Eine unendliche Geschichte oder RWE und der Neuanfang

Am 28. Juli startet die Regionalligasaison mit dem „kleinen“ Revier-Derby zwischen RWE und RWO. Wieder einmal fragen wir uns, was von einer Spielzeit zu erwarten ist. Denn einmal mehr gehen die Rot-Weissen mit einem zu großen Teilen neuen Kader und auch Trainer in das kommende Spieljahr. Und dieses mal scheint eine Prognose besonders schwierig, schwieriger zumindest als vor der Saison 2005/06.

Vor zwei Jahren lautete das erklärte Ziel „direkter Wiederaufstieg“. Trainer Uwe Neuhaus und der sportlicher Leiter Olaf Janßen schmiedeten dazu einen Kader, der einen Großteil der RWE-Fans mit der Zunge schnalzen ließ. Die Compilation aus erfahrenen ehemaligen Erst-und Zweitligaspielern, aufgerückten A-Jugendlichen und unbekannteren Ergänzungen wusste zu überzeugen. Vor der Saison und auch danach, denn an deren Ende stand das souverän erreichte Ziel Wiederaufstieg. Doch dieses Etappenziel wurde in der Folgesaison wieder zunichte gemacht. Wieder steht RWE in der Regionalliga, wieder vor dem Neuanfang. Heiko Bonan, eines der größten RWE-Idole der letzten Jahre, heißt der neue Coach, der Fußball mit Herz verspricht.

Bewertung des Kaders

Der Kader von Neu-Trainer Heiko Bonan besteht zu gut der Hälfte aus noch unbeschriebenen Blättern. Mit Ferhat Kiskanc, Stijn Haeldermans, den Lorenz-Brüdern und Keeper Daniel Masuch verblieben fünf Akteure aus der Zweitliga-Mannschaft. Aussagekräftige Einschätzungen erlauben ansonsten nur noch die bekannteren Spieler Rolf Christel Guie Mien, Sercan Güvenisik und Tim Gorschlüter, Letztgenannter kehrt nach einem Jahr Intermezzo bei RW Ahlen an die Hafenstraße zurück.

Die anderen Spieler waren bis zu ihrer Verpflichtung in Hafenstraßenkreisen unbekannt. Um nicht alle zu nennen, beschränkt sich mein Blick auf diejenigen, in denen Schlüsselpositionen vermutet werden dürfen:

Der Schweizer Daniel Sereinig soll der neue Abwehrchef sein. Der Eindruck der Testspiele ist bislang durchwachsen, da ein gewisser Hang zur Leichtsinnigkeit nicht verborgen blieb. Überhaupt dürfte es für den Abwehrverband von Belang sein, inwiefern das in dieser Saison deutlich offensiver ausgerichtete Mittelfeld seine Aufgaben nach hinten erledigt. Mario Klinger, von Hessen Kassel gekommener und in Essen geborener Sohn von Ex-RWE-Akteur Dietmar Klinger, soll seine erkennbare äußere Ähnlichkeit zu Weltstar Michael Ballack im Mittelfeld ein paar Nummern kleiner auch fußballerisch umsetzen können. Gerade mal 20 Jahre jung, bestach er in der Vorbereitung durch Aggressivität, Technik und Torgefährlichkeit. Ein Griff, der Freude machen wird.

Sören Brandy, Blondschopf von Holstein Kiel, ist als Kiskanc-Konkurrent für die linke Außenbahn vorgesehen und zeigte sich als sehr antrittsstark und durchsetzungsfähig. Sein rechter Gegenpart heißt Tim Erfen, kam mit Neu-Coach Bonan von RW Ahlen. Auch Erfen ist bissig und schnell, hat aber im technischen Bereich noch Nachholbedarf. Als neuer Sturmführer ist der Norweger Andre Schei Lindbaek vorgesehen, der nach einer langen RWE-Stürmer-Odyssee seinen Weg zur Hafenstraße fand. Seine Torquote spricht für ihn, fällt er aus, ist allerdings mit Vincent Wagner ein aus der Verbandsliga gekommener Rookie erste Wahl. Nicht ohne größeres Risiko.

Drumherum

Mein Gesamteindruck von Bonans Truppe lautet, dass sie zwar viele Fragen aufwirft, aber auch keine Wundertüte ist. Die Mischung aus Erfahrung und Jugendstil weiß durchaus zu gefallen. Nahezu alle Positionen wurden zumindest quantitativ ausreichend und flexibel besetzt. Im Vergleich zu den Vorjahren wurde das Team auch drastisch verjüngt. Allein deshalb halte ich es für etwas vermessen, wenn nicht gerade wenige im RWE-Umfeld den Wiederaufstieg als Ziel ausgeben. Eine Euphorie, die eine gefährliche Komponente hat. Das Essener Umfeld ist nach dem neuerlichen Abstieg explosiv wie selten zuvor. Geht der Saisonstart nicht reibungslos über die Bühne, ist gewaltiger Ärger vorprogrammiert. Essens sportlicher Leiter Olaf Janßen dürfte momentan schlaflose Nächte haben. Ein Scheitern würde vor allem mit seiner Person in Verbindung gebracht werden, während Heiko Bonan und sein junges Team wohl erstmal Kredit haben. Wohl auch deshalb hält man sich von Vereinsseite aus mit dem Formulieren klarer Zielvorgaben momentan zurück.

Was aber bedeutet „Scheitern“? Aus meiner Sicht keinesfalls das Verfehlen eines Aufstiegsplatzes. Im Hinblick auf die anstehende Qualifikation zur Dritten Liga, der eingleisigen Regionalliga, steht allen Mannschaften eine knochenharte Saison bevor. Deshalb wurde überall kräftig investiert. Zur Erinnerung, alles unterhalb von Platz 10 ist dieses mal ein Abstiegsplatz. Nur wenn RWE unterhalb dieser Marke fällt, wäre man gescheitert. Dann aber mit desaströsem Ausmaß. Angesichts dessen, dass wichtige Weichen im Umfeld des Vereins gestellt wurden und Präsident Rolf Hempelmann verlautete, dass das neue Stadion unabhängig von der Ligenzugehörigkeit ab Sommer 2008 gebaut werde, entfällt der Druck des unbedingten Aufsteigen Müssens. Und diesen Druck sollte man dem Trainer und seiner jungen Mannschaft deshalb auch nicht von außerhalb auferlegen. Bonan will offensiv spielen lassen, seinen Kader hat er auf das von ihm angestrebte Spielsystem mit offensiven Außenspielern und zentralem Stoßstürmer hin zusammengestellt. Um aber ganz oben anzugreifen, müsste es nahezu optimal laufen. Andererseits könnte eine Durststrecke schnell den fatalen Platz 11 in Sicht rücken lassen. In einem solchen Falle wird die Anhängerschaft gefordert sein, ihren Frust nicht auf dem Team abzuladen, sondern Unterstützung zu bieten.

Meine Prognose

RWE wird aufgrund der Stärke der Liga nicht unmittelbar um den Aufstieg mitspielen oder bräuchte eine Menge Fortune, um dieses Ziel zu verwirklichen. Gründe, eine Nichtqualifikation für die Dritte Liga zu befürchten, sind indes keine großen vorhanden. Das junge Team wird um Platz 5-8 herum mitspielen und damit souverän das saisonale Primärziel erreichen. Erst danach wird man wieder ambitionierter auftreten können. Und das würde keinen Grund zur Unzufriedenheit darstellen.



Sven Meyering