Tag des offenen Tores in Essen
Fassungslosigkeit machte sich unter den knapp 6.200 Zuschauern in der Ruine Georg-Melches-Stadion breit, als kurz vor Schluss der Ball zum vierten Male im Essern Tor zappelte und die nächste Heimniederlage besiegelte. 25 Minuten zuvor sah der Gastgeber, der sich zwischenzeitlich in einen kleinen Rausch spielte, noch wie der sichere Sieger aus. Was war passiert?
Die erste Halbzeit ist schnell erzählt: Hatte das Spiel noch recht flott
mit kleineren Einschussgelegenheiten auf beiden Seiten begonnen, so
verflachte das Spiel von Minute zu Minute und mündete kurz vor dem
Pausenpfiff in einem wahren „Krampf“ mit vielen leichten Ballverlusten
und Bällen ins Nirgendwo. Als ein Teil der Zuschauer den ersten
Durchgang am Bierstand schon Revue passieren ließ, gab es doch noch
einen kleinen Vorgeschmack auf die denkwürdigen Ereignisse in der zweite
Hälfte: Nach dem ersten ordentlichen Spielzug seit 20 Minuten wollte
Lamczyk einen strammen Flankenball aus der Gefahrenzone fausten –
allerdings auf Grasnarbenhöhe, so dass der Ball an Denker hängen blieb und
Hömig vor die einschussbereiten Füße fiel – 0:1 (45.). Der
Schiedsrichter pfiff gar nicht erst wieder an.
Dieses Gegentor entpuppte sich jedoch als fruchtbarer Weckruf für die
Gastgeber, die wie verwandelt aus der Pause kamen und die bis dahin
angelegte Offensiv-Handbremse endlich lösten. Auch die Entscheidung, mit
Lenz einen dritten Stürmer für den angeschlagenen Kuta einzuwechseln,
trug sofort Früchte: Nach einem Eckball von Grund versenkte Lenz den
Ball aus dem Gewühl heraus im zweiten Nachschuss zum vielumjubelten
Ausgleich (51.)!
Eine furiose Spielphase war damit eröffnet, in der RWE den Gegner nach
Belieben kontrollierte und mit diesem teilweise Katz und Maus spielte.
In der 54. Minute hätte Avci seine Farben schon in Führung schießen
können, doch nach einer verunglückten Abwehr flog sein Schuss aus 15
Metern in Rücklage gut zwei Meter über den Kasten. Kurz darauf war es
aber soweit: Kaya drang über links in den Strafraum ein und wurde an der
16er-Linie unsanft von den Beinen geholt. Den unstrittigen Foulelfmeter
verwandelte Brauer in gewohnt sicherer Manier zum 2:1 (59.)!
Essen ließ nicht locker, nur eine Minute später senkte sich der Ball
nach einem Pressschlag zwischen Lenz und Gäste-Torwart Schwabke auf das
Netz des leeren Kölner Tores. Der Turbo lief weiter, RWE drängte auf ein
schnelles 3:1 – mit Erfolg: Eine genau getimte Flanke von Lemke
versenkte der sich zum „Edeljoker“ entwickelnde Lenz lehrbuchreif im
kurzen Eck des Kölner Tores, die vermeintliche Vorentscheidung war
gefallen (63.)! Niemand gab mehr einen Pfifferling auf die unter den
Rädern liegenden Kölner, doch schwere individuelle Fehler in der
Defensive ließen das Spiel noch einen nicht mehr für möglich gehaltenen
Verlauf nehmen. Und um das Spiel zu kippen, musste Köln nicht mal Druck
auf das Essener Tor ausüben, sondern einfach nur auf diese Fehler
warten. „Unforced errors“ würde man im Tennis sagen, der erste folgte
unmittelbar nach dem dritten Treffer: In einer völlig ungefährlichen
Situation ließ Grund grundlos das Bein stehen, über das ein Kölner sehr
gerne stolperte – der zweite Elfmeter, den der auch im 16er sehr
konsequent pfeifende Schiedsrichter aussprach. Bisanovic machte das
Spiel wieder spannend (65.).
Kölner Druck blieb auch weiterhin aus, so dass die nächste heikle
Situation wieder „aus dem Nichts“ erfolgte, diesmal war Denker mitten
drin statt nur dabei: Nach einem blinden Ball in die Spitze hatte er
einen Laufwegvorteil gegenüber seinem Kölner Verfolger Musculus, doch
Denker schirmte den aufspringenden Ball sehr ungeschickt ab, verlor ihn
im eigenen 16er an Musculus und holte seinen Gegenspieler zu allem
Überfluss noch von den Beinen – schon wieder Elfmeter für den FC (78.)!
