Ein Saisonfazit
„Wir haben den Etat offen gelegt, wir sind nicht der Ligakrösus. Finanziell sind wir im oberen Mittelfeld angesiedelt. […] Unser Ziel ist es oben mitzuspielen. Wir müssen daran weiterarbeiten, mit der Mannschaft nach oben zu kommen, wo man auch von den Experten und anderen Mannschaften vor der Saison gesehen wurde.“
Diese Worte stammen aus dem jawattdenn-Interview mit
Nico Schäfer vom 27.08.2007. Zu diesem Zeitpunkt
konnte noch niemand vorhersehen, wie sich die Saison
entwickeln würde. Die Viertklassigekeit war zu
diesem Zeitpunkt trotz des Fehlstarts weder im Vorstand
noch bei Trainer und Sportlichem Leiter ein ernsthaftes
Thema. Noch in der Winterpause wurde der Angriff auf
die Spitze angekündigt und durch kostspielige
Neuverpflichtungen vorbereitet. Am Ende bleibt einmal
mehr nur verbrannte Erde inklusive finanziellem Schaden
zurück. Die Gründe für den erneuten
Abstieg sind wie immer vielschichtig, aber in diesem
Fall offensichtlicher als nach dem Abstieg vor einem
Jahr. Die wichtigsten möchte ich im Folgenden
ansprechen.
Der Sportliche Leiter und das Scoutingsystem
Neidvoll muss man zum längst nicht mehr kleinen
Nachbarn nach Oberhausen schauen, wo die Verantwortlichen
von RWO zum zweiten Mal in Folge zielsicher talentierte
und erfahrene Oberligaspieler aus der Region verpflichteten,
die gehobenen Ansprüchen genügten.
Unsere Scouts dagegen brachten für die erste
Mannschaft einen fünftklassigen Goalgetter aus
Mecklenburg-Vorpommern mit, der letztlich nicht mal
in der zweiten Mannschaft Akzente setzen konnte. Nun
bemüht man sich um die Auflösung des auch
für die vierte Liga gültigen Vertrages.
Weshalb überhaupt die Notwendigkeit bestand,
einen Verbandsligastürmer zu verpflichten, bleibt
bis heute ein Geheimnis. Im eigenen Verein scharren
mit Said und Uzun zwei Talente mit den Hufen, die
ihre Torjägerqualitäten bereits unter Beweis
gestellt haben.
Wirklich fatal wirkten sich aber sowohl in sportlicher
als auch in finanzieller Hinsicht (fast schon traditionell)
die internationalen Transfers aus. Manchmal habe ich
das Gefühl, auch den Verantwortlichen hat wie
den Fans im RWE-Forum die Sichtung der Spieler über
youtube-Videos als Beurteilungskriterium für
eine Verpflichtung ausgereicht. Oder es wurde die
einfache Formel: „Der kommt aus der ersten Liga,
also muss er gut sein!“ angewendet.
Janßens Reisen ins Ausland, die in der Theorie
mit der Verpflichtung von Führungsspielern enden
sollten, brachten in der Praxis vor allem durchschnittlich
begabte, aber überdurchschnittlich bezahlte Mitläufer
hervor – wenn überhaupt.
Paul Jans fand sich schon unter Bonan schnell auf
der Bank wieder, unter Kulm war ein Tribünenplatz
der Normalfall. Saisonbilanz: 407 Minuten im Einsatz,
0 Tore.
Von Jo Augustin war die Sportliche Leitung dermaßen
überzeugt, dass der finanziell klamme Verein
sogar bereit war, eine Ablösesumme zu zahlen.
Nach ganz schwachem Start spielte Augustin einen bestenfalls
soliden Part als rechter Verteidiger. Ein Führungsspieler
war er bei weitem nicht.
Lindbaek sollte der vielumjubelte Torjäger werden.
Er gehörte zu den wenigen Spielern, die mit einem
Dreijahresvertrag ausstattet wurden. Nach anfänglichen
Sozialisierungsschwierigkeiten und mangelndem Trainingsengagement
war an Einsätze nicht zu denken, später
warfen ihn Verletzungen zurück. In Kurzeinsätzen
konnte er seine Vollstreckerqualitäten demonstrieren,
es blieb allerdings bei Ansätzen. In der Rückrunde
war er zwar fit, schaffte jedoch den Sprung in die
Startelf auch unter Kulm nicht. Wirkliche Qualität
hätte sich durchgesetzt.
