29.01.2012

Tag des offenen Tores in Essen

von Michael Jaskolla

Fassungslosigkeit machte sich unter den knapp 6.200 Zuschauern in der Ruine Georg-Melches-Stadion breit, als kurz vor Schluss der Ball zum vierten Male im Essern Tor zappelte und die nächste Heimniederlage besiegelte. 25 Minuten zuvor sah der Gastgeber, der sich zwischenzeitlich in einen kleinen Rausch spielte, noch wie der sichere Sieger aus. Was war passiert?

 Die erste Halbzeit ist schnell erzählt: Hatte das Spiel noch recht flott mit kleineren Einschussgelegenheiten auf beiden Seiten begonnen, so verflachte das Spiel von Minute zu Minute und mündete kurz vor dem Pausenpfiff in einem wahren „Krampf“ mit vielen leichten Ballverlusten und Bällen ins Nirgendwo. Als ein Teil der Zuschauer den ersten Durchgang am Bierstand schon Revue passieren ließ, gab es doch noch einen kleinen Vorgeschmack auf die denkwürdigen Ereignisse in der zweite Hälfte: Nach dem ersten ordentlichen Spielzug seit 20 Minuten wollte Lamczyk einen strammen Flankenball aus der Gefahrenzone fausten – allerdings auf Grasnarbenhöhe, so dass der Ball an Denker hängen blieb und Hömig vor die einschussbereiten Füße fiel – 0:1 (45.). Der Schiedsrichter pfiff gar nicht erst wieder an.

6.159 Zuschauer sahen ein kurioses SpielDieses Gegentor entpuppte sich jedoch als fruchtbarer Weckruf für die Gastgeber, die wie verwandelt aus der Pause kamen und die bis dahin angelegte Offensiv-Handbremse endlich lösten. Auch die Entscheidung, mit Lenz einen dritten Stürmer für den angeschlagenen Kuta einzuwechseln, trug sofort Früchte: Nach einem Eckball von Grund versenkte Lenz den Ball aus dem Gewühl heraus im zweiten Nachschuss zum vielumjubelten Ausgleich (51.)!

Eine furiose Spielphase war damit eröffnet, in der RWE den Gegner nach Belieben kontrollierte und mit diesem teilweise Katz und Maus spielte. In der 54. Minute hätte Avci seine Farben schon in Führung schießen können, doch nach einer verunglückten Abwehr flog sein Schuss aus 15 Metern in Rücklage gut zwei Meter über den Kasten. Kurz darauf war es aber soweit: Kaya drang über links in den Strafraum ein und wurde an der 16er-Linie unsanft von den Beinen geholt. Den unstrittigen Foulelfmeter verwandelte Brauer in gewohnt sicherer Manier zum 2:1 (59.)!

Essen ließ nicht locker, nur eine Minute später senkte sich der Ball nach einem Pressschlag zwischen Lenz und Gäste-Torwart Schwabke auf das Netz des leeren Kölner Tores. Der Turbo lief weiter, RWE drängte auf ein schnelles 3:1 – mit Erfolg: Eine genau getimte Flanke von Lemke versenkte der sich zum „Edeljoker“ entwickelnde Lenz lehrbuchreif im kurzen Eck des Kölner Tores, die vermeintliche Vorentscheidung war gefallen (63.)! Niemand gab mehr einen Pfifferling auf die unter den Rädern liegenden Kölner, doch schwere individuelle Fehler in der Defensive ließen das Spiel noch einen nicht mehr für möglich gehaltenen Verlauf nehmen. Und um das Spiel zu kippen, musste Köln nicht mal Druck auf das Essener Tor ausüben, sondern einfach nur auf diese Fehler warten. „Unforced errors“ würde man im Tennis sagen, der erste folgte unmittelbar nach dem dritten Treffer: In einer völlig ungefährlichen Situation ließ Grund grundlos das Bein stehen, über das ein Kölner sehr gerne stolperte – der zweite Elfmeter, den der auch im 16er sehr konsequent pfeifende Schiedsrichter aussprach. Bisanovic machte das Spiel wieder spannend (65.).

Gute Besserung, SuatKölner Druck blieb auch weiterhin aus, so dass die nächste heikle Situation wieder „aus dem Nichts“ erfolgte, diesmal war Denker mitten drin statt nur dabei: Nach einem blinden Ball in die Spitze hatte er einen Laufwegvorteil gegenüber seinem Kölner Verfolger Musculus, doch Denker schirmte den aufspringenden Ball sehr ungeschickt ab, verlor ihn im eigenen 16er an Musculus und holte seinen Gegenspieler zu allem Überfluss noch von den Beinen – schon wieder Elfmeter für den FC (78.)! Die dicke Ausgleichschance vereitelte Elfmeterkiller Lamczyk, der damit seine unglückliche Faustabwehr vor dem 0:1 vergessen machte. Der psychologische Vorteil lag wieder auf der Seite von RWE, jedoch sollte er erneut verpuffen.

