Rot-Weiss Essen - Union Berlin
Aufstieg, Meister, Pokalsieger, Einzug in den DFB-Pokal, Erreichen der 2. Runde: Die Erfolgsstory von Waldis Jungs geht ungebrochen weiter. Zudem sorgte die junge rot-weiße Mannschaft für einen weiteren unvergesslichen Flutlichtabend an der Hafenstraße und den Comeback des Pokalmythos.
Der Mythos hat wieder zu geschlagen
An der Hafenstraße muss erst einmal ein Essener Team
geschlagen werden, diese bittere Pille musste nun auch Union Berlin
schlucken. Am Ende jubelten die Fans aus dem Ruhrgebiet über einen Sieg
im Elfmeterschießen gegen den favorisierten Zweitligisten. Wovon zuvor
viele geträumt hatten ist Wirklichkeit geworden. Jetzt beginnt die
Vorfreude auf das ganz dicke Los in der zweiten Pokalrunde.
Dabei kann man sich kaum vorstellen, dass die Euphorie noch größer als
vor dem Spiel gegen Union Berlin werden könnte. Die Karten für den
Heimbereich waren längst ausverkauft, so dass ca. 2 Stunden vor dem
Spiel Leute mit Schildern „Suche Karte“ keine Seltenheit waren. Wann hat
es dies an der Hafenstraße zuletzt gegeben? Auch der Vorplatz war um
kurz vor sieben so voll, dass man bei der Suche nach bekannten
Gesichtern längst den Überblick verloren hat. Das Spiel zog halt auch
Publikum an, welches schon länger oder auch gar nicht an der Hafenstraße
gesehen hat. Deshalb war es ratsam, sich schnell noch eine Bratwurst
und ein Bier zu besorgen und dann sofort sich auf einer schon sehr gut
gefüllten Osttribüne seinen Platz zu sichern.
Alles war bereit für den großen Pokalabend. Aber nicht nur die Stimmung
vor dem Spiel sollte zu dem Abend passen, auch mit Union stellte sich
ein echter Traditionsverein mit stimmgewaltigem Publikum vor. Die
Mannschaft um die Ex-Angestellten von RWE, Uwe Neuhaus und Nico Schäfer,
fand nur mäßig in die Saison. Nach einem 1:1 beim FSV Frankfurt folgte
eine deftige 0:4-Heimpleite gegen Fürth. Auch wenn es sich ein wenig
anmaßend vor dem Spiel anhörte, aber bei diesem elektrisierten Publikum
war Rot-Weiss Essen nicht chancenlos. Weit vor dem Spiel heizten sich
die Fangruppen mit Gesängen schon an, zudem machte eine tolle Choreo das
Rahmenprogramm für den Pokalfight komplett.
Die ersten zehn Minuten sollte Union gehören, allerdings blieben
zwingende Chancen aus. Immerhin erarbeiteten sich die Berliner schon
zwei Ecken und bissen sich in der Essener Hälfte fest. Doch die
Defensive um Rodenberg, Wagner und Heppke sollte das ganze Spiel über
einen ausgezeichneten Job machen. Die „Eisernen“ versuchten krampfhaft
die Kontrolle zu übernehmen, aber der entscheidende Pass scheitere immer
recht früh an der Essener Verteidigung. Nun sollte sich eine alte
Fußballweißheit bewahrheiten: Wenn das Spiel verflacht, ist dies eine
Chance für den Underdog. RWE wurde mutiger ohne jedoch nach vorne zu
überzogen. Aber dann kam er doch, einer der gefürchteten tödlichen Pässe
von Suat Tokat auf den plötzlich völlig frei stehenden Lenz, der
allerdings an dem Berliner Torhüter Glinker scheiterte. Die
anschließende Ecke wurde von Tokat hineingebracht, dessen Ball bei
Kapitän Brauer landete und mit einem Kopfball den heranrauschenden
Silvio und Keeper Glinker überwindet. Die Hafenstraße stand Kopf, den
mit dem zweiten gefährlichen Ball auf das Berliner Tor stand es
plötzlich 1:0 für den Aufsteiger in Liga 4. Alle Hoffnungen, dass die
Mannschaft von RWE eine echte Chance hätte, waren also durchaus
berechtigt gewesen.
Union wirkte geschockt und zeigte sich auch nach dem Gegentreffer weitestgehend ungefährlich. Einzig der Berliner Mattuschka sorgte mit seinen
gefährlich getretenen Standards für Gefahr. Insgesamt war das Spiel in
der 1. Hälfte durchaus fair, aber auch sehr ruppig geführt. Nach 26
Minuten musste der Schiedsrichter schon dreimal den gelben Karton
zeigen. RWE kaufte Union durch ein leidenschaftliches und hart geführtes
Spiel den Schneid ab. Unterstützt wurden sie dabei von leidenschaftlich
anfeuernden Essenern Zuschauer. Auch wenn hier noch nichts entschieden
war, das Spiel hatte von der Atmosphäre her das Prädikat „Wahnsinn“
schon erreicht.
