Die Inkarnation der Regionalliga zu Gast an der Hafenstraße
„Wir fahr'n nach Wuppertal, wir fahr'n
nach Wuppertal...“
Welchem RWE Fan klingen diese Worte nicht noch aus
der letzten Saison in den Ohren? Wieder einmal hatte
man ein Spiel verloren oder kurz bevor der Schiedsrichter
den erlösenden Pfiff ertönen
lies, kassierte man doch noch den Ausgleichstreffer.
Und so schallte es aus tausenden gefrusteten Kehlen,
das Regionalliga Synonym – der Wuppertaler SV
– winkte aus den Tiefen der Schweineliga zu dem
Noch-Zweitligisten hinauf und hieß ihn zurück
in der dunklen und eisigen Regionalliga willkommen.
Was so grausam klingt, wird am kommenden Samstag um
14 Uhr Realität, auch wenn die Bergischen erst
einmal an der Hafenstraße vorspielen. Seit den
letzten Duellen quer durch die Ligalandschaft der
Republik verbindet die beiden Vereine eine gepflegte
gegenseitige Rivalität und die Duelle haben stets
eine besondere Brisanz. Auch wenn man lieber Vereine
wie den 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach
oder die Alemannen aus Aachen an der Hafenstraße
begrüßt hätte, so versprechen auch
Spiele gegen Wuppertal einen regen Zuschauerandrang,
knisternde Derbyatmosphäre und einen Saisonhöhepunkt.
Die Bergischen reisen traditionell, getreu dem Motto
„alles-was-das-Dorf-hergibt“, mit einer
treuen Gefolgschaft aus dem nicht gerade weit entfernten
Fleckchen Erde an und erfreuen sich einer überschaubaren,
aber im Gegensatz zu mancher Profivertretung immerhin
anwesenden Anhängerschaft. Immer, wenn die beiden
Kontrahenten zum 90-minütigen Westschlager auf
dem Platz und auch auf den Rängen baten, entstanden
spannungsgeladene Duelle.
Aus der jüngeren Vergangenheit blieben dabei
vor allem zwei Spiele an der Hafenstraße bemerkenswert.
Beim letzten Aufeinandertreffen in der Saison 2005/06
konnte sich unsere Mannschaft unter Uwe Neuhaus mit
3:2 durchsetzen. Torschützen waren damals Arie
van Lent, Ferhat Kiskanc und – man höre
und staune – in der 90. Minute (!) Michael Lorenz
(müßig zu erwähnen, dass die Essener
vor diesem Treffer bereits einen 2:0 Vorsprung verspielt
hatten.).
Besonders gern erinnert sich der geneigte Leser an
das 5:2 im April 2004, in dem das rot-weiße
Team
unter Jürgen Gelsdorf nach Treffern von Doppeltorschütze
Erwin Koen, Bjarne Goldbaek, Ali Bilgin und einem
Eigentor des Wuppertalers Karsten Baumann die Bergischen
in einem sehr ansehnlichen Derby eindrucksvoll vom
Platz fegen konnte. Dieser Sieg war Auftakt zu einer
Serie von acht Spielen ohne Punktverlust, letztlich
stieg man souverän in die 2. Bundesliga auf.
Gleichzeitig begann damit für den bis dato souveränen
Tabellenführer aus Wuppertal eine Negativserie
bisher unbekannten Ausmaßes, an deren Ende man
bis auf Platz fünf durchgereicht wurde. Dieser
Saisonverlauf ist für die Gäste mittlerweile
fast schon Gewohnheit geworden.
Die Rot-Blauen scheiterten auch in den kommenden Jahren
an ihren Ansprüchen und konnten die Regionalliga
nie verlassen. Gedanklich schon in der 2. Bundesliga,
schnupperte die Mannschaft aus dem Stadion am Zoo
zwar immer mal wieder in den oberen Tabellenregionen,
wurde jedoch stets von der Differenz zwischen den
eigenen Erwartungen und der häufig unzureichenden
Qualität unsanft gestoppt. Der Regionalliga-Dino
und Tabellenführer will es aber diese Saison
wissen und nach seinem Abstieg aus dem Profifußball
1994 endlich wieder Bundesligaluft atmen. Mit Mahir
Saglik und Tobias Damm verpflichtete Sportdirektor
Achim Weber einen „Traumsturm“, der zusammen
bisher schon 17 Mal den Ball in des Gegners Netz unterbringen
konnte. Der WSV erzielte in bisher elf Spielen satte
31 Tore und stellt damit den besten Angriff der Liga.
Ebenfalls nicht unerfolgreich ist ein alter Bekannter:
der Ex-Essener Sven Lintjens traf bisher vier Mal
und vor allem vor seinen Freistößen sollte
sich unsere Mannschaft in Acht nehmen. Beeindruckend
ebenfalls die Auswärtsstärke der Wuppertaler:
bis auf das desolate Spiel gegen Erfurt (1:5) konnte
man jedes Spiel in der Fremde gewinnen.
