Déjá-vu gegen Kray
Das Positive vorweg: Die Krayer Offensivpower, die der löchrigen Essener Hintermannschaft vor einem halben Jahr noch vier Gegentore eingeschenkt hatte, kam gestern Abend überhaupt nicht zur Entfaltung. Über alles andere möchte man am liebsten den Mantel des Schweigens legen, aber nach dem vierten Offensivdebakel im vierten Rückrundenspiel glauben nur noch wenige daran, dass die dargebotenen Leistungen allein mit Pech und einem mysteriösen Fluch zu erklären sind.
Die Erwartungshaltung unter den Fans vor dem Spiel war klar: Nach der ernüchternden Derby-Niederlage in der Vorwoche rechnete man mit einer Mannschaft, die die Niederlage vergessen machen möchte, die im Gegensatz zum Spiel in Oberhausen auch gewillt ist Gras zu fressen, um einen in allen fußballerischen Belangen limitierten Gegner, der sich mit der Empfehlung von einem Sieg aus den letzten 16 Spielen und im Schnitt zwei Gegentoren pro Spiel an der Hafenstraße vorstellte, von Beginn an den Schneid abzukaufen.
Doch schon früh wurde den (nur noch) rund 8.700 Rot-Weissen klar, dass diese Erwartungen kaum erfüllt werden können. Die Mannschaft knüpfte genau dort an, wo sie in Oberhausen aufgehört hatte: Mit emotions- und kreativlosem Sicherheitsfußball nach Schema F(ascher). Zwar machte RWE wie erwartet von Beginn an – zumindest im weitesten Sinne – das Spiel und hatte gefühlt 80% Ballbesitz, davon gingen aber 70% allein auf das Konto von Weber und Binder, die sich in der eigenen Hälfte permanent den Ball gegenseitig zuspielten. Mal nach links, mal nach rechts, offenbar immer auf der Suche nach so großen Lücken, dass man ja keine spielerisch-kreativen Mittel anwenden muss, um den Ball nach vorne zu bringen. Aber diese großen Lücken gab es natürlich nicht einmal gegen eine Abwehr aus Kray, die in dieser Saison sicher noch nicht mit dem Attribut „kompakt“ in Verbindung gebracht wurde. So wurde am Ende des Ballgeschiebes wieder fast nur das Langholz ausgepackt, das Wagner und Co. in der Regel keinerlei Probleme bereitete.
Und wenn dann doch mal ein Ball durchrutschte, dann war es Kunz, der an Bällen alles aus seinem 16er abfing oder rausboxte, was abzufangen oder rauszuboxen war. Die überraschende Idee Faschers, Zeiger als Mittelfeldmann aufzustellen, verpuffte völlig. Im Kopfballspiel war er zwar wie immer sehr präsent, der Spielaufbau ist aber sein Ding nicht.
Torchancen in der ersten Hälfte? Sind schnell abgehandelt: Steffens einzige gelungene Flanke im gesamten Spiel köpfte Studtrucker aus (zu) spitzem Winkel ins Toraus (28.). Kurz darauf sorgte ein eher planlos hoch reingepölter Ball für eine der seltenen Krayer Verwirrungszustände, an dessen Ende der Ball Freiberger an der Fünfmeterkante vor die Füße fiel. Offenbar völlig überrascht drosch er ihn jedoch in die 2. Etage (31.).
Torchancen von Kray? Fehlanzeige. Und weil auch die RWE-Standardsituationen eine erschreckende Harmlosigkeit offenbarten, begleitete die Mannschaft erstmals seit langem wieder ein (berechtigtes) Pfeifkonzert in die Kabine.
Gespannt war man zumindest auf die Maßnahmen, die Fascher ob der grauenvollen Darbietung in der Pause treffen würde. Nicht jeden hat die Antwort überrascht: Gar keine.
Und entsprechend ging es langweilig mit Breitband- und Langholzfußball weiter und eine Kopie der ersten Halbzeit drohte. Im Grunde wurde es auch eine, wenn da nicht der Glücksmoment eines bislang eher unbekannten Spielers namens Akman gewesen wäre, der den Ball aus 20 Metern unhaltbar zum 0:1 unter die Latte nagelte (58.). Das saß!
