Marmor, Stein und Rohrstahl bricht...
Auch im zweiten Heimspiel der Saison konnte Rot-Weiss Essen keinen dreifachen Punktgewinn an der Hafenstraße verzeichnen. Nach dem enttäuschenden Remis gegen die defensiv stehenden und eher destruktiv spielenden Amateure von Bayer Leverkusen letzte Woche, erhoffte sich das rot-weisse Fanlager gegen den Kölner Millionenkader ein komplett anderes Spiel, sah man doch letzte Saison gegen die nominell stärkeren Truppen immer recht gut aus. Am Ende setzte es dennoch eine 1:2-Niederlage.
Bereits vor zweieinhalb Wochen sorgte die Partie für Enttäuschung bei
den Fans: Da sollte das Spiel eigentlich unseren Saisonauftakt
darstellen und an einem heißen Samstagmittag über die Bühne gehen. Ein
historisches Spiel stand bevor, bei dem die Westtribüne, auf dem alten
Platz der legendären Westkurve des Georg-Melches-Stadions gelegen,
eröffnet und fortan die neue Heimat der stehenden RWE-Fans werden
sollte. Es wäre das erste Spiel seit rund zwei Jahrzehnten in einem
Stadion mit vier funktionsfähigen Tribünen an der Essener Hafenstraße
geworden. Selten zuvor hatte sich ein solcher Mix an Vorfreude,
Nervosität, Anspannung und Gier nach Fußball an der Hafenstraße
zusammengebraut. Doch es kam anders: Eine geplatzte Schweißnaht
verursachte über Nacht eine gewaltige Flut im Kellergeschoss der neuen
Haupttribüne. Bis zu zwei Meter hoch soll das Wasser auf den 1600 m²
gestanden haben. Erste Prognosen bezifferten einen Schaden in
sechsstelliger Höhe. Einen Platz in den rot-weissen Geschichtsbüchern
war dem Spiel bereits sicher, bevor es stattgefunden hat.
Zurück zum Spiel: Die wackelige Abwehr stellte Wrobel nur auf den
Außenpositionen um. Für den an einem Magen-Darm-Infekt erkrankten
Langlitz spielte Dombrowka, für den ins Mittelfeld aufgerückten Grund
kam Roberto Guirino ins Spiel. Beide machten eine souveräne, wenn auch
nicht herausragende Partie. Die umstrittene Innenverteidigung blieb
dagegen unberührt. Ein Markus Heppke zeigte mit einigen Unsicherheiten
in der Defensive erneut auf, dass mit ihm ein nicht etatmäßiger
Abwehrspieler in der Viererkette steht. Der formschwache Vincent Wagner
konnte sich nach seinem Totalausfall etwas fangen ohne dabei zu glänzen.
Wrobels taktische Ausrichtung, dem Retortenklub den Ball zu überlassen
ging auf. Gefährlich wurde es vor dem Essener Gehäuse selten bis gar
nicht, in der eigenen Offensive sah es nur leider nicht anders aus.
Das Mittelfeld wirkte ebenso erneut blass und konnte in der
Vorwärtsbewegung keine effektiven Spielzüge einleiten. Somit
beschränkten sich die Bemühungen auf lange Bälle in die grobe Richtung
von Knappmanns Glatze. Nahezu alle Flanken jedoch, genauso wie die
getretenen Standardsituationen, fielen wie Obst in die Hände des Kölner
Keepers oder landeten gleich im Aus.
So verlief die erste Halbzeit auch nach einem leichten Abtasten ziemlich
ereignislos. Große Torchancen gab es auf beiden Seiten nicht. Gerade
aber nach der desolaten Leistung gegen Bayer II hatte man sich von
unserer Mannschaft eine Trotzreaktion erhofft. Mehr als das Prädikat
„stets bemüht“ konnte man den Jungs aber leider nicht attestieren. Zum
mental ungünstigen Zeitpunkt kurz vorm Halbzeitpfiff konnte dann ein
Kölner den Ball vorbei an zwei Essenern in den 5-Meter-Raum bringen, wo
Sensibelchen Wunderlich zur Führung einnetzte. Ein Abbild des zweiten
Tores aus dem Leverkusen-Spiel.
