25.09.2013

Krampf statt Kampf - Fußball zum Abgewöhnen

von Sebastian Hattermann

Wenn man seit vier Pflichtspielen ungeschlagen ist, aus den letzten beiden Meisterschaftsspielen vier Punkte holt und die Stimmung nach dem Ausgleich eines 0:2-Rückstandes trotzdem im negativen Sinne hochexplosiv ist, dann mag man sich nicht ausmalen, was auf dem Feld dargeboten wurde. Einen Außenstehenden würden diese Fakten nicht vom Hocker hauen, sonderlich großes Entsetzen würde er aber wohl auch nicht bekunden.

Flutlichtspiel an der Hafenstraße - hier müsste sich jeder Gegner in die Hose scheissenDie rot-weisse Anhängerschaft dagegen kotzt mittlerweile nur noch die von Trainer Waldemar Wrobel oft zitierte Galle. Der musste sich heute während des Spiels und auch nach dem schmeichelhaften Ausgleich noch „Wrobel raus!“-Rufe in einem weitreichenden Ausmaße anhören. Das liegt, wie oben angedeutet, nicht direkt an der Ausbeute, die bisher natürlich dennoch deutlich unter den Erwartungen geblieben ist, sondern viel mehr an dem kontinuierlich gezeigten Geholze auf dem Rasen. Den nach Abpfiff gegenüber RevierSport angesprochenen Vergleich des Trainers, dass Lotte auch nur 1-0 gegen Velbert gewonnen hat, verfehlt damit leider seine Aussagekraft. Darüber hinaus wirken auch sicherlich viele die Aufstellung betreffenden Aspekte mit ein, welche zuletzt auf wenig Gegenliebe gestoßen sind. Darunter die Nichtberücksichtigung von Holger Lemke, dem eine außerordentliche gute Vorbereitung attestiert wurde und auch in seinen Kurzeinsätzen immer wieder Akzente setzen konnte, während Spieler wie Wingerter, Langlitz, Pires-Rodrigues und Wagner trotz mehrfachen Totalausfällen scheinbar eine Stammplatzgarantie genießen. Die Systemumstellungen wurden kritisiert, Experimente mit Markus Heppke in der Innenverteidigung verurteilt, während etatmäßige Talente wie Nakowitsch auf der Bank bleiben mussten. Mancher sieht das Spiel zu sehr auf Knappmann zugeschnitten, dem man dabei keine mangelnde Einsatzbereitschaft unterstellen kann. Mancher wirft Wrobel fehlende Kritikfähigkeit und Selbstreflexion vor.

Ich persönlich möchte mich den Forderungen nach einer Trainerentlassung nicht anschließen, um nicht in alte Verhaltensmuster zu verfallen, die nur selten den gewünschten Effekt, dafür aber immer finanzielle Mehrbelastungen mit sich brachten. Dass die Vereinsführung in Person von Michael Welling dem Frust der Fans nicht nachgibt, um eventuell das eigene Standing aufrecht zu erhalten, ist dabei ein neuer, angenehmer, wenn auch schwieriger Umstand, der uns verdeutlicht, dass Zusammenhalt innerhalb des Teams großgeschrieben und das nach der Insolvenz auferlegte Credo beibehalten wird.

Dennoch: Es besteht durch die vielen unterschiedlichen Ansichten und Kritikpunkte und vor allem aufgrund der angebotenen Leistungen Redebedarf! Eine gesittete Aussprache zwischen der sportlichen Führung, der Mannschaft und den Fans wäre durchaus angebracht und könnte die Parteien vielleicht nochmal etwas näher zusammenbringen, um auch diese harte Zeit gemeinsam zu überstehen.

Passendes Bild - RWE am BodenNach dem Umriss der äußeren Umstände rund um das Spiel gegen die sieglosen Wattenscheider aber nun zum Spiel: RWE startete mit derselben Mannschaft, die auch schon in Velbert angefangen hat. Leider zogen sich damit auch die fehlende Kreativität und die Ideenlosigkeit im Offensivspiel wie ein roter Faden durch beide Spiele hinweg. Bereits nach vier Minuten blieb den Rot-Weissen das erste Mal der Atem stehen. Pires-Rodrigues kratze den Kopfball von Ex-Publikumsliebling Alex Thamm von der Linie. In der 8. Minute vertändelte aktueller RWE-Schnapper Kunz, der in dieser Partie leider nicht mehr an die souveräne Leistung in Velbert anknüpfen konnte, unnötig den Ball, klärte diesen zur Außenlinie, von wo ihn Vincent Wagner wieder brandgefährlich vor das leere Essener Tor in die Mitte bugsierte. Sieben Minuten und zwei brandgefährliche Ecken nach Pires-Rodrigues‘ Rettungsaktion später, netzte ausgerechnet Thamm dann aber doch noch zur Führung der Gäste ein. Die Anfangsphase wurde aber noch dramatischer: Wiederum nur zwei Minuten nach dem ersten Gegentreffer fiel Platzek vermeintlich klar gefoult im gegnerischen Sechzehner. Das Stadion tobte und forderte Elfmeter, der nach Aussagen von Sport1-Zuschauern aber unberechtigt gewesen wäre. Nach genau 15 gespielten Minuten fiel der nächste Essener im Wattenscheider Strafraum. Christian Knappmann, von Preissing und Zajas in die Zange genommen, brachte dann doch noch einen vertretbaren Elfmeter. Vertretbar an dieser Stelle in zweierlei Hinsicht. Der Gefoulte schoss selber und - wie soll es auch anders sein – scheiterte an SGW-Schlussmann Fronczyk. In der 23. Minute gab es schon die letzte nennenswerte Szene der ersten Halbzeit. Michael Laletin köpfte das Leder nach Hereingabe von außen unter die Latte, leider aber nicht hinter die Linie. Schien es in dieser turbulenten Phase des Spiels nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der Ausgleich fallen würde, ebbte das Geschehen fortan zu einem trostlosen Kick ab.