Viel angenehmer als über die Stärken eines
Gegners zu reden, ist es jedoch seine Schwächen
zu offenbaren.
Die Wuppertaler kassierten immerhin bereits 17 Gegentreffer,
spielten beim Totalausfall gegen Erfurt (1:5) zu häufig
auf Abseits und wurden dafür bitter bestraft.
Für allem die rechte Abwehrseite, die Trainer
Wolfgang Jerat entweder mit Youngster Marco Neppe
oder dem ehemaligen Essener Andre Wiwerink bestückt,
scheint anfällig. Wird schnell gespielt, bekommt
auch die Innenverteidigung um Abwehrchef Michael Stuckmann
Probleme. Dazu fällt der Strippenzieher im Mittelfeld,
Mike Rietpietsch, der immer noch an seinen Rückenproblemen
laboriert, weiter aus.
Noch angenehmer als über den Gegner zu reden,
ist es jedoch über sich selbst zu sprechen und
die Bilanz der Rot-Weißen kann sich nach durchwachsenem
Saisonstart sehen lassen. Die Elf von Heiko Bonan
ist seit fünf Spielen ungeschlagen und schöpfte
nach dem ersten Heimsieg in diesem Jahr gegen die
spielstarken Erfurter neues Selbstvertrauen. Auch
in der Offensive läuft es endlich rund: acht
Tore in drei Spielen, dazu steht Heiko Bonan mit Stijn
Haeldermans eine weitere Offensivkraft zur Verfügung.
Vermutlich wird Bonan erneut die gleiche Elf wie schon
beim Auswärtsspiel gegen Berlin aufbieten. An
dem erfolgreichen Trio Rolf-Christel Guie-Mien, Markus
Kurth und Sercan Güvenisik führt bisher
kein Weg vorbei. Auch der nach einem schlimmen Zusammenprall
sich wieder im Training befindliche Sören Brandy
dürfte zur Startelf zählen. David Czyszczon
ist unter der Woche nach überstandener Rückenverletzung
ebenfalls wieder in das Mannschaftstraining eingestiegen.
Damit stehen dem Trainer bis auf den länger verletzten
Mitja Schäfer alle Optionen zur Verfügung.
Die Besetzung der Bank bleibt dagegen weiterhin spannend.
Letzte Woche empfahl sich Rafael Kazior
mit einem Treffer für höhere Aufgaben, dagegen
scheint Andre Schei Lindbaek weiterhin nicht den Anschluss
gefunden zu haben. Der als Goalgetter verpflichtete
Norweger drängt sich Trainer Heiko Bonan derzeit
nicht auf, hat allerdings mit dem bundesligaerfahrenen
Markus Kurth starke Konkurrenz bekommen. Es bleibt
abzuwarten, wann unsere Nummer neun endlich in Tritt
kommt, zumal er mit seiner Kopfballstärke sicher
mehr als eine Alternative wäre. Auch der zu Saisonbeginn
durchaus solide Mario Klinger dürfte wohl erneut
auf der Tribüne Platz finden.
Nach dem spielfreien Mittwoch dürfen unsere Rot-Weißen
endlich wieder in das Geschehen eingreifen und es
gilt in diesem Spiel, den positiven Trend der letzten
Spieltage zu bestätigen. Gegen die offensiv starken
und schnellen Wuppertaler ist vor allem eine konzentrierte
Defensivleistung notwendig. Patzer wie zuletzt beim
3:2 gegen Erfurt oder auch beim späten Ausgleichstreffer
in Berlin darf sich die Elf von Heiko Bonan gegen
die Tormaschinen Saglik und Damm nicht erlauben. Bei
einem Sieg gegen die Bergischen dürfte man sogar
wieder vorsichtig nach oben schielen, aber noch stehen
90 Minuten und ein dicker Brocken zwischen diesem
Erlebnis. Und egal wie das Spiel am kommenden Samstag
auch ausgehen mag, wir fahr'n bestimmt noch einmal
nach Wuppertal...
(sb)
Bilder: Regionalliga Saison 2005/06 Rot-Weiss Essen
- Wuppertaler SV Borussia 3:2 (2:0)
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