30.07.2011

Rot-Weiss Essen - Union Berlin

von

Aufstieg, Meister, Pokalsieger, Einzug in den DFB-Pokal, Erreichen der 2. Runde: Die Erfolgsstory von Waldis Jungs geht ungebrochen weiter. Zudem sorgte die junge rot-weiße Mannschaft für einen weiteren unvergesslichen Flutlichtabend an der Hafenstraße und den Comeback des Pokalmythos.

Der Mythos hat wieder zu geschlagen

An der Hafenstraße muss erst einmal ein Essener Team geschlagen werden, diese bittere Pille musste nun auch Union Berlin schlucken. Am Ende jubelten die Fans aus dem Ruhrgebiet über einen Sieg im Elfmeterschießen gegen den favorisierten Zweitligisten. Wovon zuvor viele geträumt hatten ist Wirklichkeit geworden. Jetzt beginnt die Vorfreude auf das ganz dicke Los in der zweiten Pokalrunde.

Schicke Choreo beim EinlaufenDabei kann man sich kaum vorstellen, dass die Euphorie noch größer als vor dem Spiel gegen Union Berlin werden könnte. Die Karten für den Heimbereich waren längst ausverkauft, so dass ca. 2 Stunden vor dem Spiel Leute mit Schildern „Suche Karte“ keine Seltenheit waren. Wann hat es dies an der Hafenstraße zuletzt gegeben? Auch der Vorplatz war um kurz vor sieben so voll, dass man bei der Suche nach bekannten Gesichtern längst den Überblick verloren hat. Das Spiel zog halt auch Publikum an, welches schon länger oder auch gar nicht an der Hafenstraße gesehen hat. Deshalb war es ratsam, sich schnell noch eine Bratwurst und ein Bier zu besorgen und dann sofort sich auf einer schon sehr gut gefüllten Osttribüne seinen Platz zu sichern.

Alles war bereit für den großen Pokalabend. Aber nicht nur die Stimmung vor dem Spiel sollte zu dem Abend passen, auch mit Union stellte sich ein echter Traditionsverein mit stimmgewaltigem Publikum vor. Die Mannschaft um die Ex-Angestellten von RWE, Uwe Neuhaus und Nico Schäfer, fand nur mäßig in die Saison. Nach einem 1:1 beim FSV Frankfurt folgte eine deftige 0:4-Heimpleite gegen Fürth. Auch wenn es sich ein wenig anmaßend vor dem Spiel anhörte, aber bei diesem elektrisierten Publikum war Rot-Weiss Essen nicht chancenlos. Weit vor dem Spiel heizten sich die Fangruppen mit Gesängen schon an, zudem machte eine tolle Choreo das Rahmenprogramm für den Pokalfight komplett.

Timo Brauer trifft zum 1:0Die ersten zehn Minuten sollte Union gehören, allerdings blieben zwingende Chancen aus. Immerhin erarbeiteten sich die Berliner schon zwei Ecken und bissen sich in der Essener Hälfte fest. Doch die Defensive um Rodenberg, Wagner und Heppke sollte das ganze Spiel über einen ausgezeichneten Job machen. Die „Eisernen“ versuchten krampfhaft die Kontrolle zu übernehmen, aber der entscheidende Pass scheitere immer recht früh an der Essener Verteidigung. Nun sollte sich eine alte Fußballweißheit bewahrheiten: Wenn das Spiel verflacht, ist dies eine Chance für den Underdog. RWE wurde mutiger ohne jedoch nach vorne zu überzogen. Aber dann kam er doch, einer der gefürchteten tödlichen Pässe von Suat Tokat auf den plötzlich völlig frei stehenden Lenz, der allerdings an dem Berliner Torhüter Glinker scheiterte. Die anschließende Ecke wurde von Tokat hineingebracht, dessen Ball bei Kapitän Brauer landete und mit einem Kopfball den heranrauschenden Silvio und Keeper Glinker überwindet. Die Hafenstraße stand Kopf, den mit dem zweiten gefährlichen Ball auf das Berliner Tor stand es plötzlich 1:0 für den Aufsteiger in Liga 4. Alle Hoffnungen, dass die Mannschaft von RWE eine echte Chance hätte, waren also durchaus berechtigt gewesen.

Union wirkte geschockt und zeigte sich auch nach dem Gegentreffer weitestgehend ungefährlich. Einzig der Berliner Mattuschka sorgte mit seinen gefährlich getretenen Standards für Gefahr. Insgesamt war das Spiel in der 1. Hälfte durchaus fair, aber auch sehr ruppig geführt. Nach 26 Minuten musste der Schiedsrichter schon dreimal den gelben Karton zeigen. RWE kaufte Union durch ein leidenschaftliches und hart geführtes Spiel den Schneid ab. Unterstützt wurden sie dabei von leidenschaftlich anfeuernden Essenern Zuschauer. Auch wenn hier noch nichts entschieden war, das Spiel hatte von der Atmosphäre her das Prädikat „Wahnsinn“ schon erreicht.

