Sportfreunde Lotte - Rot-Weiss Essen
Von Autobahnkreuzen und Aufstiegskämpfen
Auch ein RWE Fan hat einmal Urlaub. Den muss er auch haben, wenn er einmal das fünfzigste Lebensjahr erreichen will. Aber man kennt das ja, besonders die Eltern leiden sehr oft unter enormen Stress, wenn es auf die Reise geht. Folgende Situation ist vorstellbar: Eine Familie aus dem schönen Ruhrpott möchte einmal gen A40/A43/A1 nach einer abermals verkorksten Saison Richtung Küste fahren. Schon nach wenigen Kilometern fangen die Kinder an zu quengeln. Das kleine Baby schreit ununterbrochen, während die beiden anderen Kinder, Junge und Mädchen, sich auf der Rückbank anfangen zu hauen.
Zwischendurch nerven die Fragen wie: „Kann ich ein Eis haben?" oder „Sind wir nun endlich da?" Die Eltern können sich nicht auf die Musik einigen. Der Vater spielt die RWE CD mehrmals an, aber die Mutter wirft kurz nach Recklinghausen diese CD aus dem Fenster und lässt es lieber zu, dass auf WDR 4 zum zehnten Mal Howard Carpendale läuft. Endlich ist Münster geschafft, dann kommt es ganz dicke für unsere rot-weiße Familie: 20 Kilometer Stau vor Osnabrück. Während das Baby noch stärker schreit, das Mädchen weint, der Junge sich übergeben muss, die Mutter einen Monolog darüber hält, warum man überhaupt wieder zur Ostsee nach Damp fahren will und nicht einmal in die Berge, denkt der Vater nur: „Mann, jedesmal derselbe Mist am Kreuz Lotte, gut, dass wir nur zweimal im Jahr hier sind!"
Unfassbarer Weise ist dies der womöglich einzige Kontakt, den ein RWE-Anhänger mit dem Ortsbegriff „Lotte" jemals hatte. Und bei den 50 Kilometern Stau vor dem Hamburger Elbtunnel ist auch dieser Begriff schnell vergessen. Doch dann kam das Jahr 2008. Mit dem Abstieg in die neugegründete Regionalliga West traf man auf die Sportfreunde aus ... genau: Lotte! Während unser Vater aus der vorherigen Geschichte schon das kalte Grauen erwischt, weil er die ganze Zeit an die Reinigung der Rückbank seines geliebten Wagens, bedingt durch den geschwächten Magen seines Sohns, denken muss, reist sein Klub mit ein wenig Magengrummeln in die Gegend um Osnabrück. Schließlich thronen die Sportfreunde genau dort, wo Rot-Weiss einmal hin möchte, und das möglichst noch in dieser Saison. Dennoch, ein ungläubiges Kopfschütteln bleibt: Wie kann es sein, dass ein solcher Provinzclub vor den Traditionsvereinen wie Münster und RWE diese Liga anführt?
Um diese Entwicklung zu beleuchten, muss der Beobachter einen Blick in die vergangene Saison werfen. Dies mag für einen RWE-Fan schmerzhaft sein, aber da kommt man leider nicht drum herum. Dabei sind die Erinnerungen an Lotte durchaus positiv: 4:1 hieß es für RWE am Ende des ersten Spieltags der Saison 2008/09, besser konnte es kaum laufen. Doch dann lief die Saison der beiden Vereine recht unterschiedlich: Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Lotte einen passablen zehnten Platz erreichen. Vor allem die Rückrunde ließ die Gegner aufhorchen, hier erreichten die Sportfreunde den sechsten Platz. Auswärts sammelte Lotte mehr Siege als Niederlagen, am Ende weist der Verein ein nahezu ausgeglichenes Torverhältnis auf. Ein Riesenerfolg für den Underdog, während RWE seinen Ansprüchen völlig hinterher lief.
Es ist nicht anders zu sagen, bislang läuft die Saison für die Lotter richtig fantastisch. Noch keinem Team gelang es bisher, die Sportfreunde in den ersten zwölf Partien zu schlagen. Die Mischung aus erfahrenen Stammkräften und den Neuzugängen scheint genau richtig zu sein. Sensationell ist vor allem die Leistung der Abwehr. Nur fünf Mal klingelte es im Lotter Gehäuse, sieben Mal spielte das Team zu „null" und fing sich nie mehr als einen Gegentreffer ein. Zwei alte Bekannte sorgen unter anderem dafür, dass die Defensive stabil bleibt: Der lange David Czyszczon und der an der Hafenstraße wenig geliebte Sidney Santos de Brito. Im Mittelfeld spielt mit Silvio Pagano ein weiterer „verlorener Sohn". Fußballkenner fallen auch Namen wie Benjamin Wingerter, der in der verbotene Stadt geboren wurde, und auch für die Unaussprechlichen die Schuhe schnürte, und Michael Kügler auf, der in seiner Vita namenhafte Vereine wie den 1. FC Nürnberg, Dynamo Dresden, VFL Osnabrück und Borussia Dortmund hat. Die Leistungsfähigkeit des Lotter Sturms ist gut, aber nicht außergewöhnlich. Von den bislang 20 Treffern wurden alleine sieben am zweiten Spieltag gegen die Zweitvertretung des FSV Mainz 05 erzielt. Fast die Hälfte aller Tore gehen auf das Konto des Sturmduos Danny Arend (4) und Marcus Fischer (5), dahinter folgt der Ex-Essener Pagano mit drei Treffern.
Aus Essener Sicht müsste man eigentlich noch einmal auf das Spiel gegen Münster eingehen. Die Frage ist allerdings, ob überhaupt etwas Ungewöhnliches in diesem Spiel passiert ist. Um auf das Beispiel unserer Familie zurückzukommen: Jeder weiß, dass der große Stau auf der Urlaubsfahrt kommt, doch jedesmal hofft man, nicht hineinzugeraten. So ist es wahrscheinlich auch bei dem Fluch der Last-Minute-Treffer an der Hafenstraße. Doch es bringt alles nichts, die Mannschaft muss sich an der Serie von fünf ungeschlagenen Spielen orientieren und nicht an der Nachspielzeit gegen Münster. So könnte es ein echtes Spitzenspiel in der PWG-Arena zu Lotte werden. Dort rechnet man mit einem größeren Verkehrschaos und noch größerem Zuschauerandrang. Für Essen ist es die Möglichkeit, ein klein wenig an dem Zehn-Punkte-Rückstand auf Lotte zu knabbern. Und es ist womöglich die letzte Chance, doch noch ein Wörtchen im Aufstiegsrennen mitzusprechen. Alle Zeichen müssen auf Sieg gestellt werden. Sollte dies gelingen, könnte unsere Familie auf ihrer nächsten Urlaubsfahrt mit einem leichten Lächeln am Kreuz Lotte vorbeifahren.
Bilanz gegen die Sportfreunde Lotte
Regionalliga West | ||||
Siege | Unentschieden | Niederlagen | Gesamt | |
Heim | 0 | 1 | 0 | 1 |
Auswärts | 1 | 0 | 0 | 1 |
Gesamt | 1 | 1 | 0 | 2 |
Gesamt | ||||
Siege | Unentschieden | Niederlagen | Gesamt | |
Heim | 0 | 1 | 0 | 1 |
Auswärts | 1 | 0 | 0 | 1 |
Gesamt | 1 | 1 | 0 | 2 |
Infos über unseren nächsten Gegner