Zurück zu den Tatsachen

Rot-Weiss Essen vs. SpVgg Erkenschwick - zu Zeiten der legendären Oberliga West war diese Partie ein Gassenhauer. Wie am 27. Januar 1952, als 12.000 Zuschauer zur Hafenstraße pilgerten, um einen 6:4-Sieg des Aussenseiters zu erleben. 24 Pflichtspiele haben Erkenschwick und RW Essen bis heute gegeneinander ausgetragen, nur dreimal hatten am Ende die Westfalen das bessere Ende für sich. Im ersten Vergleich trennte man sich am 21. November 1948 in Essen mit 2:2. Das bis dato letzte Spiel trugen beide Teams am 17. Mai 1998 in der Regionalliga aus. Rot-Weiss gewann mit 4:2 - vor 1717 Besuchern. Die Torbilanz spricht eine eindeutige Sprache: 26:59 für Essen.

Die graue Wirklichkeit heißt aus Sicht unserer Mannschaft jedoch nun NWR-Liga. Der Gau der Insolvenz bringt es mit sich, dass die beiden so lange durch mehrere Spielklassen getrennten Clubs plötzlich wieder in einer Liga gegeneinander antreten. Wobei der Aufsteiger aus der sechstklassigen Westfalen-Liga erst nach langem Bangen überhaupt die Lizenz für die fünfte Klasse erhielt.

Um es vorab zu sagen: Das Stimmberg-Stadion versprüht längst nicht jenen nostalgischen Charme wie das Herner Rund am Schloss Strünkede. Das Umfeld ist schmuddelig, es fehlt eine Flutlichtanlage und das Fanpotential ist auf jene Zielgruppe geschrumpft, die allen Vereinen droht, die zu lange von den Futtertrögen des bezahlten Fußballs abgenabelt sind: Die Generation 50 bis 60+, die in der Pause von Schlagern aus dem Repertoire von WDR4 berieselt wird und mit dem Enkel zum „Fußball gucken" geht. Nur wenige jugendliche Erkenschwick-Fans waren präsent - mit Trikots, die auf den ersten Blick denen von Fortuna Düsseldorf täuschend ähnlich sehen. Einen kleinen, aber feinen Fan-Shop, wie es ihn zum Beispiel noch in Herne oder Uerdingen gibt, war jedoch nichts zu sehen.

In diesem tristen Umfeld trafen sich die eingespielte Mannschaft des Neu-NRW-Ligisten (mit nur drei Neuzugängen) und der bislang eher gemischt in die Vorbereitung gegangene Zwangs-Absteiger aus der Regionalliga West zu einem Vorbereitungsspiel. Nach dem 2:0 gegen eine US-Auswahl keimte ja bereits wieder zarter Optimismus an der Hafenstraße aus, doch nach der 1:4-Niederlage gegen einen künftigen Liga-Konkurrenten ist RWE erst einmal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen.

Vor 450 Zuschauern trat Essen an mit Dennis Lamczyk im Tor sowie einer Viererabwehr-Kette mit den Innen-Verteidigern Alexander Thamm und Adrian Schneider, flankiert von Kevin Lehmann (links) und Jan Jensen (rechts). Davor spielte Timo Brauer in seiner gewohnten Rolle als mitunter auch kreativer „6er", während vor den beiden Mittelfeld-Akteuren Kerim Avci und Suat Tokat Lukas Lenz (zentral), Leon Enzmann (links) und Holger Lemke (rechts) für die Offensive zuständig waren.

Es war denn auch Lemke, der in der 12. und 14. Minute zweimal die Führung auf den Fuß hatte. In der ersten Szene setzte er nach einer Enzmann-Flanke zu einem Fallrückzieher an, in der zweiten wollte er Erkenschwicks Keeper Marcel Müller mit einem Heber überwinden, nachdem dessen Abwehr zuvor auf Abseits spekuliert hatte.

Doch gleich im Gegenzug setzten die „Schwicker" zu einem der zahlreichen Tempogegenstöße an, bei denen ein ums andere Mal die Essener Abwehr überrannt wurde. Doch Stefan Oerterer, der auffälligste Offensiv-Akteur der Gastgeber, schoss frei vor Lamczyk über den Kasten.

Bis zur 20. Minuten plätscherte das Spiel dann etwas vor sich hin - RWE hatte zwar etwas mehr Ballkontrolle, ohne jedoch die 1916 gegründete Spielvereinigung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen.

Dann in der 24. Minute ein direkter Freistoß knapp hinter der 16-Marke: Erkenschwicks Dennis Warncke schlenzt die Kugel an der schlecht postierten Mauer vorbei, erwischt den RWE-Keeper zusätzlich auf dem falschen Fuß, und versenkt in die rechte untere Ecke. „Die Mauer machte noch auf, das darf nicht passieren", beklagte Teammanager Damian Jamro später in der Pause.

