03.11.2007

RWE - Dynamo Dresden

 

"Experiment Gästeblock"

Wer so wie ich schon seit über 16 Jahren zur Hafenstraße geht, kennt dort jeden Winkel. Man glaubt schon alles gesehen und erlebt zu haben, nichts überrascht einen noch. Irgendwann einmal kommt der Gedanke nach ein wenig Abwechslung, ein Spiel einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Man wechselt von der Ost auf die Nord oder kauft sich eine Tribünenkarte. Nun kennt man jeden Blickwinkel im Stadion und weiß, wie sich die gleichen Fangesänge an verschiedenen Orten anhören. Dann fährt man mit zu den Auswärtsspielen, weiß nun wie RWE-Fans in fremden Stadien behandelt werden, hört die langsam langweiligen weil immer gleichen Schmähgesänge und kann nun auch diese Stimmungen nachvollziehen. Eigentlich sollte man nun alles kennen, was für einen Fan von Rot-Weiss Essen möglich ist. Und dennoch gibt es einen Bereich, den man nicht kennt. Einen Ort, von dem man nicht weiß, wie die Stimmung dort ist und wie ein Fußballspiel von dort aussieht, einen Platz, der in direkter Nähe liegt und doch ganz weit weg ist: Der Gästeblock des eigenen Stadions!

Was lag also näher, als einmal ein Heimspiel zum Auswärtsspiel zu machen? Einmal zu fühlen wie es ist, zu Gast an der Hafenstraße zu sein. Was muss ein Gästefan in Essen durchmachen, bis er im Stadion ist? Wie viel bekommt man im Gästeblock mit von der Stimmung der RWE-Fans und schmeckt die Bratwurst genauso wie bei „uns“?

Lange Rede kurzer Sinn, eine Idee war geboren: Die Idee vom „Experiment Gästeblock“. Was anfangs nur eine wirre Idee war, ging mir nicht mehr aus dem Kopf und so war es am Anfang der Saison klar, dieses Experiment bald durchzuführen. Doch gegen welchen Gegner? Wann ist die Stimmung passend? Bei welchem Gastverein bekommt man alle Facetten eines Auswärtsspiels mit? Nun, da gibt es eigentlich nur einen: Dynamo Dresden!

Und so machte ich mich auf, das Experiment zu wagen. Und um es vorweg zu nehmen, die Bratwurst schmeckt tatsächlich genauso gut wie vor den Heimblocks, allerdings ist das schon die einzige Gemeinsamkeit.

Alles fängt als Gast an mit dem langen Weg zum Gästeblock. Schon der Eingang am Sulterkamp ist nicht vergleichbar mit dem Vorplatz der Osttribüne. Die Polizei hat es sich gegenüber dem Gästeeingang gemütlich gemacht, Security-Posten stehen zu zweit oder noch mehr scheinbar teilnahmslos in der Gegend. Autos mit RWE-Fans fahren vorbei, teils neugierig die Gästefans betrachtend, teils auch hupend und mit Stinkefinger vorbeirasend. Vielleicht kurz zu Letztgenannten: Ich nehme es euch nicht persönlich übel, dass ihr in diesem Moment auch mich da mit eingeschlossen habt!

Einzelne Dynamo-Fans kommen an, die Autofahrer. Teilweise zu zweit, dritt oder viert, teilweise alleine oder in größeren Gruppen. Einige gehen sofort ins Stadion, der Gros jedoch wartet auf das Highlight einer jeden Auswärtsfahrt, die Ankunft der Zug- oder Busfahrer. Schon einige Minuten vorher fallen dem aufmerksamen Beobachter die ersten Anzeichen der nahenden Fans auf. Es kommt Bewegung in die bisherigen Security-Wachsfiguren. Zuerst ist es nur die Hand, die gelangweilt zum Ohr fährt, doch spätestens wenn aus den dort verborgenen Funksystemen das Nahen der Busse gemeldet wird verfällt auch der restliche Körper in Hektik. Weiter geht es dann bei den Polizisten, die sich bereit machen zum Empfang. Spätestens da weiß jeder: Jetzt kommt er gleich, der Mob!