Natürlich war zuvor die Jensen-Geschichte sehr
unglücklich für den Verein verlaufen. Allerdings
darf auch das nicht als Argument für den Abstieg
herhalten. Denn Spielerabsagen sind nichts Ungewöhnliches
bei der Kaderzusammenstellung, und ob die Absage nun
zwei Tage vor oder zwei Tage nach der Vertragsunterzeichnung
erfolgt, macht in der Konsequenz, dass weiter nach
einem neuen Stürmer gesucht werden muss, keinen
großen Unterschied. Außer dem, dass die
Öffentlichkeit von den Verhandlungen mit dem
dänischen Stürmer nie etwas mitbekommen
hätte. Es wuchs der Eindruck, dass alle Planungen
bezüglich der Stürmersuche auf Jensen ausgerichtet
waren und zu diesem Zeitpunkt mit keinen Alternativkandidaten
verhandelt wurde.
Daniel Sereinig ist noch derjenige, der die in ihn
gesetzten Erwartungen als Abwehrchef nach durchwachsenem
Saisonstart am ehesten erfüllen konnte. In der
Defensive stark, in der Spieleröffnung hatte
er aber die gesamte Saison über Probleme. Er
war sicherlich froh, dass er im letzten Saisondrittel
diese Aufgabe an Haeldermans weitergeben konnte.
Insbesondere die teuren ausländischen (Winter-)Verpflichtungen
und die mit dem sportlichen Abfall verbundenen Zuschauereinbußen
brachten den Verein in der Rückrunde in finanzielle
Schwierigkeiten. Eine akute Etatunterdeckung konnte
nur dank zusätzlicher Sponsorenaufwendungen geschlossen
werden. Bei der angekündigten Umstrukturierung
im Verein sollte auch der Scoutingstab mit kompetenten
Personen erweitert werden. Rot-Weiß Ahlen, dem
man vor der Saison mit Geldscheinen wedelnd die vermeintlichen
Leistungsträger Erfen und Gorschlüter abknöpfte,
und RWO demonstrierten in der abgelaufenen Saison
den „großen“ Clubs aus Düsseldorf,
Wuppertal und Essen eindrucksvoll, wie man auch ohne
namhafte Verpflichtungen aus höheren Klassen
großen Erfolg mit kleinen Mitteln haben kann.
Die Fehler bei der Mannschaftszusammensetzung
Und jährlich grüßt das Murmeltier.
Erneut war es nicht gelungen, die Offensive den Zielen
entsprechend zu besetzen. Der fehlende Blick für
Talente, die in der Regionalliga mithalten können,
das falsch eingeschätzte Leistungsvermögen
bei potenziellen Führungsspielern und das gescheiterte
Experiment mit einem jungen Trainer legten schon vor
Saisonbeginn das Fundament für eine verkorkste
Saison. Gegnerische Mannschaften hatten den Dreh schnell
heraus, wie man gegen RWE spielen muss: Hinten kompakt
stehen, die harm- und ideenlose Essener Offensive
anrennen lassen und zwischendurch einen tödlichen
Konterangriff ausspielen. Die daraus resultierende
Heimbilanz (nur sieben Siege aus 18 Spielen) ist ein
weiteres Mosaiksteinchen für den freien Fall.
Im Sturm versenkte niemand die oftmals nur wenigen
Torchancen und auf den Flügeln zeigten sich die
Spieler zwar engagiert, aber sehr bieder und wenig
effektiv. Über die gesamte Spielzeit war diese
Schwäche offensichtlich und nicht zu beheben.
Auch ein Michael Kulm, der wohl das Optimale aus diesem
Kader herausgeholt hatte, konnte aus einer flügellahmen
Ente keinen angriffslustigen Raubvogel machen. In
der Winterpause wurde dieses Problem zwar erkannt,
aber mit der Verpflichtung von Benjamin Baltes für
die Außenbahn und Jans für das Angriffzentrum
nicht behoben.
So haben sich auf der rechten Seite im Wechsel Erfen,
Kazior, Kurth, Brandy und Kotula versucht, richtig
überzeugen konnte jedoch niemand, auch wenn es
nie an Einsatz mangelte. Insbesondere gefährliche
Flanken blieben Mangelware.