Die dicke Ausgleichschance vereitelte Elfmeterkiller Lamczyk, der damit
seine unglückliche Faustabwehr vor dem 0:1 vergessen machte. Der
psychologische Vorteil lag wieder auf der Seite von RWE, jedoch sollte
er erneut verpuffen.
Das Spiel plätscherte nun vor sich hin, und Essen muss sich den Vorwurf
gefallen lassen, nach vorne nicht mehr konsequent und zielstrebig agiert
zu haben. Das wäre nicht weiter problematisch gewesen, wenn man den FC
zumindest nicht immer wieder zum Toreschießen eingeladen hätte. In der
83. Minute sah sich ein Kölner mit dem Ball am Fuß gleich vier(!)
Essener Gegenspielern ausgesetzt, ließ sie aber wie Slalomstangen stehen
und flankte flach an den langen Pfosten, wo der eingewechselte Jasmund
nicht auf Ballhöhe war und Musculus ungedeckt zum 3:3 einschieben ließ!
Ein lähmendes Entsetzen im Stadion und völlige Verunsicherung bei der
Mannschaft waren die Folge. Nun spielte der FC auch auf Sieg, und dieser
sollte über die seit Jasmunds Einwechslung sperrangelweit offen
stehende rechte Abwehrseite tatsächlich noch gelingen. Hierbei bewies
Kölns Trainer Lottner ein glückliches Händchen, denn der wenige
Augenblicke zuvor eingewechselte Thelen nutzte die Zeit und den
ungewohnten Freiraum, den er am linken Essener Strafraumeck genoss, um
mit einem wohlüberlegten Schlenzer ins lange Eck den Spielverlauf
endgültig auf den Kopf zu stellen – 3:4 (89.)!
Es hätte zu dem Spiel gepasst, wenn auch RWE noch einmal zurück
geschlagen hätte. Ausgerechnet Lamczyk, der für die letzte
Standardsituation mit nach vorne geeilt war, sollte diese
Möglichkeit in der Nachspielzeit auch erhalten. Bei seinem Kopfball aus
kurzer Distanz zeigte sich der Kölner Keeper aber auf der Höhe und hielt
den Auswärtssieg der Geißböcke fest.
„Ohne Wagner ha´m wir keine Chance“ posaunten zwei angetrunken
dahertorkelnde Rot-Weisse auf dem Heimweg heraus, und zumindest die
Statistik gibt ihnen Recht: Alle sieben Saisonsiege wurden mit Wagner in
der Startelf eingefahren. Die augenblickliche
Innenverteidigung-Notbesetzung besitzt kaum Regionalligaformat, kann sie
auch nicht: Heppke ist kein gelernter Verteidiger und fehlt im
Mittelfeld und Denker kann als Innenverteidiger Nr. 5 nicht dieselbe
Qualität wie Wagner oder Rodenberg haben. Die Fehleranfälligkeit ist in
dieser Besetzung natürlich ungleich höher. In der kommenden Woche wird
zumindest Wagner wieder dabei sein und gegen das sturmschwächste Team
der Liga (Elversberg) stehen die Zeichen gut, zum ersten Mal in der
Saison zwei Auswärtsspiele in Folge zu gewinnen.
Jawattdenn-Spielerbewertung
Lamczyk [2] |
Lehmann [2] |
Heppke [2-] |
Denker [3] |
|
|
Kuta [3-] |
Brauer [3+] |
Avci [2+] |
Koep [3+] |
Lemke [2-] |
|
Kaya [3] |
Lenz [2+] |
Jasmund [o.B.] |
Vennemann [o.B.] |
Rot-Weiss Essen
Lamczyk - Lehmann (75. Jasmund), Heppke, Denker, Grund - Lemke, Kuta (46. Lenz), Brauer, Avci, Koep - Kaya (81. Vennemann)
1. FC Köln II
Schwabke - Vaaßen, Schwellenbach, Spinrath, Bisanovic - Hector, Hömig (89. Mehinovic), Karadeniz (73. Weiser), Kübler, Aosman (85. Thelen) - Musculus
Tore
45. Robin Hömig 0:1, 49. Lukas Lenz 1:1, 58. Timo Brauer (Elfmeter) 2:1, 61. Lukas Lenz 3:1, 65. Dino Bisanovic (Elfmeter) 3:2, 83. Lucas Musculus 3:3, 87. Stefan Thelen 3:4
Zuschauer
6.159
Schiedsrichter
Sören Storks (Velen)
Gelbe Karten
Lehmann, Denker, Brauer - Hector, Musculus