Ein letzter Blick, bevor der Vorhang fällt
Wenn am Samstag Schiedsrichter Christian Fischer um 15.45 Uhr die Regionalligapartie zwischen RWE und Fortuna Köln abpfeift, beendet er damit auch 73 Jahre Fußball im Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße. Seit dem Eröffnungsspiel am 13. August 1939 fanden hier unzählige Fußballspiele statt, Feste wurden gefeiert, viele Siege errungen und noch mehr Niederlagen erlitten. In über sieben Jahrzehnten wurde an diesem Ort Fußballgeschichte geschrieben.
Von den glorreichen vergangenen Tagen, die das Stadion erlebt hat, ist
heute nicht mehr viel übrig geblieben. In nahezu jeder Berichterstattung
über die sportliche Talfahrt der letzten Jahrzehnte wurde das Stadion
als Symbol für den Niedergang herbeigezogen. Während in den 50er Jahren
hier einst der Deutscher Meister in einem hochmodernen Stadion auflief,
ging es spätestens seit den 70er Jahren nur noch bergab. Und als es hart
auf hart kam und letztlich der Insolvenz der Neuanfang in Liga Fünf
folgte, begann das Dach der Haupttribüne zu bröckeln und große Teile
fielen auf die vergilbten Sitze des einst so erhabenen Baumkomplexes. Es
war, als würde das Georg-Melches-Stadion dicke Betontränen weinen.
Doch trotz oder gerade wegen des immer größer werdenden
Renovierungsbedarfs, genoss und genießt das Stadion bei den Fans ein so
enorm hohes Ansehen, dass es gerade in dieser Abschiedssaison bei jedem
Spiel minutenlang besungen wird. Und auch überregional und sogar aus dem
Ausland zieht die „Ruine GMS“ Publikum an, viele Menschen wollen den
bier- und zigarettenrauchgefüllten Duft der Vergangenheit atmen, um mal
etwas anderes zu erleben als Fußball in den neugebauten,
gleichaussehenden Stadion, die überall in der Republik entstanden sind.
Immer kürzere „Laufzeiten“ der Stadien, wie beispielsweise in
Gelsenkirchen oder München wo alle 30 Jahre ein neues Zuhause entsteht,
haben verhindert, dass der jeweilige Fußballverein über alle
Generationen hinweg so mit einem Stadion verbunden wird, wie das bei
Rot-Weiss Essen mit dem Georg-Melches-Stadion der Fall ist.
Wenn man morgen ein letztes Mal seinen Blick durch das „GMS“ schweifen
lässt, fallen einem wohl als erstes die vollbesetzten Stehränge auf. Die
Ost- und Nordtribüne – beziehungsweise das, was von der Nordtribüne
übrig ist – beherbergen an jedem Spieltag Tausende von Fans, Ultras,
Kuttenträger, alte Herren, Frauen und Kinder. So unterschiedlich die
einzelnen Charaktere auch sein mögen, am Wochenende verschmelzen sie für
90 Minuten zu einer rot-weissen Masse, die in manchen Zeiten als Bürde
wahrgenommen wurde, meist aber die Mannschaft gerade in knappen Spielen
über sich hinauswachsen lassen hat. Zudem war die Überdachung der
Stehränge die letzte bauliche Renovierung des Stadions. Vor dreißig
Jahren.
Eine weitere Besonderheit sind die Flutlichtmasten. Am 8. August wurde
beim Spiel gegen Racing Club Straßburg die erste Flutlichtanlage des
Ruhrgebiets eingeweiht. Wenige Wochen später, am 7. November 1956 fand
unter Flutlicht einer der bemerkenswertesten Begegnungen in der
rot-weissen Geschichte statt. Eine gemischte Mannschaft aus RWE und
Fortuna Düsseldorf trennte von Honved Budapest mit Superstar Ferenc
Puskás 5:5. Es war wohl das meistbesuchte Spiel, das je im
Georg-Melches-Stadion stattfand. Da auf den Rängen kein Platz mehr war,
kletterten die Menschen in die Flutlichtmasten. Die Masten von damals
existieren heute nicht mehr, und seit zwei Jahren stehen nur noch drei
der vier Flutlichter, für den Stadionneubau musste der vierte Mast
weichen. Über all die Jahre blieb aber eines immer gleich:
Flutlichtspiele im Georg-Melches-Stadion waren und sind für Spieler
gleichermaßen wie für Fans etwas ganz besonderes.
Im Süden des Stadions bröckelt die Haupttribüne langsam vor sich hin.
Die 1957 eröffnete Anlage bot damals alles, was man sich nur vorstellen
konnte. Turnhalle, Vereinsgaststätte, mehrere Wohnungen, ausreichend
Verwaltungsräume und moderne Kabinen. Über die Jahre ist alles sehr in
die Jahre gekommen, und Reparaturen wurden immer nur sehr notdürftig
gestaltet. Seit einigen Jahren darf die Tribüne nur noch mit einer
Sondergenehmigung genutzt werden. Doch gerade dieses 55 Jahre alte
Bauwerk ist den Fans so ans Herzen gewachsen, dass sie sich sogar in
einer Initiative dafür einsetzen, die Haupttribüne zu erhalten. Über
Sinn oder Unsinn eines solchen Vorhabens soll hier nicht geurteilt
werden, es zeigt aber ganz klar die enge Bindung zwischen Fans und
Stadion.
