24.02.2013

Im Schatten der Tribüne - Die Leichtigkeit des Seins

von Uwe Strootmann

Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal ein Fußballspiel über 90 Minuten verfolgt? Ja, Sie meine ich. Und mich. Und die Funktionäre. Überhaupt alle, die wir mit einem Telefon moderner Prägung in das Stadion gehen oder mit selbigem vor dem Fernseher sitzen. Laptop auf dem Schoß.

Vor dem Spiel noch schnell und voller Freude markiert, an der schönsten Hafenstraße der Republik zu sein, folgen noch einige Schnappschüsse. Gelegentlich ein letzter Gruß an die Daheimgebliebenen. Oder auch "Wink einmal" Aufforderungen an Freunde, Bekannte und Verwandte, welche sich ebenfalls im Stadion befinden. Markiert und geortet.

Die Mannschaften laufen auf, gewohntes Ritual, nicht mehr zwingend zu dokumentieren. Es sei denn, ein Verein mit großer Fanbase ist zu Gast, vielleicht sogar blau. Dann gilt es natürlich, jegliche Regung im gegnerischen Block einzufangen. Zu sehen spätestens zwei Minuten nach Abpfiff auf bekannten Portalen, versehen in der Regel mit martialischen Überschriften. Aus dem Rauch einer einzelnen Zigarette kann dann schon mal "krasse Rauchaktion der Rotterdamer, bevor sie die Senftuben demolierten" werden.

Gut, soweit das Procedere vor dem Anpfiff, natürlich haben auch wir fleissig dokumentiert, getwittert oder noch Mama angerufen: Mama, mach Dir keine Sorgen, die Verler sind nicht schlimm. Definitiv ganz wichtig: Ein Foto der Frikadelle. Wer weiss, wozu man das eines Tages noch benötigt. Alles im Auftrag des Auftrages! Es ist übrigens gar nicht mal so einfach: Die Frikadelle in der einen, das Handy in der anderen Hand, und mitbekommen soll es ja nun auch nicht jeder. Einige gehen ja wirklich noch ohne Handy in ein Stadion, um Fußball zu gucken.

Endlich der Anpfiff, das Handy kann erleichtert in der Hosentasche versenkt werden. Um es direkt wieder hervorzuholen und reflexartig zu eruieren, ob sich auf den anderen Plätzen schon etwas getan hat. Schließlich wird auch dort schon seit zwei Minuten gespielt. Da aber nun viele Menschen immer wieder zeitgleich auf ihr Display starren, erstarrt bisweilen das Netz und bricht entsetzt zusammen. Zuviel der Belastung.

Dummerweise führt das aber auch nicht dazu, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sondern bewirkt nun das Gegenteil: Panisch wird das Display immer wieder nach denjenigen Balken abgesucht, die den Weg zurück in die Sozialisation bedeuten. Manch einer fühlt sich gar wie Di Caprio auf der Titanic: Erst König der Welt und was ist ? Abgesoffen!

Dass wir nun  das bislang einzige Tor verpasst haben ist aber nicht tragisch: Wir hoffen auf den einen mit Empfang und guter Auflösung. Der Halbzeitpfiff erlöst uns nun von dem Zwang, ständig im Akkord die Hosentasche zu besuchen. Was bleibt ist momentan die Frage, warum es keinem gefällt, dass ich im Stadion bin. Wofür poste ich das denn dann überhaupt?

Aber telefonieren lässt es sich nun, stört doch gerade kein Spiel. Ehrlicherweise müsste somit die Antwort auf die Frage nach dem bisherigen Spielverlauf mit "Also was ich gesehen habe…." beginnen. Ist aber auch nicht so wichtig. Es gibt für alles ein App.

Zum Glück sind wir modernen und smarten Fußballfans nicht allein: Konzertbesucher können ein Lied davon singen, dass ständig jemand mit einem Handy vor dem eigenen Display herumfuchtelt und  die Sicht auf die Bühne versperrt.

Der Vorsatz für das nächste Fußballspiel aber steht. Bleibt das eigene Handy dann aber wirklich ausgeschaltet? Man weiss es nicht. Einen Versuch ist es wert, ich möchte mich nicht mehr selbst stressen und dabei das Spiel verpassen.


Uwe Strootmann schreibt seit Jahren über unseren RWE in seinem Blog "Im Schatten der Tribüne" und seit Neuestem auch bei uns. Viel Spaß!

 

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