Saisonausblick - Zurück in die Zukunft


Manch einer mag vermuten, der Verein drehe sich im Kreis und zumindest die Fakten lassen kaum Widerspruch zu. Sportlich ist man genau dort wieder angekommen, wo man eigentlich nie mehr hin mochte. Statt kribbelnder Bundesligaatmosphäre erwarten einen Gegner, deren – bei allem gebührenden Respekt – Existenz man vor kurzem noch nicht einmal ahnte. Ländlich-behagliche Kuschelatmosphäre, bei der noch die Oma des Vereinspräsidenten die Würstchen verkauft, die gestern noch quiekend über den Hof liefen. Solche Wahrheiten bilden ein drastisches Kontrastprogramm zu denen in dieser Woche auf der Pressekonferenz erneut geäußerten schalen Bundesligaträumen. Die Redundanz dieser Äußerungen macht sie nicht wirklicher. Träume verbieten sich in Liga 4.

Hafenstraße OsttribüneDie Fans und das Umfeld haben genug von hohlen Zukunftsversprechen. Jeder kann in seinem Privatkino weiter von einer modernen schmucken Arena träumen, die Realität sind Bauzäune, Sanierungsarbeiten und Gelöbnisse, dass der Tag X irgendwann kommen möge. Der Putz bröckelt, nicht nur von den Stadionwänden. Rot-Weiss Essen folgte in der Vergangenheit zu oft dem weißen Kaninchen, verlor sich in Luftschlössern und pochte auf den längst verlorengegangenen Mythos. Dabei kann mittlerweile, wie man in dieser Saison schmerzlich erfahren wird, jeder Dorfverein mit Tradition wuchern. Dabei muss erst auf Höhe der Grasnarbe wieder das präsentiert werden, was den Club seit jeher stark- und ausgemacht hat: harte Arbeit und unbedingter Wille. Der Malocherclub soll seine Wiederauferstehung feiern. Mit beiden Beinen auf dem Boden, bitte in Liga 4.

Die in den letzten Jahren formulierten Ansprüche muss man zurecht rücken. Der Verein backt auch finanziell wieder kleinere Brötchen. Weil man von der Schlossalle träumte, aber in die Badstraße investierte, geht der Weg zurück auf Los. Dennoch kann sich Rot-Weiss auch weiterhin auf die Treuesten der Treuen verlassen. Auch in dieser Saison werden wieder viele Fans, mit Zuversicht und einer Handvoll Träumereien an die Hafenstraße, Stätte des blanken Wahnsinns und der geballten Emotionen, pilgern. Das Pokalspiel gegen Dortmund war ausverkauft, in das ruhmreiche Lotte werden mindestens 900 Verrückte ziehen und auch der attraktive Heimspielauftakt gegen den ungeliebten und unaussprechlichen Nachbarn dürfte einige Zuschauer verlocken, doch noch einmal das Trikot überzustreifen, den Schal umzulegen und den einzigartigen Duft von Ullrichs Bratwürstchen, frisch Gezapften und die in der mit der Spannung vor dem Spiel elektrisiert geladene Luft zu atmen. Wenn Walter Rüge in dieser Saison den Rasen betreten wird, ist für diesen einen Moment alles rundherum vergessen. Es zählen nur noch die elf Rot-Weißen auf dem Platz und das Leder, das sie treibt.

Eine anerkennenswerte Tatsache, dass die Fans immer noch nicht das Vertrauen in den Verein verloren haben. Ihr unerschütterlicher Glaube und das Vertrauen doch noch sein sauer verdientes Geld in eine Dauerkarte zu investieren, sind das Kapital des Vereins. Dass es überhaupt Anlass zur Hoffnung gibt, ist an Michael Kulm und Thomas Strunz festzumachen. Kulm, der im letzten Jahr den Verein noch beinahe vor dem Absturz rettete, und der Ex-Sascha MöldersNationalspieler Strunz, der zu aller Überraschung hier mit dem Wissen antrat einen Neuaufbau in der neuen Regionalliga beginnen zu müssen, bilden das dynamische Duo, verkörpern die Aussicht auf Erneuerung. Sie strahlen Ruhe, Optimismus und Zuversicht aus, Dinge die Rot-Weiss dringend benötigt. Die Zusammenarbeit scheint zu fruchten.