Auf der linken Seite spielte Kiskanc unterirdisch,
so dass Brandy hier gesetzt war. Er zählt zu
den Gewinnern in dieser Saison, letztlich aber war
er nur der Einäugige unter den blinden Linksfüßen.
Durch seinen unermüdlichen Einsatz erspielte
er sich viele Sympathien, aber seine eigentliche Aufgabe,
das Füttern der Stürmer mit Flanken, war
ebenfalls nicht seine Stärke. Zu selten zeigte
er sich so effektiv wie bei seinem tollen 1:1-Ausgleichstreffer
gegen den HSV II. Ein spielstarkes und zugleich torgefährliches
Außenbahnduo, wie es vor drei Jahren Bemben
und Wehlage bildeten, fehlte. Die weitgehend stabile
Defensive hielt uns zwar im Mittelfeld, ihre Stärke
allein reichte jedoch nicht für den Klassenerhalt
und schon gar nicht für den erwarteten Angriff
auf die Spitze.
„Wenn gar nichts geht, gehen immer noch Standards“,
heißt es unter Fußballern. Aber selbst
diese Option verpuffte bei RWE regelmäßig.
Dem Kader gehörte kein Spieler an, der einen
strammen Schuss für direkte Freistöße
besitzt. Guie-Mien zeigte fast ausschließlich
harmlose Schlenzer, mit denen er es auch aus 30 Meter
Torentfernung versuchte. Lindbaeks abgefälschter
Freistoß in Lübeck blieb der einzige (glückliche)
Freistoßtreffer.
Freistoßflanken blieben ebenfalls weitgehend
einfallslos. Zwischendurch war man guter Hoffnung,
mit Kotula endlich einen geeigneten Schützen
gefunden zu haben, diese Hoffnung verpuffte jedoch
schnell wieder.
Insgesamt zeigte das Team alle Merkmale einer durchschnittlichen
Mannschaft: Gegen große Gegner wurden regelmäßig
tolle Spiele abgeliefert, gegen Kellerkinder genauso
häufig Katastrophenkicks geboten. Die Punkt-
und Torbilanz ist fast ausgeglichen und man steht
auf einem Mittelfeldplatz. Dumm nur, dass Durchschnitt
in dieser Saison auch Abstieg heißen konnte.
Den Spielern, die im letzten Saisondrittel auf dem
Platz standen, kann man in Bezug auf Einsatz und Laufbereitschaft
kaum einen Vorwurf machen. Einige Spieler haben in
dieser Liga ihre Leistungsgrenzen aufgezeigt bekommen.
Der Trainer
Schon zur Winterpause gab es kritische Stimmen gegen
Bonan, aber die guten kämpferischen und teilweise
auch spielerischen Leistungen gegen Ende der Hinrunde
verschleierten die Probleme ein wenig. Zudem hoffte
man, die erkannten Schwächen in der Offensive
mit den Winterpausenneuzugängen zu beseitigen.
Das gelang nicht. Die Neuen konnten die Erwartungen
nicht ansatzweise erfüllen und Bonan wirkte zunehmend
hilf- und ratlos. Nach jeder Niederlage wurden System
und Spieler in Frage gestellt und gewechselt. Kaum
ein Spieler spürte das Vertrauen des Trainers
und die Mannschaft hatte keine Gelegenheit, sich einzuspielen.
Das Teambuilding war bis zu Bonans Entlassung nicht
abgeschlossen. Trotz aller für den Trainer unglücklichen
Faktoren wie das große Verletzungspech in der
Hinrunde muss Bonan eine große Verantwortung
für den Abstieg schultern.
Statistisch gesehen erwies sich dabei das Verletzungspech
nicht als wichtiges Kriterium für den Abstieg,
ganz im Gegenteil: In der Hinrunde wurde erfolgreicher
gepunktet (29 Punkte) als in der Rückrunde (22
Punkte), in der bis auf Stefan Lorenz alle wichtigen
Spieler plus Neuzugänge zur Verfügung standen.
Bei allem Unmut sind Anfeindungen und persönliche
Beleidigungen gegenüber Bonan jedoch absolut
fehl am Platze. Bonan war mit Herzblut bei der Sache,
wie man ihn als Spieler kannte. Er war der Aufgabe
als Trainer in Essen einfach noch nicht gewachsen.
Der Vorstand
Groß war im Sommer 2007 die Anzahl der Zweifler,
die sich fragten, ob es richtig sei, Olaf Janßen
weiterhin als Sportlichen Leiter zu engagieren. Die
Frage ist inzwischen eindeutig beantwortet.
