Alle Mann gegen Alemannia!
Das Spiel gegen die Alemannia steht für Superlative, die ein jeder Sportjournalist liebt. Über 80 Mal trafen die beiden Vereine aufeinander, davon einmal sogar in einem DFB-Pokalfinale an das die Essener lieber zurückdenken als die Aachener. Auch vom Interesse aus gesehen sprengt dieses Duell alle Verhältnisse.
Im Jahr 2015 kamen über 30.000 Zuschauer in den Tivoli, davon mindestens 7-8.000 aus dem Ruhrgebiet, um sich den Kampf um die Tabellenspitze anzusehen. So viele werden es am Samstag nicht, aber RWE rechnet bei den aktuellen Vorverkaufszahlen mit ca. 14.000 Zuschauern, ein Wert, über den sich so mancher Zweitligist freuen würde. Man kann es ruhig aussprechen: abgesehen von eventuellen Pokalduellen ist das Spiel gegen die Alemannia das Spiel des Jahres.
Dass das die Fans der Alemannia ähnlich sehen, konnte man bereits vor der Saison erkennen. Die Alemannia startete den eigenen Dauerkartenverkauf recht früh und gab als Ziel aus, mehr Dauerkarten als Rot-Weiss Essen zu verkaufen. Es hat nicht ganz geklappt, aber über 3.000 verkaufte Saisontickets zeigen, dass auch in Aachen die Anhängerschaft nach all den Jahren, in denen sportlich wenig ging, treu zum eigenen Verein steht. Dies wirkt umso bedeutender, da der Verein vor der Saison viele talentierte Spieler abgeben musste: Mit Dimitry Imbongo Boele verloren Aachen seinen besten Torschützen (11 Tore) an Sonnenhof-Großaspach, Blendi Idrizi (28 Spiele, 4 Tore, 5 Vorlagen) ging zu Fortuna Köln.
Bei den Neueinkäufen erwischte es die Alemannia knüppeldick. David Bors, ein aufstrebender Stürmer aus Bonn, sollte die Lücke, die Boele hinterließ ausfüllen, er verletzte sich aber früh in der Saison schwer und wird frühestens im Laufe der Rückrunde wieder ins Spielgeschehen eingreifen können. Dafür holten die Aachener Jonathan Benteke, der bislang erst einmal traf. Hier macht nun der junge Vincent Boesen auf sich aufmerksam, der sein zweites Jahr bei der Alemannia spielt und schon fünf Tore auf der Habenseite hat.
Das Prunkstück der Aachener ist jedoch die Abwehr. Sie stellen mit 17 Gegentoren die viertbeste Abwehr der Liga und haben sogar ein Tor weniger zugelassen als die Essener. Hier muss die Alemannia allerdings im Stadion Essen auf den Defensivspezialisten David Putz verzichten, da dieser im Spiel gegen Bergisch-Gladbach, die sich auch in diesem Spiel recht kampflos mit 3:0 abschießen ließen, die fünfte Gelbe Karte gesehen hat.
Bemerkenswert sind die Aussagen von Aachens Trainer Fuat Kilic in dieser Woche. Er durchbrach die Floskelkette der letzten Wochen, indem er nicht demonstrativ RWE stark redete und die Favoritenrolle zuspielte. Kilic habe beobachtet, wie RWE schlagbar ist und seine Mannschaft dementsprechend eingestellt. Endlich mal eine ehrliche Aussage und ein klares Bekenntnis zur eigenen Mannschaft. Allerdings will Christian Titz auf der anderen Seite die Pläne seines Kollegen durchkreuzen.
Dafür konnte er nun vor dem Spiel etwas vermelden, was es in den letzten 20 Jahren bei RWE nicht gegeben hat. Alle Spieler sind einsatzbereit. Nachdem Dennis Grote seine Gelbsperre abgesessen hat, drängt er nun, wie auch die Rekonvaleszenten Philip Zeiger und Cedric Harenbrock in den Kader und der Trainer muss gleich sieben fitten Spielern erklären, dass es für sie nicht einmal für einen Platz auf der Bank reicht. Was für den jeweiligen Einzelfall eine harte Entscheidung darstellt, ist für RWE ein wunderbares Luxusproblem, zumal bei einigen Akteuren das Formbarometer nach oben zeigt.
Marcel Platzek hat zwei Spiele hintereinander getroffen und sich das für einen Vollblutstürmer nötige Selbstvertrauen zurückgeholt. Auch Hamdi Dahmani zeigte bei den Einwechslungen gegen Lotte und in Wuppertal endlich seine Qualitäten. Daneben drängen aber Joshua Endres oder Hedon Selishta nach guten Leistungen in Wuppertal wieder in die Startelf. Am Ende wird ein starkes Team der Alemannia gegenüberstehen.
Für die Fans ist alles angerichtet. Der Druck erhöht sich langsam, denn an der Spitze kann es deutliche Veränderungen geben: Oberhausens Spiel gegen Lippstadt wurde abgesagt, weswegen RWE bei einem Sieg wegziehen könnte. Das wäre lediglich ein psychologischer Vorteil, da das Spiel nachgeholt wird. Verl (1. FC Köln II) und Rödinghausen (Gelsenkirchener Nachwuchs) spielen gegen zuletzt starke Zweitvertretungen, bei denen nicht ausgemacht ist, dass sie gewinnen. An der Spitze könnte es noch enger werden. Der Erfolgsdruck ist also enorm in diesem Spiel. Aber darüber hinaus atmet dieses Spiel Tradition pur, wie wir anfangs festgestellt haben, und bietet alles, was wir an diesem Sport lieben. Alles? Nein, es fehlt noch ein Sieg für unseren RWE! Glück auf!