4:4 – ein Spektakel, das kaum jemanden zufrieden stellte
Diejenigen Regionalliga-Kenner unter den rund 11.000 Besuchern im Stadion Essen, die Bilder von den RWE-Auftritten gegen Bochum und Aachen sowie von den RWO-Spielen in Verl und Wattenscheid vor Augen hatten, werden es vor dem Anpfiff vielleicht schon vermutet haben: Dieses Spiel kann auf keinen Fall 0:0 ausgehen!
Denn zwei zuletzt starke Sturmreihen trafen auf zwei zuletzt ziemlich anfällige Abwehrketten, ein torreiches Spiel war also durchaus nicht unwahrscheinlich. Mit einem solchen Torspektakel dürften aber dennoch nur die Wenigsten gerechnet haben. Und obwohl es ein sehr kurzweiliges Spiel war, brachte es kaum glückliche Anhänger hervor, als Schiedsrichter Steffens nach 94 Minuten die Partie abpfiff. Ein Unentschieden zu Hause gegen 10 Oberhausener nach einer spielerisch limitierten und defensiv katastrophalen Leistung sorgte im Essener Lager höchstens für Erleichterung wegen des späten Ausgleichs. Und auch aus den Oberhausener Gesichtern konnte man nach dem Schlusspfiff keine Freude ableiten, zu dicht stand man vor dem ersten Auswärtssieg an der Hafenstraße seit sieben Jahren.
Vor dem Spiel spekulierte man in Fankreisen, ob Nakowitsch oder ob der in Wattenscheid starke Grebe neben Baier im zentralen Mittelfeld starten würde. Die Antwort von Trainer Fascher: Beide standen in der Startelf! Gleichzeitig überraschte er mit einer ungewohnten 4-4-2-Formation. War das das Ergebnis der internen Fehler-Analyse nach dem Bochum-Spiel, eine Systemumstellung, die das Mittelfeld stärken und zu mehr Kompaktheit führen sollte? Wenn ja, dann ging sie in die Hose, wie auch jedes andere Vorhaben für das Spiel schnell ad absurdum geführt wurde, denn ein schneller Rückstand stand sicher auf keinem Plan für einen gelungenen Spielauftakt: Oberhausens Sturmhüne Jansen wurde flach im 16er angespielt und ließ seinen Gegenspieler Weber im Bodenduell ganz alt aussehen. Seine flache Hereingabe brauchte Schikowski aus wenigen Metern nur noch über die Linie zu drücken – 0:1 (6.)!
Essen reagierte fahrig auf den Rückstand. Die Pressing-Versuche wirkten halbherzig und unkoordiniert und das Aufbauspiel war statisch und inspirationslos. Nach 20 Minuten hatte Fascher bereits genug gesehen und stellte das System wieder auf das gewohnte 4-2-4 um. Systemwechselbedingtes Bauernopfer war dabei Nakowitsch, der als nun überzähliger zentraler Mittelfeldspieler früh duschen gehen durfte. Für ihn wurde Arenz eingewechselt, der die rechte Seite beackern sollte. Experiment frühzeitig gescheitert!
Aber das RWE-Spiel wurde nun ein wenig besser. Der einzige schnell vorgetragene Angriff, der zum Abschluss gebracht werden konnte, lieferte die erste Ausgleich-Möglichkeit: Soukou tankte sich in seiner besten Szene auf der linken Seite gegen zwei Oberhausener durch und legt den Ball Studtrucker auf, dessen Flankenball Arenz per Kopf nur an die Querlatte lenken konnte (26.). Die RWO-Hintermannschaft stand dadurch aber scheinbar kurz unter Schockstarre, denn nur wenige Sekunden später registrierte niemand, wie sich unser Torjäger vom Dienst, Platzek, nach einem durch Hermes schnell ausgeführten Einwurf im Oberhausener Strafraum freilief und aus kurzer Distanz und spitzem Winkel am überraschten Kühn vorbei zum 1:1 abstaubte (25.)!
Doch wer gedacht hatte, dass damit ein Knoten platzen und das Spiel nun kippen würde, wurde durch die heute völlig indisponierte RWE-Innenverteidigung schnell eines Besseren belehrt. Neunaber, der bisweilen wie ein Aushilfsverteidiger aus der Altherren-Mannschaft wirkte, wurde an der Außenlinie durch Bauder vernascht, sein kurzer Pass bescherte Schikowski freie Bahn in den Strafraum, wo der bärenstarke Jansen bereits seinen Gegenspieler Weber abgeschüttelt hatte und das Schikorski-Zuspiel problemlos zum 1:2 in die kurze Ecke lenken konnte.
RWE blieb zwar weiterhin harmlos, aber die Moral stimmte. Und wenn spielerisch nichts geht, dann gehen ja bekanntlich immer noch die Standardsituationen, Essens neues Spezialgebiet. Neben den Hermes-Einwurfflanken kommen jetzt noch die Baier-Freistoßhämmer dazu, eine erste Kostprobe gab es in der 38. Minute: Aus 20 Metern zirkelte er den Ball unhaltbar zum 2:2 in das linke obere Tordreieck, RWE war wieder da!
Aber noch nicht so richtig. Auf dem Platz gelang es auch zu Beginn der zweiten Halbzeit nicht, RWO unter Druck zu setzen. Umgekehrt wackelte man hinten bei jedem der auch nicht besonders häufigen Oberhausener Vorstöße bedenklich, wie aus Halbzeit 1 gewohnt meist auf Einladung eines Innenverteidigers. So auch in der 51. Minute, als der Opa der Kompanie einen langen Ball unterlief, aber Heimann den Torschuss von Schikowski abwehren konnte (51.).
