In keinem Dorf wurden Schaufenster vernagelt, Autos in der Garage versteckt oder der Nachmittagsspaziergang vorsorglich auf nach 17 Uhr verschoben - der Essener Mob, er war ja gar nicht so schlimm! Benahmen sich welche daneben, dann wie in Herne, Aachen oder bei Fortuna Köln eher die „Fans" der Heimteams.
Aus den bisherigen Auswärtsstationen ragten zwei Örtlichkeiten besonders positiv heraus: Hüls mit seinem Chemiepark und Schermbeck am Ostfriesen-Spieß. An beiden Plätzen erfuhr der in die Fußball-Provinz gereiste RWE-Fan das Gefühl, noch wirklich willkommen zu sein. Man spürte, dass es für diese Clubs nicht nur aus pekuniären Erwägungen heraus das Highlight des Jahres war, gegen den Club von Rahn, Lippens, Hrubesch und Mölders spielen zu dürfen. Man wollte nicht dreist abkassieren wie die Beutelschneider vom Uhlenkrug und von Schloss Strünkede - sondern gemeinsam ein Fußballfest feiern.
Die von Roland Sauskat (AWO-Fanprojekt) schon im organisatorischen Vorfeld des RWE-Gastspiels als extrem angenehm empfundene Zusammenarbeit mit dem Schermbecker „Geschäftszimmer" und ihrer Leiterin Frau Richter führte nun am vergangenen Donnerstag zu einer in dieser Form bislang einmaligen Fanaktion. Sauskat zur Vorgeschichte: „In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde die Wand der Gästekabine mit einem Schriftzug „FC Schalke 04 e.V" verunstaltet. Zusätzlich wurden die Werbebanden im Stadion mit einschlägigen Hass-Parolen wie „Tod und Hass dem RWE" oder „Rot-Weiss-Essen - f... und vergessen" verunstaltet. „Aber auch BVB-Parolen waren auf die Banden geschmiert", so Sauskat.
Um die anreisenden Essener Fans durch die vermutlich von einem Einzeltäter getätigten Provokationen nicht unnötig aufzustacheln, wurden die Banden von den Schermbeckern noch rechtzeitig vor Anreise der Gäste entfernt und versteckt. Nur die schwarze Aufschrift auf der weißen Wand blieb. „Ich sagte schon bei der Anreise halb zum Scherz: Wenn wir jetzt Farbe dabei hätten, würden wir das schnell wegmachen", schmunzelt Sauskat.
Doch aus der Idee wurde dann dank eines Aufrufs auf Radio 1907 schnell Realität - und eine neue Facette von Fankultur. Am Donnerstag setzte sich ein kleine Gruppe aus acht Leuten - neben Sauskat und Claudia Wilhelm vom AWO Fan-Projekt „Manni" von Radio 1907, ein weiterer Moderator und vier Fans - um 15:00 Uhr vom GMS aus in Richtung Schermbeck in Bewegung.
„Mit 20 Liter Außenfarbe, aufgetragen mit vier Rollen, haben wir dann zu Fünft bei eisigen Temperaturen die Wand wieder komplett weiß getüncht", sagt Sauskat. Die Good-will-Aktion wurde als „Danke Schön" für die Gastfreundschaft der Schermbecker verstanden und blieb nicht unbeachtet: Die Dorstener Zeitung („RWE-Fans strichen in Schermbeck Wände weiß") berichtete ebenso wie der lokale TV-Sender WM.TV. DerWesten.de titelte: „Boss-Rahn-Erben greifen zum Pinsel." Auch Schermbecks Trainer Martin Strötzel und der Vorstand der Fußballabteilung, Johannes Brilo, schauten vorbei und geizten nicht mit Dankesbezeugungen.
Es kann also alles so schön und einfach sein im Fußball: Ein Gästeclub, der die Gastgeberrolle noch wörtlich nimmt, eine Organisation ohne überzogene Security, eine Pressekonferenz in einem gediegenen Ambiente und eine Polizei, die durch einen zurückhaltenden Auftritt konstruktiv Deeskalation betreibt. Dass dann anders als in Hüls auch noch drei Punkte für Rot-Weiss Essen heraussprangen, machte das Erlebnis Schermbeck nur um so netter!
Dass wir trotzdem im nächsten Jahr möglichst nicht noch einmal an diesen gastfreundlichen Ort fahren möchten, mögen uns die Schermbecker nachsehen. Was bleibt ist aber der Respekt für eine kleine, aber feine Aktion, die dem Image des Vereins besser getan hat als manch teure Marketingkampagne der Vergangenheit.
P.S. Die Kosten für die Farbe wurden durch Spenden gedeckt. „Ein Fan aus Riad in Saudi-Arabien hat 100 Euro gespendet", freut sich Sauskat. Stefan Rogge, so sein Name, lebt und arbeitet im Wüstenstaat und ist einer von zirka 1.000 Zuhörern von Radio1907.
Thomas Imhof