02.06.2008

Ein Saisonfazit

von Redaktion

„Wir haben den Etat offen gelegt, wir sind nicht der Ligakrösus. Finanziell sind wir im oberen Mittelfeld angesiedelt. […] Unser Ziel ist es oben mitzuspielen. Wir müssen daran weiterarbeiten, mit der Mannschaft nach oben zu kommen, wo man auch von den Experten und anderen Mannschaften vor der Saison gesehen wurde.“

Diese Worte stammen aus dem jawattdenn-Interview mit Nico Schäfer vom 27.08.2007. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand vorhersehen, wie sich die Saison entwickeln würde. Die Viertklassigekeit war zu diesem Zeitpunkt trotz des Fehlstarts weder im Vorstand noch bei Trainer und Sportlichem Leiter ein ernsthaftes Thema. Noch in der Winterpause wurde der Angriff auf die Spitze angekündigt und durch kostspielige Neuverpflichtungen vorbereitet. Am Ende bleibt einmal mehr nur verbrannte Erde inklusive finanziellem Schaden zurück. Die Gründe für den erneuten Abstieg sind wie immer vielschichtig, aber in diesem Fall offensichtlicher als nach dem Abstieg vor einem Jahr. Die wichtigsten möchte ich im Folgenden ansprechen.


Der Sportliche Leiter und das Scoutingsystem

Neidvoll muss man zum längst nicht mehr kleinen Nachbarn nach Oberhausen schauen, wo die Verantwortlichen von RWO zum zweiten Mal in Folge zielsicher talentierte und erfahrene Oberligaspieler aus der Region verpflichteten, die gehobenen Ansprüchen genügten.
Unsere Scouts dagegen brachten für die erste Mannschaft einen fünftklassigen Goalgetter aus Mecklenburg-Vorpommern mit, der letztlich nicht mal in der zweiten Mannschaft Akzente setzen konnte. Nun bemüht man sich um die Auflösung des auch für die vierte Liga gültigen Vertrages. Weshalb überhaupt die Notwendigkeit bestand, einen Verbandsligastürmer zu verpflichten, bleibt bis heute ein Geheimnis. Im eigenen Verein scharren mit Said und Uzun zwei Talente mit den Hufen, die ihre Torjägerqualitäten bereits unter Beweis gestellt haben.

Wirklich fatal wirkten sich aber sowohl in sportlicher als auch in finanzieller Hinsicht (fast schon traditionell) die internationalen Transfers aus. Manchmal habe ich das Gefühl, auch den Verantwortlichen hat wie den Fans im RWE-Forum die Sichtung der Spieler über youtube-Videos als Beurteilungskriterium für eine Verpflichtung ausgereicht. Oder es wurde die einfache Formel: „Der kommt aus der ersten Liga, also muss er gut sein!“ angewendet.

Janßens Reisen ins Ausland, die in der Theorie mit der Verpflichtung von Führungsspielern enden sollten, brachten in der Praxis vor allem durchschnittlich begabte, aber überdurchschnittlich bezahlte Mitläufer hervor – wenn überhaupt.

Paul Jans fand sich schon unter Bonan schnell auf der Bank wieder, unter Kulm war ein Tribünenplatz der Normalfall. Saisonbilanz: 407 Minuten im Einsatz, 0 Tore.
Von Jo Augustin war die Sportliche Leitung dermaßen überzeugt, dass der finanziell klamme Verein sogar bereit war, eine Ablösesumme zu zahlen. Nach ganz schwachem Start spielte Augustin einen bestenfalls soliden Part als rechter Verteidiger. Ein Führungsspieler war er bei weitem nicht.
Lindbaek sollte der vielumjubelte Torjäger werden. Er gehörte zu den wenigen Spielern, die mit einem Dreijahresvertrag ausstattet wurden. Nach anfänglichen Sozialisierungsschwierigkeiten und mangelndem Trainingsengagement war an Einsätze nicht zu denken, später warfen ihn Verletzungen zurück. In Kurzeinsätzen konnte er seine Vollstreckerqualitäten demonstrieren, es blieb allerdings bei Ansätzen. In der Rückrunde war er zwar fit, schaffte jedoch den Sprung in die Startelf auch unter Kulm nicht. Wirkliche Qualität hätte sich durchgesetzt.