Postwendend gaben die dadurch aber keineswegs geschockten Rot-Weissen eine Antwort: Nachdem sich der offensiv gut disponierte Lehmann auf links durchgetankt hatte, verfehlte Enzmann nach einem Drehschuss nur knapp das Tor. Kur darauf sah Timo Brauer wegen eines überflüssigen Handspiels den gelben Karton - hatte dabei Glück, nach einem höhnischen Applaus gen Schiri nicht noch eine andere Farbe zu sehen.....

Die an diesem Tag desolate Abwehrleistung der Essener wurde dann in der 34. Minute auch für den letzten Sonnenanbeter am Stimmberg offensichtlich: Nachdem der Ball vorne vertändelt worden war, schalteten die Westfalen blitzschnell auf Konter, stellten eine 5:1-Überzahl vor dem Essener Strafraum her, um den Ball dann aber doch nur mit Hilfe von Timo Brauer im Netz unterzubringen - 0:2.

Noch zweimal (37./45.) verpasste dann vor der Pause Enzmann den möglichen Anschluss. Man hätte dem emsigsten Essener Stürmer ein Erfolgserlebnis gegönnt, blieb doch Sturmkollege Lenz eher blass, während Lemke nach starken Anfangsminuten immer mehr abbaute.

In der zweiten Halbzeit wechselte „Waldi" Wrobel die Mannschaft komplett aus. Es begann nun bis etwa zur 60. Minute die beste Zeit der Rot-Weissen. Zunächst machte Cedric Vennemann mit einem strammen Distanzschuss auf sich aufmerksam (58.), dann hatte Selome Victor Hounyovi Huschka seinen großen Auftritt. Geschickt schirmte der Neuzugang aus Dortmund den Ball ab, passte halb im Fallen artistisch in die Mitte, wo Tim Wiederhold nur noch einzuschieben brauchte. Danach sah es kurzzeitig so aus, als könnte RWE zum Ausgleich kommen. Doch gelang es der Mannschaft nicht, Erkenschwick in die eigene Hälfte zu drängen, sodass die Gastgeber schon bald wieder besser ins Spiel fanden. Das Match entschied dann ein strittiger, nach einem erneuten schnellen Konter von Vincent Wagner verursachter Elfmeter. Wrobel: „Aus unserer Sicht war er unberechtigt, selbst die Erkenschwicker hatten ja zunächst weitergespielt."

Alles Hadern half nichts: Oerterer vollstreckte sicher zum 3:1 und hatte nur wenige Sekunden danach nach einem kollektiven Aussetzer der Essener Defensive sogar das 4:1 auf dem Schuh. Doch zischte der Ball nur gegen die Latte. Doch Erkenschwick blieb am Drücker: In der 86. Minute scheiterte zunächst Jan-Hendrik Schmidt nach einem Kopfball an Keeper Philipp Kunz, doch besorgte das überragende Duo Oerterer (Assist) und Warncke (Vollstrecker) in der 88. Minute dann doch noch das auch in dieser Höhe verdiente Endresultat von 4:1. Erneut war die Essener Abwehr dabei offen wie das oft zitierte Scheunentor gewesen.

Trainer Waldemar Wrobel versuchte nach dem Schlusspfiff auch gar nicht erst, die Niederlage schön zu reden: „Wir haben über die gesamten 90 Minuten keine vernünftige Leistung angeboten und nicht stattgefunden. Nun müssen wir uns morgen beim Turnier in Nettetal eben besser präsentieren."

Fazit: Wer gegen einen zugegebenermaßen gut eingespielten Aufsteiger so verliert, hat noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Die erste Elf machte insgesamt den schon etwas eingespielteren und routinierteren Eindruck - die zweite baute nach starken 15 Minuten wieder ab. Der ballgewandte Huschka gefiel durch ein, zwei Aktionen, die einen Schuss Raffinesse ins Essener Spiel brachten.



SpVgg. Erkenschwick - Rot-Weiss Essen 4:1 (2:0)

Tore: 1:0 Warncke (24.), 2:0 Eigentor Brauer (34.), 2:1 Wiederhold (58.), 3:1 Oerterer (FE, 74.), 4:1 Warncke (88.)

RWE spielte mit: Lamczyk (46. Kunz) - Jensen (46. Dutschke), Thamm (46. Jasmund), Schneider (46. Wagner), Lehmann (46. Bartsch) - Brauer (46. Ivancicevic), Tokat (46. Vennemann) - Lemke (46. Kuta), Avci (46. Pilch), Enzmann (46. Wiederhold) Lenz (46. Huschka)

Zuschauer: 450

 

Thomas Imhof