Im Schatten der Tribüne - Die Leichtigkeit des Seins
Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal ein Fußballspiel über 90 Minuten verfolgt? Ja, Sie meine ich. Und mich. Und die Funktionäre. Überhaupt alle, die wir mit einem Telefon moderner Prägung in das Stadion gehen oder mit selbigem vor dem Fernseher sitzen. Laptop auf dem Schoß.
Vor dem Spiel noch schnell und voller Freude markiert, an der schönsten
Hafenstraße der Republik zu sein, folgen noch einige Schnappschüsse.
Gelegentlich ein letzter Gruß an die Daheimgebliebenen. Oder auch "Wink
einmal" Aufforderungen an Freunde, Bekannte und Verwandte, welche sich
ebenfalls im Stadion befinden. Markiert und geortet.
Die Mannschaften laufen auf, gewohntes Ritual, nicht mehr zwingend zu
dokumentieren. Es sei denn, ein Verein mit großer Fanbase ist zu Gast,
vielleicht sogar blau. Dann gilt es natürlich, jegliche Regung im
gegnerischen Block einzufangen. Zu sehen spätestens zwei Minuten nach
Abpfiff auf bekannten Portalen, versehen in der Regel mit martialischen
Überschriften. Aus dem Rauch einer einzelnen Zigarette kann dann schon
mal "krasse Rauchaktion der Rotterdamer, bevor sie die Senftuben
demolierten" werden.
Gut, soweit das Procedere vor dem Anpfiff, natürlich haben auch wir
fleissig dokumentiert, getwittert oder noch Mama angerufen: Mama, mach
Dir keine Sorgen, die Verler sind nicht schlimm. Definitiv ganz wichtig:
Ein Foto der Frikadelle. Wer weiss, wozu man das eines Tages noch
benötigt. Alles im Auftrag des Auftrages! Es ist übrigens gar nicht mal
so einfach: Die Frikadelle in der einen, das Handy in der anderen Hand,
und mitbekommen soll es ja nun auch nicht jeder. Einige gehen ja
wirklich noch ohne Handy in ein Stadion, um Fußball zu gucken.
Endlich der Anpfiff, das Handy kann erleichtert in der Hosentasche
versenkt werden. Um es direkt wieder hervorzuholen und reflexartig zu
eruieren, ob sich auf den anderen Plätzen schon etwas getan hat.
Schließlich wird auch dort schon seit zwei Minuten gespielt. Da aber nun
viele Menschen immer wieder zeitgleich auf ihr Display starren,
erstarrt bisweilen das Netz und bricht entsetzt zusammen. Zuviel der
Belastung.
Dummerweise führt das aber auch nicht dazu, sich auf das Wesentliche zu
konzentrieren, sondern bewirkt nun das Gegenteil: Panisch wird das
Display immer wieder nach denjenigen Balken abgesucht, die den Weg
zurück in die Sozialisation bedeuten. Manch einer fühlt sich gar wie Di
Caprio auf der Titanic: Erst König der Welt und was ist ? Abgesoffen!
Dass wir nun das bislang einzige Tor verpasst haben ist aber nicht
tragisch: Wir hoffen auf den einen mit Empfang und guter Auflösung. Der
Halbzeitpfiff erlöst uns nun von dem Zwang, ständig im Akkord die
Hosentasche zu besuchen. Was bleibt ist momentan die Frage, warum es
keinem gefällt, dass ich im Stadion bin. Wofür poste ich das denn dann
überhaupt?
Aber telefonieren lässt es sich nun, stört doch gerade kein Spiel.
Ehrlicherweise müsste somit die Antwort auf die Frage nach dem
bisherigen Spielverlauf mit "Also was ich gesehen habe…." beginnen. Ist
aber auch nicht so wichtig. Es gibt für alles ein App.
Zum Glück sind wir modernen und smarten Fußballfans nicht allein:
Konzertbesucher können ein Lied davon singen, dass ständig jemand mit
einem Handy vor dem eigenen Display herumfuchtelt und die Sicht auf die
Bühne versperrt.
Der Vorsatz für das nächste Fußballspiel aber steht. Bleibt das eigene
Handy dann aber wirklich ausgeschaltet? Man weiss es nicht. Einen Versuch
ist es wert, ich möchte mich nicht mehr selbst stressen und dabei das
Spiel verpassen.
Uwe Strootmann schreibt seit Jahren über unseren RWE in seinem Blog "Im Schatten der Tribüne" und seit Neuestem auch bei uns. Viel Spaß!