Krampf statt Kampf - Fußball zum Abgewöhnen
Wenn man seit vier Pflichtspielen ungeschlagen ist, aus den letzten beiden Meisterschaftsspielen vier Punkte holt und die Stimmung nach dem Ausgleich eines 0:2-Rückstandes trotzdem im negativen Sinne hochexplosiv ist, dann mag man sich nicht ausmalen, was auf dem Feld dargeboten wurde. Einen Außenstehenden würden diese Fakten nicht vom Hocker hauen, sonderlich großes Entsetzen würde er aber wohl auch nicht bekunden.
Die rot-weisse Anhängerschaft dagegen kotzt mittlerweile nur noch die
von Trainer Waldemar Wrobel oft zitierte Galle. Der musste sich heute
während des Spiels und auch nach dem schmeichelhaften Ausgleich noch
„Wrobel raus!“-Rufe in einem weitreichenden Ausmaße anhören. Das liegt,
wie oben angedeutet, nicht direkt an der Ausbeute, die bisher natürlich
dennoch deutlich unter den Erwartungen geblieben ist, sondern viel mehr
an dem kontinuierlich gezeigten Geholze auf dem Rasen. Den nach Abpfiff
gegenüber RevierSport angesprochenen Vergleich des Trainers, dass Lotte
auch nur 1-0 gegen Velbert gewonnen hat, verfehlt damit leider seine
Aussagekraft. Darüber hinaus wirken auch sicherlich viele die
Aufstellung betreffenden Aspekte mit ein, welche zuletzt auf wenig
Gegenliebe gestoßen sind. Darunter die Nichtberücksichtigung von Holger
Lemke, dem eine außerordentliche gute Vorbereitung attestiert wurde und
auch in seinen Kurzeinsätzen immer wieder Akzente setzen konnte, während
Spieler wie Wingerter, Langlitz, Pires-Rodrigues und Wagner trotz
mehrfachen Totalausfällen scheinbar eine Stammplatzgarantie genießen.
Die Systemumstellungen wurden kritisiert, Experimente mit Markus Heppke
in der Innenverteidigung verurteilt, während etatmäßige Talente wie
Nakowitsch auf der Bank bleiben mussten. Mancher sieht das Spiel zu sehr
auf Knappmann zugeschnitten, dem man dabei keine mangelnde
Einsatzbereitschaft unterstellen kann. Mancher wirft Wrobel fehlende
Kritikfähigkeit und Selbstreflexion vor.
Ich persönlich möchte mich den Forderungen nach einer Trainerentlassung
nicht anschließen, um nicht in alte Verhaltensmuster zu verfallen, die
nur selten den gewünschten Effekt, dafür aber immer finanzielle
Mehrbelastungen mit sich brachten. Dass die Vereinsführung in Person von
Michael Welling dem Frust der Fans nicht nachgibt, um eventuell das
eigene Standing aufrecht zu erhalten, ist dabei ein neuer, angenehmer,
wenn auch schwieriger Umstand, der uns verdeutlicht, dass Zusammenhalt
innerhalb des Teams großgeschrieben und das nach der Insolvenz
auferlegte Credo beibehalten wird.
Dennoch: Es besteht durch die vielen unterschiedlichen Ansichten und
Kritikpunkte und vor allem aufgrund der angebotenen Leistungen
Redebedarf! Eine gesittete Aussprache zwischen der sportlichen Führung,
der Mannschaft und den Fans wäre durchaus angebracht und könnte die
Parteien vielleicht nochmal etwas näher zusammenbringen, um auch diese
harte Zeit gemeinsam zu überstehen.
Nach dem Umriss der äußeren Umstände rund um das Spiel gegen die
sieglosen Wattenscheider aber nun zum Spiel: RWE startete mit derselben
Mannschaft, die auch schon in Velbert angefangen hat. Leider zogen sich
damit auch die fehlende Kreativität und die Ideenlosigkeit im
Offensivspiel wie ein roter Faden durch beide Spiele hinweg. Bereits
nach vier Minuten blieb den Rot-Weissen das erste Mal der Atem stehen.
Pires-Rodrigues kratze den Kopfball von Ex-Publikumsliebling Alex Thamm
von der Linie. In der 8. Minute vertändelte aktueller RWE-Schnapper
Kunz, der in dieser Partie leider nicht mehr an die souveräne Leistung
in Velbert anknüpfen konnte, unnötig den Ball, klärte diesen zur
Außenlinie, von wo ihn Vincent Wagner wieder brandgefährlich vor das
leere Essener Tor in die Mitte bugsierte. Sieben Minuten und zwei
brandgefährliche Ecken nach Pires-Rodrigues‘ Rettungsaktion später,
netzte ausgerechnet Thamm dann aber doch noch zur Führung der Gäste ein.