Die zweite Hälfte erfuhr dann etwas mehr Intensität, nicht unbedingt
aber mehr Qualität. Erst als uns ein von Markus Heppke verwandelter
Elfmeter in der 74. Minute ausgleichen ließ, kam wieder Kampf in das
Essener Spiel. Gleichzeitig, beflügelt vom Ausgleich und aufgeheizt
durch ein persönliches Scharmützel der Westtribüne mit dem gegnerischen
Torwart Koczor, fing auch die Hafenstraße wie in besten Zeiten an zu
beben. Nachdem FIFA-Schiri Kinhöfer nur kurze Zeit später ein zweites
Mal, diesmal doch schmeichelhaft, auf den Punkt zeigte, wähnte man sich
schon im Siegesrausch. Aber wie es in Essen eben so läuft, wenn man
gerade ein paar Endorphine ausgestoßen hat, folgt der nächste
Nackenschlag auf dem Fuße.
Der provokant auftretende Koczor parierte
Heppkes zweiten Elfmeter und warf seine Freude der rasenden Westtribüne
entgegen, die mit diverser Malocherausrüstung antwortete. Traditionell
in der letzten Spielminute pfiff Kinhöfer dann den vierten Elfmeter im
zweiten Saisonspiel im Stadion Essen und leitete damit den Sieg der
Domstädter ein. Entsetzen lösen solche abartigen Spielverläufe bei
Rot-Weiss nicht mehr aus, eher ging ein resigniertes Kopfschütteln
umher, das eine solche Schlussphase bereits erwartet hatte.
In der Nachspielzeit konnte immerhin die Westtribüne noch als
eindeutiger Sieger aus der Konfrontation mit Raphael Koczor hervorgehen
und begleitete den Schlussmann, der die Ampelkarte erhielt, warum auch immer, mit Schmähgesängen in die
Kabine. Frenetisch bejubelt wurde obendrein noch die Haupttribüne, die
dem aufgebrachten Provokateur mit gekonnten Bierduschen aus dem
Familienblock das Gemüt kühlte.
Die „steten Bemühungen“ der Mannschaft wurden nach Abpfiff immerhin mit einem kraftgebenden Applaus honoriert – die anschließende Forderung
nach einem Auswärtssieg blieb hoffentlich nicht ungehört.
Marmor, Stein und Rohrstahl bricht, aber Rot-Weiss Essen nicht. Alle nach Düsseldorf!
Jawattdenn-Spielerbewertung
Schwabke [3] |
Dombrowka [3+] |
Heppke [4+] |
Wagner [4] |
|
|
Wingerter [4+] |
Pires-Rodrigues [3-] |
Grund [3] |
Platzek [3-] |
Knappmann [4+] |
|
Sawin [4] |
Sauter [o.B.] |
Koep [o.B.] |
Rot-Weiss Essen
Schwabke, Dombrowka, Heppke, Wagner, Guirino, Wingerter, Pires-Rodrigues, Grund, Platzek (86. Koep), Knappmann, Sawin (73. Sauter)
Viktoria Köln
Koczor, Hickl, Reiche, Löhden, Andreas Schäfer, Staffeldt, Nottbeck (79. Steegmann), Wunderlich, Costa, Streit (79. Candan), Pagano (90.+2 Vogel)
Tore
0:1 Wunderlich (41.), 1:1 Heppke (74. Foulelfmeter), 1:2 Wunderlich (89. Foulelfmeter)
Zuschauer
10.350
Schiedsrichter
Thorsten Kinhöfer (Herne)
Gelbe Karten
Schwabke (77.), Wingerter (82.), Dombrowka (90.+3) - Nottbeck (55.), Löhden (61.)
Gelb-rote Karte
Koczor (90.+1 Unsportlichkeit)
Besondere Vorkommnisse
Heppke scheitert mit Foulelfmeter an Koczor (81.)