VfB Lübeck - RWE
Wenn schon (Regionalliga-Fußball-)Provinz …
... dann wenigstens mit Kultur. Das dachte ich
mir, als ich mich mal wieder von Freunden hab breitschlagen
lassen, doch noch mal nach Lübeck zu fahren.
Weihnachtsmarkt und traumhaft schöne Altstadt
wollte ich dort vor zwei Jahren schon besichtigen.
Damals war´s ein Verkehrschaos, das mich davon
abhielt, diesmal eine versperrte Hauptstraße,
als der Mob der gut 50 „Stolzen Essener“,
Durchschnittsalter knapp 16, von einer Hundertschaft
mit Blaulicht und Sirene zum Stadion gebracht wurde.
Von meinen „wir wollen unbedingt nach Lübeck“-Mitfahrern
blieben letztendlich nur drei Leute übrig.
Meine Erinnerungen an Lübeck waren durchwachsen.
Beim letzten Zusammentreffen an einem Freitagabend
war es bitter kalt gewesen. Das Spiel endete torlos.
Dazu saß ich ungünstig auf der Haupttribüne
gleich vor ca. 50 kleinen Kindern, die über 90
Minuten „V-f-B-Lüüübeck“
in der Endlosschleife quiekten. Aber immerhin verfügt
Lübeck über die wohl schönste Haupttribüne
der Regionalliga, man hat keinen Zaun, ist herrlich
nah dran und es werden Getränke gleich auf der
Tribüne verkauft.
Bei der Ankunft gegen 12 Uhr stelle ich schnell fest,
dass sich im Umfeld sowie am Stadion wohl nicht viel
geändert hat. Der damalige Rohbau zwischen Hauptstraße
und Stadion ist mittlerweile fertig und mit Graffiti
wie „Scheiß Gästefans“ bereits
übersät. Vor dem Gästeblock gibt’s
wie vor zwei Jahren den norddeutschen Sicherheitswahn
zu bestaunen. Für die gut 300 anwesenden Gäste
stehen gleich mehrere Hundertschaften zur Verfügung,
unter anderem die Einheit „Nordland“ mit
dem Sonderkommando „Umweltschutz“. Dieses
Jahr scheint man aber verstanden zu haben, dass es
auch entspannt geht, gab’s doch vor zwei Jahren
bereits bei der Ankunft Probleme mit der aktiven Szene.
Auch das vorher angekündigte „wir machen
erst eine Stunde vor dem Spiel auf“ hat sich
dann angesichts der bereits anwesenden Gäste
blitzschnell erledigt.
Ich mache mich gegen 13 Uhr auf zur Haupttribüne.
Erstens sitze ich mit fast 30 einfach lieber und zweitens
haben wir eine „Fotokarte“ vom VfB Lübeck
bekommen, die ich mir problemlos auf der Geschäftsstelle
abholen kann. Diese ist übrigens gespickt mit
einigen Schätzen der Wimpelfreunde. Ich wusste
gar nicht, dass in Vietnam auch Fußball gespielt
wird. Zur „Fotokarte“, die sich dann als
Tribünen-, Foto-,
Innenraum, Pressezentrum- & VIP-Karte herausstellt,
gibt es noch eine Papiertüte mit der Grundversorgung
für Pressevertreter: ein Salami-Brötchen,
ein Ei, ein Apfel, eine Mandarine, einen Müsli-Riegel
und Multivitaminsaft.
Im Stadion angekommen erhalte ich auf die Frage nach
einem Innenraumleibchen von einem Ordner die Info
„Ich merk mir Ihr Gesicht. Sie können jetzt
ohne Leibchen einfach in den Innenraum, egal wohin,
das ist hier ganz locker“. Was die Pressebetreuung
angeht haben wir schon einiges erlebt. Aber Lübeck
sticht hier wahrlich alle anderen bisherigen Vereine
aus, bei denen wir zu Gast sein durften.
Ein Rundgang durchs Stadion und ich hab die Kinder
des „V-f-B-Lüüübeck“-Chor´s
von vor zwei Jahren wiedergefunden. Sie nennen sich
jetzt scheinbar „Ultra-Kollektiv-Lübeck“
und sind einheitlich im üblichen 50/50 zwischen
„Football-Factory“ und „schwarzer Block“-Look
gekleidet. Und sie pöbeln mich, ohne Gästefanutensilien,
auch gleich mal ordentlich an als Fotograf im Innenraum.