Die Anfangsphase der zweiten Halbzeit war eine Kopie der ersten 10
Minuten. Union versuchte das Kommando an sich zu reißen. Und dies
scheinbar mit Erfolg: Nach mehreren vergeblichen Versuchen, den Ball aus
dem Essener Strafraum zu schlagen kam der Berliner Quiring halblinks
frei zu Schuss, Lamzcyk parierte den Ball sehenswert, doch Terodde kann
den Ball über die Linie bringen. Zum Entsetzen der Berliner entschied
Schiedsrichter Kempter auf Abseits. Ehrlich gesagt sah es auch aus
weiter Entfernung nicht danach aus, aber als RWE-Fan ist einem das in
dieser Situation völlig egal. Als Reaktion darauf schnürten die Berliner
RWE in der eigenen Hälfte immer mehr ein.
Essen versuchte mit
Befreiungsschlägen sein Glück, und tatsächlich konnte die Mannschaft von
der Hafenstraße einen Freistoß in der 71. Minute weit weg vom eigenen
Sechzehner herausholen. Der ausgeführte Ball flog in Richtung Glinker,
doch der Berliner Torwart ließ das Spielgerät bedrängt von Koep fallen.
Lemke wollte diese Situation nutzen, scheiterte aber an der Berliner
Abwehr. Der Ball landete aber glücklicherweise wieder bei Benedikt Koep,
der locker zum 2:0 einschieben konnte. Der Jubel war grenzenlos, die
Sensation in greifbarer Nähe. Nur noch zwanzig Minuten trennten Waldis
Buben von einer erneuten Überraschung.
Doch noch war es nicht so weit, auch wenn der Beobachter den Eindruck
hatte, dass die Mannschaft und die Fans aus Berlin das Spiel längst
aufgegeben hatten. Die Einwechselung von Mosquera sollte ein letztes Mal
für Druck auf das Essener Tor sorgen. Ansonsten wechselten sich
weiterte Auswechselungen und gelbe Karten ab. In der 82. Minute fand der
Ball dann den Weg zum Berliner Zoundi, der einfach mal so durch den
gesamten Essener Strafraum tänzelte ohne angegriffen zu werden.
Plötzlich tat sich eine kleine Lücke auf, und schob Zoudi den Ball
unhaltbar für Lamczyk in das linke untere Eck ein. Selbst die Berliner
Fans hatten nicht mehr damit gerechnet, der Jubel fiel sehr verhalten
aus. Auch bei der Stimmung der Essener Fans keinen Abbruch, irgendwie
hatte man das Gefühl, das Weiterkommen sei beschlossene Sache. Auch
Mosqueras gefährlicher Schuss in der 86. Minute, den Lamzcyk klasse
hielt, änderte nichts daran. Die Nachspielziet begann, und es sollte
tatsächlich noch passieren. Die Essener Abwehr wirkte nicht mehr
konzentriert genug, Mosquera scheiterte noch an
kurzer Distanz, aber der Ball kam doch noch zu Terodde, der seinen
Schuss knallhart unter die Latte zimmerte. Zehn gute Minuten hatten
ausgereicht, um die Verlängerung zu erreichen. Genau hier zeigte sich
brutal der Unterschied zwischen 2. Bundesliga und der
Amateurregionalliga.
Die Essener Fans waren unter Schock, und dass zog sich in die
Verlängerung hinein. Kaum einer glaubte daran, dass die rot-weiße
Mannschaft diesem Druck noch gewachsen sei. Union versuchte mit einer
verschärften „Einschnürtaktik“ den entscheidenden Schlag zu landen. Doch
es sprang nur ein Schuss von Ede heraus, den Lamzcyk zur Ecke klären
konnte. Essen war platt, müde, erledigt. Was dann geschah konnte man nur
tatsächlich mit der Wiederauferstehung des Mythos erklären. Lemke und
Kuta beackerten wieder die Außenbahnen, auch die restlichen Spieler
gaben noch einmal alles. Doch die Entscheidung sollte in der Mutter
aller Pokalspiele enden: Dem Elfmeterschießen.
Um die Emotionen besser beschreiben können muss die Perspektive eines
zitterenden RWE-Fans eingenommen werden, der die Elfmeter wahrscheinlich
so betrachtet hat:
Terodde für Union: Ach Du heilige Sch…, nicht der Typ, der den Ausgleich
gemacht hat! Der muss massig Selbstbewusstsein haben. Mehr Pfiffe als
sonst sind hier nötig! Er läuft an, schießt schwach, Lamczyk hält, Jubel
Essen, Entsetzen Union.