Natürlich war zuvor die Jensen-Geschichte sehr unglücklich für den Verein verlaufen. Allerdings darf auch das nicht als Argument für den Abstieg herhalten. Denn Spielerabsagen sind nichts Ungewöhnliches bei der Kaderzusammenstellung, und ob die Absage nun zwei Tage vor oder zwei Tage nach der Vertragsunterzeichnung erfolgt, macht in der Konsequenz, dass weiter nach einem neuen Stürmer gesucht werden muss, keinen großen Unterschied. Außer dem, dass die Öffentlichkeit von den Verhandlungen mit dem dänischen Stürmer nie etwas mitbekommen hätte. Es wuchs der Eindruck, dass alle Planungen bezüglich der Stürmersuche auf Jensen ausgerichtet waren und zu diesem Zeitpunkt mit keinen Alternativkandidaten verhandelt wurde.

Daniel Sereinig ist noch derjenige, der die in ihn gesetzten Erwartungen als Abwehrchef nach durchwachsenem Saisonstart am ehesten erfüllen konnte. In der Defensive stark, in der Spieleröffnung hatte er aber die gesamte Saison über Probleme. Er war sicherlich froh, dass er im letzten Saisondrittel diese Aufgabe an Haeldermans weitergeben konnte.

Insbesondere die teuren ausländischen (Winter-)Verpflichtungen und die mit dem sportlichen Abfall verbundenen Zuschauereinbußen brachten den Verein in der Rückrunde in finanzielle Schwierigkeiten. Eine akute Etatunterdeckung konnte nur dank zusätzlicher Sponsorenaufwendungen geschlossen werden. Bei der angekündigten Umstrukturierung im Verein sollte auch der Scoutingstab mit kompetenten Personen erweitert werden. Rot-Weiß Ahlen, dem man vor der Saison mit Geldscheinen wedelnd die vermeintlichen Leistungsträger Erfen und Gorschlüter abknöpfte, und RWO demonstrierten in der abgelaufenen Saison den „großen“ Clubs aus Düsseldorf, Wuppertal und Essen eindrucksvoll, wie man auch ohne namhafte Verpflichtungen aus höheren Klassen großen Erfolg mit kleinen Mitteln haben kann.


Die Fehler bei der Mannschaftszusammensetzung

Und jährlich grüßt das Murmeltier. Erneut war es nicht gelungen, die Offensive den Zielen entsprechend zu besetzen. Der fehlende Blick für Talente, die in der Regionalliga mithalten können, das falsch eingeschätzte Leistungsvermögen bei potenziellen Führungsspielern und das gescheiterte Experiment mit einem jungen Trainer legten schon vor Saisonbeginn das Fundament für eine verkorkste Saison. Gegnerische Mannschaften hatten den Dreh schnell heraus, wie man gegen RWE spielen muss: Hinten kompakt stehen, die harm- und ideenlose Essener Offensive anrennen lassen und zwischendurch einen tödlichen Konterangriff ausspielen. Die daraus resultierende Heimbilanz (nur sieben Siege aus 18 Spielen) ist ein weiteres Mosaiksteinchen für den freien Fall.

Im Sturm versenkte niemand die oftmals nur wenigen Torchancen und auf den Flügeln zeigten sich die Spieler zwar engagiert, aber sehr bieder und wenig effektiv. Über die gesamte Spielzeit war diese Schwäche offensichtlich und nicht zu beheben. Auch ein Michael Kulm, der wohl das Optimale aus diesem Kader herausgeholt hatte, konnte aus einer flügellahmen Ente keinen angriffslustigen Raubvogel machen. In der Winterpause wurde dieses Problem zwar erkannt, aber mit der Verpflichtung von Benjamin Baltes für die Außenbahn und Jans für das Angriffzentrum nicht behoben.

So haben sich auf der rechten Seite im Wechsel Erfen, Kazior, Kurth, Brandy und Kotula versucht, richtig überzeugen konnte jedoch niemand, auch wenn es nie an Einsatz mangelte. Insbesondere gefährliche Flanken blieben Mangelware.

