Westfalia Herne - Rot-Weiss Essen
Auf den Spuren von Frankie, Hotte und Jochen
Das erste Meisterschaftsspiel zwischen Westfalia Herne und RW Essen seit über 30 Jahren weckt schöne Erinnerungen
von Ralf Jelitto
Die größten Emotionen entfachen im Fußball sicherlich Derbys. Spielt
Schalke gegen Dortmund oder Bayern gegen 1860 München, ist eine ganze
Region schon Wochen vorher im gedanklichen Ausnahmezustand. Vor allem,
wenn es ein anstehendes Duell schon sehr lange nicht mehr gegeben hat.
Vor einigen Wochen war dies in Hamburg der Fall, als der HSV und St.
Pauli erstmals seit acht Jahren wieder in der 1. Bundesliga aufeinander
trafen. Doch das ist noch gar nichts gegen das Revierderby, das am 14.
November ab 14.30 Uhr im Stadion am Schloss Strünkede ganz Herne
elektrisieren dürfte, wenn sich der SC Westfalia zum ersten Mal seit 31
Jahren wieder mit dem großen Nachbarn Rot-Weiss Essen auf Augenhöhe
messen wird.
Keine Frage, beide Vereine hatten ihre stolzesten Momente in den
fünfziger Jahren. Der SCW wurde 1959 bekanntlich Westdeutscher Meister,
RWE 1953 Deutscher Pokalsieger und 1955 gar Deutscher Meister. In ihrer
wechselvollen Geschichte trafen beide Teams in den ruhmreichen 50er
Jahren regelmäßig in der legendären Oberliga West aufeinander, in den
60er und frühen 70er Jahren in der zweitklassigen Regionalliga West
ebenfalls. Als die Männer von der Essener Hafenstraße den von 1969 bis
1971 und von 1973 bis 1977 währenden Überlebenskampf in der 1.
Bundesliga endgültig verloren hatten, kam es in der 2. Bundesliga Nord
in den Jahren 1977 bis 1979 letztmals zum Klassiker zwischen Blau-Weiß
und Rot-Weiß.
Alleine ein Blick auf die damaligen Mannschaftskader lässt die Herzen
aller Fußballfans höher schlagen – von wehmütigen Erinnerungen ganz zu
schweigen. Während auf Herner Seite seinerzeit Kult-Stürmer Jochen Abel,
der später auch in der 1. Bundesliga für Bochum und Schalke nach
Belieben traf, für Jubel-Stürme sorgte, setzte sich Essens Angriff aus
zwei absoluten Fußball-Legenden zusammen. Frank Mill wirbelte nach fünf
Jahren im RWE-Dress auch für Mönchengladbach und Dortmund sowie bei 17
Nationalelf-Einsätzen die gegnerischen Verteidiger schwindelig. Und
Horst Hrubesch war auch schon in seiner Essener Zeit ein
Kopfballungeheuer, bevor er den HSV zu Titeln und Triumphen führte und
die DFB-Elf 1980 mit zwei Treffern im Endspiel gegen Belgien quasi im
Alleingang zum EM-Titel schoss.
Aber Westfalia Herne musste damals keinen Gegner fürchten, und so
feierte der SCW am 4. Spieltag Ende August 1977 vor 12.000 begeisterten
Zuschauern am Schloss einen verdienten 2:0-Sieg gegen RW Essen durch
Tore von Herbert Bals und Jochen Abel. Doch es sollte noch schöner
kommen. In der Rückrunde nahm die Westfalia auch die Essener Hafenstraße
im Sturm und landete Ende Januar 1978 am 23. Spieltag nach zwei
Treffern von Uwe Höfer einen sensationellen 2:1-Auswärtssieg.
Auch in der Spielzeit 1978/79 – für die Schlossherren sollte es die
letzte Profisaison vor dem Zusammenbruch des Goldbach-Imperiums und dem
damit verbundenen Absturz ins Amateurlager werden – entwickelte sich
Herne zu einem echten Angstgegner für die Rot-Weißen. Ende September
1978 kassierte der SCW am 9. Spieltag gegen den Favoriten daheim vor
3.200 Zuschauern erst fünf Minuten vor dem Ende den Ausgleich zum 2:2
Endstand. Klaus Scheer und Klaus Wolf hatten die Westfalia zuvor in
Führung gebracht. Das letzte Ausrufezeichen setzte der SCW Ende März
1979. Nach dem Herner 3:1-Triumph in Essen durch Tore von Klaus
Beverungen, Franz-Josef Laufer und Günther Kusczinski musste RWE seine
Aufstiegshoffnungen vorzeitig begraben.
Während es für den SCW nach einem erfolgreichen Jahrzehnt als
Drittligist in den 80er Jahren – auch bedingt durch mehrere
Spielklassenreformen – heute nur noch für ein Dasein als Fünftligist
reicht, wurde RW Essen spätestens 1991 mit dem Lizenzentzug in der 2.
Bundesliga aus allen Träumen gerissen. In der Saison 2004/2005 gab man
nochmals ein kurzes Gastspiel als Zweitligist, bis diverse Finanzkrisen,
gipfelnd in der Insolvenz im Frühsommer 2010, und das unendliche
Theater um einen Stadionneubau RW Essen ausgerechnet im
Kulturhauptstadtjahr ebenfalls zum Fünftligisten werden ließen.
Die NRW-Liga freut sich auf Essen, Herne ganz besonders, und bei
Betrachtung der fast makellosen Bilanz von drei Siegen und einem Remis
in den letzten vier Begegnungen in den 70er Jahren mag man voller
Vorfreude ausrufen: Mach’s noch einmal, Westfalia!
Und was schrieb die Presse damals?