Da hätt’ ich mir doch eigentlich etwas mehr
Dankbarkeit erwartet, haben meine Bilder doch für
den ersten größeren Bericht über die
Fanszene Lübeck im Magazin „Erlebnis Fußball“
bereit gestanden.
Zum Spiel schreib ich hier mal nichts, dies könnt
ihr ausführlich an anderer Stelle nachlesen.
Dank Innenraumzugang hatte ich die Gelegenheit, die
Aktionen um den Platzverweis für Lübecks
Captain hautnah verfolgen zu können. Ein Gerangel
zwischen ihm und Guie-Mien ahndete das völlig
überforderte Schiedsrichtergespann einseitig
mit Platzverweis. Gelb für beide wäre wohl
sinnvoller gewesen, was Lübecks Nummer Drei aber
auch kaum geholfen hätte, da er schon verwarnt
war. Dass es dann nahezu fünf Minuten dauert,
bis der Spieler den Rasen verlässt, Schieds-
und Linienrichter wütend beschimpft werden und
Trainer Uwe Fuchs auch erst nach mehrfacher Aufforderung
den Innenraum verlässt, wirkt doch schon etwas
chaotisch. Da hätte ein erfahrener Schiedsrichter
sicherlich noch deutlicher durchgegriffen. Der Wortschatz,
den das Tribünenpublikum in Lübeck für
Gästespieler mit polnischem Nachnamen
oder dunkler Hautfarbe übrig hat, treibt wohl
nicht nur dem Gästefan einen Schauder über
den Rücken.
Der Fanblock steht in Lübeck mittlerweile nicht
mehr hinter dem Tor, sondern ist in Form eines ca.
400 Mann starken Haufens auf die Haupttribüne
gewandert. Auch wenn man sicherlich schon größere
Mobs gesehen hat, kann der Block doch teilweise durchaus
durch Kreativität im Support, einheitliches Auftreten
und der Zaunbeflaggung überzeugen. Das Motto
„klein aber geil“ hat hier wohl gegriffen.
Und mir persönlich sind gute kleine Gruppen deutlich
lieber als eine schweigende Masse, wie z. B. beim
WSV. Außerdem zieht hier auch wirklich jeder
mit.
Der Rest der Zuschauer beschränkt sich da eher
auf das Auspfeifen der eigenen Truppe.
Nach Spielende feierten die Essener Spieler den knappen
Sieg mit den mitgereisten Fans, während sich
Trainer Fuchs und seine Truppe verbal und körperlich
am Schiedsrichtergespann abreagierten. Als dann ein
Ordner etwas beherzter zugriff, wurde er Ziel der
Attacken. Trainer Uwe Fuchs war hier nicht nur für
die eigenen Spieler ein denkbar schlechtes Vorbild,
auch der Ultra-Block fühlte sich animiert, gleich
wild Richtung Kabinengang zu stürmen. Da sollte
sich ein erfahrener Trainer und Ex-Bundesligaspieler
besser im Griff haben.
Die Pressekonferenz findet beim VfB im VIP-Raum statt,
einem Raum gleich über der Tribüne. Die
Pressevertreter
stehen hierbei vorne, gleich dahinter die anwesenden
VIP´s und Sponsoren. Ich hatte schon befürchtet,
meine Aufnahme würde von Zwischenrufen gestört,
in Essen wird die PK bekanntlich in den VIP-Bereich
übertragen, doch es war alles sehr entspannt
und still. Lübecks Trainer verspätete sich
noch etwas, wegen einer Ansprache ans Team, in der
er verdeutlichte, dass man den Schiedsrichter nicht
angehen dürfe, wie er selbst sagte. Ein Medienvertreter
feixte dagegen leise was von Polizeigewahrsam was
zu einem kleinen Lacher führte.
Am Ende ging’s mit einem 2:1-Auswärtssieg
zurück auf die A1. Es bleibt die Erinnerung an
einen letztendlich positiven Tag, der durch die fantastische
Betreuung abgerundet wurde. Und ich habe mir fest
vorgenommen, doch noch mal den Weihnachtsmarkt, der,
wie ich erst nach dem Spiel erfuhr, noch gar nicht
eröffnet war, beim nächsten Mal zu besuchen
und mir die Altstadt der Hansestadt beim nächsten
Aufeinandertreffen anzuschauen. Dafür muss der
VfB Lübeck aber noch einiges tun, um nicht in
der Versenkung der 4. Liga zu verschwinden.
(mn)