13.08.2013

Marmor, Stein und Rohrstahl bricht...

von Sebastian Hattermann

Auch im zweiten Heimspiel der Saison konnte Rot-Weiss Essen keinen dreifachen Punktgewinn an der Hafenstraße verzeichnen. Nach dem enttäuschenden Remis gegen die defensiv stehenden und eher destruktiv spielenden Amateure von Bayer Leverkusen letzte Woche, erhoffte sich das rot-weisse Fanlager gegen den Kölner Millionenkader ein komplett anderes Spiel, sah man doch letzte Saison gegen die nominell stärkeren Truppen immer recht gut aus. Am Ende setzte es dennoch eine 1:2-Niederlage.

Verloren, aber mächtig Stimmung im StadionBereits vor zweieinhalb Wochen sorgte die Partie für Enttäuschung bei den Fans: Da sollte das Spiel eigentlich unseren Saisonauftakt darstellen und an einem heißen Samstagmittag über die Bühne gehen. Ein historisches Spiel stand bevor, bei dem die Westtribüne, auf dem alten Platz der legendären Westkurve des Georg-Melches-Stadions gelegen, eröffnet und fortan die neue Heimat der stehenden RWE-Fans werden sollte. Es wäre das erste Spiel seit rund zwei Jahrzehnten in einem Stadion mit vier funktionsfähigen Tribünen an der Essener Hafenstraße geworden. Selten zuvor hatte sich ein solcher Mix an Vorfreude, Nervosität, Anspannung und Gier nach Fußball an der Hafenstraße zusammengebraut. Doch es kam anders: Eine geplatzte Schweißnaht verursachte über Nacht eine gewaltige Flut im Kellergeschoss der neuen Haupttribüne. Bis zu zwei Meter hoch soll das Wasser auf den 1600 m² gestanden haben. Erste Prognosen bezifferten einen Schaden in sechsstelliger Höhe. Einen Platz in den rot-weissen Geschichtsbüchern war dem Spiel bereits sicher, bevor es stattgefunden hat.

Zurück zum Spiel: Die wackelige Abwehr stellte Wrobel nur auf den Außenpositionen um. Für den an einem Magen-Darm-Infekt erkrankten Langlitz spielte Dombrowka, für den ins Mittelfeld aufgerückten Grund kam Roberto Guirino ins Spiel. Beide machten eine souveräne, wenn auch nicht herausragende Partie. Die umstrittene Innenverteidigung blieb dagegen unberührt. Ein Markus Heppke zeigte mit einigen Unsicherheiten in der Defensive erneut auf, dass mit ihm ein nicht etatmäßiger Abwehrspieler in der Viererkette steht. Der formschwache Vincent Wagner konnte sich nach seinem Totalausfall etwas fangen ohne dabei zu glänzen. Wrobels taktische Ausrichtung, dem Retortenklub den Ball zu überlassen ging auf. Gefährlich wurde es vor dem Essener Gehäuse selten bis gar nicht, in der eigenen Offensive sah es nur leider nicht anders aus.

Heppke zum Ersten...Das Mittelfeld wirkte ebenso erneut blass und konnte in der Vorwärtsbewegung keine effektiven Spielzüge einleiten. Somit beschränkten sich die Bemühungen auf lange Bälle in die grobe Richtung von Knappmanns Glatze. Nahezu alle Flanken jedoch, genauso wie die getretenen Standardsituationen, fielen wie Obst in die Hände des Kölner Keepers oder landeten gleich im Aus.

So verlief die erste Halbzeit auch nach einem leichten Abtasten ziemlich ereignislos. Große Torchancen gab es auf beiden Seiten nicht. Gerade aber nach der desolaten Leistung gegen Bayer II hatte man sich von unserer Mannschaft eine Trotzreaktion erhofft. Mehr als das Prädikat „stets bemüht“ konnte man den Jungs aber leider nicht attestieren. Zum mental ungünstigen Zeitpunkt kurz vorm Halbzeitpfiff konnte dann ein Kölner den Ball vorbei an zwei Essenern in den 5-Meter-Raum bringen, wo Sensibelchen Wunderlich zur Führung einnetzte. Ein Abbild des zweiten Tores aus dem Leverkusen-Spiel.

