Von Tante Lotte drei Punkte erben…
das möchte Rot-Weiss Essen am kommenden Samstag ab 14 Uhr im Stadion Essen. Gelänge dieses, so hätte RWE der Niederlagenserie von drei Partien eine Siegesserie in der Liga von dann ebensolcher Länge entgegengesetzt. Die Zufriedenheit im Essener Lager würde dann wieder wachsen. Die ganzen Konjunktive zeigen es, derzeit befinden sich unsere Roten gefühlt in einer Art Grauzone. Die große Euphorie des Saisonbeginns ist erst einmal einer gewissen Ernüchterung gewichen. Schunkelten die RWE-Fans bis einschließlich der Partie gegen den Bonner SC in den Schlussminuten bier- und feierselig dem Schlusspfiff entgegen, so benötigte der Anhang nach Ende der letzten Partien eher einen Schnaps zur Nervenberuhigung. Diese Worte legen nahe, dass es zuletzt schlecht lief bei RWE. Auch das ist nicht ganz richtig. Die Titz-Schützlinge errangen zwei Auswärtssiege in Folge und stoppten den Abwärtstrend. Aber nach dem famosen Saisonstart war die Fallhöhe des Essener Teams entsprechend hoch geworden. So ist eine der derzeitig großen Fragen, ist das Glas halb voll oder halb leer?
Prickelnden Champagner servierten die Rot-Weissen ihren Anhängern auch in Düsseldorf sicherlich nicht. Da diese ohnehin viel lieber Bier trinken, wäre das noch nicht das große Problem. Jedoch mehren sich bereits im Umfeld die kritischen Stimmen. Dabei geht es um das Spielsystem, die Aufstellungen sowie die Rotation. Christian Titz gibt seiner Mannschaft eine glasklare Marschroute mit auf den Weg. Der Coach fordert dominanten Ballbesitzfußball, der Gegner soll laufen, während RWE den Ball laufen lässt. In diversen Partien spielten die Essener ihren Gegner dabei erkennbar müde und übernahmen mit zunehmender Spieldauer das Kommando immer klarer. Lange Bälle aus der eigenen Abwehr sind dabei verpönt, auch in engen Situationen soll die Lederkugel hinten heraus gespielt und nicht geschlagen werden. Dieses kostet den Anhang einerseits Nerven, wenn der Ball mehrfach auch durch den eigenen 16er rotiert und der Torhüter bei Ballbesitz als elfter Feldspieler auch weit außerhalb des eigenen Torraumes fungieren soll. Andererseits werden bei erfolgreicher Überbrückung des ersten Drittels viele Räume für die Essener frei, wenn beim Gegner durch dessen erfolgloses Pressing Räume offen klaffen. Alle diese Dinge, die zunächst gut funktionierten, wurden in den letzten Partien weniger gut vorgetragen. Harte Kritiker stellen mittlerweile ein konzeptloses Ballgeschiebe fest. Dieses erscheint arg übertrieben, aber dass die Roten häufiger den Ball quer und hinten herum zirkulieren lassen als ihn schnell in die Spitze zu spielen ist nicht ganz abzustreiten. Beim Schlusslicht aus Bergisch Gladbach und der Zweitvertretung von Fortuna Düsseldorf reichte es dennoch jeweils zu glanzlosen aber wichtigen Auswärtssiegen. Das altbekannte Credo „über den Kampf zum Spiel finden“ wurde dabei von der Mannschaft berücksichtigt. Kritik wird aber auch an den Aufstellungen laut. Eine gewisse Affinität zu Jan-Lucas Dorow auf der „falschen Neun“ ist bei Christian Titz spürbar. Gelernte Stürmer wie Marcel Platzek, Hedon Selishta und Enzo Wirtz stehen offenbar weniger hoch im Kurs, zumindest bei Spielbeginn. Titz möchte den Gegner zunächst durch eine spielerisch starke Performance müde machen und dann mit klassischen Stürmern als Joker zuschlagen. Das klappte mehrfach gut, z.B. in Oberhausen, in Lippstadt und gegen Bonn. Wenn der Gegner aber sehr robust auftritt wie zuletzt Düsseldorf ist der Einsatz eines körperlich präsenten Mittelstürmers wie Marcel Platzek jedoch offenbar die bessere Variante. Nachdem Platzo in der zweiten Hälfte dabei war, lief es besser bei RWE. Leider blieb ihm der eigene Treffer missgönnt, jedoch zwang er seinen Gegenspieler förmlich dazu, den Essener Siegtreffer selber zu erzielen. Nicht wenige Anhänger der Roten wünschen sich daher die Dauerpräsenz einer „klassischen Neun“ auf dem Feld. Das viele Rotieren mit sehr stark wechselndem Personal ist auch eines der neuen Lieblingsthemen. So traf in der jüngeren Vergangenheit selbst einen als Führungsspieler verpflichteten Dennis Grote mehrfach das Schicksal der Ersatzbank, Marcel Lenz verlor seinen sicher scheinenden Stammplatz im Tor an Jakob Golz. Dieser hielt übrigens in Düsseldorf vortrefflich. Aber der Verlust der Sicherheit im RWE-Spiel wird in diesen Tagen auch gleichgesetzt mit zu häufigem Personalwechsel, der es verhindere, dass die gewünschten Abläufe klarer verinnerlicht werden.