Auf der linken Seite spielte Kiskanc unterirdisch, so dass Brandy hier gesetzt war. Er zählt zu den Gewinnern in dieser Saison, letztlich aber war er nur der Einäugige unter den blinden Linksfüßen. Durch seinen unermüdlichen Einsatz erspielte er sich viele Sympathien, aber seine eigentliche Aufgabe, das Füttern der Stürmer mit Flanken, war ebenfalls nicht seine Stärke. Zu selten zeigte er sich so effektiv wie bei seinem tollen 1:1-Ausgleichstreffer gegen den HSV II. Ein spielstarkes und zugleich torgefährliches Außenbahnduo, wie es vor drei Jahren Bemben und Wehlage bildeten, fehlte. Die weitgehend stabile Defensive hielt uns zwar im Mittelfeld, ihre Stärke allein reichte jedoch nicht für den Klassenerhalt und schon gar nicht für den erwarteten Angriff auf die Spitze.

„Wenn gar nichts geht, gehen immer noch Standards“, heißt es unter Fußballern. Aber selbst diese Option verpuffte bei RWE regelmäßig. Dem Kader gehörte kein Spieler an, der einen strammen Schuss für direkte Freistöße besitzt. Guie-Mien zeigte fast ausschließlich harmlose Schlenzer, mit denen er es auch aus 30 Meter Torentfernung versuchte. Lindbaeks abgefälschter Freistoß in Lübeck blieb der einzige (glückliche) Freistoßtreffer.

Freistoßflanken blieben ebenfalls weitgehend einfallslos. Zwischendurch war man guter Hoffnung, mit Kotula endlich einen geeigneten Schützen gefunden zu haben, diese Hoffnung verpuffte jedoch schnell wieder.

Insgesamt zeigte das Team alle Merkmale einer durchschnittlichen Mannschaft: Gegen große Gegner wurden regelmäßig tolle Spiele abgeliefert, gegen Kellerkinder genauso häufig Katastrophenkicks geboten. Die Punkt- und Torbilanz ist fast ausgeglichen und man steht auf einem Mittelfeldplatz. Dumm nur, dass Durchschnitt in dieser Saison auch Abstieg heißen konnte. Den Spielern, die im letzten Saisondrittel auf dem Platz standen, kann man in Bezug auf Einsatz und Laufbereitschaft kaum einen Vorwurf machen. Einige Spieler haben in dieser Liga ihre Leistungsgrenzen aufgezeigt bekommen.


Der Trainer


Schon zur Winterpause gab es kritische Stimmen gegen Bonan, aber die guten kämpferischen und teilweise auch spielerischen Leistungen gegen Ende der Hinrunde verschleierten die Probleme ein wenig. Zudem hoffte man, die erkannten Schwächen in der Offensive mit den Winterpausenneuzugängen zu beseitigen. Das gelang nicht. Die Neuen konnten die Erwartungen nicht ansatzweise erfüllen und Bonan wirkte zunehmend hilf- und ratlos. Nach jeder Niederlage wurden System und Spieler in Frage gestellt und gewechselt. Kaum ein Spieler spürte das Vertrauen des Trainers und die Mannschaft hatte keine Gelegenheit, sich einzuspielen. Das Teambuilding war bis zu Bonans Entlassung nicht abgeschlossen. Trotz aller für den Trainer unglücklichen Faktoren wie das große Verletzungspech in der Hinrunde muss Bonan eine große Verantwortung für den Abstieg schultern.

Statistisch gesehen erwies sich dabei das Verletzungspech nicht als wichtiges Kriterium für den Abstieg, ganz im Gegenteil: In der Hinrunde wurde erfolgreicher gepunktet (29 Punkte) als in der Rückrunde (22 Punkte), in der bis auf Stefan Lorenz alle wichtigen Spieler plus Neuzugänge zur Verfügung standen.
Bei allem Unmut sind Anfeindungen und persönliche Beleidigungen gegenüber Bonan jedoch absolut fehl am Platze. Bonan war mit Herzblut bei der Sache, wie man ihn als Spieler kannte. Er war der Aufgabe als Trainer in Essen einfach noch nicht gewachsen.


