01.03.2020

Glücklicher hochverdienter Sieg gegen Lippstadt

von Redaktion

Die alte West feierte nach dem Schlusspfiff der RWE-Partie gegen den SV Lippstadt mit Sprechchören Torhüter Jakob Golz. Ein Beleg für ein Paradoxon. Essens Sieg war hochverdient und glücklich zugleich. Mit einer Glanzparade hatte der 21-Jährige Golz in der Nachspielzeit eine Lippstädter Großchance zum 2:2 vereitelt.

Im Stile eines Eishockeytorwarts warf sich der Keeper im Spagat vor Lippstadts Janik Steringer und riss den Arm gerade noch so hoch, dass Steringers Abschluss aus wenigen Metern frei vor dem Essener Tor noch an die Latte und von dort zur Ecke gelenkt wurde. Die RWE-Fans hatten die Situation zuvor mit stillem Entsetzen verfolgt und konnten ihr Glück kaum fassen, dass die 2:1-Führung im Anschluss danach noch Bestand hatte. Mit einer Mischung aus sichtlichem Stolz und schüchterner Verlegenheit reagierte Golz auf die Anerkennung der Fans. Teamkollege Amara Condé musste ihn förmlich ausgelassen vor die Kurve schubsen. Eine von drei sehr bemerkenswerten Situationen an diesem Abend im Stadion Essen.

Zu Beginn erlebten die gut 8.600 Zuschauer, die trotz prasselndem Dauerregen den Weg an die Hafenstraße gefunden hatten, eine klare Aktion des Vereins RWE gegen Hass und Gewalt. Während die Mannschaften sich gegenüberstehend im Mittelkreis Arm in Arm Aufstellung genommen hatten, verlas Essens Stadionsprecher Walter Ruege sehr treffende Worte bezüglich der unfassbaren Gewalttaten in Hanau und Volkmarsen, die mit der Aussage endeten, uns vereine immer mehr als uns trenne. Diese Worte kamen gut an und neben warmen Applaus reagierten Teile der Westtribüne mit deutlich vernehmbaren „Nazis raus!“-Rufen. Starkes Zeichen der Essener Fanszene, die übrigens eine Mannschaft unterstützt, in der 8 der insgesamt 15 aufgebotenen Kicker einen Migrationshintergrund besitzen und die eindrucksvoll beweisen sollte, dass das RWE-Team eine Einheit bildet. Auch mit seinen Anhängern.

Die sportlichen Vorzeichen waren klar. Alles andere als drei Punkte gegen den Abstiegskandidaten aus Ostwestfalen wären eine herbe Enttäuschung gewesen. Und so begann RWE wie gewünscht dominant. Zweimal näherte sich Oguzhan Kefkir dem Tor der Gäste an, aber sowohl sein spektakulärer Fallrückzieher als auch kurze Zeit später ein abgefälschter Schuss verfehlten den von Christopher Balkenhoff gehüteten Kasten. Mehr bewerkstelligte Essen jedoch erst mal nicht. Im Gegenteil erhielten alle Rot-Weissen nach knapp einer Viertelstunde einen ordentlichen Dämpfer verpasst. RWE verteidigte einen Lippstädter Angriff alles andere als konsequent. Erst bekam man im Mittelfeld keinen Zugriff auf den Ball, dann attackierte David Sauerland recht inkonsequent Henning Matriciani auf der rechten Abwehrseite. Der Lippstädter hatte sich den Ball eigentlich viel zu weit vorgelegt, konnte ihn aber dennoch nach Innen bringen. Zur Krönung zeigte sich RWE dort sehr schlecht gestaffelt und trotz Essener Überzahl konnte Gerrit Kaiser die Hereingabe unbedrängt verwerten. 0:1 nach 14 Minuten und eine ganz kalte Dusche. Lippstadt jubelte im Anschluss provokativ Richtung Rahn-Tribüne. Mittlerweile eine gegnerische Unsitte, die sich eingebürgert zu haben scheint und die einfach respektlos ist. Ärgerlicher als das aber der Rückstand. Durch den kurzfristigen Ausfall von Daniel Heber, der vor dem Spiel über Schwindelgefühle geklagt hatte, baute Titz zwangsläufig die Deckung um, vielleicht mit ein Grund für das wenig sattelfeste Agieren nicht nur in dieser Situation. In der Zentrale spielte neben Rückkehrer Alex Hahn Jonas Hildebrandt, der somit zugleich im Mittelfeld fehlte, wo ihn Dorow als offensive Variante vertrat. José Matuwila fand sich ganz links wieder, da Kevin Grund ebenfalls angeschlagen passen musste. Doch die gesamte Mannschaft arbeitete in dieser Situation nicht so nach hinten wie es hätte sein müssen. Der Essener Anhang hatte sich einen ruhigen Abend gewünscht und hatte plötzlich die Homberg-Schlappe als Deja Vu vor Augen. Lippstadt, das sich bei Essener Ballbesitz sofort kompakt zurückzog, witterte Morgenluft und zeigte nach Balleroberungen zumindest einige Torannäherungen.