Bei aller Kritik stehen jedoch unter dem Strich 25 Punkte aus 12 gewerteten Partien, der Punkteschnitt beträgt somit 2,08 und ist der mit Abstand beste, den RWE seit 2011 und seiner Wiederzugehörigkeit zur Regionalliga vorzuweisen hat. Ebenso ist die körperliche Verfassung der Essener beeindruckend gut, die Roten zeigen stets einen langen Atem über die gesamte Spielzeit. Schwierigkeiten erzeugt jedoch der Umgang mit besten Torchancen. Fast in jedem Vorbericht der letzten Wochen mussten wir das leider ansprechen. Umgekehrt erspielen und erarbeiten sich die Essener diese Gelegenheiten. In den Vorjahren nahm man häufiger Spiele zur Kenntnis, in denen es manchmal tatsächlich keine einzige oder nur ein bis zwei nennenswerte Gelegenheit gab. Zudem zeigte sich RWE unter der Woche beim haushohen Niederrheinpokalerfolg gegen die Spielvereinigung Schonnebeck, immerhin der Dritte der Oberliga Niederrhein, torhungrig, bissig und griffig. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass dieselbe Paarung im Jahre 2016 noch in die Verlängerung gegangen war. RWE siegte nur unter größeren Mühen letztlich 2:0. Nun war der sprichwörtliche Käse nach einer halben Stunde bereits gegessen und unsere Mannschaft ließ trotzdem nicht nach und schoss sich den Frust von der Seele. Als der zuletzt viel gescholtene Hamdi Dahmani einen Elfmeter zum 6:0 Zwischenstand verwandelte, ballte die Essener Nummer 30 emotional die Faust und wurde herzlich beglückwünscht von seinen Mitspielern. Am Ende hieß es 9:0. Eine klare Ansage. Die sehr Unzufriedenen sollten sich das vielleicht einmal zu Gemüte führen. Das Motto „Niemals aufgeben“, welches der Mannschaft zu Saisonbeginn von ihren Anhängern mitgegeben worden ist, sollte auch von diesen selbst beherzigt werden.
Mit den Sportfreunden Lotte, nur halb liebevoll gerne die Tante genannt, erwartet RWE nun am Samstag einen Gegner, der sich mittlerweile gut in die Saison hinein gearbeitet hat und eine echte Herausforderung darstellt. Nach dem Abstieg aus der Dritten Liga schien man zunächst kaum einen konkurrenzfähigen Kader aufstellen zu können. Nachdem dieses gelungen war, machten Schlagzeilen von nicht gezahlten Gehältern und gar einer drohenden Insolvenz die Runde. Lotte scheint das insgesamt mit guter Moral verkraftet zu haben. Ismail Atalans Truppe steht bei 19 Zählern aus 13 Partien, und hat somit ein Spiel mehr ausgetragen als RWE, oder besser in der Wertung. Auswärts in Verl punktete die Elf. Die Mannschaft vom Autobahnkreuz zeigte sich dabei defensiv diszipliniert, zweikampf- und lauffreudig und offenbarte ebenso Qualitäten im schnellen Umschaltspiel. Dennoch hätten die Gastgeber die Tante bei konsequenterer Chancenverwertung eigentlich besiegen müssen. Bei dieser Erkenntnis zieht der geneigte RWE-Fan die Augenbrauen kritisch nach oben, denn genau das stellt sich derzeit als eine der größten Baustellen bei den Essenern dar.
