26.02.2020

Gegen Lippstadt Lücken schließen

von Redaktion

Es ist angerichtet an der Hafenstraße 97 A. Freitag, Flutlicht und eine wichtige Partie. RWE kann vorlegen und dem SC Verl bis auf drei Punkte auf den Pelz rücken. Eine verlockende Aussicht, drohte den Rot-Weissen doch vor ihrem spielfreien Wochenende ein satter 8-Punkterückstand auf die Ostwestfalen. Doch es bewahrheitete sich einmal mehr. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Trotz des hart erkämpften und eminent wichtigen Derbysieges gegen RWO erklärten diverse RWE-Anhänger die Saison schon für gelaufen. Zu souverän sei der SCV. Dieser wiederum stoppte am Rosenmontag den Online-Vorverkauf für sein Heimspiel gegen RWE am 21.03. Wohl vor allem, um einer Essener Faninvasion an der Poststraße noch irgendwie Herr werden zu können. Denn der rot-weisse Anhang ist mit einem male wieder heiß wie Frittenfett auf die laufende Saison.

Mitverantwortlich dafür die unmittelbare Konkurrenz. Alle Rivalen ließen Federn. RWO kam gegen die Sportfreunde Lotte, die in diesen Tagen ihren bisherigen Chefcoach Ismail Atalan zum Halleschen FC in die dritte Liga ziehen lassen müssen, nicht über ein 1:1 Unentschieden hinaus. Die Oberhausener, die im Falle eines Derbysieges an der Hafenstraße und einem anschließenden Erfolg gegen Tante Lotte RWE um 9 Punkte hätten enteilen können, erlebten somit triste Tage. Am Freitag droht ihnen nun stattdessen ein zwei Punkterückstand auf die Essener und der Verlust von Tabellenplatz 3 an den Erzrivalen. Selbst sind sie am Samstag beim Wuppertaler SV zu Gast. Die Verler trennten sich von der Reserve der Düsseldorfer Fortuna torlos 0:0. Der Gast, eher im Tabellenkeller angesiedelt, holte sich den Zähler an der Poststraße völlig verdient. Eine Warnung an alle, die „kleine Gegner“ auf die leichte Schulter nehmen wollen.

Verl liegt somit „nur“ 6 Punkte vor RWE und hat sogleich die nächste Zweitvertretung vor der Brust. Es geht zu Borussia Mönchengladbach 2. Da der SV Rödinghausen seine Aufstiegsambitionen jüngst ad acta gelegt hat, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die Truppe, die noch immer die Tabelle anführt, Zuhause eine zweimalige Zwei-Tore-Führung gegen Alemannia Aachen nicht über die Runden bringen konnte. Spektakulär 3:3 stand es am Ende. Wenn man sich den nahezu emotionslosen Torjubel der Rödinghausener ansah, der nur ein nettes Abklatschen war, darf man den Schluss ziehen, dass diese Mannschaft nun nicht mehr mit letzter Konsequenz unterwegs sein wird.

Das wiederum, konsequent seinen Weg gehen, möchte RWE unbedingt am Freitagabend gegen den SV Lippstadt. Die sensationelle Niederlage, welche die Essener kurz vor Weihnachten gegen Kellerkind Homberg einstecken mussten, dürfte dabei allen Roten noch in schlechter Erinnerung sein. Wer Mannschaften wie Lippstadt nicht ernst nimmt, könnte eine unliebsame Überraschung erleben. Chefcoach Christian Titz liegt es jedoch stets völlig fern, einen Gegner zu unterschätzen und wird den Kontrahenten akribisch beobachtet haben. Er wird seine Mannschaft entsprechend einstellen auf den Gast aus Ostwestfalen.

Zu Saisonbeginn und bis weit in den Herbst hinein klingelte es häufig und regelmäßig im Lippstädter Gehäuse. Im Schnitt zweimal trafen die Gegner bislang in den Spielen gegen den SVL. Dem gelang seit der Rückkehr aus der Winterpause allerdings eine defensive Stabilisierung. In den vier Partien seitdem gab es auch nur noch vier Gegentore. Gut möglich, dass es ein anderes Spiel geben wird als beim Aufeinandertreffen im Hinspiel. Im September 2019 siegte RWE in einem hochgradig unterhaltsamen Spiel mit 4:2 in Lippstadt. Dabei gingen die Gastgeber früh in Führung sowie egalisierten im zweiten Spielabschnitt die zwischenzeitliche 2:1 Führung der Gäste. Damit sorgten sie für zwei Saisonpremieren. Denn der SVL war die erste Mannschaft, die RWE eine Führung wieder streitig machen und mehr als ein Tor gegen Essen erzielen konnte. Ob das ein wirkliches Trostpflaster für Lippstadt war, sei dahingestellt. Denn dadurch, dass der SVL den mutigen Versuch unternahm, an diesem sehr unterhaltsamen Regionalligaspiel mit offenem Visier teilzunehmen, brannten die mit Räumen beschenkten Essener ein wahres Offensivfeuerwerk ab. Es ist kaum zu glauben, aber als Joker Hedon Selishta nach 78 Minuten das Endresultat von 4:2 für RWE besorgte, war das sage und schreibe die 17. gute bis große Chance, die die Gäste an diesem Abend herausspielten. Im Schnitt alle 4,5 Minuten bot sich Rot-Weiss eine Einschussgelegenheit. Sagenhaft.

