03.04.2016

Fünf vor Zwölf

von Hendrik Stürznickel

Eine Szene beschreibt das gestern gesehene Spiel sehr gut. In der 59. Minute bekommt RWE in Höhe der Mittellinie einen Freistoß zugesprochen. Beide Mannschaften orientieren sich zum Strafraum der Lotter, lediglich ein Spieler der Sportfreunde steht in einem Umkreis von 20 Metern um den Ball.

Wo der Ball landet, kann sich wohl jeder ausmalen, schlecht geschossen, landet der Ball perfekt auf der Brust des Gegners. Es ist eine von vielen grauenhaften Szenen des gestrigen Spiels, die zeigt, dass es gestern an Vielem gefehlt hat, was man braucht, um im Abstiegskampf zu bestehen.

Der Tabellenführer kam mit stolzgeschwellter Brust und viel rot-weisser Vergangenheit an die Hafenstraße. Mit Alexander Langlitz, Kevin Pires-Rodrigues und Kevin Freiberger standen gleich drei ehemalige RWE-Spieler in der Startelf der Sportfreunde Lotte. Bei RWE rückte hingegen der begnadigte Marwin Studtrucker für den zuletzt etwas glücklos wirkenden Frank Löning in die erste Elf. Vorab bleibt zu sagen, dass der Einsatz Studtruckers zeigte, warum der Coach gegen die Viktoria freiwillig auf seine Dienste verzichtete. Doch er befand sich in seiner Mannschaft in guter Gesellschaft, denn RWE erwischte einen gebrauchten Tag.

Dabei ging es flott los. Jan Siewert wollte, dass RWE so schwungvoll wie gegen Verl ins Spiel gehen sollte. Und das machten sie in den ersten Minuten auch sehr gut. Dann folgte in der 5. Minute ein fataler Ballverlust im Mittelfeld. Das Umschaltspiel beim Spitzenreiter folgte gnadenlos schnell und André Dej tauchte frei vor dem Kasten von Robin Heller auf. Die Höchststrafe war dann ein Schuss durch die Beine des RWE-Keepers. Klar, geht das auf die Kappe Hellers, aber wie kann es sein, dass Lotte so früh und so unbedrängt durch die Essener Hintermannschaft spazieren konnte.

Das Spiel der Essener fiel daraufhin völlig in sich zusammen. Es lief gar nichts mehr. Es kam aber noch schlimmer. Benjamin Siegert setzte sich auf der rechten Seite durch und lief auf den Essener Kasten zu. Richard Weber riss ihn um und der Schiedsrichter zögerte keinen Augenblick mit der roten Karte wegen Notbremse. Das Urteil des Referees wirkte auf den ersten Blick sehr hart, weil neben Weber noch Philip Zeiger stand, der wahrscheinlich noch hätte eingreifen können. Allerdings muss mir als Spieler klar sein, dass ein Platzverweis möglich ist, wenn ich in dieser Situation ein Foul begehe, von daher darf man sich auch nicht beschweren.

In dem Moment sanken die Hoffnungen der verbliebenen Zuschauer, die noch ins Stadion gekommen sind. In der 37. Minute entschied Lotte das Spiel für sich. Wieder war es der quirlige Siegert, der Robin Heller umkurvte, den Ball an André Dej abspielte, der aus einem Meter das verwaiste Tor treffen musste. Wenige Sekunden vor der Pause hätte Freiberger noch auf 3:0 erhöhen können, diesmal blieb Heller aber Sieger im Duell mit dem Sturm aus Lotte.

Zur Pause regierte stummes Entsetzen. Zu viele Unzulänglichkeiten waren im Spiel von RWE. Einfache Pässe fanden nicht den Mitspieler, die Standards waren vollkommen harmlos und es herrschte taktisches Chaos auf dem Platz. Während Moritz Fritz bis zum Platzverweis wie eine hängende Spitze agierte, war Philip Zeiger in Halbzeit Zwei fast in der Position des klassischen Spielgestalters, der die Mitspieler in Szene setzen sollte. Es sah aus, als seien auf dem Platz alle Dämme gebrochen.

In Halbzeit Zwei stabilisierte sich das Spiel der RWEler auf niedrigem Niveau. Da Lotte aber augenscheinlich zufrieden war, gab es lediglich einige gefährliche Konter. Jeffrey Obst, der in der Pause für Studtrucker kam, zeigte, warum er gegen einen schwachen Studtrucker trotzdem nur zweite Wahl war. Seine auffälligste Szene hatte Obst, als das Spiel in der 66. Minute abgepfiffen war. Wie ein Stier ging er auf Kevin Pires-Rodrigues los und schubste ihn zu Boden. Wir erinnern uns ans erste Saisonspiel, als Obst für genau solch eine Situation Rot gesehen hat. Dieses Mal entschied Schiedsrichter Stegemann milder und zeigte ihm lediglich die gelbe Karte. Wenn wir also davon ausgehen, dass er bei Richard Weber sehr hart war, so glich er das spätestens jetzt aus.