Joker Koep knipst zum 2:0Die Anfangsphase der zweiten Halbzeit war eine Kopie der ersten 10 Minuten. Union versuchte das Kommando an sich zu reißen. Und dies scheinbar mit Erfolg: Nach mehreren vergeblichen Versuchen, den Ball aus dem Essener Strafraum zu schlagen kam der Berliner Quiring halblinks frei zu Schuss, Lamzcyk parierte den Ball sehenswert, doch Terodde kann den Ball über die Linie bringen. Zum Entsetzen der Berliner entschied Schiedsrichter Kempter auf Abseits. Ehrlich gesagt sah es auch aus weiter Entfernung nicht danach aus, aber als RWE-Fan ist einem das in dieser Situation völlig egal. Als Reaktion darauf schnürten die Berliner RWE in der eigenen Hälfte immer mehr ein.

Essen versuchte mit Befreiungsschlägen sein Glück, und tatsächlich konnte die Mannschaft von der Hafenstraße einen Freistoß in der 71. Minute weit weg vom eigenen Sechzehner herausholen. Der ausgeführte Ball flog in Richtung Glinker, doch der Berliner Torwart ließ das Spielgerät bedrängt von Koep fallen. Lemke wollte diese Situation nutzen, scheiterte aber an der Berliner Abwehr. Der Ball landete aber glücklicherweise wieder bei Benedikt Koep, der locker zum 2:0 einschieben konnte. Der Jubel war grenzenlos, die Sensation in greifbarer Nähe. Nur noch zwanzig Minuten trennten Waldis Buben von einer erneuten Überraschung.

Doch noch war es nicht so weit, auch wenn der Beobachter den Eindruck hatte, dass die Mannschaft und die Fans aus Berlin das Spiel längst aufgegeben hatten. Die Einwechselung von Mosquera sollte ein letztes Mal für Druck auf das Essener Tor sorgen. Ansonsten wechselten sich weiterte Auswechselungen und gelbe Karten ab. In der 82. Minute fand der Ball dann den Weg zum Berliner Zoundi, der einfach mal so durch den gesamten Essener Strafraum tänzelte ohne angegriffen zu werden. Plötzlich tat sich eine kleine Lücke auf, und schob Zoudi den Ball unhaltbar für Lamczyk in das linke untere Eck ein. Selbst die Berliner Fans hatten nicht mehr damit gerechnet, der Jubel fiel sehr verhalten aus. Auch bei der Stimmung der Essener Fans keinen Abbruch, irgendwie hatte man das Gefühl, das Weiterkommen sei beschlossene Sache. Auch Mosqueras gefährlicher Schuss in der 86. Minute, den Lamzcyk klasse hielt, änderte nichts daran. Die Nachspielziet begann, und es sollte tatsächlich noch passieren. Die Essener Abwehr wirkte nicht mehr konzentriert genug, Mosquera scheiterte noch an kurzer Distanz, aber der Ball kam doch noch zu Terodde, der seinen Schuss knallhart unter die Latte zimmerte. Zehn gute Minuten hatten ausgereicht, um die Verlängerung zu erreichen. Genau hier zeigte sich brutal der Unterschied zwischen 2. Bundesliga und der Amateurregionalliga.

Lambo ElfmeterkillerDie Essener Fans waren unter Schock, und dass zog sich in die Verlängerung hinein. Kaum einer glaubte daran, dass die rot-weiße Mannschaft diesem Druck noch gewachsen sei. Union versuchte mit einer verschärften „Einschnürtaktik“ den entscheidenden Schlag zu landen. Doch es sprang nur ein Schuss von Ede heraus, den Lamzcyk zur Ecke klären konnte. Essen war platt, müde, erledigt. Was dann geschah konnte man nur tatsächlich mit der Wiederauferstehung des Mythos erklären. Lemke und Kuta beackerten wieder die Außenbahnen, auch die restlichen Spieler gaben noch einmal alles. Doch die Entscheidung sollte in der Mutter aller Pokalspiele enden: Dem Elfmeterschießen.

Um die Emotionen besser beschreiben können muss die Perspektive eines zitterenden RWE-Fans eingenommen werden, der die Elfmeter wahrscheinlich so betrachtet hat:

Terodde für Union: Ach Du heilige Sch…, nicht der Typ, der den Ausgleich gemacht hat! Der muss massig Selbstbewusstsein haben. Mehr Pfiffe als sonst sind hier nötig! Er läuft an, schießt schwach, Lamczyk hält, Jubel Essen, Entsetzen Union.

Jasmund für die rot-weißen Götter: Naja, ob der so sicher ist, bislang nicht auffällig als Elfmeterschütze, das geht bestimmt in die Hose, Jasmund schießt, ein unhaltbarer Kracher, Jubel Essen, Resignation Union.