Bis zur Halbzeit gelang es RWE nicht, das Spiel zu beruhigen, auch weil man wieder beste Gelegenheiten ungenutzt ließ. Die größte Chance vergab Jan-Lucas Dorow, der nach einer Maßflanke von Sauerland den Ball freistehend am gegnerischen Tor vorbei köpfte. Ein Torjäger wird der Mann wohl nicht mehr. Zum Pausenstauder gab es deutliche Pfiffe. Ein Novum in dieser Saison, jedoch nachvollziehbar, da das RWE-Team vorne wie hinten fahrlässig agiert hatte. Titz wäre nicht Titz, wenn er darauf nicht unmittelbar reagieren würde. Matuwila wich Jan Neuwirt, Kefkir wurde durch Ayo Adetula ersetzt und Joshua Endres kam deutlich klarer über die Außen als es in der ersten Hälfte der Fall gewesen war. Jan Neuwirt sollte dem Essener Spiel gut tun. Obwohl seit Wochen nicht mehr auf dem Felde spulte er sein Programm als Linksverteidiger souverän ab und gab zudem den Standards deutlich mehr Qualität als zuvor. Einer davon, ein Eckstoß, landete präzise auf dem Kopf von Alex Hahn, der seinen Gegenspieler übersprang und von dort die Kugel zu Marcel Platzek weiterleitete. Platzo, von Beginn an aufgeboten, hatte bislang noch nicht viel gerissen, tat jedoch jetzt genau das, was Mittelstürmer tun. Essens Nummer 9 hielt den Fuß einfach hin und der Ball war nach 69 Minuten endlich im Netz.

Zuvor hatten die Essener die gesamte zweite Hälfte über die Gäste an deren 16-Meterraum festgenagelt und einige torgefährliche Situationen herauf beschworen. Auffällig dabei aber, dass sich RWE gut über die Außen in den Strafraum kombinierte, um dann beim entscheidenden Pass in die Mitte grundsätzlich die falsche Entscheidung zu treffen. Auch dem Umstand geschuldet, dass die Essener Akteure zuvor selten bis gar nicht den Kopf hochnahmen, woraus von der Abwehr leicht zu klärende No-Look-Pässe resultierten. Nun aber war der Bann gebrochen. Der Treffer zum 1:1 war Platzeks letzter Ballkontakt. Noch bevor das Spiel wieder angestoßen wurde, verließ er für Hamdi Dahmani das Spielfeld. Ein weiterer folgenreicher Wechsel des Coachs, der zuvor nach knapp einer Stunde sein am heutigen Tage leider indisponiertes Mittelfeldjuwel Amara Condé durch Maximilian Pronichev ersetzt hatte. Titz zeigte dabei einmal mehr seine Konsequenz. Das Wechselkontingent war somit erschöpft. Das sollte später eine Rolle spielen. Zunächst aber kam ein weiterer Höhepunkt des Abends. Der eigentlich dem VFL Bochum angehörige You-Tuber „That Richie Guy“, mittlerweile mit deutlichen RWE-Sympathien ausgestattet, brachte es mit seinem Stadionblog auf den Punkt. Sagte er nach dem 1:1 noch, das sei der Herr Ach gewesen und nun müsse der Herr Krach mit dem Siegtor folgen, so ahnte er wohl noch nicht das Prophetische an dieser Bemerkung. Denn Herr Krach schritt in Person von Hamdi Dahmani zur Tat, der das Stadion Essen 5 Minuten nach seiner Einwechslung in Ekstase versetzen sollte. Die rot-weisse Nummer 30 schoss sich mit einem Treffer Marke Tor des Monats seinen wahrscheinlichen Frust von zuletzt wenigen Einsatzzeiten von der Seele und RWE 2:1 in Front. Eine zu kurze Kopfballabwehr der Gäste nahm Dahmani mit der Brust herunter und schoss die herunterfallende Kugel sofort per technisch perfektem Volleyschuss mit Links aufs Tor. Diese Bogenlampe aus 18 Metern landete präzise im vom Schützen aus gesehenen rechten Toreck. Balkenhoff flog ebenso schön wie vergeblich. Da war nichts zu machen. Ein wahrhafter Kracherschuss.

