18.04.2013

Im Schatten der Tribüne - Verlustängste

von Uwe Strootmann

Es sollte ein Pamphlet werden. Ein Abgesang an die Tabelle. Eine literarische Erregung darüber, dass sich aber auch gar nichts auf Hüls reimt. Aber es ging einfach nicht. Vielleicht lag es daran, dass sich dieses 0:5 einfach nicht charmant umschreiben ließ. Oder daran, dass die Stimmung grundsätzlich zu kippen drohte und fast drei Jahre harter Aufbauarbeit in den Foren der verbalen Abrissbirne Platz machen musste.

Es lag aber vor allem auch an der eigenen Enttäuschung. Die Tabelle lügt zwar nie, aber sie lässt sich hochrechnen, mit Hoffnung belegen und am Ende passt das dann. Und so habe ich ernsthaft daran geglaubt, dass am Ende der Relegationsplatz belegt wird. Kann ich ja nun so sagen, hilft hier doch kein Konjunktiv weiter. Die Leistungen boten zwischendurch Anlass zu diesen Gedankenspielchen. Es hat nicht sollen sein; in Wiedenbrück fand dann die Wiedergutmachung statt.

Plötzlich aber gehörten die Schlagzeilen nicht mehr der Mannschaft des RWE, mussten die Offiziellen medial Platz machen. Beiseite treten für Artikel, die für den Augenblick nur marginal mit der Zukunft des Vereines in Verbindung zu bringen sind. Scheinbar aus dem Nichts lesen wir von Entkernung, von letzten Begehungen, von historischen Funden und wunderschönen Memorabilien.

Schlagartig, weil verdrängt, wird nun auch dem letzten Fan klar: Ach Du Schreck, das GMS kommt weg. Die "Haupt" von innen nach aussen, die "Ost" von rechts nach links. Dieser Tage nun ist das neue Stadion Essen weiterhin wichtig und vor allen Dingen richtig: Aber, es gilt jetzt den Gefühlen derer Respekt zu zollen, die Spieltag für Spieltag mit einem wehmütigen Blick auf die alten Gemäuer zu ihren neuen Plätzen gegangen sind. Die die Halbzeit mit Träne im Knopfloch Blickrichtung Haupttribüne verbracht haben.

Vielleicht oder sicher wissend, dass das Georg Melches Stadion keine Zukunft mehr hatte und folglich auch der geliebte Verein nicht. Aber der Fußball-Fan als rationell denkende Spezies ? Mitnichten. Der Fan fühlt, lebt und leidet mit seinem Verein, betrachtet das eigene Stadion als sein Wohnzimmer. Und nun wird das alte Wohnzimmer endgültig dem Erdboden gleich gemacht. Die Erinnerungen werden wieder lebendiger denn jemals zuvor.

Schließlich war es ja auch nicht irgendein Wohnzimmer. Es war das Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße 97a in Essen. Der Mythos. Der Schrecken. Aber auch viel Ärger. Viel Kummer und Leid. Viel Versagen. Aber immer mit Herz und Schnauze. Manchmal auch mitten drauf. Kaum ein zweiter Verein wird so mit seinen Fans und dem Stadion in Verbindung gebracht wie der RWE. Manche Vereine kommen mit einem neuen Stadion nur vom Regen in die Traufe. Oder vom Parkstadion in eine Turnhalle.

Kaum ein zweiter Verein hatte eine Tribüne wie der RWE. Es ist nicht unbedingt die "Ost", die nun diese Verlustängste herbeiruft, denn war sie doch eher ungeliebte Heimat und zumeist den Gästen vorbehalten. Die "West" war legendär, die "Nord" bisweilen Anlass für Töpperwiensche Höhepunkte verbaler Natur. Aber es ist auch diese unvergleichliche Tribüne mit ihrem spannenden Innenleben. Die Tribüne ist Willi Lippens in flagranti, ist eine Turnhalle. Eine Stadiongaststätte mit direktem Zugang auf die Sitzplätze. Die Tribüne beherbergt eine Wohnung mit kleinem Gärtchen davor, Toiletten mit Stolpergarantie. Hatte Stufen, die irgendwie komisch gefühlt zu gehen waren.

Ach,  schreiben wir es doch einfach: Die Tribüne wäre schützenswertes Kulturgut. Aber leider rechnet es sich nicht. Macht die Statik nicht mehr mit. Und nehmen rationell denkende Menschen den Taschenrechner und die Entscheidung in die Hand. Kein Denkmal. Und so werden wir bald die gewohnten Wege gehen, um unser neues Zuhause zu erreichen, welches uns eine schöne Heimat werden wird, auch wenn uns sicher lange Zeit etwas fehlen wird.

Aber schließlich beherbergt auch dieses Zuhause all das, was wir lieben und was ein unverzichtbarer Teil unseres Lebens war, ist oder werden wird: Unseren Verein Rot-Weiss Essen von 1907. Und das Georg-Melches-Stadion, das lebt weiter in unseren Herzen, den Geschichten, in ganz vielen Bildern und sicher auch noch in einigen Details, auf die wir uns freuen dürfen. Das 0:5 in Hüls dagegen, das haben wir in einigen Monaten vergessen. Dann darf auch wieder gerechnet werden. Jetzt dürfen wir traurig sein.



Uwe Strootmann schreibt seit Jahren über unseren RWE in seinem Blog "Im Schatten der Tribüne" und seit Neuestem auch bei uns. Viel Spaß!

 

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