"Experiment Gästeblock"
Wer so wie ich schon seit über 16 Jahren zur
Hafenstraße geht, kennt dort jeden Winkel. Man
glaubt schon alles gesehen und erlebt zu haben, nichts
überrascht einen noch. Irgendwann einmal kommt
der Gedanke nach ein wenig Abwechslung, ein Spiel
einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Man
wechselt von der
Ost auf die Nord oder kauft sich eine Tribünenkarte.
Nun kennt man jeden Blickwinkel im Stadion und weiß,
wie sich die gleichen Fangesänge an verschiedenen
Orten anhören. Dann fährt man mit zu den
Auswärtsspielen, weiß nun wie RWE-Fans
in fremden Stadien behandelt werden, hört die
langsam langweiligen weil immer gleichen Schmähgesänge
und kann nun auch diese Stimmungen nachvollziehen.
Eigentlich sollte man nun alles kennen, was für
einen Fan von Rot-Weiss Essen möglich ist. Und
dennoch gibt es einen Bereich, den man nicht kennt.
Einen Ort, von dem man nicht weiß, wie die Stimmung
dort ist und wie ein Fußballspiel von dort aussieht,
einen Platz, der in direkter Nähe liegt und doch
ganz weit weg ist: Der Gästeblock des eigenen
Stadions!
Was lag also näher, als einmal ein Heimspiel
zum Auswärtsspiel zu machen? Einmal zu fühlen
wie es ist, zu Gast an der Hafenstraße zu sein.
Was muss ein Gästefan in Essen durchmachen, bis
er im Stadion ist? Wie viel bekommt man im Gästeblock
mit von der Stimmung der RWE-Fans und schmeckt die
Bratwurst genauso wie bei „uns“?
Lange Rede kurzer Sinn, eine Idee war geboren: Die
Idee vom „Experiment Gästeblock“. Was
anfangs nur eine wirre Idee war, ging mir nicht mehr
aus dem Kopf und so war es am Anfang der Saison klar,
dieses Experiment bald durchzuführen. Doch gegen
welchen Gegner? Wann ist die Stimmung passend? Bei
welchem Gastverein bekommt man alle Facetten eines
Auswärtsspiels mit? Nun, da gibt es eigentlich
nur einen: Dynamo Dresden!
Und so machte ich mich auf, das Experiment zu wagen.
Und um es vorweg zu nehmen, die Bratwurst schmeckt
tatsächlich genauso gut wie vor den Heimblocks,
allerdings ist das schon die einzige Gemeinsamkeit.
Alles fängt als Gast an mit dem langen Weg zum
Gästeblock. Schon der Eingang am Sulterkamp ist
nicht vergleichbar mit dem Vorplatz der Osttribüne.
Die Polizei hat es sich gegenüber dem Gästeeingang
gemütlich gemacht, Security-Posten stehen zu
zweit oder noch mehr scheinbar teilnahmslos in der
Gegend. Autos mit RWE-Fans fahren vorbei, teils neugierig
die Gästefans betrachtend, teils auch hupend
und mit Stinkefinger vorbeirasend. Vielleicht kurz
zu Letztgenannten: Ich nehme es euch nicht persönlich
übel, dass ihr in diesem Moment auch mich da
mit eingeschlossen habt!
Einzelne Dynamo-Fans kommen an, die Autofahrer. Teilweise
zu zweit, dritt oder viert, teilweise alleine oder
in größeren Gruppen. Einige gehen sofort
ins Stadion, der Gros jedoch wartet auf das Highlight
einer jeden Auswärtsfahrt, die Ankunft der Zug-
oder Busfahrer. Schon einige Minuten vorher fallen
dem aufmerksamen Beobachter die ersten Anzeichen der
nahenden Fans auf. Es kommt Bewegung in die bisherigen
Security-Wachsfiguren. Zuerst ist es nur die Hand,
die gelangweilt zum Ohr fährt, doch spätestens
wenn aus den dort verborgenen Funksystemen das Nahen
der Busse gemeldet wird verfällt auch der restliche
Körper in Hektik. Weiter geht es dann bei den
Polizisten, die sich bereit machen zum Empfang. Spätestens
da weiß jeder: Jetzt kommt er gleich, der Mob!
Begleitet von Mannschaftswagen mit eingeschaltetem
Blaulicht erscheinen zwei Busse mit Dynamo-Fans vom
Hauptbahnhof. Die Türen öffnen sich und
zuerst heraus kommen etwa 15-20 Uniformierte, pro
Bus. Ein wenig sieht es aus wie bei einem Castor-Transport,
doch dann ertönen die Gesänge, die Farbe
grün wird übermalt von schwarz und gelb
und ein jeder weiß nun, woran er wirklich ist.