Jasmund für die rot-weißen Götter: Naja, ob der so sicher ist, bislang
nicht auffällig als Elfmeterschütze, das geht bestimmt in die Hose,
Jasmund schießt, ein unhaltbarer Kracher, Jubel Essen, Resignation
Union.
Menz für Union: Der Lamczyk, der ist ein Killer, den hat er auch, Menz
schießt – Sch… war das knapp, Lamczyk mit den Fingern dran, aber
trotzdem drin, Zittern Essen, Hoffnung Union.
Rodenberg für die rot-weißen Götter: Geiles Spiel hat der Junge gemacht,
setz in rein mit Karacho, er tritt an, Gebete erhört, guter Schuss… Das
gibbet doch gar nicht, Pfosten! Entsetzen Essen, Jubel Union.
Ede für Union: Stell Dir vor, 12701 Zuschauer sehen das Du den Köttel in
der Buchse hast! Der zittert ja jetzt schon! Ede tritt an, besch…
Schuss, Lamzcyk hält, hämischer Jubel Essen, Mitleid und Entsetzen
Union.
Brauer für die rot-weißen Götter: Ach, sollen wir darüber reden? Unser
Timo, sicheres Dingen, der macht die auch blind mit dem Krückstock rein.
Brauer tritt an, satter Schuss, unter die Latte, drin das Dingen, aber
knapp war es! Erleichterung Essen, doppeltes Entsetzen Union.
Silvio für Union: Ah, der Topstar, der hat wahrscheinlich richtig
Muffensausen. Dafür geht der aber recht locker zum Punkt. Silvio tritt
an, Lamczyk zu früh in seiner Ecke, lockere Sache für Silvio, Ärgern
Essen, Zittern Union.
Heppke für die rot-weißen Götter: Auch ein geiles Spiel gemacht, wirkt
sicher, tritt an, mit Wucht oben links rein, kurzer Prozess, Jubel
Essen, Ernüchterung Union.
Karl für Union: Dat muss et jetzt sein, Lamczyk wird zum Held, Karl
tritt an, dat gibt’s nicht, Lamczyk ahnt die Ecke und ist dran, aber es
reicht nicht, wieder Ärgern Essen, wieder Hoffnung Union.
Wagner für die rot-weißen Götter: Ey, was muss der jetzt ne Show
abziehen, den Ball erstmal hochhalten… Ach, moment, so hat der das Ding
gegen Cottbus vor vier Jahren versenkt, Wagner geht endlich zum Punkt,
tritt an – Der Rest verschwindet in einem rot-weißen Freudenmeer, Union
am Boden.
Dieses Spiel in klare Worte zu fassen ist nahezu unmöglich. Der (vermeintliche) Außenseiter aus Essen hat mit unglaublich viel Herz und
Rückenwind eine Profimannschaft aus dem Wettbewerb geschmissen.
Allerdings muss dazu gesagt werden, dass Union sicherlich kein gutes
Spiel abgeliefert hat. Der Schock über den schlechten Start in Liga 2
und dem Pokalaus wird eine hohe Hypothek für die Mannschaft in die
nächsten Wochen sein.
Auch bleibt abzuwarten, wie Essen diesen Hype
nutzen kann. Aber erst einmal ist feiern angesagt. Und die Hoffnung auf
einen dicken Fisch in der zweiten Runde ist auch noch da. Eines ist
allerdings sicher: Der Mythos Hafenstraße wird auch dann wieder bereit
für große Taten sein!
Jawattdenn-Spielerbewertung
Lamczyk [1] |
|
Rodenberg [2+] |
Wagner [2+] |
Lehmann [1-] |
|
Brauer [1] |
Heppke [2] |
Tokat [2+] |
Lemke [2-] |
Grund [2] |
|
Lenz [3+] |
Koep [2-] |
Jasmund [3+] |
Avci [2-] |
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Rot-Weiss Essen
Lamczyk - Kuta, Rodenberg, Wagner, Lehmann - Heppke, Lemke, Tokat (89. Jasmund), Brauer, Grund (91. Avci) - Lenz (64. Koep) Union Berlin
Tore1:0 Brauer (22.), 2:0 Koep (71.), 2:1 Zoundi (82.), 2:2 Terodde (90. + 1)Im Elfmeterschießen: 1:0 Jasmund, 1:1 Menz, 2:1 Brauer, 2:2 Silvio, 3:2 Heppke, 3:3 Karl, 4:3 Wagner
12.701
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