betreiben. Davon abgesehen hat Lippstadt das Toreschießen dieses Jahr jedoch nicht als eine Leidenschaft entdeckt, gelangen in den sechs übrigen Partien doch gerade einmal zwei weitere Torerfolge. Es gibt Gründe dafür.

Nicht nur RWE vollzog in der abgelaufenen Transferperiode eine Neuausrichtung. Die Gastgeber hatten im Sommer einen personellen Aderlass zu bewältigen, der offenbar nicht spurlos am Verein vorüber gegangen ist. Gleich 11 Akteure verließen den Klub. Die prominentesten Abgänge sind der defensive Mittelfeldspieler Sven Köhler, der bei Zweitligist Osnabrück anheuerte, sowie Linksaußen Marcel Hoffmeier, den es ebenfalls höherklassig zu Preußen Münster gezogen hat. Ins Gewicht fällt wohl auch der Wechsel des letztjährigen Sturmtanks mit dem klangvollen Namen Exaucè Andzouana zum ostwestfälischen Ligakonkurrenten SC Verl, der sich mit Innenverteidiger Yannick Langesberg einen weiteren vormaligen Leistungsträger aus Lippstadt schnappte. Mit auf der anderen Seite 16 Neuzugängen hat der derzeitige SVL noch ebenso viel gemeinsam mit dem Team von 18/19 wie der Gast aus Essen, nämlich sehr wenig. Die neuen Spieler stammen entweder aus der eigenen U19, gleich vier an der Zahl, oder im Schwerpunkt von Vereinen aus der Oberliga Westfalen. Einen kennt man von früher, Lukas Arenz entstammt der Jugend von Rot-Weiss Essen und kam nun von Westfalia Rhynern an die Lippe. Beim Sieg in Bergisch-Gladbach traf er doppelt, sodass sein Torhunger gegen seinen ehemaligen Verein hoffentlich gestillt sein dürfte. Ganz frisch kam Stürmer Sergio Gucciardo, der seine Leihe von Paderborn zu Alemannia Aachen auflöste, um endlich Spielpraxis sammeln zu können. Wie in Essen ist auch in Lippstadt der Trainer neu. Felix Bechtold zählt gerade einmal 28 Lenze und ist somit jüngster Chef-Trainer der Regionalliga West.

Sein Vorgänger Daniel Berlinski verließ den Verein nach Saisonende, um sich einer neuen sportlichen Herausforderungen zu stellen, ist derzeit aber kurioserweise vereinslos. RWE erwartet am Freitagabend auf dem Papier somit eine kleine Wundertüte, wobei mittlerweile bekannt ist, dass Christian Titz selten etwas dem Zufall überlässt und auch über den Gegner einiges wissen wird, was Essens Ambitionen auf einen Dreier stützen kann. Für die Gäste aus dem Pott geht es darum, beim kommenden Gastspiel in Lippstadt nicht locker zu lassen. Die bisherigen Siege wurden teils beeindruckend eingefahren, von Woche zu Woche steigerten sich die Essener dabei kontinuierlich. Aus dieser klaren Favoritenrolle heraus ergibt sich somit auch eine potenzielle Bürde, nämlich den Erwartungen gemäß zum Siegen verdammt zu sein. Da RWE bislang gegen jeden Gegner einzig und allein auf Sieg gespielt hat, werden 3 Punkte auf dem Wunschzettel stehen. Nach dem Derby in Oberhausen und insbesondere dem Duell gegen den klassenhöheren KFC im Pokal erwartet Rot-Weiss nun jedoch ein gänzlich anderes, aber kein einfacheres Spiel. Mittelfeldstratege Dennis Grote verwies jedenfalls schon vor Wochen darauf, dass auch gegen die Mannschaften von unten die Einstellung absolut stimmen müsse, um erfolgreich zu sein.