Begleitet von Mannschaftswagen mit eingeschaltetem Blaulicht erscheinen zwei Busse mit Dynamo-Fans vom Hauptbahnhof. Die Türen öffnen sich und zuerst heraus kommen etwa 15-20 Uniformierte, pro Bus. Ein wenig sieht es aus wie bei einem Castor-Transport, doch dann ertönen die Gesänge, die Farbe grün wird übermalt von schwarz und gelb und ein jeder weiß nun, woran er wirklich ist. „Hurra, hurra, die Dresdener sind da!“

Spätestens jetzt wird es Zeit, das Stadiongelände endgültig zu betreten. Eine Wahl hat man nun eh nicht mehr, denn die Polizisten bitten freundlichst darum, zum Gästeblock zu gehen. Bevor man diesen jedoch erreicht, warten noch ganze vier Schleusen. Die Erste, direkt hinter der schmalen Kanalbrücke, dient ein wenig als Wellenbrecher. Hier wird anscheinend ausgesiebt, wer überhaupt eine Chance hat, ins Stadion zu kommen. Und ab hier geht es nur in kleinen Gruppen weiter. Seine Eintrittskarte muss man hier bereits vorzeigen, wer noch keine hat wird allerdings auch durchgelassen, befindet sich die Tageskasse doch erst in Schleuse vier.

Wer Schleuse eins hinter sich gebracht hat, kann ein paar Felder vorgehen zu Schleuse zwei. Allerdings erst dann, wenn sich dort nicht mehr allzu viele Gästefans aufhalten. Ansonsten muss man eben noch an Schleuse eins warten. Wie viele Fans sich an Schleuse zwei aufhalten hängt natürlich ab von Schleuse drei. Dort finden die Personenkontrollen statt, weswegen auch an Schleuse zwei nur eine bestimmte Anzahl Fans durchgelassen wird. Hat man auch die Durchsuchung erfolgreich hinter sich gebracht folgt Schleuse vier mit der erwähnten Tageskasse und dem Abriss und der Kontrolle der Eintrittskarte. Zu erwähnen wäre noch, dass Gegenstände wie mögliche Wurfgeschosse, Waffen oder andere gefährliche Dinge an Schleuse drei abgegeben werden müssen mit dem Hinweis, auf dem Rückweg würde der Behälter noch dort stehen und mit etwas Glück würde man seinen Gegenstand dann wieder mitnehmen können. Nach dem Spiel war allerdings besagter Behälter nicht mehr dort, sondern laut Ordnungspersonal auf der Geschäftsstelle, was zu einigem Unmut führte.

Endlich am Stadion warten ein Getränke- und ein Bratwurststand auf die durstige und hungrige Meute. Bier gibt es nur alkoholfrei, dafür wird die Bratwurst vom Gästefan laut gelobt. Zumindest taten die Dynamo-Anhänger dies und freuten sich zusätzlich darüber, neben der Bratwurst auch eine Krakauer bekommen zu können. So sind wir Essener eben, denken immer auch an das Wohl der Gäste! Für Belustigung sorgten die kuheuterähnlichen Senf- und Ketchup-Spender. Soweit Teil eins des Experimentes, nämlich wie es einem Gästefan in Essen ergeht, bis er im Stadion ist.

Teil zwei ist die Atmosphäre, die sich einem Gästefan bietet. Die Sicht aus dem Gästeblock ist zwar der älteren RWE-Generation noch in Erinnerung, allerdings gibt es mittlerweile eine gravierende Veränderung: Den Fangzaun. Dieser verhindert eine klare Sicht auf das Tor vor der Ost, sodass man schon ziemlich weit nach unten gehen muss, um ein paar klare Fotos der Heimfans zu machen. Was die Stimmung angeht so ist sie eher mau. Das Prozedere um die Mannschaftsaufstellung von RWE bekommt ein Fan im Gästeblock kaum mit. Schuld ist zum einen die Einspielmusik, die mir persönlich deutlich lauter vorkam als in den „Heimblöcken“, zum anderen das viel zu leise vorgetragene „Nur der RWE!“. Man konnte lediglich ein Murmeln hören, den Text verstehen konnte man nicht.

Auch während des Spiels hört man kaum einmal die Gesänge der Osttribüne. Einzig der Drei-Tribünen-Wechselgesang ROT – WEISS – ESSEN ist deutlich zu hören und schindet spürbar Eindruck. Die Nord dagegen hört man schon besser, was auch daran liegt dass direkt neben dem Trennzaun ziemlich weit oben eine RWE-Gruppierung sich ziemliche Wortgefechte mit den Dynamo-Anhängern lieferte. Das Resultat dieser verbalen Auseinandersetzung war letztlich ein Schwitzkasten eines Polizisten, in dem ein Kopf eines SGD-Anhängers steckte und ein Kameramann in Uniform, der vom Spielfeldrand eifrig filmte.