Das Spiel plätscherte nun vor sich hin, und Essen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nach vorne nicht mehr konsequent und zielstrebig agiert zu haben. Das wäre nicht weiter problematisch gewesen, wenn man den FC zumindest nicht immer wieder zum Toreschießen eingeladen hätte. In der 83. Minute sah sich ein Kölner mit dem Ball am Fuß gleich vier(!) Essener Gegenspielern ausgesetzt, ließ sie aber wie Slalomstangen stehen und flankte flach an den langen Pfosten, wo der eingewechselte Jasmund nicht auf Ballhöhe war und Musculus ungedeckt zum 3:3 einschieben ließ! Ein lähmendes Entsetzen im Stadion und völlige Verunsicherung bei der Mannschaft waren die Folge. Nun spielte der FC auch auf Sieg, und dieser sollte über die seit Jasmunds Einwechslung sperrangelweit offen stehende rechte Abwehrseite tatsächlich noch gelingen. Hierbei bewies Kölns Trainer Lottner ein glückliches Händchen, denn der wenige Augenblicke zuvor eingewechselte Thelen nutzte die Zeit und den ungewohnten Freiraum, den er am linken Essener Strafraumeck genoss, um mit einem wohlüberlegten Schlenzer ins lange Eck den Spielverlauf endgültig auf den Kopf zu stellen – 3:4 (89.)!

Keine Punkte - die bittere Realität nach dem SchlusspfiffEs hätte zu dem Spiel gepasst, wenn auch RWE noch einmal zurück geschlagen hätte. Ausgerechnet Lamczyk, der für die letzte Standardsituation mit nach vorne geeilt war, sollte diese Möglichkeit in der Nachspielzeit auch erhalten. Bei seinem Kopfball aus kurzer Distanz zeigte sich der Kölner Keeper aber auf der Höhe und hielt den Auswärtssieg der Geißböcke fest.

„Ohne Wagner ha´m wir keine Chance“ posaunten zwei angetrunken dahertorkelnde Rot-Weisse auf dem Heimweg heraus, und zumindest die Statistik gibt ihnen Recht: Alle sieben Saisonsiege wurden mit Wagner in der Startelf eingefahren. Die augenblickliche Innenverteidigung-Notbesetzung besitzt kaum Regionalligaformat, kann sie auch nicht: Heppke ist kein gelernter Verteidiger und fehlt im Mittelfeld und Denker kann als Innenverteidiger Nr. 5 nicht dieselbe Qualität wie Wagner oder Rodenberg haben. Die Fehleranfälligkeit ist in dieser Besetzung natürlich ungleich höher. In der kommenden Woche wird zumindest Wagner wieder dabei sein und gegen das sturmschwächste Team der Liga (Elversberg) stehen die Zeichen gut, zum ersten Mal in der Saison zwei Auswärtsspiele in Folge zu gewinnen.


Jawattdenn-Spielerbewertung

Dennis Lamczyk
Lamczyk
[2]
Kevin Lehmann
Lehmann
[2]
Markus Heppke
Heppke
[2-]
Thomas Denker
Denker
[3]

Kevin Grund
Grund
[2-]

Meik Kuta
Kuta
[3-]
Timo Brauer
Brauer
[3+]
Kerim Avci
Avci
[2+]
Benedikt Koep
Koep
[3+]
Holger Lemke
Lemke
[2-]
Güngör Kaya
Kaya
[3]
Lukas Lenz
Lenz
[2+]
Dirk Jasmund
Jasmund
[o.B.]
Cedric Vennemann
Vennemann
[o.B.]


Rot-Weiss Essen

Lamczyk - Lehmann (75. Jasmund), Heppke, Denker, Grund - Lemke, Kuta (46. Lenz), Brauer, Avci, Koep - Kaya (81. Vennemann)

 

1. FC Köln II

Schwabke - Vaaßen, Schwellenbach, Spinrath, Bisanovic - Hector, Hömig (89. Mehinovic), Karadeniz (73. Weiser), Kübler, Aosman (85. Thelen) - Musculus

 

Tore

45. Robin Hömig 0:1, 49. Lukas Lenz 1:1, 58. Timo Brauer (Elfmeter) 2:1, 61. Lukas Lenz 3:1, 65. Dino Bisanovic (Elfmeter) 3:2, 83. Lucas Musculus 3:3, 87. Stefan Thelen 3:4

 

Zuschauer

6.159

 

Schiedsrichter

Sören Storks (Velen)

 

Gelbe Karten

Lehmann, Denker, Brauer - Hector, Musculus


 Spieler des Spiels 21. Spieltag - Kerim Avci