Die Reaktion der Mannschaft? Zunächst eine Rückblende in die Hinrunde, zu einer vergleichbaren Situation: Auswärtsspiel in Siegen, es kriselte zwischen Fans und Mannschaft. Die erste Halbzeit war grauenvoll, in der zweiten Halbzeit ging Siegen in Führung. Wie reagierte damals die Mannschaft? Mit Biss, mit Power, mit Tempo, mit wütenden Angriffen, mit gelungenen Spielzügen und am Ende stand ein doch noch überzeugender 3:1-Sieg. Und am Freitagabend? Nichts, keine sichtbare Reaktion auf den Rückstand, weiterhin Dienst nach Vorschrift. Dass das Ergebnis nicht stimmte, erkannte man von Außen allenfalls daran, dass Heimann bemüht war, den Ball beim Flachabstoß etwas schneller wieder ins Spiel zu bringen als vor dem Gegentor. Erst als die ersten Krayer Spieler die Kräfte verließen und von Krämpfen geplagt wurden, gelang RWE so etwas wie Torgefahr. Studtrucker war der erste, der eine echte Torchance für RWE verbuchen konnte, sein Flachschuss wurde von Kunz ganz stark pariert. Da lief bereits die 89. Minute. In der Nachspielzeit versemmelte ebenfalls Studtrucker nach einer Ecke die letzte Möglichkeit, so dass man nun wieder von einer unglücklichen Niederlage sprechen kann, wenn man mag. Aber auch ein spätes Ausgleichstor hätte die derzeitigen Probleme nicht kaschieren können.
Die Mannschaft war „stets bemüht“, aber das Feuer, die zusätzlichen 10%, die man in so einem Derby erwarten kann und muss, waren nicht vorhanden. Spielerisch noch grauenvoller als in den schlechtesten Spielen unter Wrobel, stehen wir nun wieder da, wo wir vor ungefähr einem Jahr auch standen, nur dass man eine deutlich kostenintensivere Mannschaft auf dem Platz stehen hat. Nüchtern betrachtet liegen wir in der Tabelle noch im Zielkorridor. Aber die Sorge wächst, dass die erfolgreiche Hinrunde vor allem durch die vielen Standard-Tore möglich war, die wahren spielerischen Fähigkeiten ohne Tore nach ruhenden Bällen jetzt aber offensichtlich werden. Mit Platz 5 wird die Anhängerschaft nach allen unpopulären Veränderungen im Sommer und den prominenten Neuverpflichtungen im Winter kaum noch zufrieden stellen können. Schließlich war man schon unter Wrobel Vierter mit einer deutlich günstigeren Mannschaft.
Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation ist natürlich, dass diese Offensiv-Probleme wirklich ernsthaft als Problem (an-)erkannt werden. Die Aussagen Faschers nach dem Spiel lassen aber ein eher mulmiges Gefühl entstehen. Einen „Fluch“ hat er ausgemacht, der „seit dem 23. Dezember“ über der Mannschaft hänge. Meinen Sie das wirklich ernst, Herr Fascher?
Auch die Aussage über die junge Mannschaft mit nur wenigen Führungskräften in dem von Fascher selbst zusammengestellten Kader kommt einem reichlich skurril vor, wenn man bedenkt, dass gerade unter der Woche die Diskussion über die U23-Problematik mit nur noch sechs einsatzfähigen U23-Kickern aufgekommen ist. Zudem verzichtete Fascher freiwillig z.B. auf die Erfahrung des auf der Bank schmorenden Mario Neunaber.
Wir alle machen Fehler, und nach einer schwachen Serie muss man nicht sofort Entlassungen fordern. Aber wenn man das Umfeld beruhigen möchte, dann müssen diese Fehler erkannt und benannt werden. So hat sich Fascher sicherlich etwas Sinnvolles dabei gedacht, Zeiger ins Mittelfeld zu stellen. Dass diese Maßnahme jedoch überhaupt keinen positiven Effekt für das Offensivspiel hatte, kann man aber auch ruhig mal einräumen. Jedenfalls hat das garantiert nichts mit Flüchen zu tun.