Auf der Gegenseite die im Grunde einzige ernsthafte Möglichkeit für RWE in Führung zu gehen: Diesmal brachte ein schlimmer Fehlpass von Oberhausens Scheelen Platzek in eine aussichtsreiche Schussposition im Strafraum, aber er spielte einen unsauberen Querpass auf Studtrucker, der den Ball nicht richtig verarbeiten konnte und schließlich abgedrängt wurde. Vielleicht hätte Platzek hier eigensinniger abschließen müssen (53.).
Anschließend war RWO am Drücker: Erst klärte Heimann ganz stark einen fulminanten Torschuss von Reinert zur Ecke (55.), dann brennt es zweimal nach Eckbällen lichterloh. Und in der 61. Minute war es dann soweit: Einen zu kurz abgewehrten Ball hämmerte Scheelen aus gut 30 Metern an Freund und Feind vorbei in Richtung linke untere Torecke. Heimann war offenbar die Sicht versperrt, er reagierte erst spät, genauer zu spät, denn der Ball schlug im Tornetz zum 2:3 ein.
Und die Anhänger fragten sich: Kann RWE noch ein drittes Mal zurückschlagen? Unterstützung erhielt dieses Vorhaben von Patrick Bauder. Er verlor nach einem Foulspiel die Nerven und dezimierte seine Mannschaft durch einen gezielten und sicher schmerzhaften Tritt in Benjamin Baiers Weichteile – glatt Rot (65.)! Doch die Hoffnung auf eine dritte Wendung im Spiel währte erstmal nur kurz. RWE führte erst den vierten Akt aus dem Stück „Toreschießen leicht gemacht“ auf: Diesmal brauchte RWO den Ball von der Mittellinie einfach nur weit und hoch in den 16er zu pöhlen, dort staunte Weber einmal mehr, wie sein Gegenspieler Jansen eine Etage über ihm den Ball trocken zum 2:4 einnickte (68.)!
RWE war scheinbar mausetot und die Stimmung im Stadion drohte nun zu kippen, erste Unmutsbekundungen waren zu vernehmen. Doch mittenrein in die aufkommende Totengräberstimmung holte Baier nochmal seinen Hammer raus – nicht seinen verletzten, sondern den Torschusshammer: Wieder ein direkter Freistoß, diesmal aus 25 Metern, diesmal in die Torwartecke – 3:4 (71.), und die Westkurve lebte wieder!
Der richtige Weg in den Oberhausener Strafraum war für den Essener Angriff aber weiterhin kaum aufzufinden und die Zeit spielte gegen Rot-Weiss. Glücklicherweise wollte sich aber auch Oberhausens Hintermannschaft es nicht nehmen lassen noch einmal aufzuzeigen, warum man zu diesem Zeitpunkt bereits acht Gegentore in drei Auswärtsspielen kassiert hatte: Oberhausens Brisevac spielte den Ball unbedrängt per Kopf in die Füße von Dombrowka, der Weber an der Strafraumkante bediente. Er sah am langen Pfosten Lukas Arenz heranstürmen, dessen Gegenspieler im Laufduell stolpernd zu Boden fiel und sich so selbst aus dem Spiel nahm. Webers Flankenball konnte Arenz problemlos aus kürzester Entfernung mit dem Schienbein über die Linie zum viel umjubelten 4:4 über die Linie drücken (86.)! Das war auch die letzte Torraumszene in einem denkwürdigen und ereignisreichen, aber nicht wirklich zufriedenstellendem Spiel.
Bestnoten verdienten sich heute (einmal mehr) Platzek und Baier, beide spielen bisher eine konstant starke Saison. Die Baustellen in der Mannschaft sind aber leider nicht kleiner geworden, spielerisch konnte zu keiner Minute an die erste halbe Stunde gegen Aachen angeknüpft werden. Priorität dürfte aber das Thema „Kompaktheit“ haben: insbesondere in der Viererkette muss etwas passieren, die Anzahl der groben individuellen Fehler nimmt von Spiel zu Spiel zu. Bis zum kommenden „Auswärtsspiel“ gegen Kray gibt es also viel zu tun, denn unabhängig von der derzeitigen Form und Einsatzfähigkeit einzelner Spieler ist die Erwartungshaltung der Anhänger ganz klar: Gegen Kray zählt nur ein Sieg!
Jawattdenn-Spielerbewertung
Heimann [4] |
Dombrowka [4+] |
Weber [5+] |
Neunaber [5] |
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Grebe [3] |
Baier [2] |
Nakowitsch [4+] |
Soukou [3-] |
Studtrucker [4+] |
|
Platzek [2] |
Arenz [3] |
Treude [o.B.] |
Rot-Weiss Essen
Heimann, Dombrowka, Weber, Neunaber (84. Treude), Hermes, Nakowitsch (18. Arenz), Grebe, Baier, Studtrucker, Platzek, Soukou
Rot-Weiß Oberhausen
Kühn, Tyler (89. Schiebener), Haas, Weigelt, Herzenbruch, Scheelen, Fleßers, Reinert, Bauder, Schikowski (80. Brisevac), Jansen
Tore
0:1 Schikowski (6.), 1:1 Platzek (25.), 1:2 Jansen (28.), 2:2 Baier (38.), 2:3 Scheelen (61.), 2:4 Jansen (68.), 3:4 Baier (71.), 4:4 Arenz (86.)
Zuschauer
11.077
Schiedsrichter
Andreas Steffens
Gelbe Karten
Platzek, Baier, Arenz - Fleßers, Bauder, Weigelt, Brisevac
Rote Karte
Bauder (65., Tätlichkeit)