Kurzum: Die Stimmung der Heimfans kommt kaum bis gar nicht im Gästeblock an, ein Zustand der schon seit längerer Zeit teils heftigst diskutiert wird aber nirgendwo so deutlich wird wie im Gästeblock!

Auch die Dynamos haben ihre Stimmungsprobleme. So kam der Großteil der Ultras Dynamo nach einer anscheinend unrühmlichen Zusammenkunft mit der Polizei erst Mitte der zweiten Hälfte ins Stadion, dafür dann gleich mit einem lauten Knall. Davor versuchten einige wenige vergeblich, den ganzen Block zur Stimmungsmache zu bewegen. Was auch kein Wunder war probierte es einer gar mit Gewalt, die umstehenden Fans zum mitgrölen zu bewegen indem er sie derb anmachte, vor die Schulter stieß oder anbrüllte und damit eigentlich nur viel Kopfschütteln erreichte. So ein Verhalten den eigenen Fans gegenüber habe ich bisher noch nicht gesehen, vielleicht sollte sich der Stimmungskern der Dynamos eben nicht mit 10-15 Leuten an einen einzigen Fleck stellen sondern sich einzeln im Block verteilen, damit man so die umherstehenden Fans zum mitsingen animiert. Gewaltsam gegen Mitsingunwillige vorzugehen ist jedenfalls der falsche Weg und gehört eher in die Kategorie dumm.

Was wir in Essen sehen, nämlich ein gewaltiger Stimmungsverlust durch Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fangruppen, damit haben also anscheinend auch andere zu kämpfen. Soviel wurde in 90 Minuten Dynamo-Block klar. Wüste Beschimpfungen untereinander bis hin zu „Wir sind Dresdner und ihr nicht!“-Gesänge, die die Gegenseite mit obszönen Gesten beantwortete waren der Höhepunkt eines stimmungsmäßig eher lauen Fußballnachmittages. Es ist eben nicht mehr so wie noch vor 10 Jahren!

Was die vorher erhoffte Stimmung nicht einhielt schaffte zumindest das Spiel. 93 Minuten lang war es ein rasantes und spannendes Spiel, in dem die Essener es verpassten, gegen einen direkten Konkurrenten um die Qualifikation zur eingleisigen dritten Liga drei Punkte einzufahren. Dabei ging es gut los für RWE. Die Mannen von Coach Heiko Bonan versuchten von der ersten Minute an das Dynamo-Tor in Gefahr zu bringen. Dresden spielte abwartend, blieb aber immer gefährlich. So konnte RWE-Keeper Daniel Masuch einen Kopfball von Martin Stocklassa parieren. RWE war zwar bemüht, doch die große Torchance blieb aus. Und wenn etwas gefährlich vors Tor kam dann faustete SGD-Keeper Oliver Herber den Ball wieder aus dem Dynamo-Strafraum. Dann kam die 19. Minute: Nach einem Foul an Markus Kurth gab es Freistoß für Essen. Josef Kotula brachte den Ball in den Strafraum und Abwehrchef Daniel Sereinig köpfte den Ball ungehindert ins Tor. 1:0.

Allerdings schaffte es Essen in der Folgezeit nicht, nachzulegen sondern ließ Dresden nach einer kurzen Phase des Rückstandsschocks stärker werden. Vor allem Marek Penksa war ein ständiger Unruheherd. Erst scheiterte er mit einem Schuss an Masuch, dann lief er alleine nach einem wunderschönen Zuspiel eines Mitspielers auf Masuch zu, der jedoch eine klasse Fußabwehr zeigte und damit erneut Sieger blieb. Doch in der 40. Minute war auch er machtlos. SGD-Verteidiger Jens Tuckenbrod flankte von rechts in den Essener Strafraum, Ivo Ulich verlängerte ungedeckt per Kopf und in der Mitte köpfte Penksa ebenfalls völlig freistehend den Ball ins RWE-Gehäuse. Der Ausgleich. Fünf Minuten später war Pause und beide Seiten konnten durchpusten.

