09.11.2013

Rot-Weiss Essen im Internet... so nah, und doch so fern!

von Fabian Jerrentrup

Es war nicht immer leicht für die Essener Fans im Stadion in der letzten Zeit. Verkrampfte Vorstellungen der eigenen Mannschaft, enttäuschte Erwartungen und mangelnde Stimmung schmälerten das eigene Stadion-"erlebnis" doch deutlich. Noch schlimmer war die Zeit eigentlich nur für eine Gruppe: Für die, die gerne im Stadion sein wollten, aber nicht konnten.

7.770 Zuschauer im Stadion - mindestens einer am Ticker in ChinaGenau um diese Gruppe soll es jedoch heute gehen. Während sich der Stadionzuschauer in den letzten Wochen und Monate beim Anblick des Gebolzes unserer Rot-Weissen Sorgen um den Verlust seines Augenlichtes machen musste ("da krieg' ich ja Augenkrebs!"), wäre es für die Rot-Weiss Fans, die im Rest der Welt zerstreut leben, wohl schon eine Wohltat gewesen, überhaupt mal wieder die Bier-, Bratwurstgeruch und Zigarettenqualm duftende Luft im Georg-Mel... äh, Stadion Essen riechen zu dürfen. Aus organisatorischen und finanziellen Gesichtspunkten ist aber ein Stadionbesuch utopisch, und so bleibt nichts anderes übrig, als die Möglichkeiten des Internets auszuschöpfen.

Dem Autor dieser Zeilen, den es derzeit einige tausend Kilometer östlich von Essen ins Reich der Mitte verschlagen hat, so wie sicher einigen anderen "Auslands"-Rot-Weissen, vermiest dabei insbesondere die Zeitverschiebung den Genuss eines Spiels. So beliebt Flutlichtspiele an der Hafenstraße für die Fans vor Ort auch sein mögen, so hart ist es doch für die weiter östlich lebenden Fans. Bei derzeit sieben Stunden Zeitverschiebung (während der Sommerzeit "nur" sechs Stunden) bedeutet der Anpfiff um 19.30 Uhr Ortszeit, den Wecker auf gepflegte 02:20 Uhr zu stellen. So bleibt wenigstens Zeit, um nach zwei Stunden Schlaf noch einmal zu snoozen, bevor der Laptop hochgefahren wird und je nach Spiel Liveticker + Fanradio oder seit dieser Saison sogar die Luxusvariante Liveticker + RW-TV gestartet wird.

Während Deutschland aber zumindest in größeren Städten weitestgehend über schnelles Internet verfügt, ist in China die Zuverlässigkeit noch sehr schwankend. Während der Stream die ersten Minuten vor dem Spiel unbeschadet läuft, verlässt er mich nach etwa 20 gespielten Sekunden dann doch. Als ich die Stimme des Kommentators das nächste Mal vernehme, wird im Stadion bereits "Adiole" gespielt. Entgegen meiner ersten Vermutungen ist dies aber schon nicht mehr die Einlaufmusik, sondern RWE ist tatsächlich gegen den großen Favoriten in Führung gegangen. Da der Stream mal wieder stockt, bleibt genug Zeit, um im Reviersport-Liveticker die Entstehung des Tores nachzulesen. Trotz der Müdigkeit ist der Adrenalinspiegel jetzt im üblichen Rot-Weiss-Spiel Bereich. Schade, dass es hier kein Stauder gibt...

Lotte am Boden - Essen obenaufDa die Qualität des Streams weiterhin an der mangelnden Schnelligkeit des Internets scheitert, weiche ich mehr und mehr auf den Liveticker aus. Nach zehn gespielten Minuten laut RS zeigt mein stockendes Bild bei RW TV Spielminute Vier an, nach wenigen Sekunden flüssigem Bild verharrt die Wiedergabe natürlich immer an den Stellen, an denen tatsächlich sich ein vielversprechender Angriff entwickeln kann. Auch panisches F5 klicken und das Schließen jeglicher anderer Programme bringt keine Besserung. Kurz nach dem 2:0, welches ich bei RW TV schon gar nicht mitbekomme, sind die Jungs vor Ort im Stadion so freundlich und schicken mir Jubelbilder mit glücklichen Gesichtern und kaltem deutschen Pils per WhatsApp. Na danke, da wäre ich auch gerne vor Ort!