„Hurra, hurra, die Dresdener sind da!“
Spätestens jetzt wird es Zeit, das Stadiongelände
endgültig zu betreten. Eine Wahl hat man nun
eh nicht mehr, denn die Polizisten bitten freundlichst
darum, zum Gästeblock zu gehen. Bevor man diesen
jedoch erreicht, warten noch ganze vier Schleusen.
Die Erste, direkt hinter der schmalen Kanalbrücke,
dient ein wenig als Wellenbrecher. Hier wird anscheinend
ausgesiebt, wer überhaupt eine Chance hat, ins
Stadion zu kommen. Und ab hier geht es nur in kleinen
Gruppen weiter. Seine Eintrittskarte muss man hier
bereits vorzeigen, wer noch keine hat wird allerdings
auch durchgelassen, befindet sich die Tageskasse doch
erst in Schleuse vier.
Wer Schleuse eins hinter sich gebracht hat, kann ein
paar Felder vorgehen zu Schleuse zwei. Allerdings
erst
dann, wenn sich dort nicht mehr allzu viele Gästefans
aufhalten. Ansonsten muss man eben noch an Schleuse
eins warten. Wie viele Fans sich an Schleuse zwei
aufhalten hängt natürlich ab von Schleuse
drei. Dort finden die Personenkontrollen statt, weswegen
auch an Schleuse zwei nur eine bestimmte Anzahl Fans
durchgelassen wird. Hat man auch die Durchsuchung
erfolgreich hinter sich gebracht folgt Schleuse vier
mit der erwähnten Tageskasse und dem Abriss und
der Kontrolle der Eintrittskarte. Zu erwähnen
wäre noch, dass Gegenstände wie mögliche
Wurfgeschosse, Waffen oder andere gefährliche
Dinge an Schleuse drei abgegeben werden müssen
mit dem Hinweis, auf dem Rückweg würde der
Behälter noch dort stehen und mit etwas Glück
würde man seinen Gegenstand dann wieder mitnehmen
können. Nach dem Spiel war allerdings besagter
Behälter nicht mehr dort, sondern laut Ordnungspersonal
auf der Geschäftsstelle, was zu einigem Unmut
führte.
Endlich am Stadion warten ein Getränke- und ein
Bratwurststand auf die durstige und hungrige Meute.
Bier gibt es nur alkoholfrei, dafür wird die
Bratwurst vom Gästefan laut gelobt. Zumindest
taten die Dynamo-Anhänger dies und freuten sich
zusätzlich darüber, neben der Bratwurst
auch eine Krakauer bekommen zu können.
So sind wir Essener eben, denken immer auch an das
Wohl der Gäste! Für Belustigung sorgten
die kuheuterähnlichen Senf- und Ketchup-Spender.
Soweit Teil eins des Experimentes, nämlich wie
es einem Gästefan in Essen ergeht, bis er im
Stadion ist.
Teil zwei ist die Atmosphäre, die sich einem
Gästefan bietet. Die Sicht aus dem Gästeblock
ist zwar der älteren RWE-Generation noch in Erinnerung,
allerdings gibt es mittlerweile eine gravierende Veränderung:
Den Fangzaun. Dieser verhindert eine klare Sicht auf
das Tor vor der Ost, sodass man schon ziemlich weit
nach unten gehen muss, um ein paar klare Fotos der
Heimfans zu machen. Was die Stimmung angeht so ist
sie eher mau. Das Prozedere um die Mannschaftsaufstellung
von RWE bekommt ein Fan im Gästeblock kaum mit.
Schuld ist zum einen die Einspielmusik, die mir persönlich
deutlich lauter vorkam als in den „Heimblöcken“,
zum anderen das viel zu leise vorgetragene „Nur
der RWE!“. Man konnte lediglich ein Murmeln hören,
den Text verstehen konnte man nicht.
Auch
während des Spiels hört man kaum einmal
die Gesänge der Osttribüne. Einzig der Drei-Tribünen-Wechselgesang
ROT – WEISS – ESSEN ist deutlich zu hören
und schindet spürbar Eindruck. Die Nord dagegen
hört man schon besser, was auch daran liegt dass
direkt neben dem Trennzaun ziemlich weit oben eine
RWE-Gruppierung sich ziemliche Wortgefechte mit den
Dynamo-Anhängern lieferte. Das Resultat dieser
verbalen Auseinandersetzung war letztlich ein Schwitzkasten
eines Polizisten, in dem ein Kopf eines SGD-Anhängers
steckte und ein Kameramann in Uniform, der vom Spielfeldrand
eifrig filmte.