Strunz und Kulm stellten, ungewohnt geräuschlos, den Kader dieser Saison zusammen. Ein Kader, teilweise aus der finanziellen Not heraus geboren, teilweise als Philosophie eines größeren Ganzen. Spieler wie Markus Kurth oder die Lorenzbrüder haben sich bewusst für den Verein entschieden, trotz größerer Gehaltseinbußen. Ein Ausrufezeichen setze Strunz mit der Verpflichtung von Sascha Mölders. Ergänzt würde die Runderneuerung mit erfahrenen Kräften wie Stefan Kühne oder den talentierten Robert Mainka und Silvio Pagano. Das Kernstück des Kaders bilden aber die Spieler der U23, sowie der U19 die Kulm in- und auswendig kennt und den Sprung in höhere Gefilde bedingungslos zutraut. Endlich macht sich die über Jahre gereifte Jugendarbeit bezahlt. Diese Mischung aus hungrigen Kräften und erfahrenen Spielern hat nur ein Ziel vor Augen: den direkten Wiederaufstieg. Selten lief eine Vorbereitung in den letzten Jahren so reibungslos, selten hatte man den Kader zum Trainingsauftakt schon beisammen und begab sich nicht noch auf die Suche nach dem Mr. X im Sturm, selten hatte man in den letzten Jahren so viele Spieler in den Reihen die das Trikot aus Überzeugung trugen. Selten war ein Kader in den letzten Jahren so rot-weiss, wie dieser.

Neben der sportlichen Vorbereitung wird im Hintergrund an der Umstrukturierung des Vereins gewerkelt. Wurde noch Mitte Juni ein Plan zur Generalüberholung der verkrusteten Strukturen präsentiert, rudert man nun schon wieder zurück. Ein neuer Präsident scheint ebenfalls nicht in Sicht, von einem Stadion mag man gar nicht mehr sprechen ohne peinlich berührt abzuwinken. Was auf sportlicher Ebene ehrgeizig angepackt wurde, scheint in struktureller Hinsicht zu stagnieren. Dass die lokale Wirtschaft sich nach den letzten fetten Jahren, in denen man das Geld für suboptimale Profis in den Himmel der Hafenstraße blies, nun vorsichtig zeigt, ist Michael Kulmnachzuvollziehen, wenn nicht gar verständlich. Man vertraut auch seinem kleinen Neffen nicht sein prall gefülltes Sparschwein an, wenn man weiß, dass er damit einen Haufen Knallfrösche kauft. Dieses Vertrauen muss erst durch seriöse Arbeit zurückgewonnen werden, um den vertrockneten Acker der Investitionen wieder fruchtbar werden zu lassen.

Rot Weiss Essen ist genau wieder dort angekommen, wo sie vor zehn Jahren schon einmal waren. Und dennoch haben sich einige Dinge verändert. Leute wie Thomas Strunz oder Michael Kulm sind es, die in den Fans das Vertrauen auf eine vielleicht doch noch goldene Zukunft am Leben erhalten. Abseits von hohlen Phrasen auf eine bessere Zukunft und Versprechen vom kommenden Bundesligafußball verweisen sie auf die neue Saison, auf ihren Kader, setzen auf Geduld und Ruhe. Sie können womöglich mit einer runderneuerten Mannschaft die Begeisterung und Leidenschaft entfachen, die in den letzten Jahren häufig der Lethargie und Tristesse weichen musste. Auch wenn das Wort vom Neuanfang abgedroschen erscheint und in den letzten Jahren allzu oft malträtiert wurde, so passt es in dieser Saison doch am besten. Rot-Weiss Essen hat in den vergangenen zwei Jahren zwei kolossale Rückschritte gemacht, wollen wir alle hoffen, dass es nun wieder in die umgekehrte Richtung geht.

Auf in eine neue Saison, vorwärts Richtung Liga Drei, zurück in die Zukunft.