Wem lacht die Fortuna?
Ein
West-Derby mit Brisanz. Das Gastspiel von RWE bei Fortuna Düsseldorf
ist nicht nur geschichtsträchtig, sondern bietet bereits zu diesem
frühen Zeitpunkt der Saison eine ganze Menge an Zündstoff. Nachdem RWE
sein Auftaktspiel gegen den zuvor nicht wirklich als bedrohlich
empfundenen „kleinen“ Nachbarn aus Oberhausen mit einer historischen
1:4 Klatsche in den Sand gesetzt hat, stehen die Zeichen an der
Hafenstraße auf Sturm. Im Moment werden die Worte vom sportlichen
Leiter Olaf Janßen, dass die junge Mannschaft genug Qualität für diese
Liga biete, genauso kritisch gesehen wie das Vorjahresversprechen, mit
dem Abstiegskampf nichts zu tun zu haben. Das Ergebnis ist bekannt. Den
Verantwortlichen weht ein ungemütlicher Wind um die Ohren. Die Zweifel
an der Kompetenz der Macher werden so jedenfalls nicht ausgeräumt und
nachdem es nicht gelungen ist, mit einem Auftaktsieg gegen RWO für
Rückenwind zu sorgen, kommt der Partie in der LTU-Arena eine gewichtige
Rolle zu. Setzt es beim Auftiegsmitfavoriten aus der Landeshauptstadt
eine erneute Niederlage, wird die spannende Frage lauten, wie lange das
labile Schiff Hafenstraße sich noch über Wasser halten kann, bis der
Orkan über es kommt. Wie
explosiv die Lage an der Hafenstraße ist, bekam man schon während des
Oberhausen-Matches zu spüren. Nachdem einige Anhänger im Anschluss an
den Treffer zum 0:3 im wohlgemerkt ersten Saisonspiel mit dem
Schlachtruf „Wir sind Essner und ihr nicht!“ lospolterten, entwickelte
sich ein Handgemenge auf der Nordtribüne. Nur eine Randnotiz, aber eine
dennoch aussagekräftige Szene. Wenn man schon gegen RWO abgebügelt
wird, wie soll es dann erst in Düsseldorf aussehen? Aber halt, da gab
es am Samstag ja noch das Pokalspiel gegen Energie Cottbus. Der gleich
zwei Klassen höher spielende Gegner wurde von den Rot-Weissen mit einer
streckenweise begeisternden Vorstellung und einem Happy-End nach
Elferkrimi aus dem Weg geräumt. Ein sichtlich erleichterter Heiko Bonan
bilanzierte auf der Pressekonferenz: "Wir haben einen Bundesligisten
geschlagen, das darf keiner vergessen. Letzte Woche saßen wir alle am
gleichen Platz, alles wurde hinterfragt, die Mannschaft war komplett
blind, der Trainer und der Sportliche Leiter haben keine Ahnung. Es
wurde sich gefragt, was kaufen die zusammen. Die Truppe hat das
Gegenteil bewiesen." Ein deutlicher Seitenhieb auf die Fraktion, die
sachliche Analysen zu häufig mit schlecht informierten und
stammtischwürdigen Rundumschlägen verwechselt. RWE hat begeistert,
stellenweise beeindruckt. Doch das alles zählt am Dienstag zunächst
einmal nicht. Düsseldorf wird zumal mit Heimrecht ausgestattet ein
dicker Brocken sein.
Um die Spieler Lawaree, Erwig, Cerbe, Pusic, Kastrati Anfang, Lambertz
darf man die Fortunen jedenfalls durchaus beneiden. Der Belgier Lawaree
netzte in der Vorsaison satte 15-mal für Augsburg in der zweiten Liga,
Erwig sicherte sich für die Amateure des verbotenen Klubs die
Torjägerkrone in der Oberliga Westfalen. Dass Ivan Pusic verletzt
ausfällt und Bekim Kastrati unter den Nachwirkungen eines
Kreuzbandrisses leidet, sollte für die Gastgeber deshalb zu
verschmerzen sein. Düsseldorf wurde seiner Favoritenrolle in der Liga
als einer der ganz wenigen auch sogleich gerecht und siegte hoch
verdient mit 1:0 bei Union Berlin, dem neuen Klub von Ex-RWE-Coach Uwe
Neuhaus. So ging auch eine schwarze Serie zu Ende. Egal, in welcher
Liga es die Fortunen versucht hatten, satte 13 Jahre lang gelang kein
Auftaktsieg zu Saisonbeginn. Jedenfalls herrscht Euphorie bei den
Rheinländern , was auf eine stattliche Zuschauerzahl schließen lässt.