Am Mittwoch noch spielte RWE im DFB-Pokal gegen Kaiserslautern und auch Dresden musste im Sachsenpokal gegen Sachsen Leipzig ran. Beide gewannen diese Spiele und so konnte man davon ausgehen, dass beiden in der zweiten Hälfte irgendwann die Puste ausging. Doch dies war ein Trugschluss.

Den besseren Start erwischte die Sportgemeinschaft Dynamo Dresden. In Minute 48 wollte Daniel Masuch eine Flanke klären und stürmte aus seinem Kasten. Er traf zwar den Ball doch erwischte dabei auch den Gegenspieler und Schiedsrichter Thorsten Kienhöfer entschied auf Elfmeter und gelb für Masuch. Eine Entscheidung, die kontrovers diskutiert wurde, die man allerdings so sehen kann. Der Gefoulte, Ivo Ulich, trat selber an. Daniel Masuch flog in die richtige Ecke, erwischte den Ball mit einem Arm und lenkte ihn an den Innenpfosten, von wo er quer zurück durch den Fünfmeterraum flog und von der RWE-Abwehr im letzten Moment geklärt werden konnte. Das war die Riesenmöglichkeit für die Sachsen zur Führung. Dresden war geschockt und für RWE war dies der Wachrüttler. In der Folgezeit arbeiteten sich die Essener etliche gute Chancen heraus. Tim Erfen und Rolf-Christel Guie-Mien scheiterten aber an Oliver Herber, der einen glänzenden Tag erwischt hatte.

In der 72. Minute landete der Ball dann im Tor zur vermeintlichen 2:1-Führung, doch der bundesligaerfahrene Schiri versagte dem Treffer leider zu Recht die Anerkennung. Einen Freistoß von Kotula verlängerte Niklas Andersen zu Michael Lorenz, der den Ball ins Tor köpfte. Allerdings stand beim Lorenz-Kopfball Markus Kurth direkt vor Keeper Herber im Abseits und behinderte ihn somit in der Sicht, so dass der Treffer nicht zählte. Doch RWE ließ sich nicht entmutigen und spielte weiter nach vorne. Fünf Minuten nach dem Abseitstreffer konnte der eingewechselte Emrah Uzun von Daniel Ernemann nur mit einem Foul gestoppt werden und da dieser bereits verwarnt war zückte Kienhöfer gelb-rot. Dresden also in Unterzahl und RWE erhöhte noch einmal die Schlagzahl. Die Pokalminuten waren dem Team nicht anzumerken. Doch im Abschluss fehlte das Glück. So auch bei einem Czyszczon-Schuss kurz vor Schluss, den erneut SGD-Keeper Herber glänzend hielt. So blieb es beim 1:1-Unentschieden, mit dem RWE sich auf Platz sechs verbesserte. Drei Spieltage vor Ende der Hinrunde liegt man damit im Soll und kann nun guter Dinge nach Verl fahren, die zu Hause erst zwei Unentschieden herausgeholt haben. Dresden hingegen steht nun auf Platz 10 und liegt weiterhin drei Punkte hinter RWE.


(Gästeblockreporter)

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Rot-Weiss Essen

Masuch - Czyszczon, Sereinig, Andersen - Erfen, M. Lorenz, Gorschlüter, Kotula - Kurth (77. Lindbaek), Brandy (63. Uzun) - Guie-Mien (71. Kazior)


Dynamo Dresden

Herber - Truckenbrod, Hübener, Ernemann, Nikol - Ulich (83. Knackmuß), Wagefeld, Stocklasa, Pfeffer (62. Bendovskyi) - Penksa (77. Würll), Bröker


Tore

1:0 Sereinig (19.), 1:1 Penksa (40.)


Zuschauer

11.017


Schiedsrichter

Kinhöfer (Herne)


Gelbe Karten

Sereinig, Gorschlüter, Masuch, Brandy - Hübener, Wagefeld, Truckenbrod


Gelb-Rote Karte

Ernemann (Dresden) wegen wiederholten Foulspiels (77.)


Besondere Vorkommnisse

Ulich (Dresden) scheitert mit Foulelfmeter an Masuch (48.)





.....

Spieler des Spiels



Jawattdenn Spielerbewertung

Masuch
1-
Czyszczon
3+
Sereinig
2-
Andersen
3
Erfen
2-
M. Lorenz
3
Gorschlüter
3
Kotula
3+
Brandy
3-
Guie-Mien 4+
Kurth
3-