Überlebenskampf im Niemandsland
Jeder, der aufgrund seiner Arbeit sehr oft Deutschland
mit dem Auto oder dem Zug bereisen muss, kennt vielleicht
dieses Gefühl: Zwischen
Dortmund und Bielefeld stellt sich beim Betrachten
der Landschaft Langeweile ein. Streckenweise ist bis
auf eine vereinzelte Bauernkate mit einer Herde von
Kühen wenig bis überhaupt nichts zu sehen.
Ruhrpottler atmen meist erst auf, wenn sie in der
Nähe von Bielefeld eine Stadt erkennen können.
Dass dieser Landstrich auch noch einen Namen hat,
wissen nur die geschulten Geographen unter den Fußballfans:
Ostwestfalen.
Unfassbarerweise wird hier auch noch Fußball
gespielt, man mag es kaum glauben. Und sogar Erinnerungen
werden hier wach: Wer erinnert sich nicht an das Duell
mit dem FC Gütersloh in den neunziger Jahren,
der mittlerweile in der Versenkung verschwunden ist.,
oder an den SC Verl, dem die Mannschaft von der Hafenstraße
in den letzten zehn Jahren mehr Besuche abstattete
als den Lokalrivalen aus Dortmund, Bochum oder Herne-Ost?
Und dann gibt es ja noch LR Ahlen, pardon, RW Ahlen.
Diese Mannschaft hat es geschafft, von 2000 bis 2006
sechs Jahre in der Zweiten Bundesliga zu verweilen.
Von dieser Zahl wird in Essen geträumt, irgendwo
zwischen Dortmund und Bielefeld war dieser Traum Realität
geworden.
Doch auch diese Zeiten sind vorbei. Nun stehen beide
Mannschaften mitten im Kampf um das Überleben
in Liga Drei. Nur zwei Punkte trennen die Teams aus
Ahlen und Essen, Letzteres steht auf einem Qualifikationsplatz
zur eingleisigen dritten Liga, Ersteres auf einem
Abstiegsplatz auf dem Sprung in die Bedeutungslosigkeit.
Mehr Brisanz kann ein Spiel im Vorfeld kaum haben.
Und vor allem haben die Essener im ostwestfälischen
Ahlen einiges gut zu machen.
Saison 2004/05, 33. Spieltag: Mit einem Sieg gegen
Ahlen hätte RWE die Chance auf den Klassenerhalt
in der zweiten Liga gewahrt. Zunächst sieht es
gut aus, Erwin Koen bringt die Essener in Führung,
doch der Heißsporn sollte den Schlusspfiff nicht
mehr auf dem Platz hören. Seine rote Karte beendete
den Traum auf den Verbleib im Profigeschäft,
RWE geht mit 1:3 unter. Nach diesem Spiel hat sich
einiges rund um die Hafenstraße verändert.
Die Spieler wechseln fast jede Saison den Verein,
die Mannschaft hat es schwer, Unterstützung in
Teilen des Fanlagers zu erhalten und der Traum vom
dauerhaften Verbleib in Liga Zwei ist nur bei den
ganz optimistischen Anhängern geblieben. Im Umfeld
der Hafenstraße ist der Realismus eingezogen,
teilweise mit pessimistischen Tendenzen.
Die bittere Realität hat auch die Ahlener eingeholt,
die nach dem Rücktritt des Mäzenen Helmut
Spikker nach dem Abstieg aus dem Profigeschäft
vor anderthalb Jahren um das sportliche Überleben
kämpfen. Entgegen der Aussage von Manager Grädler
wurden doch noch Spieler in die "verschworene
Gemeinschaft" (O-ton Wück) geholt. Mit dem
ehemaligen Bundesligaspieler Ronald Maul von Carl-Zeiss
Jena verpflichtete man zudem keinen Unbekannten. Maul
war u. a. für den HSV und Arminia Bielefeld am
Ball und erhielt einen Vertrag bis zum Juni 2008 mit
einer Option auf ein weiteres Jahr, wenn Ahlen die
Qualifikation zur eingleisigen Dritten Liga schaffen
sollte. Ein weiterer Neuzugang ist Daniel Chitsulo,
der den Abgang von Ex-Essener und Stürmer Sebastian
Schoof "kompensieren" soll. Chitsulo kommt
von Zweiligaaufsteiger Osnabrück und schoss
in der letzten Regionalligasaison sechs Tore bei 33
Einsätzen. Ob diese Neuzugänge es schaffen,
den Ahlenern bei ihrem Unternehmen "Qualifikation"
zu helfen, bleibt abzuwarten.
Die Vorbereitung lief durchwachsen, neben einem klaren
5:0- Sieg gegen Oberligist Holstein Kiel und einem
2:1- Erfolg gegen Süd-Regionalligist SF Siegen
gab es deutliche Niederlagen gegen Zweitligaspitzenreiter
Borussia Mönchengladbach (1:4) und den SV Sandhausen,
Tabellenführer der Regionalliga Süd (1:3).
Dennoch ist das Problem der Essener nicht in erster
Linie der Gegner an sich, sondern die eigene Gesamtlage.
Neben der langen Verletztenliste und dem angekündigten
Rückzug von Hauptsponsor Evonik lief auch die
Vorbereitung auf die Rückrunde nicht wirklich
optimal. Dem Ausscheiden im DFB-Pokal gegen den HSV
folgte ein eher schmeichelhafter Erfolg im Niederrheinpokal
gegen den Oberligisten VfB Homberg. Zwei weitere Tests
gegen Gütersloh und gegen Iserlohn wurden abgesagt.
Die Hoffnungen ruhen auf den Neuzugänge Baltes,
Jans und Joseph-Augustin, die vor ihrer ersten richtigen
Bewährungsprobe stehen.
Dieses Spiel wird richtungweisend für den Start
in die Restrückrunde sein. Sollte RWE verlieren,
findet sich die Mannschaft aus dem Pott in der Abstiegszone
wieder, psychologisch wäre dies ein ganz schwerer
Schlag für das Team. Doch in Ostwestfalen hat
RWE einiges gut zu machen, und genau dort sollten
die Essener zeigen, dass doch in der Ruhrmetropole
der interessantere Fußball zu finden ist.
(pd)
Bilder: 2. Bundesliga Saison 2004/05
- LR Ahlen - Rot-Weiss Essen 3:1
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