Spiel gedreht, also alles gut? Mitnichten. Zunächst machte RWE da weiter, wo es aufgehört hatte. Der Lohn, die Großchance zum vorentscheidenden 3:1. Aber Maximilian Pronichev, übrigens nicht im Sturmzentrum, sondern eher auf der 10 positioniert, verpasste ein Zuspiel auf den völlig freistehenden Dahmani und vertändelte die Kugel leichtfertig. Das sollte sich rächen. Christian Titz bemängelte auf der Pressekonferenz völlig zurecht, dass seine Mannschaft plötzlich das Fußballspielen eingestellt und sich zurückgezogen habe. Der SV Lippstadt war gut eine halbe Stunde nur hinter den Essenern hergelaufen, nun aber übernahmen die Gäste die Spielkontrolle. RWE lief dabei in vorderster Front schlecht und nur halbherzig an und beging zudem im letzten Drittel dumme Foulspiele, welche gefährliche Standards produzierten. Bei einer dieser Aktionen verletzte sich David Sauerland selber folgenreich. Ein Muskelfaser- oder Bündelriss ist wahrscheinlich. Jedenfalls wurde Sauerland nun einfach auf Höhe der Mittellinie an der Seitenauslinie postiert, um wenigstens irgendwie noch einen Gegenspieler zu binden. Wechseln konnte Rot-Weiss schließlich nicht mehr. Laufen konnte Essens 31 so gut wie nicht mehr, RWE war quasi in Unterzahl und konnte sich kaum noch befreien. So verdankten es die einzig wahren Roten der eingangs erwähnten Großtat von Jakob Golz, dass der wichtige Sieg über die Zeit gebracht werden konnte. Unmittelbar danach machten die RWE-Angreifer wenigstens noch einmal positiv auf sich aufmerksam. Als Lippstadts Abwehrchef Jonas Acquistapace als letzter Mann gegen einen Doppelpack aus Hamdi Dahmani und Maximilian Pronichev den Ball vertändelte, liefen Essens Stürmer einträchtig und unbedrängt auf den Kasten von Balkenhoff zu, Pronichev war dabei der Ballführende. Die nervlich arg gebeutelten Fans waren sicher, dass muss die Entscheidung sein. War sie auch. Als auch der Torwart mit einem Querpass auf Dahmani rechnete, schlug Pronichev gekonnt einen kurzen Haken und schoss dann den Ball zum 3:1 ins Tor. Dahmani nahm es dem Teamkollegen nicht übel, dass er ihm zum zweiten mal einen sicheren Doppelpack verweigert hatte und war erster Gratulant. Schiedsrichter Dardenne pfiff die aus RWE-Sicht unnötig spannende Partie nicht mehr an. Neben den bereits erwähnten Herren Ach und Krach waren auch die Gebrüder Hängen und Würgen am Start gewesen. Trotz der vielen Kritikpunkte standen die Essener Fans die gesamte zweite Halbzeit geschlossen hinter ihrer Mannschaft und waren auch wegen der anfangs erwähnten Aktion die Gewinner des Abends.

Die Mannschaft schien nach Schlusspfiff etwas zerknirscht zu sein. Offenbar wollte keine echte Freude aufkommen, angesichts dessen, dass man sich beinahe selber um den verdienten Lohn gebracht hatte. Kürzer als sonst fielen die Feierlichkeiten mit den Tribünen aus. Zudem steht bereits am kommenden Mittwoch das nächste Spiel gegen Haltern in Wattenscheid an, auf das sich die RWE-Mannschaft nun fokussieren muss. Da sich Verl unbeeindruckt von der Essener Vorlage zeigte und seine Aufgabe in Mönchengladbach ebenfalls mit 3:1 löste, können die Essener in diesem Nachholspiel aus der Hinrunde erneut daran arbeiten, Druck auf die Konkurrenz aufzubauen.

Bis dahin wie immer

NUR DER RWE!

Sven Meyering


Rot-Weiss Essen - SV Lippstadt 3:1 (0:1)


Rot-Weiss Essen

Golz, Sauerland, Hildebrandt, Hahn, Matuwila (Neuwirt 46.), Kehl-Gomez, Dorow, Condé (59. Pronichev), Kefkir (46. Adetula), Platzek (70. Dahmani)                


SV Lippstadt

Balkenhoff, Kröner, Acquistapace, Steringer, Matriciani, Liehr, Henneke (71. Heiserholt), Arenz, N. Köhler, G. Kaiser (78. Karimani), Gucciardo (59. Brosowski)


Tore

0:1 Kaiser (14.)

1:1 Platzek (70.)

2:1 Dahmani (74.)

3:1 Pronichev (90. +3)


Zuschauer

8.695


Schiedsrichter

Niklas Dardenne (Nettersheim)


Gelbe Karten

A. Hahn (6. Gelbe Karte)

Kehl-Gomez (7. Gelbe Karte)

Dorow (3. Gelbe Karte)

Kröner (4. Gelbe Karte)