Es gab damals sicher auch gute Gründe, ihn zu
halten. Unter Berücksichtigung aller auch berechtigten
Zweifel wäre es wünschenswert gewesen, Janßen
einen erfahrenen Trainer an die Seite zu stellen.
Stattdessen haben sich Hempelmann und Co. für
Bonan entschieden, weil er sich mit RWE identifiziere,
wie Nico Schäfer im oben erwähnten Interview
betonte. Geblendet von seiner (relativ) guten Arbeit
in Ahlen hat man somit aus der Retrospektive betrachtet
einen weiteren großen Fehler begangen.
Die Fehler aus der vergangenen Zweitligasaison wurden
angeblich analysiert, aber offensichtlich nicht behoben.
Nach zwei Abstiegen in Folge muss sich deshalb Jeder
im Verein, auch Rolf Hempelmann, hinterfragen und
auch hinterfragen lassen, und zwar unabhängig
von den bisherigen unbestrittenen Verdiensten um den
Verein. Die angekündigten Neu- oder Umstrukturierungen
sind bitter nötig.
Fazit und Zukunftsausblick
Der Blick in die Zukunft ist ungewisser denn je. Die
neue Regionalliga ist mit ihren zahlreichen Zweitvertretungen
zwar für den Zuschauer extrem unattraktiv, in
ihrer Leistungsstärke dennoch deutlich höher
anzusiedeln als die alte Oberliga Nordrhein. Gerade
die Zweitvertretungen sind dabei unberechenbar. Je
mehr es von ihnen gibt, desto größer ist
die Wahrscheinlichkeit, dass eine von ihnen einen
starken Jahrgang hervorbringt und (womöglich
noch durch Profis unterstützt) frühzeitig
den einzigen Aufstiegsplatz blockiert. Womöglich
kann nur ein finanzieller Kraftakt in Kombination
mit einem glücklichen Händchen bei Neuzugängen
den ersten Platz sichern. Hilfreich kann die gute
Jugendarbeit sein, die zur Zeit der größte
Trumpf für den Verein ist. Die A-Jugend ist inzwischen
eine feste Größe in der Junioren-Bundesliga
und misst sich dort auf Augenhöhe mit diversen
NRW-Bundesliganachwuchsteams. Folgerichtig gelang
auch der U23 der Sprung in die neue Oberliga NRW,
davon kann die erste Mannschaft nur profitieren. Bei
möglichen Überlegungen, in welchen Bereichen
gespart werden kann, sollte die Jugendarbeit außen
vor bleiben.
Unterstützung aus der Wirtschaft scheint RWE
auch weiterhin zu erfahren. Ein Hoch auf alle Beteiligten,
die den Energiekonzern RWE davon überzeugten
(oder zumindest dazu überredeten), in der Viertklassigkeit
den angeschlagenen Möchtegernriesen Rot-Weiss
Essen als Hauptsponsor mit einem Millionenbetrag zu
unterstützen und zudem noch beim Stadionneubau
mitzuwirken. Wird der Neubau tatsächlich Realität
(Strunz´ Zusage war nach eigenen Angaben an
diese Bedingung gekoppelt), hat Rot-Weiss Essen sicherlich
eine Zukunft. Den Zielbegriff „2. Bundesliga“
sollten die Verantwortlichen nach dem zweiten Abstieg
in Folge jedoch in der Öffentlichkeit erstmal
umgehen. Von Drei- oder Fünfjahresplänen,
die bereits im Ansatz scheiterten, hat der RWE-Fan
erstmal genug. Die Regionalliga wieder nach oben zu
verlassen ist bereits eine Herkulesaufgabe! Bevor
diese nicht bewältigt wird, ist die Zweite Liga
nur ein Luftschloss.
Der nach jedem Abstieg gern verwendete Begriff des
Neuanfangs trifft sicher nicht zu, denn im Gegensatz
zu einem Neuanfang kann sich der Verein von den finanziellen
Altlasten nicht lösen. Durch die Möglichkeiten,
die die nach wie vor vorhandene Unterstützung
aus der Wirtschaft bietet, muss man den Start in der
vierten Liga eher als Chance auffassen, die Defizite
der jüngeren Vergangenheit aufzuarbeiten und
dementsprechende Umstrukturierungen im Verein einzuleiten.