Wer sich den Fortuen zwischen den RWE-Pfosten entgegen stellen wird,
ist derzeit noch offen. Sören Pirson musste gegen RWO viermal hinter
sich greifen, viermal war er schuldlos. Doch auszeichnen konnte er sich
auch nicht.Daniel Masuch hingegen zeigte sich gegen Energie als sicher
in der Luft und wurde im Elferkrimi zum RWE-Helden des Tages. Da aber
in der LTU-Arena ein Elfmeterschießen sicher auszuschließen ist, sollte
das nicht das Hauptkriterium für die letztliche Entscheidung sein. Wer
auch immer im Tor stehen, wird, auf die Essener Abwehr kommt wohl eine
Menge Arbeit zu. Und die Defensive zeigte sich beim Ligaauftakt als
ausgesprochen verwundbar, wobei vor allem Daniel Sereinig als
Abwehrchef einen alles andere als guten Einstand feierte. Mr.
Zuverlässig Stefan Lorenz wurde bitterlich vermisst, fällt aber weiter
aus. Gegen Cottbus zeigten sich alle im Abwehrverband, auch und vor
allem Sereinig stark verbessert, obwohl es dennoch hier und da hakte. des
Okay, wenn man hinten nicht ganz so gut steht, müssen halt vorne die
Dinger rein. So weit so gut. Der augenblickliche Sturmführer Vincent
Wagner ist ein Lehrling, für den die Liga noch ein wenig zu früh kommt.
Im Pokal wurde er ab Mitte der zweiten Hälfte als Mittelfeldspieler ins
kalte Wasser geworfen, kämpfte für Zwei und verwandelte den
entscheidenden Elfer kaltschnäuzig. Andre Schei Lindbaek ist zwar nun
spielberechtigt, hat aber seine Problemchen mit der Fitness. Das war
ihm auch im Pokaleinsatz anzumerken, gleichzeitig aber auch eine
Portion Cleverness in Punkto Abschirmen des Spielgerätes. Wie stehen
Essens Chancen also? Eine Sache sollte Mut machen, in der LTU-Arena
werden die Rot-Weissen nicht das Spiel machen müssen und können auf
Konter setzen. Vielleicht zeigt sich dann auch in der Liga die wahre
Stärke der laufstarken und schnellen Spieler wie Sören Brandy, Tim
Erfen, Sercan Güvenisik und Vincent Wagner. Gegen Cottbus war die
Offensivleistung jedenfalls ansehlich. Güvenisik überragte mit tollen
Antritten, einer Torvorbereitung und einem eigenen Treffer Marke Tor
des Monats. Rafael Kazior nutzte die sich ihm bietende einzige Chance
eiskalt zum zwischenzeitlichen 1:1. Im Mittelfeld lenkte Tim
Gorschlüter das Spiel schon wie ein Großer und war von teilweise drei
Gegenspielern gleichzeitig nicht vom Ball zu trennen. In dem einen Jahr
in Ahlen scheint er unter eben Trainer Heiko Bonan einen Quantensprung
gemacht zu haben. Stellt sich noch die Frage, wie sehr der enorme
Kräfteverschleiß der Essener am Dienstag eine Rolle spielen wird. Die
Regenerationszeit ist kurz, die Spielansetzung bei einer im Pokal nicht
vertretenen Fortuna entbehrt nicht einer gewissen Form von
Wettbewerbsverzerrung. Gerade vor diesem Hintergrund sollte RWE in der
Landeshauptstadt wohl erstmal kompakt auftreten. Oberhausen zu
kopieren, das Essen kommen ließ und vorne fast jeden Chance verwertete,
könnte ein lohnendes Erfolgsmodell für die Rot-Weissen werden. Für den
gebeutelten RWE-Anhänger wäre eine Wiederholung des Triumphes vom
August 2005 jedenfalls Balsam auf die tiefen Wunden.
Wir erinnern uns zurück, am dritten Spieltag der Saison 2005/06 lagen
die Essener schnell mit 0:2 in Düsseldorf zurück. Doch am Ende wurde
gefeiert, weil Michael Bemben seinen besten Tag im RWE-Trikot,
wahrscheinlich sogar den besten Tag in seiner Karriere erwischt hatte.