Die Anfangsphase wurde aber noch dramatischer: Wiederum nur zwei
Minuten nach dem ersten Gegentreffer fiel Platzek vermeintlich klar
gefoult im gegnerischen Sechzehner. Das Stadion tobte und forderte
Elfmeter, der nach Aussagen von Sport1-Zuschauern aber unberechtigt
gewesen wäre. Nach genau 15 gespielten Minuten fiel der nächste Essener
im Wattenscheider Strafraum. Christian Knappmann, von Preissing und
Zajas in die Zange genommen, brachte dann doch noch einen vertretbaren
Elfmeter. Vertretbar an dieser Stelle in zweierlei Hinsicht. Der
Gefoulte schoss selber und - wie soll es auch anders sein – scheiterte
an SGW-Schlussmann Fronczyk. In der 23. Minute gab es schon die letzte
nennenswerte Szene der ersten Halbzeit. Michael Laletin köpfte das Leder
nach Hereingabe von außen unter die Latte, leider aber nicht hinter die
Linie. Schien es in dieser turbulenten Phase des Spiels nur eine Frage
der Zeit zu sein, bis der Ausgleich fallen würde, ebbte das Geschehen
fortan zu einem trostlosen Kick ab.
Zur zweiten Halbzeit stand das Team wieder frühzeitig auf dem Rasen, wie
bereits vor zwei Wochen gegen KFC. Das Resultat ist bekannt. Zum 2-2
reichte es auch dieses Mal wieder, ein wirkliches Aufbäumen gab es aber
nicht. Auch die zweite Halbzeit war in allen Mannschaftsteilen von
Mittellosigkeit geprägt. Langholz aus den Abwehrreihen, Flanken aus dem
Halbfeld, vor dem Strafraum zu viel klein-klein und zahlreiche Fehlpässe
machten das Zuschauen zur Qual. Weiteres Öl ins Feuer goss Canbulut,
der an der Strafraumgrenze zu lange ungestört den Ball halten konnte und
für Kunz nicht zu halten in den Giebel schoss.
Erst 15 Minuten vor Spielende erzielte Pires-Rodrigues den
Anschlusstreffer vom Punkt, nachdem Thamm der Ball unglücklich an die
Hand gesprungen war. Die Freude über dieses Geschenk beschränkte sich
auf einen kurzen Jubelschrei. Auch der Ausgleichstreffer von Benedikt
Koep in der 80. Minute konnte die kampf- und leidenschaftslosen
„Leistungen“ der vergangenen Wochen nicht vergessen machen.
An dieser Stelle noch einige Worte zur ebenso enttäuschenden Leistung
auf den Rängen der Westtribüne. Dass Rot-Weiss Essen seit Jahrzehnten durch die Amateurligen krebst und
dabei selten mit spielerischer Feinkost verwöhnt wird, dürfte
Fußballdeutschland nicht erst seit der Live-Übertragung des Spiels auf
Sport1 bekannt sein.
Dass
aber bereits nach einem Rückstand in den ersten Minuten die nahezu
gesamt Fanszene einknickt und die Köpfe hängen lässt, ist beschämend.
Auch wenn es in der aktuellen Phase schwer fällt, verpasst man es an der
Hafenstraße aber zunehmend alte Essener Tugenden auszuleben und damit
auch heute die Chance, bundesweit aufzuzeigen, dass RWE trotz der ewig
andauernden Misere noch ein besonderer Verein ist. Bis zum zweiten
Gegentor versuchte leider nur ein kleiner und schnell kritisierter Teil
der Fans im unteren Bereich von W2, das Leid zu übersingen, bevor die
Stimmung endgültig und flächendeckend kippte.
Jawattdenn-Spielerbewertung (folgt)
Kunz [4] |
Langlitz [4-] |
Laletin [3] |
Wagner [3-] |
|
|
Wingerter [4-] |
Fring [4] |
Pires-Rodrigues [4+] |
Platzek [4+] |
Knappmann [5+] |
|
|
|
||||
Koep [3-] |
Dombrowka [4+] |
Nakowitsch [o.B.] |
Sawin [o.B.] |
Rot-Weiss Essen
Kunz, Langlitz (78. Sawin), Laletin (61. Nakowitsch), Wagner, Grund, Wingerter (46. Dombrowka), Fring, Pires-Rodrigues, Platzek, Knappmann, Koep
SG Wattenscheid 09
Fronczyk, Preissing, Grembowietz, Thamm, Lehmann, Zajas, Buckmaier, Sarisoy (82. Lenz), Canbulut (70. Zaskoku), Enzmann, Trisic (90.+3 Hibbeln)
Tore
0:1 Thamm (10.), 0:2 Canbulut (65.), 1:2 Pires-Rodrigues (74. Handelfmeter), 2:2 Koep (80.)
Zuschauer
7.200
Schiedsrichter
Bastian Börner (Dortmund)
Gelbe Karten
Platzek (12.), Langlitz (60.), Nakowitsch (66.), Pires-Rodrigues (82.) - Thamm (13.), Zajas (55.), Trisic (86.), Preissing (90.)