Das Publikum raste derweil und es hagelte Gegenstände auf den Platz. Dabei wurde ein Spieler der Lotter an der Schulter getroffen, der sofort versuchte, das für seinen Club auszunutzen. Erst als Schiri Stegemann besonnen reagierte hörte die Vorstellung des sterbenden Schwans auf. Das soll allerdings nicht relativieren, dass sich kein Spieler, Schiedsrichter oder Trainer mit irgendwelchen Gegenständen bewerfen lassen muss. Es wird (mal wieder) eine saftige Geldstrafe nach sich ziehen, die man sicherlich besser in die erste Mannschaft stecken könnte.

Das Spiel wurde hitziger und auch RWE kam zu Tormöglichkeiten, es wollte allerdings nicht klappen. Ab der 69. Minute waren dann die Teams zahlenmäßig wieder ausgeglichen, als Jerone Al-Hazaimeh trotz der Verwarnung noch einmal richtig hinlangte und zum Duschen geschickt wurde.

In der Nachspielzeit hatte RWE dann eine gute Möglichkeit zum Anschluss, denn Marcel Platzek durfte noch einen Elfmeter schießen. Er trat an, zimmerte mit allem was er hatte aufs Tor und dann knallte der Pfosten. Es passte zu einem rabenschwarzen Tag, den der Schiedsrichter kurz darauf beendete.

Das Fazit bleibt hier eindeutig: Man kann auf jeden Fall gegen den Tabellenführer verlieren, bei dem man jederzeit den Eindruck hatte, dass er den Druck beliebig erhöhen könnte. Zumal es in der Liga wahrscheinlich kaum eine Mannschaft gibt, der 70 Minuten Unterzahl (es waren dann ja nur 50) nicht zugesetzt hätten. Aber über weite Strecken wirkte es, als hätte sich RWE völlig ergeben. Man vermisste bei einigen Spielern selbst die Grundtugenden und das macht richtig Angst vor den Aufgaben, die jetzt noch anstehen. Auf mögliche Was-Wäre-Wenn-Szenarien, die bereits durchgespielt werden, darf man sich nicht verlassen. Man stelle sich nur vor, wir hocken Ende Mai vor den Fernsehern und drücken Lotte die Daumen, damit sie aufsteigen, damit ein Abstiegsplatz wegfällt.

Nun wurde Jan Siewert am Sonntag von seinen Aufgaben entbunden, damit ist die Idee eines Neuanfangs nach nicht einmal einem Jahr völlig vor die Wand gefahren. Auch wenn die Entscheidung nachvollziehbar ist, so sollte man auch noch einmal an den Menschen Jan Siewert denken, anstelle in Freudenjubel auszubrechen. Der junge Mann musste viel einstecken und war sichtlich von der Situation gezeichnet. Auch wenn er glücklos war, so hat er doch alles versucht, um seine Idee von Fußball durchzusetzen und hart gearbeitet. Das sollte zumindest den notwendigen Respekt abnötigen, ihm alles Gute zu wünschen, und dass er die Situation an der Hafenstraße schnell für sich selbst aufarbeiten kann. Doch egal, ob Stefan Lorenz oder irgendjemand sonst Trainer ist, so muss am Freitag eine Mannschaft bereitstehen, die ganz anders auftritt als RWE am Samstag. Dabei muss Rot-Weiss nicht nur auf Richard Weber verzichten, sondern auch auf Marcel Platzek, der sich bei einem harten Einsteigen in der Hälfte der Lotte eine völlig unnötige gelbe Karte eingehandelt hat. Da es seine fünfte ist, fährt der Torjäger, der einer der wenigen Lichtblicke war, am Freitag aus. Drücken wir dem Rest die Daumen, damit sich die Schlinge nicht noch fester zuzieht.


Jawattdenn-Spielerbewertung (folgt)

Robin Heller
Heller
[]
Jeffrey Obst
Obst
[]
Philipp Zeiger
Zeiger
[]
Richard Weber
Weber
[]

Tolga Cokkosan
Cokkosan
[]

Moritz Fritz
Fritz
[]
Kasim Rabihic
Rabihic
[]
Marwin Studtrucker
Studtrucker
[]
Vojno Jesic
Jesic
[]
Kevin Grund
Grund
[]
Frank Löning
Löning
[]
Joachim Osvold
Osvold
[] 
Amar Cekic
Cekic
[]
Marcel Platzek
Platzek
[]
Andreas Ivan
Ivan
[]
Benjamin Baier
Baier
[]
Leon Binder
Binder
[]
Gino Windmüller
Windmüller
[]
Niclas Heimann
Heimann
[]
Patrick Huckle
Huckle
[]


Rot-Weiss Essen

Heller, Binder, Weber, Zeiger, Huckle (72. Löning), Fritz, Baier, Studtrucker (46. Obst), Grund, Ivan (84. Windmüller), Platzek

Sportfreunde Lotte

Fernandez, Langlitz, M. Rahn, G. Nauber, Hazaimeh, Dej, Siegert, Pires-Rodrigues (80. Wendel), Heyer, Granatowski (72. Neidhart), Freiberger (84. Latkowski)

 

Tore

0:1 Dej (4.), 0:2 Dej (36.)

 

Zuschauer

6.700

 

Schiedsrichter

Mitja Stegemann

 

Gelbe Karten

Platzek (5. Gelbe Karte), Obst (6. Gelbe Karte) - Fernandez (3. Gelbe Karte), Hazaimeh (68.), Granatowski (6. Gelbe Karte), Heyer (3. Gelbe Karte)

 

Rote Karte

Weber (16., Notbremse)