Kurzum: Die Stimmung der Heimfans kommt kaum bis gar
nicht im Gästeblock an, ein Zustand der schon
seit längerer Zeit teils heftigst diskutiert
wird aber nirgendwo so deutlich wird wie im Gästeblock!
Auch die Dynamos haben ihre Stimmungsprobleme. So
kam der Großteil der Ultras Dynamo nach einer
anscheinend unrühmlichen Zusammenkunft mit der
Polizei erst Mitte der zweiten Hälfte ins Stadion,
dafür dann gleich mit einem lauten Knall. Davor
versuchten einige wenige vergeblich, den ganzen Block
zur Stimmungsmache zu bewegen. Was auch kein Wunder
war probierte es einer gar mit Gewalt, die umstehenden
Fans zum mitgrölen zu bewegen indem er sie derb
anmachte, vor die Schulter stieß oder anbrüllte
und damit eigentlich nur viel Kopfschütteln erreichte.
So ein Verhalten den eigenen Fans gegenüber habe
ich bisher noch nicht gesehen, vielleicht sollte sich
der Stimmungskern der Dynamos eben nicht mit 10-15
Leuten an einen einzigen Fleck stellen sondern sich
einzeln im Block verteilen, damit man so die umherstehenden
Fans zum mitsingen animiert. Gewaltsam gegen Mitsingunwillige
vorzugehen ist jedenfalls der falsche Weg und gehört
eher in die Kategorie dumm.
Was wir in Essen sehen, nämlich ein gewaltiger
Stimmungsverlust durch Meinungsverschiedenheiten innerhalb
der Fangruppen, damit haben also anscheinend auch
andere zu kämpfen. Soviel wurde in 90 Minuten
Dynamo-Block klar. Wüste Beschimpfungen untereinander
bis hin zu „Wir sind Dresdner und ihr nicht!“-Gesänge,
die die Gegenseite mit obszönen Gesten beantwortete
waren der Höhepunkt eines stimmungsmäßig
eher lauen Fußballnachmittages. Es ist eben
nicht mehr so wie noch vor 10 Jahren!
Was
die vorher erhoffte Stimmung nicht einhielt schaffte
zumindest das Spiel. 93 Minuten lang war es ein rasantes
und spannendes Spiel, in dem die Essener es verpassten,
gegen einen direkten Konkurrenten um die Qualifikation
zur eingleisigen dritten Liga drei Punkte einzufahren.
Dabei ging es gut los für RWE. Die Mannen von
Coach Heiko Bonan versuchten von der ersten Minute
an das Dynamo-Tor in Gefahr zu bringen. Dresden spielte
abwartend, blieb aber immer gefährlich. So konnte
RWE-Keeper Daniel Masuch einen Kopfball von Martin
Stocklassa parieren. RWE war zwar bemüht, doch
die große Torchance blieb aus. Und wenn etwas
gefährlich vors Tor kam dann faustete SGD-Keeper
Oliver Herber den Ball wieder aus dem Dynamo-Strafraum.
Dann kam die 19. Minute: Nach einem Foul an Markus
Kurth gab es Freistoß für Essen. Josef
Kotula brachte den Ball in den Strafraum und Abwehrchef
Daniel Sereinig köpfte den Ball ungehindert ins
Tor. 1:0.
Allerdings schaffte es Essen in der Folgezeit nicht,
nachzulegen sondern ließ Dresden nach einer
kurzen Phase des Rückstandsschocks stärker
werden. Vor allem Marek Penksa war ein ständiger
Unruheherd. Erst scheiterte er mit einem Schuss an
Masuch, dann lief er alleine nach einem wunderschönen
Zuspiel eines Mitspielers auf Masuch zu, der jedoch
eine klasse Fußabwehr zeigte und damit erneut
Sieger blieb. Doch in der 40. Minute war auch er machtlos.
SGD-Verteidiger Jens Tuckenbrod flankte von rechts
in den Essener Strafraum, Ivo Ulich verlängerte
ungedeckt per Kopf und in der Mitte köpfte Penksa
ebenfalls völlig freistehend den Ball ins RWE-Gehäuse.
Der Ausgleich. Fünf Minuten später war Pause
und beide Seiten konnten durchpusten.
