08.04.2018

Der Giannikis-Effekt - Versuch einer fairen Rückschau

von Hendrik Stürznickel

Nun ist es amtlich: Agirios Giannikis hat bei der 1:2-Niederlage gegen Rödinghausen zum letzten Mal auf der Trainerbank gesessen und der Wunsch vieler Anhänger wurde erfüllt, indem man „Agi“ nun von seinen Aufgaben entbunden hat. Die Aufarbeitung seiner Leistung wird durch die Art und Weise, wie er seinen Abgang durchgeführt und kommentiert hat, erschwert, allerdings hat sich unter diesem Trainer etwas verändert.

Für die Zuschauer ist es das normalste auf der Welt den Rausschmiss eines Trainers zu fordern, dem man das Erreichen der Ziele des Vereins nicht mehr zutraut. Ungewohnt ist es, wenn der Trainer die Zusammenarbeit beendet, weil er seine eigenen Ziele woanders besser zu erreichen wähnt. Genau diesen Schock hat Agirios Giannikis den RWE-Fans versetzt und er wäre, egal wie sauber sein Abgang gewesen wäre, bei den meisten Anhängern unten durch gewesen.

Erinnern wir uns aber an die Situation zurück, als er das Training übernommen hat. RWE zog nach dem desolaten 1:1 gegen den SC Verl in der Hinrunde die Reißleine und beurlaubte Sven Demandt, der in der Vorsaison immerhin die beste Platzierung seit 2013 erreichen konnte. Ihn verließ das Glück jedoch und RWE taumelte den Abstiegsplätzen entgegen. Zwei Wochen später zogen die Verantwortlichen Agirios Giannikis aus dem Hut, den wirklich nur eingefleischte Experten kannten. Dem Internet sei Dank bekam man erste Infos, die zur üblichen Polarisierung führten.

Die kritischen Stimmen verstummten schnell, denn Giannikis bestand seine Feuertaufe in Aachen bravourös. Die zuvor völlig verunsicherte Mannschaft bekam innerhalb einer Woche ein neues Spielkonzept beigebracht. Das Team, was verunsichert von Tiefpunkt zu Tiefpunkt eilte, trat auf einmal selbstbewusst und mit klarer Idee auf. 13 Punkte in sechs Spielen unterstreichen, dass das Restjahr 2017 mit Achtungserfolgen beendet wurde. Den sportlich Verantwortlichen stand die Zufriedenheit im Winter ins Gesicht geschrieben, dass sie ein glückliches Händchen bei ihrem Trainerneuzugang hatten. Freudig versicherten sie, dass der Vertrag von Giannikis schon bald verlängert werde. Reine Formsache, doch dann kam der VfR Aalen.

Dass ein Trainer den Aufstieg in Liga 3 wagen möchte ist allzu verständlich. Die Art und Weise wurde medial und vom Verein kommentiert. Nachtreten wollen wir an dieser Stelle nicht. Allerdings waren auch die Aussagen des Trainers nicht glücklich, um die Fanseele zu beruhigen. Man muss betonen, dass Giannikis sich nach dem, was man von Mannschaft und Verein hört, sich nichts hat zuschulden kommen lassen und weiter versucht hat, das Team weiterzuentwickeln. Aussagen, dass 100% der Aufmerksamkeit bis zum 1. Juli bei Rot-Weiss Essen liegen würde, kann man dennoch ins Reich der Märchen verbannen.

Das Jahr 2018 wirkte zunächst, als würde Giannikis zur lame duck. RWE verlor gegen ganz schwache Bonner mit 0:1 und kassierte in den beiden anschließenden Spielen je zwei Treffer kurz vor Schluss. Mentalitätsproblem? Mangelnde Fitness, um auch bis zur 93. Minute konzentriert zu sein? Egal, woran es lag, bei solchen Kuriositäten ist der Trainer schnell Teil der Argumentationskette. Bei den Spielen gegen Mönchengladbach II und Wegberg-Beeck zeigte die Mannschaft jedoch wieder, weswegen dem Trainer so schnell die Herzen zugeflogen sind.

Als Außenstehender sind die Probleme nicht hinreichend analysierbar. Hat Giannikis z.B. durch seine massive Rotation die Niederlage gegen Rödinghausen mitverschuldet? Ist diese Mannschaft untrainierbar, egal, wer da an der Seitenlinie steht? Wir wissen es nicht, woher das wankelmütige Gesicht von Rot-Weiss Essen kommt.

Nun ist Giannikis Geschichte und er ist selbst für die RWE-Trainerhalbwertszeit eine kurze Episode im Auf und Ab von RWE gewesen. Eine Randnotiz ist er deswegen nicht. Er hat gezeigt, dass man auch in der vierten Liga taktische Varianten einstudieren kann, dass Regionalligaspieler das Können und die Spielintelligenz haben auch komplexe Systeme einzuüben. Er hat gezeigt, was möglich ist, wenn man einen offenen Trainertypen hat. Dieser prall gefüllte Werkzeugkasten, um auf die verschiedenen Gegner zu reagieren, sollte die Messlatte für spätere Trainer darstellen, ohne nun vor dem ersten Spiel Druck auf Karsten Neitzel aufzubauen. Aber ein Trainertyp, wie wir ihn vor Giannikis mehrfach in der Vergangenheit hatten, der sein Spielverständnis durchdrückt, egal ob es erfolgreich ist oder nicht, sollte zukünftig nicht wieder an der Hafenstraße anheuern dürfen.

Nun trennen sich die Wege und mir fehlt die Größe mich von Herzen zu bedanken und Agirios Giannikis alles erdenklich Gute für die weitere sportliche Karriere zu wünschen. Er braucht die guten Wünsche ohnehin nicht, da er seinen Weg gehen wird, wenn er so weiterarbeitet. Allerdings sollten wir alle anerkennen, dass „Agi“ das Team weiterentwickelt hat und Karsten Neitzel nicht von Null anzufangen braucht. Vielleicht kreuzen sich die Wege irgendwann einmal, hoffentlich in der Dritten Liga. Tschüss Agirios Giannikis!