Die zweite Hälfte erfuhr dann etwas mehr Intensität, nicht unbedingt aber mehr Qualität. Erst als uns ein von Markus Heppke verwandelter Elfmeter in der 74. Minute ausgleichen ließ, kam wieder Kampf in das Essener Spiel. Gleichzeitig, beflügelt vom Ausgleich und aufgeheizt durch ein persönliches Scharmützel der Westtribüne mit dem gegnerischen Torwart Koczor, fing auch die Hafenstraße wie in besten Zeiten an zu beben. Nachdem FIFA-Schiri Kinhöfer nur kurze Zeit später ein zweites Mal, diesmal doch schmeichelhaft, auf den Punkt zeigte, wähnte man sich schon im Siegesrausch. Aber wie es in Essen eben so läuft, wenn man gerade ein paar Endorphine ausgestoßen hat, folgt der nächste Nackenschlag auf dem Fuße.

Applaus von den Rängen trotz NiederlageDer provokant auftretende Koczor parierte Heppkes zweiten Elfmeter und warf seine Freude der rasenden Westtribüne entgegen, die mit diverser Malocherausrüstung antwortete. Traditionell in der letzten Spielminute pfiff Kinhöfer dann den vierten Elfmeter im zweiten Saisonspiel im Stadion Essen und leitete damit den Sieg der Domstädter ein. Entsetzen lösen solche abartigen Spielverläufe bei Rot-Weiss nicht mehr aus, eher ging ein resigniertes Kopfschütteln umher, das eine solche Schlussphase bereits erwartet hatte.

In der Nachspielzeit konnte immerhin die Westtribüne noch als eindeutiger Sieger aus der Konfrontation mit Raphael Koczor hervorgehen und begleitete den Schlussmann, der die Ampelkarte erhielt, warum auch immer, mit Schmähgesängen in die Kabine. Frenetisch bejubelt wurde obendrein noch die Haupttribüne, die dem aufgebrachten Provokateur mit gekonnten Bierduschen aus dem Familienblock das Gemüt kühlte.

Die „steten Bemühungen“ der Mannschaft wurden nach Abpfiff immerhin mit einem kraftgebenden Applaus honoriert – die anschließende Forderung nach einem Auswärtssieg blieb hoffentlich nicht ungehört.

Marmor, Stein und Rohrstahl bricht, aber Rot-Weiss Essen nicht. Alle nach Düsseldorf!


Jawattdenn-Spielerbewertung

Daniel Schwabke
Schwabke
[3]
Max Dombrowka
Dombrowka
[3+]
Markus Heppke
Heppke
[4+]
Vincent Wagner
Wagner
[4]

Roberto Guirino
Guirino
[3+]

Benjamin Wingerter
Wingerter
[4+]
Kevin Pires-Rodrigues
Pires-Rodrigues
[3-]
Kevin Grund
Grund
[3]
Marcel Platzek
Platzek
[3-]
Christian Knappmann
Knappmann
[4+]
Konstantin Sawin
Sawin
[4]
Christoph Sauter
Sauter
[o.B.]
Benedikt Koep
Koep
[o.B.]



Rot-Weiss Essen

Schwabke, Dombrowka, Heppke, Wagner, Guirino, Wingerter, Pires-Rodrigues, Grund, Platzek (86. Koep), Knappmann, Sawin (73. Sauter)

 

Viktoria Köln

Koczor, Hickl, Reiche, Löhden, Andreas Schäfer, Staffeldt, Nottbeck (79. Steegmann), Wunderlich, Costa, Streit (79. Candan), Pagano (90.+2 Vogel)

 

Tore

0:1 Wunderlich (41.), 1:1 Heppke (74. Foulelfmeter), 1:2 Wunderlich (89. Foulelfmeter)

 

Zuschauer

10.350

 

Schiedsrichter

Thorsten Kinhöfer (Herne)

 

Gelbe Karten

Schwabke (77.), Wingerter (82.), Dombrowka (90.+3) - Nottbeck (55.), Löhden (61.)

 

Gelb-rote Karte

Koczor (90.+1 Unsportlichkeit)

 

Besondere Vorkommnisse

Heppke scheitert mit Foulelfmeter an Koczor (81.)


Spieler des Spiels 1. Spieltag - Roberto Guirino