Während der zweiten Halbzeit sitze ich verkrampft vor dem Laptop und versuche das Spiel zu verfolgen, doch letztlich bekomme ich nicht viel mehr mit, als das, was der RS Liveticker hergibt. Die wenigen Phasen, in denen RW TV mal für mehr als zwei Sekunden flüssig läuft, geben wenig Konstruktives her, doch die Angst vor der blauen Gefahr vom Autobahnkreuz ist allgegenwärtig. Erst Recht, als nach 87. Minuten doch der Anschlusstreffer fällt und vor dem geistigen Auge schon in alter rot-weisser Tradition der Ausgleichstreffer fällt. Wer Schlussphasen im Stadion Essen bei einer knappen Führung für nervenzerreißend hält, soll sich während einer solchen bitte einmal vor einen Liveticker setzen! Für alle, die auf diese Erfahrung verzichten wollen, sei gesagt: du gehst durch die Hölle! Während man im Stadion wenigstens einschätzen kann, ob derzeit unmittelbare Gefahr im eigenen Strafraum herrscht oder man an des Gegners Eckfahne einen Einwurf herausholt, schweigt dich ein Liveticker einfach an. Mitunter vergehen 300 Sekunden ohne neue Meldung, und in jeder einzelnen rechnest du mit der Aktualisierung des Tickers und der Anzeige des Ausgleichs. Das für wenige Sekunden bewegliche, aber dennoch Minuten hinterherlaufende Bild bei RW TV macht die Sache nicht besser.

Große Freude nach SpielendeAls endlich die kurze, aber umso erlösendere Meldung "Abpfiff" erscheint, merke ich erst, wie das Herz rast. Die Plastikflasche, die ich während der letzten Spielminuten mit der linken Hand zerdrückt habe, lässt ihre Ursprungsform gar nicht mehr erkennen, aber sei's drum, so etwas wie "Pfand" kennt man hier sowieso nicht. Nachdem ich für wenige Minuten einfach nur dagesessen habe, um erst einmal wieder runterzukommen, entscheide ich mich dann doch, wieder ins Bett zu gehen. Es ist mittlerweile 4.29 Uhr Ortszeit, also bleiben wenigstens noch einige Stunden Schlaf, bevor mich der Wecker erneut klingeln wird.

Beim Einschlafen kann ich den Triumph aber dann doch noch genießen. Den so selbstsicheren und ungeliebten Favoriten aus dem Tecklenburger Land geschlagen, offenbar eine auch spielerisch überzeugende Leistung gezeigt, und wichtige drei Punkte eingefahren; für die Tabelle und für das eigene Selbstbewusstsein. Auch wenn man "nur von Spiel zu Spiel" denken soll, so darf es auf jeden Fall weitergehen. Die Hoffnung ist da, dass sich an der Hafenstraße jetzt wieder entspanntere Zeiten und konstante Leistungen einstellen. Nicht zuletzt hat man dank des Sieges zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison eine positive Bilanz (5 Siege, 6 Unentschieden und 4 Niederlagen) und mit den Spielen gegen die Tabellennachbarn aus Mönchengladbach, Bochum und Siegen noch die Möglichkeit, die Hinrunde zu einem halbwegs versöhnlichen Ende zu bringen. Unter'm Strich sieht also doch nicht alles so schlecht aus. Und ganz kurz vor dem Einschlafen kommt dann doch noch der Gedanke: gut, dass das nächste Spiel wieder samstags um 14 Uhr ist...


Jawattdenn-Spielerbewertung

Daniel Schwabke
Schwabke
[3+]
Max Dombrowka
Dombrowka
[2-]
Vincent Wagner
Wagner
[2]
Maik Rodenberg
Rodenberg
[2-]

Tim Hermes
Hermes
[2-]

Markus Heppke
Heppke
[2]
Kevin Pires-Rodrigues
Pires-Rodrigues
[2]
Konstantin Fring
Fring
[2]
Kevin Grund
Grund
[2]
Benedikt Koep
Koep
[2]
Marcel Platzek
Platzek
[1]
Holger Lemke
Lemke
[o.B.]
Benjamin Wingerter
Wingerter
[o.B.]
Christian Knappmann
Knappmann
[o.B.]


Rot-Weiss Essen

Schwabke, Dombrowka, Rodenberg, Wagner, Hermes, Heppke, Pires-Rodrigues, Fring, Grund (83. Wingerter), Koep (77. Lemke), Platzek (89. Knappmann),

 

Sportfreunde Lotte

Fernandez, Grieneisen, Wendel, Herröder, Hansmann (83. Ernst) Groß, Bilgin, Loose (73. Gorschlüter), Chahed, Freiberger, Kotuljac (36. Ludwig)

 

Tore

1:0 Platzek (1.), 2:0 Pires-Rodrigues (25.), 2:1 Freiberger (87.)

 

Zuschauer

7.770

 

Schiedsrichter

Benjamin Bläser (Niederzier-Oberzier)

 

Gelbe Karten

Fring (40.), Grund (79.), Wingerter (85.) - Loose (32.)

 


Spieler des Spiels 16. Spieltag - Marcel Platzek