Insgesamt machte Lippstadt jedoch relativ gesehen deutlich mehr aus seinen Chancen als die Gäste, die allein im ersten Abschnitt 10 Gelegenheiten für einen Treffer benötigten. So blieb es längere Zeit spannend als nötig. Dieses Manko hat RWE leider noch immer nicht behoben. Die Effizienz vor dem gegnerischen Tor bleibt ausbaufähig. Die aktuelle Personalsituation im Sturm ist daher nicht erbaulich. Hedon Selishta, im Hinspiel der Matchwinner, laboriert bereits seit dem spanischen Trainingslager an einer Verletzung. Maximilian Pronichev, Last-Minute-Transfer aus Berlin, deutete gegen RWO an, dass er die lang ersehnte Verstärkung im Angriff sein könnte. Leider ist sein Einsatz am Freitag wegen einer Entzündung am Sprunggelenk fraglich. Sollte er ausfallen, müssen es andere richten. Vielleicht Marcel Platzek, im Revierderby überraschend in der Startelf. Oder Oguzhan Kefkir. Mit dem Siegtor gegen Oberhausen beendete der offensive Flügelspieler eine 4,5-monatige Durststrecke ohne eigenes Tor. Ötzi hat nun vermutlich Lust auf mehr. Enzo Wirtz ist nach einem Zwischenhoch leider wieder auf dem Boden angelangt. In der defensiven Zentrale hat Christian Titz hingegen ein Luxusproblem. Alex Hahn, bislang unumstritten, saß gegen RWO eine Gelbsperre ab und wurde dabei Augenzeuge einer starken Vorstellung seines Ersatzmannes José Matuwila. Der von Lautern ausgeliehene linke Innenverteidiger hat Hahn offenbar eine höhere Antrittsschnelligkeit voraus, während sie im Tackling ähnlich gut sind.

Andererseits ist „Ali“ bislang eine Bank, nahezu unbesiegbar in der Luft und daher bei Standards auch offensiv sehr gefährlich. Titz wird seine Personalentscheidung auch von den Lippstädter Angreifern und ihren jeweiligen Qualitäten abhängig machen. Gesetzt erscheint Daniel Heber, vor allem, weil Titz Wert darauflegt, dass seine Innenverteidiger als Paar über einen starken rechten bzw. linken Fuß verfügen. In der Mittelfeldzentrale deutet fast alles auf eine Startelfrückkehr von Jonas Hildebrandt an der Seite von Marco Kehl-Gomez hin. Dennis Grote überzeugte zwar gegen Oberhausen auf dieser Position, zog sich aber auch einen Innenbandabriss im Knie zu. Die nächsten Wochen finden auf dem Platz ohne den Routinier statt. Bedauerlich. Weitere Rotation erscheint bei RWE zudem nie ausgeschlossen. Der Trainer übertreibe es damit, sagen kritische Stimmen. Der Trainer hält den Konkurrenzkampf hoch und jeden im Kader wach, meinen hingegen die anderen.

Hellwach wird Rot-Weiss auch am Freitagabend sein müssen. Im Hinspiel überraschte Felix Bechthold, mit 28 Lenzen der jüngste Coach der Liga, die Essener mit einer mutigen Performance seiner Mannschaft. Ob diese erneut frech mitspielen oder sich eher verschanzen möchte, wird sich zeigen. RWE spielt im Jahr 2020 jedenfalls mit erkennbar stärkerer defensiver Absicherung. Die Topteams aus Köln und insbesondere Oberhausen erarbeiteten sich nahezu keine Gelegenheiten gegen das im Vorjahr häufig hinten anfällige Rot-Weiss. Der zwischenzeitliche Rückfall gegen Rödinghausen war eher eine Konzentrationsschwäche denn systemischer Verwundbarkeit geschuldet. Die Chance, unter dem eigentlich heiß geliebten Flutlicht seinen Platz in der Spitzengruppe nicht nur zu festigen, sondern wieder energisch in diese hineinzustoßen, sollten sich die Essener nicht nehmen lassen. Die letzten beiden Partien an einem Freitagabend an der Hafenstraße gingen gegen Fortuna Köln und wie schon erwähnt gegen einen Duisburger Stadtteilverein verloren. Seit dem 20.09.2019 warten die Rot-Weissen damit freitags Zuhause auf einen Erfolg. Zeit, den Bock umzustoßen.

Die zweifelsohne vorhandene spielerische Qualität Lippstadts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Truppe mitten im Abstiegskampf steckt und aus 20 Partien erst 16 Zähler gesammelt hat. RWE muss von Anfang an klarmachen, dass der Gegner diese für ihn ungewohnte Atmosphäre nicht zu sehr genießen darf und Homberg ein einmaliger Ausrutscher bleiben wird. Die Kulisse wird top sein. Allein die Möglichkeiten der tabellarischen Verbesserung und des Schließens von Lücken werden noch ein paar Extra-Zuschauer in das Stadion Essen strömen lassen. Bündeln allesamt, Mannschaft und Fans, ihre rot-weissen Kräfte, bleiben die Punkte an der Hafenstraße 97 A und der Druck auf die Kontrahenten würde aufgebaut.

NUR DER RWE!

Sven Meyering