Alles andere als ein sehr kompakt mit zwei Viererketten den eigenen Strafraum abschirmender SV Lippstadt, der in der Offensive auf Nadelstiche und Standards setzen wird, wäre jedenfalls eine spieltaktische Überraschung Felix Bechtolds. Metaphorisch werden die Gastgeber wohl eher Beton anrühren, sodass es für RWE nicht vorderrangig um die Spielkontrolle im Mittelfeld gehen wird, sondern darum Lücken im letzten Drittel gegen einen tief stehenden Gegner zu reißen. Zuletzt setzte Titz im Sturmzentrum auf den technisch sehr beschlagenen Jan-Lucas Dorow in der Rolle der „falschen Neun“, die sich stetig durch Zurückfallen dem Zugriff der gegnerischen Abwehr entzieht und überfallartig nach vorne stoßen kann. Möglich, dass Dorow diese Rolle wieder einnehmen soll, um den Gegner spielerisch auszuhebeln oder auf die bewährte Weise müde zu spielen. Nicht unwahrscheinlich jedoch ist die Rückkehr zu einem klassischen Mittelstürmer und Zielspieler im Zentrum der gegnerischen Box, in die immer wieder Flanken über Essens meist sehr aktive Außenspieler Kefkir und Endres geschlagen werden. Mit Marcel Platzek, Derbyheld Enzo Wirtz und Hedon Selishta stehen gleich drei solche Spielertypen im Kader. Vor dem geistigen Auge entsteht jedenfalls bereits ein Geduldsspiel wie am zweiten Spieltag in Homberg. Steht am Ende jedoch ein Sieg, wäre das Wie zweitrangig.

Reißt RWE die entscheidende(n) Lücke(n) ins zu erwartende Bollwerk, so reißen die Titz-Schützlinge gleichzeitig eine punktuelle Lücke in die Tabelle. Nachdem der SV Rödinghausen das meisterschaftsspielfreie Wochenende der Essener zu einem punktelosen Auftritt in Aachen genutzt hat, könnte RWE nun die erste „echte“ Tabellenführung der Saison gelingen. Ein Vorsprung von 3 Punkten auf den SVR winkt, der zwar gegen TuS Haltern nachziehen könnte, jedoch dann ein Spiel mehr aufzuweisen hat. Zugleich gibt es am kommenden Wochenende das Duell der hoch eingeschätzten Mannschaften von Dortmund 2 und Köln 2, sodass nicht beide ungeschoren bleiben können und Verl gegen Gladbach 2 stellt ein weiteres direktes Verfolgerduell dar. RWE hat also Gründe genug, das Spiel bei den Ostwestfalen hochmotiviert anzugehen.

An Motivation fehlt es auch den Rot-Weissen Anhängern derzeit bestimmt nicht. Die starken Leistungen haben bei den zuvor fußballerisch ausgehungerten Fans jedenfalls Riesenappetit auf mehr gemacht. Der Spieltermin, Freitagabend um 19 Uhr, ist natürlich nicht ideal, um nach Feierabend eine rechtzeitige Anreise aus dem Revier nach Ostwestfalen zu ermöglichen. Dennoch darf sich Lippstadt wohl auf 800 – 1000 Essener in der Liebelt-Arena einstellen. Die neue Spielstätte des Klubs löste 2015 das traditionelle Waldschlösschen ab. Optisch erinnert sie an den „Baustil“ des Häcker-Wiehenstadions des kommenden Tabellenzweiten. Highlight ist die moderne Haupttribüne, während die Stehplatzbereiche von der Sichtqualität eher als suboptimal einzustufen sind. Den RWE-Fans, die die Gelegenheit haben vor oder nach dem Spiel in der nahegelegenen Innenstadt zu verweilen, sei jedoch die dortige Gastronomie empfohlen. Lippstadt ist ein nettes Städtchen und sein fußballerisches Aushängeschild hoffentlich ein guter Gastgeber. Und überhaupt gibt es ja gar kein schlechtes Omen. Anders als im Vorjahr können die Roten die Tabellenführung jedenfalls nicht verspielen, sondern wollen sie erobern. Und am Freitag den 13. liegen Glück und Pech manchmal eng beieinander. Ruft Rot-Weiss aber die bislang gezeigte Klasse erneut ab, wird es nicht unwahrscheinlich gar nicht auf Glück und Pech ankommen. Also, alles ist (hoffentlich) anders in der Spielzeit 2019/20!

 NUR DER RWE!


Sven Meyering