Gleich zwei direkte Freistöße drehte der etatmäßige Rechtsverteidiger
in den Winkel und verwandelte außerdem einen Elfmeter. Den vierten
Treffer steuerte Holger Wehlage ebenfalls per Strafstoß bei. Nach der
Depression am Anfang jubelten die Rot-Weissen am Ende ekstatisch.
Überhaupt ist Düsseldorf gegen Essen etwas für den Fußball-Nostalgiker.
Beide Mannschaften bringen es zusammen auf zwei Deutsche
Meisterschaften, drei Pokalsiege und sogar eine Teilnahme an einem
Europapokalfinale. Von dieser Seite aus gesehen gibt es in der
Regionalliga Nord kaum ein größeres Spiel. Fortuna errang den
Meistertitel 1933, RWE 1955. Essen wurde im Jahre 1953 erster
Pokalsieger nach dem zweiten Weltkrieg. Übrigens in Düsseldorf. Die
Fortuna holte sich mit ihrer wohl besten Truppe aller Zeiten die
Pokaltitel 1979 und 1980. Das Team um die Gebrüder Allofs erreichte
1979 sogar das Europokalfinale gegen den großen CF Barcelona. Mit 3:4
unterlag man in Basel nur knapp. Auch RWE schrieb Europokalgeschichte.
Zwar war man weit von einem Finale entfernt, aber Essen war 1955 der
erste deutsche Vereinsvertreter im Landesmeister-Wettbewerb überhaupt.
Ein Glanzlicht des deutschen Fußballs schrieben beide Vereine gar
gemeinsam. 1956 gastierte Honved Budapest, die neben Real Madrid wohl
beste Vereinsmannschaft der Welt, die fast identisch war mit dem
einstigen ungarischen Wunderteam um Ferenc Puskas herum, an der Essener
Hafenstraße. Dort trafen die prominenten Gäste auf eine Kombination aus
RWE und Fortuna Düsseldorf, die restlos begeisterten Zuschauer, die
sogar auf den Flutlichtmasten Platz suchten, erlebten ein einzigartiges
5:5. Legendär und unvergesslich.Dass
ihre beiden Vereine einst gemeinsam Fußballgeschichte schrieben,
interessiert die Anhänger heute nicht mehr die Bohne. Man mag sich
nicht. Nachhaltig vergiftet wurde das Verhältnis der Fanlager, als
Fortunen Fans bei einem Gastspiel in Essen während der Saison 2001/02
ein Plakat mit der Aufschrift „Wir grüßen den Nazi-Verein von
Schwarz-Weiss-Rot Essen 04“ enthüllten. Ein überflüssiges Spiel mit
Klischees. Auch deshalb genossen die RWE-Anhänger einen Tag im Mai 2004
ganz besonders. Im ARAG-Pokalfinale ging es zwischen Düsseldorf und
Essen um die direkte Qualifikation für die erste Runde des DFB-Pokals.
Die Fortuna war nach einem Intermezzo in der vierten Liga bereits
wieder in die Regionalliga aufgestiegen. RWE stand wenige Tage vor
einem vorentscheidenden Match um den Aufstieg in Liga Zwei gegen
Paderborn. Trainer Gelsdorf wollte kein Risiko eingehen und bot eine
Elf bestehend aus wenigen Stammkräften, Akteuren aus der
Landesliga-Reserve und der A-Jugend auf. Im Falle des Aufstiegs wäre
man eh für den Wettbewerb qualifiziert gewesen. Aber die rot-weisse
Rasselbande zeigte der siegesgewissen Fortuna eine ganz lange Nase und
putzte diese mit 2:0 weg. „Mit der Jugend holn’ wir den Pokal“ war die
befriedigte Essener Parole in Richtung der zahlreichen Düsseldorfer,
die sich in einem schlechten Film wähnten.
Die Konstellation am Dienstag ist ähnlich. Eine favorisierte
Düsseldorfer Fortuna trifft auf einer runderneuerte und junge
RWE-Truppe, der trotz des letzten Erfolges noch nicht viel zugetraut
wird. Vielleicht sogar deshalb könnte die Glücksgöttin Fortuna den
Essener Pokalhelden lachen. Auf ihr Rot-Weissen, macht es noch einmal!
(sm)
Bilder: Regionalliga Saison 2005/06 Derbys gegen Düsseldorf
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