Am Mittwoch noch spielte RWE im DFB-Pokal gegen Kaiserslautern
und auch Dresden musste im Sachsenpokal gegen Sachsen
Leipzig ran. Beide gewannen diese Spiele und so konnte
man davon ausgehen, dass beiden in der zweiten Hälfte
irgendwann die Puste ausging. Doch dies war ein Trugschluss.
Den besseren Start erwischte die Sportgemeinschaft
Dynamo Dresden. In Minute 48 wollte Daniel Masuch
eine Flanke klären und stürmte aus seinem
Kasten. Er traf zwar den Ball doch erwischte dabei
auch den Gegenspieler und Schiedsrichter Thorsten
Kienhöfer entschied auf Elfmeter und gelb für
Masuch. Eine Entscheidung, die kontrovers diskutiert
wurde, die man allerdings so sehen kann. Der Gefoulte,
Ivo Ulich, trat selber an. Daniel Masuch flog in die
richtige Ecke, erwischte den Ball mit einem Arm und
lenkte ihn an den
Innenpfosten, von wo er quer zurück durch den
Fünfmeterraum flog und von der RWE-Abwehr im
letzten Moment geklärt werden konnte. Das war
die Riesenmöglichkeit für die Sachsen zur
Führung. Dresden war geschockt und für RWE
war dies der Wachrüttler. In der Folgezeit arbeiteten
sich die Essener etliche gute Chancen heraus. Tim
Erfen und Rolf-Christel Guie-Mien scheiterten aber
an Oliver Herber, der einen glänzenden Tag erwischt
hatte.
In der 72. Minute landete der Ball dann im Tor zur
vermeintlichen 2:1-Führung, doch der bundesligaerfahrene
Schiri versagte dem Treffer leider zu Recht die Anerkennung.
Einen Freistoß von Kotula verlängerte Niklas
Andersen zu Michael Lorenz, der den Ball ins Tor köpfte.
Allerdings stand beim Lorenz-Kopfball Markus Kurth
direkt vor Keeper Herber im Abseits und behinderte
ihn somit in der Sicht, so dass der Treffer nicht
zählte. Doch RWE ließ sich nicht entmutigen
und spielte weiter nach vorne. Fünf Minuten nach
dem Abseitstreffer konnte der eingewechselte Emrah
Uzun von Daniel Ernemann nur mit einem Foul gestoppt
werden und da dieser bereits verwarnt war zückte
Kienhöfer gelb-rot. Dresden also in Unterzahl
und RWE erhöhte noch einmal die Schlagzahl. Die
Pokalminuten waren dem Team nicht anzumerken. Doch
im Abschluss fehlte das Glück. So auch bei einem
Czyszczon-Schuss kurz vor Schluss, den erneut SGD-Keeper
Herber glänzend hielt. So blieb es beim 1:1-Unentschieden,
mit dem RWE sich auf Platz sechs verbesserte. Drei
Spieltage vor Ende der Hinrunde liegt man damit im
Soll und kann nun guter Dinge nach Verl fahren, die
zu Hause erst zwei Unentschieden herausgeholt haben.
Dresden hingegen steht nun auf Platz 10 und liegt
weiterhin drei Punkte hinter RWE.
(Gästeblockreporter)
.
|
Rot-Weiss Essen
Masuch - Czyszczon, Sereinig, Andersen - Erfen, M.
Lorenz, Gorschlüter, Kotula - Kurth (77. Lindbaek),
Brandy (63. Uzun) - Guie-Mien (71. Kazior)
Dynamo Dresden
Herber - Truckenbrod, Hübener, Ernemann, Nikol
- Ulich (83. Knackmuß), Wagefeld, Stocklasa,
Pfeffer (62. Bendovskyi) - Penksa (77. Würll),
Bröker
Tore
1:0 Sereinig (19.), 1:1 Penksa (40.)
Zuschauer
11.017
Schiedsrichter
Kinhöfer (Herne)
Gelbe Karten
Sereinig, Gorschlüter, Masuch, Brandy - Hübener,
Wagefeld, Truckenbrod
Gelb-Rote Karte
Ernemann (Dresden) wegen wiederholten Foulspiels (77.)
Besondere Vorkommnisse
Ulich (Dresden) scheitert mit Foulelfmeter an Masuch
(48.)
|
..... |
Spieler des Spiels
Jawattdenn Spielerbewertung
Masuch |
1-
|
Czyszczon |
3+
|
Sereinig |
2-
|
Andersen |
3
|
Erfen |
2-
|
M. Lorenz |
3
|
Gorschlüter |
3
|
Kotula |
3+
|
Brandy |
3-
|
Guie-Mien |
4+ |
Kurth |
3-
|
|