Vollendet man den Blick durch das weite Rund, fällt einem als letztes
die Westkurve ins Auge – heute nur noch ein großes Nichts. Über Jahre
war diese Tribüne die Heimat der rot-weissen Anhängerschar, berühmt und
berüchtigt. Der „Messerwurf“ auf Sepp Maier ist nur eine von vielen
Anekdoten, die über die Westkurve noch heute erzählt werden. Aber auch
diese Tribüne war irgendwann baufällig, und nach der Sperrung wurde sie
1994 abgerissen, begleitet von Versprechen diverser Kommunalpolitiker,
die einen raschen Neubau versprachen. Bis die Bagger tatsächlich
rollten, sollte es noch weitere 16 Jahre dauern. Heute steht an dieser
Stelle zum letzten Mal die „alte Westkurve“, ein neue geschaffener
Bereich für etwa 100 Personen, die hier exclusiv die Spiele sehen
können, mit einer Bar und einer auf alt gemachten Anzeigetafel. Ein
netter Marketinggag, der zumindest versucht die Geschichte der Westkurve
lebendig zu halten, aber mehr auch nicht.
Blickt man über diese neue Westkurve hinweg, sieht man schon fast
fertige drei Tribünen des neuen Stadions. Der Name ist zumindest
offiziell noch nicht bekannt, aber es ist wohl sicher, dass es nach
einem Sponsor heißt. Georg-Melches-Stadion wird es mit Sicherheit nicht
heißen, und das bedeutet, mit dem Abriss stirbt auch dieser Stadionname.
Bei aller Nostalgie darf natürlich niemals vergessen werden, dass der
Neubau der einzig richtige Weg ist und man als Fan glücklich sein muss,
ein solches Stadion finanziert und gebaut zu bekommen. Trotzdem darf man
aber auch trauern, dass eine 73-jährige Ära zu Ende geht. Unter das
größte Projekt von Vereinsgründer Georg Melches wird am Wochenende der
Schlussstrich gezogen, und die vielen, vielen Erinnerungen, die mit dem
Stadion verknüpft sind, werden ab jetzt in einer Kiste auf den Dachboden
gepackt und nur noch sporadisch herausgeholt werden. Ein letztes
kleines Kapitel wird an diesem Wochenende noch geschrieben, und wer bei
einem letzten Blick durch das Georg-Melches-Stadion einen dicken Kloß im
Hals und wässrige Augen bekommt, muss sich weder schämen, noch
befürchten, dass er mit solch rührseligen Gefühlen allein ist. Ein
Stadion, das selbst im Menschenalter schon lange ein Rentner ist, hat
bei seinem Abschied etwas „Pippi inne Augen“ verdient!
PS: Achja, dies soll ja ein Vorbericht zu einem Fußballspiel sein.
Rot-Weiss Essen spielt gegen Fortuna Köln. Immerhin, Fortuna Köln. Denn
während sich in der derzeitigen Liga die Mannschaften aus der Provinz
und zahlreiche Zweitvertretungen sammeln, ist die Fortuna immerhin ein
Club mit einer ganz langen Zweitligageschichte. Mittlerweile ist man
zwar auch nur noch viertklassig und erfreut sich dreistelliger
Zuschauerzahlen, aber es erscheint fast schon auf tragische Weise
passend, dass im letzten Pflichtspiel ein ebenso
heruntergewirtschafteter ehemaliger Profiverein an der Hafenstraße zu
Gast ist. Sportlich geht es darum, wer am Ende der Saison Siebter und
wer Achter wird, aber das Sportliche interessiert an so einem Tag
sowieso kaum.
Bilanz gegen Fortuna Köln
Siege | Unentschieden | Niederlagen | Gesamt | |
Heim | 7 | 5 |
7 |
19 |
Auswärts | 5 | 6 |
9 |
20 |
Gesamt | 12 | 11 | 16 | 39 |
EVAG Einsatzplan
Abfahrt Essen Hbf Bussteig 4
ab 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr alle 10 Min.
Richtung Hafenstraße
Nach dem Spiel an den bekannten Haltestellen Bottroper Straße und Lüschershofstraße.
Organisatorisches zum Heimspiel
Appell an die Fans zum Regionalliga-Spiel gegen Fortuna Köln
Mit gemischten Gefühlen fiebern die Fans von Rot-Weiss Essen auf den letzten Spieltag der Regionalliga-West hin. Am kommenden Samstag, 19. Mai, gastiert die Fortuna aus Köln zum letzten Pflichtspiel im legendären Georg-Melches-Stadion, bevor der Umzug in das neue Stadion ansteht.
Am darauffolgenden Sonntag werden dann ein letztes Mal die Stadion-Tore geöffnet, wenn sich die RWE-Legenden die Schuhe schnüren und den Ball über den heiligen Rasen laufen lassen. Timo Brauer, Kapitän der rot-weissen Regionalligamannschaft, ist bereits freudig auf das Wochenende eingestimmt: „Das wird ein sehr emotionaler Moment für uns Spieler und natürlich vor allem für unsere Fans. Am Sonntag endet mit dem letzten Spiel in unserem Stadion ein Stück Geschichte und Tradition.
Das sollte man auf keinen Fall verpassen." Auch Abwehrspieler Vincent Wagner wird am Sonntag vor Ort sein: „Ich hoffe, dass unsere Fans nach dem Spiel gegen Fortuna Köln nicht alle auf den Platz rennen und den Rasen zerstören. Klar möchten wir mit unseren Fans feiern, aber genauso freuen wir uns alle darauf, am Sonntag noch einmal mit Spielern wie Frank Kurth, Dieter Bast, Alexander Thamm oder Sascha Mölders das allerletzte Spiel zu bestreiten.
Für uns alle wird dieses Wochenende und insbesondere der Sonntag lange in Erinnerung bleiben." Auch der Verein appelliert an die Fans, den Platz am Samstag nicht zu stürmen, um den passenden Rahmen für den „Abschied mit Legenden" zu erhalten.