Der Vorstand

Groß war im Sommer 2007 die Anzahl der Zweifler, die sich fragten, ob es richtig sei, Olaf Janßen weiterhin als Sportlichen Leiter zu engagieren. Die Frage ist inzwischen eindeutig beantwortet.
Es gab damals sicher auch gute Gründe, ihn zu halten. Unter Berücksichtigung aller auch berechtigten Zweifel wäre es wünschenswert gewesen, Janßen einen erfahrenen Trainer an die Seite zu stellen. Stattdessen haben sich Hempelmann und Co. für Bonan entschieden, weil er sich mit RWE identifiziere, wie Nico Schäfer im oben erwähnten Interview betonte. Geblendet von seiner (relativ) guten Arbeit in Ahlen hat man somit aus der Retrospektive betrachtet einen weiteren großen Fehler begangen.
Die Fehler aus der vergangenen Zweitligasaison wurden angeblich analysiert, aber offensichtlich nicht behoben. Nach zwei Abstiegen in Folge muss sich deshalb Jeder im Verein, auch Rolf Hempelmann, hinterfragen und auch hinterfragen lassen, und zwar unabhängig von den bisherigen unbestrittenen Verdiensten um den Verein. Die angekündigten Neu- oder Umstrukturierungen sind bitter nötig.


Fazit und Zukunftsausblick

Der Blick in die Zukunft ist ungewisser denn je. Die neue Regionalliga ist mit ihren zahlreichen Zweitvertretungen zwar für den Zuschauer extrem unattraktiv, in ihrer Leistungsstärke dennoch deutlich höher anzusiedeln als die alte Oberliga Nordrhein. Gerade die Zweitvertretungen sind dabei unberechenbar. Je mehr es von ihnen gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine von ihnen einen starken Jahrgang hervorbringt und (womöglich noch durch Profis unterstützt) frühzeitig den einzigen Aufstiegsplatz blockiert. Womöglich kann nur ein finanzieller Kraftakt in Kombination mit einem glücklichen Händchen bei Neuzugängen den ersten Platz sichern. Hilfreich kann die gute Jugendarbeit sein, die zur Zeit der größte Trumpf für den Verein ist. Die A-Jugend ist inzwischen eine feste Größe in der Junioren-Bundesliga und misst sich dort auf Augenhöhe mit diversen NRW-Bundesliganachwuchsteams. Folgerichtig gelang auch der U23 der Sprung in die neue Oberliga NRW, davon kann die erste Mannschaft nur profitieren. Bei möglichen Überlegungen, in welchen Bereichen gespart werden kann, sollte die Jugendarbeit außen vor bleiben.

Unterstützung aus der Wirtschaft scheint RWE auch weiterhin zu erfahren. Ein Hoch auf alle Beteiligten, die den Energiekonzern RWE davon überzeugten (oder zumindest dazu überredeten), in der Viertklassigkeit den angeschlagenen Möchtegernriesen Rot-Weiss Essen als Hauptsponsor mit einem Millionenbetrag zu unterstützen und zudem noch beim Stadionneubau mitzuwirken. Wird der Neubau tatsächlich Realität (Strunz´ Zusage war nach eigenen Angaben an diese Bedingung gekoppelt), hat Rot-Weiss Essen sicherlich eine Zukunft. Den Zielbegriff „2. Bundesliga“ sollten die Verantwortlichen nach dem zweiten Abstieg in Folge jedoch in der Öffentlichkeit erstmal umgehen. Von Drei- oder Fünfjahresplänen, die bereits im Ansatz scheiterten, hat der RWE-Fan erstmal genug. Die Regionalliga wieder nach oben zu verlassen ist bereits eine Herkulesaufgabe! Bevor diese nicht bewältigt wird, ist die Zweite Liga nur ein Luftschloss.

Der nach jedem Abstieg gern verwendete Begriff des Neuanfangs trifft sicher nicht zu, denn im Gegensatz zu einem Neuanfang kann sich der Verein von den finanziellen Altlasten nicht lösen. Durch die Möglichkeiten, die die nach wie vor vorhandene Unterstützung aus der Wirtschaft bietet, muss man den Start in der vierten Liga eher als Chance auffassen, die Defizite der jüngeren Vergangenheit aufzuarbeiten und dementsprechende Umstrukturierungen im Verein einzuleiten.

(mj)