Menz für Union: Der Lamczyk, der ist ein Killer, den hat er auch, Menz schießt – Sch… war das knapp, Lamczyk mit den Fingern dran, aber trotzdem drin, Zittern Essen, Hoffnung Union.

Rodenberg für die rot-weißen Götter: Geiles Spiel hat der Junge gemacht, setz in rein mit Karacho, er tritt an, Gebete erhört, guter Schuss… Das gibbet doch gar nicht, Pfosten! Entsetzen Essen, Jubel Union.

Ede für Union: Stell Dir vor, 12701 Zuschauer sehen das Du den Köttel in der Buchse hast! Der zittert ja jetzt schon! Ede tritt an, besch… Schuss, Lamzcyk hält, hämischer Jubel Essen, Mitleid und Entsetzen Union.

Brauer für die rot-weißen Götter: Ach, sollen wir darüber reden? Unser Timo, sicheres Dingen, der macht die auch blind mit dem Krückstock rein. Brauer tritt an, satter Schuss, unter die Latte, drin das Dingen, aber knapp war es! Erleichterung Essen, doppeltes Entsetzen Union.

Silvio für Union: Ah, der Topstar, der hat wahrscheinlich richtig Muffensausen. Dafür geht der aber recht locker zum Punkt. Silvio tritt an, Lamczyk zu früh in seiner Ecke, lockere Sache für Silvio, Ärgern Essen, Zittern Union.

6:5 !Heppke für die rot-weißen Götter: Auch ein geiles Spiel gemacht, wirkt sicher, tritt an, mit Wucht oben links rein, kurzer Prozess, Jubel Essen, Ernüchterung Union.

Karl für Union: Dat muss et jetzt sein, Lamczyk wird zum Held, Karl tritt an, dat gibt’s nicht, Lamczyk ahnt die Ecke und ist dran, aber es reicht nicht, wieder Ärgern Essen, wieder Hoffnung Union.

Wagner für die rot-weißen Götter: Ey, was muss der jetzt ne Show abziehen, den Ball erstmal hochhalten… Ach, moment, so hat der das Ding gegen Cottbus vor vier Jahren versenkt, Wagner geht endlich zum Punkt, tritt an – Der Rest verschwindet in einem rot-weißen Freudenmeer, Union am Boden.

Dieses Spiel in klare Worte zu fassen ist nahezu unmöglich. Der (vermeintliche) Außenseiter aus Essen hat mit unglaublich viel Herz und Rückenwind eine Profimannschaft aus dem Wettbewerb geschmissen. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass Union sicherlich kein gutes Spiel abgeliefert hat. Der Schock über den schlechten Start in Liga 2 und dem Pokalaus wird eine hohe Hypothek für die Mannschaft in die nächsten Wochen sein.

Auch bleibt abzuwarten, wie Essen diesen Hype nutzen kann. Aber erst einmal ist feiern angesagt. Und die Hoffnung auf einen dicken Fisch in der zweiten Runde ist auch noch da. Eines ist allerdings sicher: Der Mythos Hafenstraße wird auch dann wieder bereit für große Taten sein!


Jawattdenn-Spielerbewertung

Dennis Lamczyk
Lamczyk
[1]

Meik Kuta
Kuta
[2]

Maik Rodenberg
Rodenberg
[2+]
Vincent Wagner
Wagner
[2+]
Kevin Lehmann
Lehmann
[1-]
Timo Brauer
Brauer
[1]
Markus Heppke
Heppke
[2] 
Suat Tokat
Tokat
[2+]
Holger Lemke
Lemke
[2-]
Kevin Grund
Grund
[2]
Lukas Lenz
Lenz
[3+]
Benedikt Koep
Koep
[2-]
Dirk Jasmund
Jasmund
[3+]
Kerim Avci
Avci
[2-] 
 
 

Rot-Weiss Essen

Lamczyk - Kuta, Rodenberg, Wagner, Lehmann - Heppke, Lemke, Tokat (89. Jasmund), Brauer, Grund (91. Avci) - Lenz (64. Koep)

Union Berlin


Glinker - Pfertzel (46. Menz), Stuff, Göhlert, Kohlmann - Karl, Zoundi, Mattuschka (72. Ede), Silvio, Quiring (60. Mosquera) - Terodde      

  

Tore 

1:0 Brauer (22.), 2:0 Koep (71.), 2:1 Zoundi (82.), 2:2 Terodde (90. + 1)

Im Elfmeterschießen: 1:0 Jasmund, 1:1 Menz, 2:1 Brauer, 2:2 Silvio, 3:2 Heppke, 3:3 Karl, 4:3 Wagner


Zuschauer

12.701

Schiedsrichter

Robert Kempter (Saulsdorf)

Gelbe Karte

Tokat, Wagner, Lenz, Koep - Silvio, Terrode, Karl, Kohlmann

 


Spieler des Spiels 1. DFB Pokal Hauptrunde - Dennis Lamczyk