Hoffen wir, dass Marc Fascher auf der Pressekonferenz keine sachliche, sondern eine emotionale, aus einer ersten Frustration heraus geführte Fehler-Analyse zum Besten gegeben hat. Denn überirdische Mächte als Hauptursache für das Versagen anzuführen passt nicht zu einem professionellen Übungsleiter.
Aber welche (irdischen) Gründe gibt es für diese spielerischen und zuletzt auch kämpferischen Anti-Leistungen? Aus Fan-Sicht kann man natürlich kaum mehr als spekulieren.
Zumindest war die Westkurve diesmal sehr geduldig. Das qualvolle Gebolze gegen Aachen, Bochum und Oberhausen hat man mit toller Unterstützung und ohne Unmutsbekundungen noch über sich ergehen lassen. Einzelne Spieler wurden nicht wie noch in der Hinrunde vom eigenen Publikum verunsichert. Erst nach dem 0:1 am Freitag wurde es ungemütlicher. Es gab auch wieder ein paar unschöne Szenen nach dem Spiel am Zaun, aber dieses zu verurteilende Verhalten einiger weniger Anhänger kann diesmal ganz klar nur als Wirkung, nicht aber als Ursache der miesen Leistungen auf dem Platz angeführt werden.
Denkbar wäre auch eine wachsende Unzufriedenheit im Kader, nicht nur bei Limbasan. In der Winterpause wurden drei neue Spieler verpflichtet, die auch alle schon zum Einsatz kamen, von denen aber (noch) keiner nachweisen konnte, irgendetwas besser zu können als das vorher schon vorhandene Personal. Vielleicht war es nicht sonderlich förderlich, dass Fascher immer wieder betonte, wie toll alle Spieler im Kader mitziehen aber ihnen dann doch neue Spieler vor die Nase gesetzt werden. Warum schenkt man nicht mehr Spielern wie Nakowitsch oder Treude das Vertrauen, die vor der Winterpause mitgeholfen haben, den Verein auf Platz 1 zu führen?
Weniger spekulativ, sondern für Jedermann offensichtlich ist, dass sich die Gegner, selbst die defensiv schwachen, inzwischen auf die monotone, immer gleiche offensive Spielweise prima eingestellt haben. Essens Offensive lässt derzeit jede ansonsten noch so wackelige Abwehr sehr gut aussehen. Und hier muss dringend etwas passieren. Mit so viel Prominenz im Kader muss man auch mit deutlich weniger Langholz auskommen können. Die Defensivprobleme in der Hinrunde waren vergleichsweise einfach gelöst worden, nämlich durch Personalwechsel in der Abwehrkette. Nun aber drückt der Schuh im Spielsystem. Personalrotation auf den Flügeln hatten wir nun im Wochentakt – ohne überzeugende Lösung. Hier muss der Hebel angesetzt werden, auf welche Art und Weise auch immer.
In ein paar Wochen kommt es zum dritten Aufeinandertreffen der beiden Vereine im Pokal. Leider hat es RWE versäumt, sich beim Wechsel von Wingerter und Limbasan vertraglich zusichern zu lassen, dass Kray im Pokal nur mit der zweiten Mannschaft auflaufen darf. Ein wenig Hoffnung auf einen Erfolg im dritten Anlauf bleibt aber bestehen, denn zum Glück hat der Pokal bekanntlich seine eigenen Gesetze!
Jawattdenn-Spielerbewertung
Heimann [3-] |
Dombrowka [4] |
Binder [4] |
Weber [4] |
|
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Zeiger [4] |
Baier [5+] |
Steffen [5-] |
Freiberger [5] |
Studtrucker [5] |
|
Platzek [5-] |
Hermes [o.B.] |
Platzek [o.B.] |
Rot-Weiss Essen
Heimann, Dombrowka, Binder, Weber, Huckle, Studtrucker, Baier, Zeiger, Steffen (64. Hermes), Kreyer, Freiberger (64. Platzek)
FC Kray
Kunz, Waldoch, Wagner, Kehrmann, Zimmermann, Meißner (Ketsatis), Akman, Mengert, Yahkem, Elouriachi (66. Yesilova), Gödde (74. Aubameyang)
Tore
0:1 Akman (58.)
Zuschauer
8.756
Schiedsrichter
Bastian Börner
Gelbe Karten
Baier (4. Gelbe Karte) - Akman