Zum Lotter Personal. Einer digitalen Publikation der Funke-Mediengruppe wird es diese Woche sehr wahrscheinlich gleich mehrere Home-Storys wert sein. RWE feiert ein Wiedersehen mit gleich drei ehemaligen Hafenstraßenkickern. Am unspektakulärsten dürfte dieses mit Alexander Langlitz ausfallen. Der Rechtsverteidiger spielte nur eine Saison für RWE, und zwar von 2013 bis 2014. Die hohen Erwartungen konnte er nicht erfüllen. Seitdem kickt er in Lotte, wo seine Leistungen höhere Zufriedenheitswerte erreichten. Die RWE-Vita des gebürtigen Esseners Kevin Freiberger liest sich ebenfalls ohne größere Wiedererkennungswerte. In der Rückrunde 2014/15 von Osnabrück an RWE ausgeliehen wurde die Leihe nach einem halben Jahr wieder beendet. Als Freiberger in der Spielzeit 2018/19 ausgerechnet aus Lotte an die Hafenstraße zurückgeholt und mit einem Zweijahresvertrag versehen wurde, titulierten ihn die Medien als „Königstransfer“. Im ersten Saisonspiel in Rödinghausen waren Freiberger ganze 19 Sekunden vergönnt, ehe er in einem stürmisch geführten Zweikampf einen Kreuzbandriss erlitt. Wirklich erholt hat er sich davon nicht mehr. Zudem sahen ihn die Essener Verantwortlichen nicht unbedingt als spielsystemkonform an. In der Vorbereitung auf die laufende Saison teilte ihm Christian Titz daher mit, dass die weiteren Planungen ohne ihn laufen würden. Das bekam „Bürgermeister“ Timo Brauer schon lange vorher mitgeteilt. Die Dienste des defensiven Mittelfeldspielers hielt RWE für entbehrlich. Eine pikante Personalie, da Brauer den Ruf des „Essener Jung“ hatte. Seine Unzufriedenheit über die Entscheidung der Verantwortlichen äußerte er auch öffentlich. Das Ende wirkte daher unschön, das wurde vor allem durch Berater Kai Michalke weiter befeuert. Die Konkurrenz stand jedoch nicht Schlange bei Brauer. Bevor er dann in Lotte einen Vertrag unterschrieb, zuvor hielt er sich schon im Training dort fit, sprachen die Verantwortlichen zunächst davon, sich einen solchen Spieler nicht leisten zu können. Die Trendwende folgte. Weiter diskutieren muss man das an dieser Stelle nicht. Die drei Ex-Essener werden jedoch sicherlich besonders motiviert sein. Daran mangelt es aber den rot-weissen Gegnern ohnehin sehr selten. Im Kader der Sportfreunde sind noch Mittelfeldspieler Erhan Yilmaz, Dreh- und Angelpunkt des Offensivspiels, sowie der profierfahrene niederländische Angreifer Jules Reimerink erwähnenswerte Personalien. Zuletzt fehlte Reimerink jedoch wegen einer Knieverletzung.
Schauen wir auch über den Tellerrand, was erwartet die härteste Konkurrenz an diesem Wochenende, zumindest planmäßig? Tabellenführer SC Verl dürfte eigentlich zum dritten Mal in Folge Zuhause ran. Mit dem BVB 2 wartete ein im Grunde guter Gegner. Der steckt aber im akuten Formtief. Aus den Partien gegen Aachen und Gelsenkirchen 2 gab es 0 Punkte bei 1:8 Toren. Da hoffte der RWE-Fan auf eine Trotzreaktion an der Poststraße. Verl dürfte aber ziemlich unter Adrenalin stehen. Die Ostwestfalen besiegten in der 2. Hauptrunde des DFB-Pokals Zweitligist Holstein Kiel nach Elfmeterschießen. Direkt nach dem Spiel stellte sich die Frage, ob dieses Glücksgefühl den sicherlich hohen Kräfteverschleiß wett mache? Verl beantwortete die Frage selber. Am Donnerstag traf die wundersame Meldung einer Platzsperre der Verl-Arena ein. Das Spiel könne nicht stattfinden, weil der Rasen ramponiert sei und die Aufräumarbeiten nach dem Kiel-Spiel noch andauern würden. Das habe die Stadt verl entschieden. Die Regularien sehen an dieser Stelle jedoch zunächst einmal den Einsatz einer unabhängigen Platzkommission vor. So stellt sich hier die große Frage, ob es eine solche Kommission gegeben hat. War es so und das Geläuf wurde für unbespielbar erklärt, so hätte man das eben hinzunehmen. Mit einer solchen Informationspolitik wird der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten jedoch erhärtet. Wo ist die Stellungnahme des Verbandes dazu? So muss jeder glauben, Verl nehme sich das Recht alleine zu entscheiden und Regularien zu missachten. Unter Billigung des Verbandes.
Weitere Fragen die aufkommen...
Der Termin für das Pokalspiel gegen Kiel stand seit Wochen fest. Warum wurde nicht von vorne herein eine Verlegung auf den Sonntag getätigt? Ein Tag länger für die Regeneration von Mannschaft und Rasen des SC Verl. Man hätte das damals in keiner Weise für anrüchig gehalten. Jetzt allerdings schon. Warum wird zudem nicht in Erwägung gezogen, im nahen Wiedenbrück zu spielen? Am Samstag wäre das Jahnstadion des SCW verfügbar. Und besonders interessant, in der Tönnies-Arena in Rheda ist Verl wegen Problemen mit dem Rasen schonmal ausgewichen und spielte dort 2016 gegen Düsseldorf 2. Den Verlust des eigentlichen Heimvorteils hielt man damals für verkraftbar. Das alles nährt den Verdacht, dass es in erster Linie darum geht, dass nicht gespielt werden soll. Hier zitieren wir jetzt einmal einen Oberhausener, und zwar Präsident HaJo Sommers. "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!"
Rödinghausen geht im OWL-Duell bei Lippstadt 08 favorisiert an den Start, RWO hat im Heimspiel gegen Düsseldorf 2 auf dem Papier auch die besseren Aktien. Auf Patzer der Konkurrenz sollten unsere Roten daher nicht hoffen. Tante Lottes Punkte-Sparstrumpf sollte auf der Rückfahrt daher leer bleiben.
NUR DER RWE!
Sven Meyering