Zur zweiten Halbzeit stand das Team wieder frühzeitig auf dem Rasen, wie bereits vor zwei Wochen gegen KFC. Das Resultat ist bekannt. Zum 2-2 reichte es auch dieses Mal wieder, ein wirkliches Aufbäumen gab es aber nicht. Auch die zweite Halbzeit war in allen Mannschaftsteilen von Mittellosigkeit geprägt. Langholz aus den Abwehrreihen, Flanken aus dem Halbfeld, vor dem Strafraum zu viel klein-klein und zahlreiche Fehlpässe machten das Zuschauen zur Qual. Weiteres Öl ins Feuer goss Canbulut, der an der Strafraumgrenze zu lange ungestört den Ball halten konnte und für Kunz nicht zu halten in den Giebel schoss.

Redebedarf nach dem SpielErst 15 Minuten vor Spielende erzielte Pires-Rodrigues den Anschlusstreffer vom Punkt, nachdem Thamm der Ball unglücklich an die Hand gesprungen war. Die Freude über dieses Geschenk beschränkte sich auf einen kurzen Jubelschrei. Auch der Ausgleichstreffer von Benedikt Koep in der 80. Minute konnte die kampf- und leidenschaftslosen „Leistungen“ der vergangenen Wochen nicht vergessen machen.

An dieser Stelle noch einige Worte zur ebenso enttäuschenden Leistung auf den Rängen der Westtribüne. Dass Rot-Weiss Essen seit Jahrzehnten durch die Amateurligen krebst und dabei selten mit spielerischer Feinkost verwöhnt wird, dürfte Fußballdeutschland nicht erst seit der Live-Übertragung des Spiels auf Sport1 bekannt sein.

Dass aber bereits nach einem Rückstand in den ersten Minuten die nahezu gesamt Fanszene einknickt und die Köpfe hängen lässt, ist beschämend. Auch wenn es in der aktuellen Phase schwer fällt, verpasst man es an der Hafenstraße aber zunehmend alte Essener Tugenden auszuleben und damit auch heute die Chance, bundesweit aufzuzeigen, dass RWE trotz der ewig andauernden Misere noch ein besonderer Verein ist. Bis zum zweiten Gegentor versuchte leider nur ein kleiner und schnell kritisierter Teil der Fans im unteren Bereich von W2, das Leid zu übersingen, bevor die Stimmung endgültig und flächendeckend kippte.


Jawattdenn-Spielerbewertung (folgt)

Philipp Kunz
Kunz
[4]
Alexander Langlitz
Langlitz
[4-]
Michael Laletin
Laletin
[3] 
Vincent Wagner
Wagner
[3-]

Kevin Grund
Grund
[4+]

Benjamin Wingerter
Wingerter
[4-]
Konstantin Fring
Fring
[4]
Kevin Pires-Rodrigues
Pires-Rodrigues
[4+]
Marcel Platzek
Platzek
[4+]
Christian Knappmann
Knappmann
[5+]





Benedikt Koep
Koep
[3-]
Max Dombrowka
Dombrowka
[4+]
Kai Nakowitsch
Nakowitsch
[o.B.]
Konstantin Sawin
Sawin
[o.B.]


Rot-Weiss Essen

Kunz, Langlitz (78. Sawin), Laletin (61. Nakowitsch), Wagner, Grund, Wingerter (46. Dombrowka), Fring, Pires-Rodrigues, Platzek, Knappmann, Koep

 

SG Wattenscheid 09

Fronczyk, Preissing, Grembowietz, Thamm, Lehmann, Zajas, Buckmaier, Sarisoy (82. Lenz), Canbulut (70. Zaskoku), Enzmann, Trisic (90.+3 Hibbeln)

 

Tore

0:1 Thamm (10.), 0:2 Canbulut (65.), 1:2 Pires-Rodrigues (74. Handelfmeter), 2:2 Koep (80.)

 

Zuschauer

7.200

 

Schiedsrichter

Bastian Börner (Dortmund)

 

Gelbe Karten

Platzek (12.), Langlitz (60.), Nakowitsch (66.), Pires-Rodrigues (82.) - Thamm (13.), Zajas (55.), Trisic (86.), Preissing (90.)

 


Spieler des Spiels 9. Spieltag - Benedikt Koep